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Die Dynamik der Münzpolitik
Zur Ernährung von hunderttausend Menschen war die rechtzeitige Verfügung über eine hinreichende Geldmenge von existentieller Bedeutung. D. h. aber grundsätzlich, eine hinreichende Münzmenge, mithin im Rahmen der mittelalterlichen hard-money-economies eine hinreichende Edelmetallmenge. Nur das Byzantinische Reich und das Omayyadenreich blieben im Mittelmeerraum bei der Goldwährung, während sich im westlichen und nördlichen Europa das Silbergeld durchsetzte. Nach einem ersten Versuch Pippins ordnete Karl der Große das Münzwesen, indem er festsetzte, dass aus einem Pfund (libra) Silber 20 solidi geschnitten, aus denen wiederum jeweils 12 denar ausgemünzt werden sollten. Damit erhielt das Lateinische Mittelalter die weit verbreitete Wertproportion von libra, solidus und denar von 1 : 20 : 12, die in England mit seinem Pfund und dessen Untereinheiten shilling und penny erst 1972 abgeschafft wurde.
Venedig hatte lange keine eigene Münze besessen, ja auch nicht gebraucht, solange die Wertverhältnisse zwischen den Währungen stabil gewesen waren. Mitte des 12. Jahrhunderts begann die Serenissima zögernde Schritte eigene Denare zu prägen. Der nunmehr umlaufende Denar unterlag starken Schwankungen. Sein Silberanteil wurde von 27 auf 25 % vermindert, so dass schließlich 26 Dandolo-Denare nur 21 Denaren aus der Zeit Sebastiano Zianis (1172-78) entsprachen. Die Staatskasse machte dabei erhebliche Gewinne, denn die venezianischen Händler wurden zum Umtausch entsprechend dem nominellen Kurs gezwungen.
Da der Bedarf nach größeren Nominalen in Italien, der ökonomisch fortgeschrittensten Region Europas, schnell wuchs (z. B. für Lohnzahlungen) und die in Nordostitalien umlaufenden Münzen einen zu niedrigen Silberanteil für größere Käufe aufwiesen, begann auch Venedig größere Nominale aufzulegen. Als die bisher für den Außenhandel wichtige Veroneser Silberwährung in Venedig zunehmend an Boden verlor, ging Enrico Dandolo 1193/94 zur Prägung des schweren Silber-grosso oder Dandolo-grosso über, der mit dem beginnenden IV. Kreuzzug und den damit verbundenen Arbeiten an Arsenal und Flotte seinen Aufstieg nahm. Schon hier setzten die uns später beschäftigenden Münzmanipulationen ein, denn sein Silberanteil entsprach nicht seinem nominellen Wert von 24, sondern nur von 21 Denaren. Als Bischof Wolfger von Passau nach Oberitalien kam, erhielt er für eine Silbermark 10 venezianische libra in Pordenone und Padua - also außerhalb des venezianischen Machtbereiches - aber nur 9 libra in Venedig. So glichen die außervenezianischen Wechsler den Wertverlust von über einem Zehntel (fast genau) aus, was die unter strenger Aufsicht stehenden Wechsler in Venedig nur unter großen Risiken konnten.
Der grosso mit seinem Silberanteil von ca. 2,1 g bei großer Reinheit (965/1000) wurde als Medium für umfangreichere Marktbeziehungen eingesetzt. Aber bald wurde er als so unzulänglich empfunden, dass solidus und libra als Recheneinheiten (nicht als Münzen) erschienen. Dabei blieb das seit Karl dem Großen bestehende rein rechnerische Wertverhältnis bestehen. Dies stellt sich wie folgt dar:
1 libra grossorum (lira di grossi) = 20 solidi grossorum = 240 denari grossorum (= grossi) mit 504,72 g Silberanteil.
Die Recheneinheiten dienten als reine Referenzgröße (auch für andere "Währungen") und zugleich dem Schutz vor Entwertung. Die tatsächlich umlaufende Münze diente als Tauschmittel und als "store of wealth" (Spufford).
Für den piccolo und seine Recheneinheiten galt analog zum grosso: 1 libra parvorum (lira di piccoli) = 20 solidi parvorum = 240 denari parvorum (piccoli) mit 19,33 g Silberanteil.
Es wurde ein Wechselkurs festgesetzt, um den "großen" denar vor dem Wertverfall zu schützen, dem der "kleine" ("piccolo") ausgesetzt war.
Legt man den Silberanteil zugrunde, so ergibt sich ein Verhältnis von 504,72 zu 19,33 g oder einfacher von 1 : 26,1 zwischen grosso und piccolo. Tab. 2.1: Der Wechselkurs zwischen grosso und piccolo (13. - 15. Jahrhundert)Jahr | Piccoli | Jahr | Piccoli |
---|---|---|---|
1201 | 24 | 1307 | 28 |
1202-54 | 26,1 | 1328 | 33 |
1236 | 38 | 1331-32 | 36 |
1254 | 26 1/9 | 1341 | 32 |
1259 | 26 2/3 | 1344 | 41 |
1265 | 27 | 1352 | 41 |
1267 | 26 | um 1370 | 44-48 |
1268-80 | 28 | 1380 | 43 |
1275 | 30 | 1410 | 48 (Candia) |
1276 | 27 | 1417 | 58 (Candia) |
1278 | 30 | 1472 | 62 |
Wenn nicht anders gekennzeichnet, beziehen sich die Angaben auf den Tauschort Venedig.
....Der grosso war ohne Zweifel geeigneter für größere Transaktionen, während der piccolo dafür viel zu schwerfällig war, aber trotzdem trennten sich binnen- und außenwirtschaftliche Bereiche hinsichtlich des Münzgebrauchs nicht automatisch. So half der Große Rat nach: Mehr als 25 der kleinen Denare durften ab 1268 nicht mehr ins Ausland gebracht werden. Ein kontinuierlicher Verfall des piccolo setzte erst nach 1330 ein, aber auch schon vorher sind einige kurzfristige Kurseinbrüche zu erkennen.
Diese Art von Geldwert- und damit Lohnminderung konnte durchaus der Exportindustrie zugute kommen, die allerdings noch nicht die späteren Ausmaße angenommen hatte, und zunächst fast ausschließlich aus dem Export von Schiffen bestand. Hier eine manipulative Abwertung zugunsten der Exportindustrien anzunehmen, hat schon aus diesem Grund nicht sehr viel Wahrscheinliches. Außerdem ist die Wertminderung bei weitem nicht mit derjenigen zu vergleichen, die z. B. die exportorientierte Stadt Florenz regelmäßig erzwang. Der piccolo wurde dort im Verhältnis zum fiorino von 1 zu 20 (1252) auf 1 zu 1560 (1492) abgewertet. Damit konnte in Florenz mit fast silberfreien Münzen (schwarzem Geld) billig produziert und teuer exportiert werden. Vor allem konnten Lebensmittel, die ja im contado produziert wurden, zu niedrigen Kosten produziert werden. Damit standen billige Arbeitskräfte zur Verfügung, deren niedrige Löhne trotzdem eine hinreichende Kaufkraft besaßen. Da Venedig im Gegensatz zu seinem toskanischen Konkurrenten kaum Lebensmittel selbst produzierte, konnte ein niedriger Kurs des piccolo nicht zur Preiskontrolle im Florentiner Sinne eingesetzt werden. Im Gegenteil musste das venezianische Garantiepreissystem dazu führen, dass bei einer Abwertung des piccolo, vorausgesetzt, der Fiskus wollte ohne verminderte Gewinne oder gar Verluste das Getreide auf dem venezianischen Markt veräußern, die Abwertung in vollem Umfang auf den Getreide- und Brotpreis durchschlug. Es scheint, als sei genau dies der Fall gewesen.
Als Mittel zur längerfristigen Vorfinanzierung von Löhnen und Investitionsgütern auf dem Binnenmarkt eigneten sich die geringfügigen venezianischen Abwertungen jedenfalls nicht. So sind kurzfristige und mittelfristige Interessen des Fiskus wohl ausschlaggebend gewesen. Recht deutlich erkennbar ist beispielsweise die erste fassbare Krise des Versorgungssystems seit der byzantinischen Verhaftungswelle von 1171: Die Kommune musste ihre Einnahmen für den beginnenden Kampf gegen Friedrich II. kurzfristig erhöhen und legte 1236 das Verhältnis zwischen piccolo und grosso auf 1 zu 38 fest! Damit war die Bevölkerung gezwungen, kurzfristig wesentlich höhere Brotpreise in Kauf zu nehmen, bzw., da der Brotpreis über die Größe - bei annähernd konstantem Preis - geregelt wurde, mussten die Venezianer im wörtlichen Sinne "kleinere Brötchen backen". Damit floss eine erhöhte Silbermenge in die Kasse der Camera frumenti.
Wie sich der Kampf gegen Friedrich II. abzeichnet, so zeichnen sich auch die Mangeljahre unter Lorenzo Tiepolo (1268 bis 1275) durch eine für die in piccoli zahlende Bevölkerung ungünstige Relation zwischen den Geldsorten aus, wobei das Ende der Krise (1276) deutlich erkennbar ist. Befördert wurde die Abwertung wohl durch die Tatsache, dass die Prägung des piccolo, die Jahrzehnte nicht mehr erfolgt war, 1269 wieder aufgenommen wurde. Dabei wurde das Gewicht auf 0,289 g reduziert. Deutlich wird die spekulative Absicht in der Kombination mit dem wenige Tage später verabschiedeten Beschluß, in dem vorgeschrieben wurde, dass Geschäfte unter 50 libra grundsätzlich nur noch mit denari piccoli getätigt werden durften. Brotkäufe fielen in jedem Falle darunter, so dass jeder Esser wohl oder übel zum Haushalt der Kommune beitragen musste.
1283 wurde den nach Venedig kommenden Getreidehändlern ein Garantiepreis von 18 grossi/star für Korn "extra Culphum" zugesagt, für Getreide "intra Culphum" aber nur eine Prämie von einem grosso unter der Zusage, dass sie am Speicher für das Getreide 18 grossi bekämen. Wenige Monate später konnten sie immer noch so verfahren, jeder von ihnen durfte aber auch auf dem Markt feilbieten, um zu erzielen "quantum poterit". Just in dem Jahr, als dieses Angebot vor dem Großen Rat abgestimmt wurde, wurde auch der piccolo stark abgewertet - offenbar eine umstrittene Maßnahme, die mehrfach vor dem Großen Rat verhandelt wurde.
Am Ende des 13. Jahrhunderts verzeichnen wir eine abermalige, wenn auch nicht ganz so starke Wertminderung des piccolo. Zwischen 1341 und 1344 fiel sein Wert drastisch, nämlich um 28 % - ein Zufall, dass dies im Rahmen der Serie italienischer Hungerjahre von 1340-43 begann? Die Diskrepanz zwischen offiziellem und marktgängigem Kurs wurde jedenfalls so groß, dass ab 1343 Anpassungen erfolgten.
Obwohl man 1379 nach 25 Jahren Unterbrechung wieder die Prägung des grosso aufnahm - durch die Nichtprägung war eine künstliche Knappheit erzeugt worden - verfiel der Kurs des piccolo angesichts der Geldbeschaffungszwänge des Genuesenkrieges (bis 1381) sprunghaft. Noch 1379 entsprachen 32 piccoli einem grosso. 1380 mussten für einen grosso bereits 43 piccoli eingetauscht werden. Damit erreichte man eine kräftige Verbilligung der Inlandsprodukte zugunsten der Kriegsproduktion. Schon als 1236 der piccolo auf 1: 38 abfiel oder 1282 auf 1: 32, hatte dies im internationalen Getreidehandel nicht geringe Konsequenzen.
Dazu müssen wir einem Kornhändler über die Schulter sehen. Zunächst einmal musste der potentielle Kornkäufer sein Getreide mit Außenhandelsmünzen bezahlen. Mit seinem alsbald beladenen Schiff fuhr er nach Venedig, wo ihm die Camera frumenti anbot, entweder den Garantiepreis zu akzeptieren und der Getreidekammer den Verkauf zu überlassen, oder nur einen grosso pro star als Prämie anzunehmen und sein Korn auf dem Markt selbst zu verkaufen. Im ersten Fall änderte sich für den Unternehmer in sachen Getreide nichts. Er erhielt eine Bezahlung, mit der er fest rechnen konnte, in einer Geldart, die ohne weiteres für Außenhandelstätigkeiten verwertbar war. Im zweiten Fall erhielt er während des eigenhändigen Verkaufes - oder von einem Pächter, wenn er dies nicht selbst übernehmen wollte - eine "überraschend" große Menge an piccoli, denn der neue Wechselkurs dürfte direkt auf die Preisgestaltung durchgeschlagen sein. Diese piccoli waren nicht unmittelbar für Handelstätigkeiten verwertbar, denn sie durften nur sehr begrenzt ausgeführt werden. Also mussten nun Güter erworben werden, die zum einen in Venedig erhältlich waren, d. h. mit piccoli bezahlt werden konnten, zum anderen sollten sie im Idealfall wiederum dem günstigen Einkauf von Waren dienen, womit sie die Gewinnspanne erhöhen konnten (natürlich konnte er sein Geld auch in andere in Venedig verfügbare Waren stecken, z. B. Konsumgüter). Dafür kamen etwa Schiffspacht oder -kauf, Löhne für die Matrosen und sogar Schiffszwieback und Mehl in Frage. Sicherlich waren dies besonders günstige Zeiten, langlebige Güter zu erwerben, denn die Normalisierung des Wechselkurses ließ meist nicht lange auf sich warten. Die Frachtkosten verminderten sich also erheblich, Investitionen auf dem venezianischen Markt wurden gewissermaßen auf Kosten der Konsumenten subventioniert.
Diese Manipulationen am Geldmarkt dienten in erster Linie der Erschließung von neuen Geldquellen - wie bereits der Zeitgenosse Nikolaus Oresme im Zusammenhang mit Manipulationen an den Münzen Frankreichs erkannte:
"Videtur michi quod principalis et finalis causa propter quam princeps uult sibi assumere potestatem mutandi monetas, est emolumentum uel lucrum, quod inde potest habere; aliter enim frustra faceret tot mutaciones et tantas "
Oresme nennt wenig später die Vorteile, die auch für Venedig von entscheidender Bedeutung gewesen sein dürften:
"non enim ita cito gravamen ipsius sentitur a populo sicut per unam aliam collectam"
Bedenkt man darüber hinaus, dass Preissteigerungen beim Getreide sich ausschließlich im Brotgewicht niederschlugen, so wird die Manipulation bis zur Unmerklichkeit verdeckt. Zwischen paternalistischer Fürsorge und Profitgier besteht ein für uns nicht genau auszumachender gradueller Unterschied, der im Wertverhältnis zwischen grosso und piccolo versteckt ist.
Venezianer zahlten im Osten mit Silber und nahmen das in loco umlaufende Gold wieder mit, d. h. vor allem Goldhyperpera. Im 12. Jahrhundert brachten nur das Königreich Jerusalem, das normannische Königreich Sizilien und das Reich der Almohaden Goldmünzen in Umlauf, während der byzantinische solidus, bzw. der hyperperon im Wert fielen Während das Silber also im Westen an Wert verlor, floss gleichzeitig das künstlich teuer gehaltene Silber Venedigs nach Osten ab. Venedig drohte sozusagen die Eingliederung in die arabisch-byzantinische Welt und damit der Verlust der lebenswichtigen Funktion als Handelsdrehscheibe durch Auszehrung seiner Silberreserven.
Die Handelsstädte Florenz und Genua durchbrachen als erste die Trennung zwischen dem Silbergebiet und dem islamisch-byzantinischen Goldgebiet, indem sie beide Edelmetalle, die die Städte nun in ausreichendem Maße erreichten, zirkulieren ließen. Dabei dürfte für Genua der Goldzufluss aus dem Handel mit der Levante und dem Maghreb und der in untragbarem Ausmaß schwankende Feingehalt der bereits in Süditalien umlaufenden Goldtarì eine entscheidende Rolle gespielt haben. Im Florentiner Fall mögen Getreidekäufe in Sizilien eine wichtige Rolle gespielt haben. Venedig zögerte länger, da hier der Goldzustrom zunächst noch geringer war. Hier wurde das afrikanische Gold bald vom ungarischen abgelöst, das deutsche Kaufleute mitbrachten. 1284 begann zunächst in geringem Umfang die Prägung des venezianischen Golddukaten.
Mit dem Beschluß vom 31. Oktober 1284 ging man mit der Prägung des Golddukaten - zunächst in geringen Mengen - zur Goldwährung über, ohne auf die bewährte Silberwährung zu verzichten. Für den Fernhandel standen also nunmehr Silbergrosso und Golddukaten zur Verfügung. Dabei entsprach ein ducato zunächst 39 solidi ad grossos. Wenige Monate später, im Juni 1285 fiel der solidus auf 1 zu 40. Dies entsprach einem Verhältnis von 1 ducato zu 18 bzw. 18,5 grossi. Bis 1328 konnte der Senat dieses Verhältnis künstlich aufrecht erhalten, bis der Kurs von 1 zu 18,5 auf 1 zu 24 gesenkt werden musste, womit eine lira di grossi genau 10 Dukaten entsprach.
War Gold 1284 noch elfmal so teuer wie Silber, so stieg der Kurs 1305-1330 auf 1 : 14,2! Seit den 1330er Jahren kam es aber zu einem verstärkten Goldzustrom aus dem Ural (über Tana bereits ab ca. 1250) und aus dem westlichen Sudan, insbesondere Mali (über Alexandria und Tunis), der den Silberverfall bremste und zeitweise umkehrte. Früher noch lieferten die Goldminen im Raum des ungarischen Kremnitz ab etwa 1320 große Goldmengen, die ab 1324/25 die Prägung einer eigenen ungarischen Goldmünze gestatteten. 1327 vereinbarten Ungarn und Böhmen darüber hinaus einen Ausfuhrstopp für Silber nach Italien. Binnen weniger Jahre stellte sich Venedig nun weitgehend auf Gold um, wurde zum führenden Goldexporteur, wo es zuvor der führende Silberexporteur gewesen war. Der Goldzufluss war bald überdeutlich spürbar, so dass die XL 1343 bemerkte, dass "aurum ducatur Venecias per mare per mercatores in maxima quantitate". Einstweilen wurde der Wechselkurs zwischen Silber- und Goldgeld noch künstlich zugunsten des Silbergeldes hochgehalten, indem man neue Münzen, die Bruchteile seines Wertes darstellten (mezzanino und soldino) prägte - und zwar mit einem niedrigeren Silberanteil, als es dem jeweiligen Nominalwert entsprach. Venedig begann 1330 erstmals mit der Prägung eines soldo effettivo mit einem Wert von 16 bis 18 statt 20 piccoli.
Da der Mittelmeerraum zum Bimetallismus übergegangen war, brachte das unter drei aufeinanderfolgenden Herrschern stabile Reich von Mali mit seinen umfangreichen Goldexporten zuerst die nordafrikanische, dann auch die europäische Wirtschaft in gewisse Schwierigkeiten. Die berühmte Pilgerreise Mansa Musas (des legendären Rex Melly der katalanischen Geographen), bei der er 1324-25 vielleicht zehn Tonnen Gold mitführte, drückte den Kairoer Goldpreis für mehr als 12 Jahre. Erst der Tod Sulaymans (Mansa Musas Bruder und Nachfolger) und der nachfolgende Zerfall des Reiches, brachten das komplizierte transsaharische (Gold-)Handelsnetz zum Zusammenbruch. Wohl in den 70er Jahren kam es zu einem fast vollständigen Abreißen der Goldkarawanen. Durch diese Tatsache kam es an allen europäischen Münzen zu spürbaren bis dramatischen Erschütterungen. Nur die venezianische zecca blieb fast verschont.
Unter diesen Umständen war es nicht einfach, den Golddukaten zu stützen, der mittlerweile die wichtigste Voraussetzung für den Handel mit Syrien und Ägypten geworden war. 1331-32 war nämlich der Gold- gegenüber dem Silberkurs bereits von 1:14,2 auf 1:13,1, 1346/49 gar auf 1:10,5 gefallen, schließlich erreichte er 1350 den Tiefststand von 1:9,4. Silber wurde teurer, Gold immer billiger. Wie John Day annimmt, war der Goldkurs ein empfindlicher Gradmesser für den Ab- und Zufluss der beiden wichtigen Edelmetalle. Hatte der ständige Abfluss von Silber in die Levante zu einem sich immer stärker abzeichnenden Mangel an diesem Metall geführt, so brachte nun ein massiver westafrikanischer Zustrom von Gold die Wertrelationen auf dem Markt und - vermittelt - an den Münzprägestätten erneut in Bewegung. Die Rogadia versuchte dementsprechend durch Zollbefreiungen die Zufuhr des jeweils nur unzureichend einlaufenden Edelmetalls zu verstärken.
Noch in den Jahren 1353-57 stieg der Goldkurs, allerdings nur unwesentlich auf 1:9,6. Der Druck auf das Silber wuchs. Die venezianische zecca stellte 1354 die Prägung des grosso ein, um durch ein künstlich erzeugtes Unterangebot seinen Wert auf der erreichten Höhe zu halten, was ihr bis 1379 auch weitgehend gelang, zumal der Goldzustrom nachließ. In dieser Zeit stabilisierte sich die Gold-Silber-Relation zwischen 1:9,9 und 1:10,5, d. h. das Silber erholte sich im Preis. Aber auch nach dem Chioggia-Krieg zwischen Genua und Venedig (1378-81) überstieg die Relation nicht wieder 1:12,5, schwankte von 1401 bis 1500 zwischen 10,7 und 11,6 und um 1509 lag sie bei 1:10,7. Entscheidend dürfte dabei gewesen sein, dass Venedig seine nahöstlichen Gewürzkäufe, die es praktisch zu einem Monopol ausbaute, fast nur noch mit Golddukaten tätigte. Venedig wurde zum größten "Goldleck" Europas.
Es ist anzunehmen, dass die Silberknappheit, oder für die nachfolgenden Jahrzehnte besser gesagt der relative Goldüberschuss, den Senat dazu bewegten, den grosso als Standardwährung für den Getreideankauf durch eine andere Währung zu ersetzen. Dazu bot sich zunächst der byzantinische hyperperon an. Dessen Goldanteil war allerdings so stark rückläufig, dass er praktisch zur Silbermünze wurde.
Der Kauf von Getreide mit grossi oder hyperpera war also unweigerlich von Verlusten geprägt, die durch die Edelmetallströme ausgelöst und durch die relative Schwäche des Byzantinischen Reiches verstärkt wurden. Zunächst begnügte man sich mit Eingriffen in die Wechselkurse.
Als ultima ratio blieb nur der gewaltsam durchgesetzte Zwangsumtausch von Geldmitteln in Münzen, deren Realwert erheblich niedriger war, als ihr Nominalwert (im Zusammenhang mit den ersten grossi war davon bereits die Rede). Hierbei landeten die führenden Familien, ohne dass man ihre "Ausübung der Herrschaft" "fast terroristisch" nennen muss, wie es Pölnitz (237) getan hat, im 14. Jahrhundert einen ihrer größten Coups: Der hyperperon von Byzanz war von ursprünglich 40 soldi piccoli am Ende des 12. Jahrhunderts bereits auf 35 gefallen, um hundert Jahre später gerade noch 20 wert zu sein. Bis 1228 war es noch gelungen, durch Einstellung der Prägung eine künstliche Verknappung herbeizuführen und den Wert bei 35 solidi zu halten. Am Ende wurde aus der einst sehr reinen Goldmünze fast eine Silbermünze, da sich in ihr kaum noch Gold fand. In ganz Griechenland liefen ab dem 13. Jahrhundert vorwiegend englische sterling und insbesondere französische deniers tournois um. Da die letzte Münzstätte um 1330 schloss und die englische Münze fast verschwand, von dem 12 im Wert einem grosso entsprachen, schuf der Senat 1353 eine eigene Münze für die Kolonien in der Romania: den silbernen tornesello. Fast gleichzeitig, genauer gesagt 1354-1379 wurde die Prägung des Silbergrosso eingestellt. Nie war Silber so teuer, wie in diesen Jahren.
Es wurden so viele torneselli geprägt, dass ab 1385 ein eigener Münzmeister für deren Prägung angestellt wurde, so dass nun drei statt zwei Münzmeister in Venedig ihre Arbeit versahen. Die Münzen wurden spätestens ab 1354 geprägt und 1362 wurde eine große Ladung nach Candia gebracht, wobei unmissverständlich angefügt wurde, dass niemand die neuen Münzen "audeat refutare". Und diese Warnung wurde nicht ohne Grund angefügt, denn die Magistrate zwangen alle Händler, den stark überbewerteten tornesello zu akzeptieren, obwohl er unmöglich in der nominellen Bewertung umlaufen konnte. 1367 drohte das Regimen Crete Getreidehändlern, die die Münze nicht akzeptierten mit hohen Strafen:
"Quod cum alias factum fuerit bannum quod torneselli missi per ducale dominium debeant currere et expendi per totam insulam Crete ad rationem tornesorum quatuor pro soldino et nunc ad aures dominationis perveniat quod persone vendentes frumentum in platea recusant recipere dictos tornesellos in solutionibus dicti frumenti, dominus ducha et eius consilium faciunt notum omnibus et mandant quod omnes persone cuiuscumque conditionis iexistant debeant recipere tornesellos qui eis dabuntur in omnibus et singulis solutionibus que debebunt eis fieri, quacumque ratione vel causa, et nullus audeat recusare vel refutare ipsos sub pena solvendi soldinum unum pro quolibet tornesello qui fuerit refudatus, de qua quidem pena accusator habeat tercium si per eius accusationem habebitur veritas et teneatur de credentia, tercium sit officialibus quibus hec commissa sint et tercium deveniat in comune".
Um zu zeigen, wie stark der tornesello überbewertet war, lässt sich nach Alan M. Stahl (19) folgende Berechnung anstellen: Aus einer Silbermark schlug man 2880 torneselli. Gleichzeitig schlug man 135 grossi aus einer Mark Silber, d. h. gemessen am Silberanteil lag das Wertverhältnis zwischen grosso und tornesello bei 1:21 (2880:135). Abzüglich des Kupferanteils im tornesello lag das Wertverhältnis bei etwa 1:20. Ein grosso entsprach zu dieser Zeit 32 piccoli! Das Wertverhältnis zwischen grosso, tornesello und piccolo kann also durch 1:20:32 wiedergegeben werden, so dass 20 torneselli 32 piccoli entsprachen. Das bedeutet, 1 tornesello entsprach 1,6 piccoli, der offizielle Wechselkurs lag aber bei einem tornesello für drei piccoli. Das bedeutet, dass der tornesello fast doppelt so hoch in seinem nominellen Wert war, wie es dem tatsächlichen Edelmetallanteil entsprochen hätte. Die Auspressung insbesondere der Romania-Kolonien durch Zwangsumtausche beschränkte sich eben nicht auf kleine Übervorteilungen der Produzenten und wie wir gesehen haben auf größere der Konsumenten. Der sowieso schon vorhandene Zorn insbesondere der Kreter wurde wohl kaum dadurch gemindert, dass die venezianische Magistratur auf der Insel ebenfalls in torneselli entlohnt wurde.
Wenn die Annahme von Stahl (45) zutrifft, dass die venezianische Münze allein 1375 5 840 000 torneselli prägte und diese unter Anwendung von Zwang umtauschte, so machte sie einen Gewinn von ca. 2,5 Millionen torneselli. Bei einem Wechselkurs zwischen Dukaten und soldo di torneselli von 1:73 entsprachen die 2,5 Millionen fast 3000 Dukaten. Anfang 1386 stellte der Senat fest, dass in diesem Jahr 4000 Dukaten Reingewinn aus diesem Prägungsgeschäft gezogen worden seien. Dabei zeichnete sich bereits jetzt ein massiver Wertverfall der neuen Münze ab. Trotz aller Zwangsmittel entsprachen bald 80 soldi di tornesello (also 960 torneselli) einem Dukaten. Zur Bezahlung der Magistrate wurde zu Beginn des 14. Jahrhunderts ein offizieller Wechselkurs von 1:96 zwischen Dukaten und soldi eingeführt, wobei regelmäßig Anträge, die Gehälter entsprechend der tatsächlichen Umtauschrate auszubezahlen, abgelehnt wurden. Höchstens, dass man sich bereit erklärte, zum Ausgleich das Gehalt zu erhöhen. 1403 musste eine Summe von 400 Dukaten (bei 100 soldi pro ducato) auf vier Säcke mit torneselli verteilt werden, je Sack also 10 000 soldi. Daneben bestätigt eine Vielzahl von anderen Quellen, dass der reale Wert im 14. Jahrhundert eher zwischen 1:100 und 1:120 mit Tendenz nach oben lag. Dabei fiel der Wert des soldo di tornesello auch gegenüber den venezianischen Silber-Soldo ab 1400 stark ab, nicht nur gegenüber dem Golddukaten. Trotz der starken Abwertung reagierte der Senat erst 1464, indem er bestimmte, dass auf Kreta der soldino fortan 6, nicht mehr wie bisher 4 torneselli entsprechen sollte.
1359 hatte ein Dukaten 264 torneselli entsprochen, 1424 bereits 520. Teilweise ging dies darauf zurück, dass der tornesello zwar seinen Silberanteil hielt, aber 15 % an Gewicht verlor. Obwohl ab 1400 die Münzproduktion gedrosselt und nach 1423 keine neuen torneselli mehr in Umlauf gebracht wurden, fiel sein Wert bis 1466 auf 1 zu 792. Venedig "lernte" aber keineswegs aus dieser Finanzmisere. 1486 erlaubte die rückläufige Münzmenge erneute Verschiffungen von torneselli in die wenigen verbliebenen Kolonien, die die Osmanen noch nicht erobert hatten.
Schon als sich die Stadt zu Anfang des 15. Jahrhunderts verstärkt dem oberitalienischen Festland zuwandte und begann, ihre neuen Besitzungen einer mise en valeur zu unterwerfen, brachte es hier, ähnlich wie in Griechenland, eine besondere Münze, den bagattino in Umlauf, der, mit den gleichen Mitteln wie in den östlichen Kolonien durchgesetzt, langfristig ein ähnliches Schicksal erlitt, wie der tornesello. Ähnliches lässt sich für Zara nachweisen.
In der Terraferma stand die venezianische Geldpolitik in engstem Zusammenhang mit den Auseinandersetzungen mit Mailand. Der Herzog von Mailand begann nämlich 1429 eine Art Destabilisierungspolitik, indem er stark überbewertete sesini zu 6 denar in Umlauf brachte, die im Tausch gegen venezianisches Silbergeld 20 % Gewinn einbrachten. So reduzierte Venedig den Silbergehalt des bagattino von 11 auf 5,5 %. Damit ergab sich eine unüberbrückbare Kluft zwischen nominalem Wert und Edelmetallanteil. Die Gewinne hieraus dienten der Bezahlung des Condottiere Francesco Sforza. Gleichzeitig weigerte sich die Serenissima, Abgaben unter Verwendung des bagattino entgegenzunehmen, sondern verlangte gute Münzen.
Mailand versuchte es wenig später ein zweites Mal und brachte den ottino zu 8 denar in Umlauf, was neben Einschmelzungen dazu führte, dass die venezianischen soldini, grossi und grossoni gänzlich verschwanden und sich nur noch der "schlechte" bagattino hielt. 1453 wies der Senat die zecca an, einen ausschließlich für die Terraferma gedachten quattrino zu prägen. Unmengen an gefälschten Münzen wiederum zwangen zur Reduzierung des Nominalwertes. 1463 konnten 20 000 gefälschte bagattini konfisziert werden, deren Kupfer im Arsenal zur Herstellung von Kanonen diente. Der eigentliche Gewinner neben den Fälschern war dabei die venezianische Staatskasse.
Erst 1472 verabschiedete sich die Serenissima durch einen Beschluß des Rates der Zehn (!) von dieser Variante des venezianischen "imperialismo monetario", wie sie Reinhold Mueller treffend bezeichnet hat. Dies geschah offenbar, weil Mailand abermals versuchte, durch erneute Überflutung der Terraferma mit nachgemachten Münzen die venezianische Münzpolitik zu seinen Gunsten auszunutzen. Der Rat der Zehn reduzierte den Wert der bedrohten Münzen um volle 40 %, was nach Antonio Morosini einer Vernichtung von einer Million Dukaten an Kaufkraft gleichkam. Gleichzeitig verschwanden quattrini und bagattini und wurden durch neue, vertrauenswürdige Kupfermünzen ersetzt, deren Wert durch Limitierung der Auflagen kontrolliert wurde.
So schlugen die venezianischen Ratsgremien "drei Fliegen mit einer Klappe": Zum einen gelang es ihnen, ihre Festlandsbesitzungen vor einem Einfall gefälschter und überbewerteter Münzen zu schützen. Zum anderen gelang dies unter den Bedingungen einer Mangelphase an Edelmetallen - und last not least war dies ein Weg, die endlosen Kriege im Osten wie im Westen wenigstens teilweise auf Kosten der Kolonien zu finanzieren. Es gelang die Ausbeutung kolonialer Arbeitskraft durch Abschöpfung von fast schon betrügerischen Mehrgewinnen durch Losschlagung von überteuertem Silber. Da die milites gezwungen wurden, Getreide zu bestimmten Preisen abzugeben, traf sie die Münzpolitik besonders hart - ein Druck der an die griechischen Bewohner weitergegeben wurde. Wie sich zeigen sollte, eine hochexplosive Mischung.
Am anderen Ende des Kolonialreichs, auf der Terraferma, verhinderte die besagte Münzpraxis die Entwicklung einer gewinnträchtigen Landwirtschaft, da Gewinne ständig zugunsten des Fiskus eingestrichen wurden. Die ab 1570 zu konstatierende Hauptrolle bei der Versorgung der Metropole konnte durch die Terraferma v. a. deshalb nicht früher übernommen werden, weil die Versorgung mit Getreide aus Süditalien und der Romania, aber auch aus den Kolonien erheblich geringere Geldmittel erforderte.
Offenbar war den Zentralgremien in Venedig nicht verborgen geblieben, wie sich die Münzpolitik im gesamten Machtbereich zugunsten der kommunalen Kassen und der wirtschaftlich führenden Gruppen (schon die Entlastung der Kassen bedeutete für sie eine große Entlastung) ausnutzen ließ. Man muss sich aber anscheinend von der Vorstellung lösen, jedermann sei diese Art der Manipulationen verständlich oder wenigstens die damit zusammenhängenden Umrechnungen geläufig gewesen. Dazu ein Beispiel: Ein Jude namens Samuel Astruc, des unrechtmäßigen Geschlechtsverkehrs "cum quadam christiana" überführt, wurde zu der hohen Buße von 500 lire di piccoli und einem Jahr Gefängnis verurteilt. Einen Teil der Summe hatte er bereits bezahlt. Man rechnete diese Summen erst in Dukaten um (auf der Basis von 3 lire 4 soldi pro Dukaten [also 10 Dukaten = 32 lire]), dann erst in lire di grossi, die Restschuld schließlich in lire di grossi ad aurum. Dabei ging man in der lettera ducale offenbar stillschweigend von einem Wertverhältnis von 1:32 zwischen piccolo und grosso aus (1 lira di grossi = 10 Dukaten = 32 lire di piccoli). In Wirklichkeit dürfte sich zu dieser Zeit (1424) das Wertverhältnis längst der 1 zu 60-Marke angenähert haben (Spufford).
Symptomatisch für die allgemeine Unsicherheit ist auch die Anfrage eines Camerarius' von Negroponte wegen seiner Entlohnung, auf die er die Antwort erhielt, dass man bei seinen 200 Dukaten Jahreslohn den Dukaten mit jeweils 100 solidi berechnet habe. 1410 fragte die Administration von Rethimno den Duca di Candia nach dem Wert des Dukaten in lokalen Münzen. Das kann auch nicht wundern, denn die Menge der tatsächlich als Münzen umlaufenden grossi etc. muss sehr gering gewesen sein, so gering, dass man oftmals Mühe hatte, sie in ausreichender Menge einzutauschen.
Reguläre Einnahmen aus dem Handel
Vor diesem Hintergrund erhebt sich die Frage, woher das venezianische Staatswesen seine regulären Einnahmen bezog, denn Manipulationen der angeführten Art ergeben noch kein stabiles und dauerhaftes System zur Bereitstellung von ausreichenden Geldmitteln, wie sie das Staatsgebilde zur Durchführung ständiger Aufgaben brauchte.
Die Getreidekammer ging wenige Jahre vor der ersten Pestwelle davon aus, dass zur Versorgung der Stadt jährlich mindestens 250 000 star Weizen importiert werden mussten. Wenn wir für die Zeit um 1300 einen durchschnittlichen Einkaufspreis für Weizen von 12 bis 16 grossi/star annehmen, brauchte die Camera pro Jahr drei bis vier Millionen grossi oder ca. 12 bis 17 000 libra grossorum. Bei einem Silberanteil von etwa 500 g pro libra musste die Camera frumenti also sechs bis neun Tonnen Silber umsetzen! Da um 1500 bis zu eine Million star eingeführt wurden, mag sich der Umsatz auf mehrere hunderttausend Dukaten belaufen haben. Selbst im 15. Jahrhundert entsprach der Levantehandel vielleicht einem Äquivalent von zehn Tonnen Silber. Wir stehen also vor der nicht zu überschätzenden Tatsache, dass der große Reichtum Venedigs, genauer gesagt seiner vorherrschenden Familien, der auf diesem Import von Waren aus den Gebieten des östlichen Mittelmeeres beruhte, vielleicht keinen wesentlich höheren Wert darstellte, als die Aufwendungen, die alljährlich für die Getreidemengen getätigt werden mussten, die die Getreideherren pro Jahr kauften und wieder verkauften.
Aus der Frühzeit Venedigs kennen wir nur wenige direkte Abgaben. Die decima, eine in den ersten Jahrhunderten der Stadt eingezogene Abgabe auf Grundbesitz, sowie die Abgabe für das Fernbleiben vom Militärdienst verschwanden bald, und wir können ohne Übertreibung behaupten, dass die Magistrate ihre Aufwendungen zumindest bis zum Chioggia-Krieg am Ende des 14. Jahrhunderts stets - wenn auch unter großen Schwierigkeiten - ohne persönliche und direkte Steuererhebung zu bestreiten vermochten. Die Haupteinnahmequelle bestand dabei in der Abschöpfung aus dem Fernhandel in Form von Zöllen und Abgaben.
Die Zölle stellten aber auch eine entscheidende Regulierungsmöglichkeit für den Getreidehandel dar. So spielte etwa die Zollfeste Marcamò an der Mündung des Po in die Adria eine wichtige Rolle in der Auseinandersetzung mit Bologna und Ferrara um die Kontrolle über den Handel auf Po und Reno (der damals noch Bologna mit dem Meer verband). Auch andere Festen, wie Torre delle Bebbe, Chioggia und Legnago, konnten zollpolitisch geradezu wie Daumenschrauben eingesetzt werden.
Der Serenissima musste daran gelegen sein, Zollschranken ihrer Nachbarn nach Möglichkeit zu senken oder ganz zu beseitigen, um Im- und Export zu erleichtern. In ihrem innersten Machtbereich gelang dies zuerst. Bereits 976 fielen die Zollschranken zu Capodistria. Pola zog ab 1145 nur noch ein bescheidenes portaticum ein, der Patriarch von Aquileia reduzierte 1222 seine Forderungen auf Abgaben von Landbesitz und Zöllen, 1239 verzichtete Recanati in den Marken auf jede Zollerhebung, um nur einige Beispiele zu nennen.
1230 wurde das fundum (Ankergebühr) in Ferrara auf 3 imp. festgesetzt und für den Transit aufgehoben, was besonders wichtig für die Alimentation Venedigs war. Ebenso wichtig wurde die Aufhebung des sogen. quadragesimum in Friaul (1248). Damit war der zollfreie Getreidetransit gewährleistet. Auch Triest senkte 1233 seinen Zollsatz von 2 den. ven. je modius (= 12 star) für Waren, die in Hohlmaßen gemessen wurden. Dies war bei Getreide fast überall bis in die jüngste Zeit üblich.
Prinzipiell unterlagen nur Waren, die über Land an den Rialto kamen, dem sogen. quadragesimum. Dieser herkömmliche Zollsatz für den Handel zwischen dem Regnum Italiae und dem Dogat bestand mindestens seit Lothar I. (840) und bezeichnete eine Abgabe in Höhe von einem Vierzigstel des Warenwertes. Für den Seeverkehr über die Adria hingegen galt das quintum (20 %). Die Venezianer selbst unterlagen Sonderzöllen, d. h. sie entrichteten den Vicedomini statt des quadragesimum nur das octuagesimum (1,25 %). Wenn sie genauso viele Waren exportierten, wie sie importierten, wurden sie sogar hiervon befreit. Offenbar nutzten Nichtvenezianer diese Zollvorrechte mitunter aus, indem sie ihre Waren von Venezianern in die Stadt bringen ließen, was der Große Rat ausdrücklich untersagte.
Die Ravennaten, die ihre Waren zwecks Zollersparnis durch das küstennahe Kanal- und Flusssystem schickten, zahlten ab 1219/34 grundsätzlich das quintum, was vermutlich zur Folge hatte, dass sie das Interesse am Binnenhandel verloren. Bei der Verfrachtung über die offene See unterlagen die Waren aber viel stärker als beim Binnentransport dem Stapelzwang. Das war besonders wichtig, weil die Stadt einen der größten Kornimporteure der Adria neben Venedig darstellte. Ab 1234 entrichtete man in Ravenna nur noch 1 denar/star Getreide, was bei den höheren Gewinnspannen für Weizen sicherlich dessen Produktionsvorrang verstärkte.
An weiteren Abgaben kennen wir das teloneum oder ripaticum, eine Gebühr für vor Anker gehende Schiffe, die im Hafen festmachten. Dabei lag der übliche Satz in Venedig bei 24 denar pro Schiff. Er wurde aber in einigen Fällen gesenkt. Den größten Schwankungen war das fundum (die Ankergebühr in venezianischen Gewässern) ausgesetzt, für das die Händler Imolas nur 2 denar pro Schiff, die Händler aus der Toskana jedoch 45 bezahlen mussten.
Dieses Zollsystem, zunächst basierend auf octuagesimum, quadragesimum und quintum wurde ab der Mitte des 13. Jahrhunderts zunehmend durchlöchert und schließlich weitgehend durch Einzelregelungen ersetzt.
Für den grenzüberschreitenden Warenverkehr brauchte jeder Händler zunächst eine Erlaubnis zur Ein-, bzw. Ausfuhr, und eine solche für seine Person. Grenzwachen und im Ausland fungierende Magistrate stellten die Papiere (littere) aus und zogen die Abgaben des sigillum und pro capite dafür ein. Dies erstere wiederum dürfte die Bereitschaft gefördert haben, in Gruppen zu handeln, denn so musste das sigillum nur einmal entrichtet werden. Leider wissen wir nicht, seit wann dieses Instrument zur Begünstigung der Gruppenbildung eingesetzt wurde, aber möglicherweise ist die bekannte Abrechnung der Camera frumenti mit den Genuesen von 1224 auf diese Bestimmung zurückzuführen. Auch hier waren die Venezianer deutlich im Vorteil. Lombarden mussten 10 denar pro Kopf entrichten und 12 denar für das sigillum. Pavesen und Franzosen hatten jeweils 20 denar zu zahlen. Einwohner von Faenza, Forli, Forlimpopoli und Imola zahlten nur 5 denar /c. und selbst von diesem Satz waren sie befreit, wenn sie Lebensmittel brachten.
Eine Stoßrichtung der Zollpolitik tritt klar zutage: Getreide wurde möglichst von Belastungen durch Zölle und Abgaben verschont. Folgende Bestimmungen machen dies noch deutlicher: Für das Jahr 1099 wird in einem Vertrag mit dem Ort Imola in den Marken noch das quadragesimum "de omni blave" erwähnt. Dagegen beschloß der Große Rat 1256 von den Lebensmitteln aus der Romagna und den Marken das quadragesimum nicht mehr zu erheben. Fano wurde 1271 befreit, 1287 wurden neben der Romagna auch ausdrücklich Rimini, Cervia und Ravenna von diesem Zoll befreit. Für diejenigen Getreidemengen, die der Versorgung der Soldaten und der Aussaat dienten, wurde der Zoll überhaupt nicht erhoben.
1294 wurde dem Großen Rat vorgeschlagen, für die Einfuhr von Getreide aus fast ganz Nordostitalien (sofern es sich um mehr als 6 star handelte) wieder das quadragesimum zu erheben. Die Annahme, dass diese Beschlußvorlage angenommen wurde, bestätigt ein Beschluß aus dem Jahre 1307, in dem alle Zölle erhöht werden sollten, außer demjenigen für Getreide. 1495 wurde der Einfuhrzoll durch den Rat der Zehn und die Zonta auf einen soldo/star fixiert. 1513 wurde er verdoppelt und neben dem Weizenzoll ein neuer Zoll von einem soldo/star auf Gerste festgesetzt, woraus wir schließen können, dass es vorher keine solche Abgabe gegeben hat. Darüber hinaus wurde die Ausfuhr mit 4 solidi/star belastet. Schließlich wurden geringfügige Zölle auf Teigprodukte der Terraferma und auf Mehl erhoben, ab 1419 der hohe Zoll von 5 Dukaten/star auf Saubohnen und Gemüse. Dieser Zoll wurde nicht nur von demjenigen Getreide erhoben, das in Venedig konsumiert wurde, sondern auch von dem für die Wiederausfuhr bestimmten. Die Einfuhrzölle machten im 14. Jahrhundert einen erheblichen Teil der Einnahmen des Officium Provisorum bladi aus, das einmal 30 000 Dukaten abzuliefern vermochte.
Über die Situation in den venezianischen Gebieten außerhalb der Adria sind wir nur unzureichend unterrichtet. Nur von Kreta wissen wir, dass es dort ein "dacium panis" gab, das dort für den Unterhalt von Festungen eingesetzt werden sollte.
Bis auf die unmittelbar zugunsten der Camera frumenti eingezogenen Zölle flossen die meisten Einnahmen nicht der Kasse der Getreideherren zu. Sie konnten aber, wie wir sehen werden, als Hilfsmittel zur Überbrückung von, wie man heute sagen würde, "Finanzierungslücken" dienstbar gemacht werden.
Die Camera frumenti nahm, so können wir dem Eingangszitat entnehmen, über die Camera Comunis Kredite auf, um aufgelaufene Schulden begleichen zu können. Diese konnte sie nur nach und nach, entsprechend ihren Verkaufserlösen zurückerstatten. Der Austausch von Geldern zwischen den verschiedenen Institutionen der Stadt spielte eine wichtige Rolle. Grundlegende Voraussetzung für die Teilnahme der Camera frumenti an diesem ständigen Austausch war die Möglichkeit, selbst Geld einzunehmen. Dabei war der Getreideverkauf, wie nicht anders zu erwarten, die entscheidende Geldquelle, wenn auch nicht die einzige.
Im Kern bedeutet dies, dass die Camera vor dem Problem stand, übers Jahr verhältnismäßig kontinuierliche Einnahmen - die sich nur über Preiserhöhungen und Zwangskäufe kurzfristig erhöhen ließen - mit schwer berechenbaren Wellen von Importen zur Deckung zu bringen, indem sie gegenläufige Geldzu- und -abgänge veranlasste (hier soll von den Problemen, die die großen Bevölkerungsverluste durch Epidemien und politische Auseinandersetzungen verursachten, weitgehend abgesehen und der Bedarf als wenig elastisch betrachtet werden).
Die eigentliche Einnahmequelle zur Bezahlung des Korns, das die Getreidekammer in ihren Speichern lagerte, war - natürlich wird man also mit Fug und Recht sagen - der Verkauf. Aber zwei entscheidende Faktoren lassen eine direkte Finanzierung jedes einzelnen Getreidekaufes durch Verkäufe nicht zu. Da der Mittelmeerraum nun einmal bis auf wenige Ausnahmen keine Region ist, in der zwei oder gar dreimal pro Jahr geerntet werden kann, fallen jährlicher Erntetermin - und damit die um einiges verzögerte Anlandung in Venedig - und Kauftermin i. d. R. zeitlich weit auseinander. Auch wenn die Konsumenten gleich einen ganzen Jahresbedarf hätten erwerben können, hätten sie es weder transportieren, noch - was ausschlaggebend ist - lagern können und dürfen. Da Venedig im gesamten Mittelmeerraum einschließlich des Schwarzen Meeres, ja im 16. Jahrhundert sogar in der Ostsee zu Kornkäufen überging, milderte sich die zeitliche Ballung der Getreideanlandungen zwar um einiges, da die Regionen zu verschiedenen Zeiten ihre Ernte einfuhren - immerhin bewegen wir uns grob gesagt zwischen dem 30. und 46. Grad nördlicher Breite. Aber die Getreideherren kamen an der Tatsache nicht vorbei, dass im Verlaufe des Sommers und Frühherbstes die meisten Kornhändler ihre Bezahlung erwarteten, die Verkaufseinnahmen sich aber gleichmäßig über das Jahr verteilten.
Verkürzt man die Intervalle der Getreidelieferungen von einem Erntejahr (beginnend am 1. Juli) auf einen Monat, so wird die Schwierigkeit, diese Schwankungen zu hantieren deutlicher. Maurice Aymard konnte für die Jahre 1603 bis 1609 zeigen, wie sich die Anlandungen über das Jahr verteilten. Ich gebe im folgenden die prozentuale Verteilung an.
Tab. 2.2: Monatliche Importmengen der Jahre 1603-6 und 1608-10 in Prozent der jeweiligen JahresernteErntejahr/Monat | 1603/4 | 1604/5 | 1605/6 | 1608/9 | 1609/10 |
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Juli | 8,27 | 8,77 | 7,64 | 11,65 | 8,95 |
August | 20,84 | 19,03 | 16,53 | 20,97 | 15,54 |
September | 14,02 | 13,55 | 11,34 | 13,47 | 18,19 |
Oktober | 10,35 | 9,89 | 7,04 | 7,95 | 11,21 |
November | 6,76 | 12,75 | 8,27 | 8,36 | 6,99 |
Dezember | 7,23 | 7,62 | 8,56 | 4,14 | 6,21 |
Januar | 7,59 | 5,08 | 3,85 | 5,29 | 5,02 |
Februar | 5,17 | 3,89 | 5,00 | 3,63 | 3,06 |
März | 4,69 | 5,65 | 10,19 | 3,54 | 6,48 |
April | 4,37 | 5,01 | 10,90 | 5,93 | 7,82 |
Mai | 7,00 | 3,33 | 8,30 | 7,79 | 6,53 |
Juni | 3,71 | 5,46 | 2,38 | 7,28 | 4,00 |
So wertvoll, wie diese von Maurice Aymard zusammengestellte und von mir leicht modifizierte Tabelle auch ist, so wenig lässt sie sich auf die Verhältnisse vor der Eroberung der Terraferma übertragen. Das Festland lieferte erst ab 1570 den Löwenanteil der Nahrungsmittel Venedigs. Wie aus der obigen Tabelle entnommen werden kann, kamen vor allem in den Monaten August und September große Getreidemengen in die Stadt, die allein etwa ein Drittel der Importe ausmachten. In diesen Monaten kam das Korn hauptsächlich vom Festland, weil per Gesetz vorgeschrieben war, dass jeweils die Hälfte der Überschüsse in je einem der beiden Monate abzuliefern war. Ganz anders vor 1405! - In den Monaten November bis Januar kam die Hauptmasse der Importe aus den benachbarten Gebieten, v. a. aus Italien. In den Monaten März bis April erreichten die Fernimporte die kommunalen Speicher. Darüber hinaus wurden weitere Summen fällig, wenn im späten Winter oder im Frühjahr die städtischen Reserven zur Neige zu gehen drohten und Zusatzkäufe zu stark erhöhten Preisen unvermeidlich wurden. So waren die Geldsummen, die für die Ankäufe aufgebracht werden mussten, vor der mise en valeur des Festlandes erheblich schwerer vorauszusehen, als danach.
Der eigentliche Verkauf ist m. E. nur zu verstehen, wenn der gesamte Beschaffungsmodus zur Darstellung gelangt ist. Da für uns vorerst nur die Problemstellung bei der Finanzierung zukünftiger Getreidekäufe durch den Verkauf im Mittelpunkt steht, soll der Verkauf erst im letzten Kapitel erörtert werden.
Für die Eintreibung der Gelder aus dem Verkauf waren die Capita contratarum (Capi contrade), die Vorsteher der etwa 70 Pfarrsprengel (contrade) zuständig. Die Capita contra(c)tarum wurden von den Capita sexteriorum, also den Vorstehern der Stadtsechstel - damit den Dogenräten - eingesetzt.
Es scheint, als seien von diesen zumindest im 14. Jahrhundert eigene Capi frumenti eingesetzt worden. Zumindest deutet ein Urteil der XL darauf hin, in dem ein Simonetus de Valle beschuldigt wird, einen "Tucum Alexandri aurificem capitem frumenti in contrata Sancti Simeonis Apostoli" geschlagen zu haben.
Die Capi contrade hatten das eingenommene Geld binnen acht Tagen an die Getreidekammer abzuliefern. Sie mussten den Domini frumenti die Namen der Zahlungsunwilligen oder -unfähigen angeben. Diese wiederum waren verpflichtet, den Säumigen ein Bußgeld von 10 solidi pro star aufzuerlegen, wenn sie nicht binnen 15 Tagen zahlten. Zahlten sie auch dann noch nicht, so "debeant eos dare pro cadutis", was bedeutet, dass sie öffentlich als zahlungsunfähig erklärt wurden. Bei der Eintreibung von kommunalen Schulden standen den Vorständen der sechs Stadtteile eigene Custodes zur Verfügung. Sie selbst mussten ein Bußgeld von fünf solidi/libra, (also 25 %) entrichten, wenn sie nicht binnen 15 Tagen das für das Getreide eingenommene Geld den Getreideherren zurückgezahlt hatten. Ähnlich wie Konsumenten und Bäcker unterlagen übrigens auch die Consiliarii einer Rückzahlungsfrist, wenn sie aus Kommunebeständen Zwieback oder Getreide erhalten hatten. Sie mussten ihre Schuld binnen eines Monats bei Strafe von gleichfalls 5 solidi pro libra begleichen.
Im Gegensatz zu allen anderen Magistraten (außer dem für das Salzmonopol zuständigen) musste die Camera frumenti die von ihr eingenommenen Geldmittel nicht an die Camerlenghi di Comun abgeben, sondern sie besaß eine eigene Kasse. Darin durften ständig bis zu 5000 libra aufbewahrt werden . Überschritt der Kassenbestand diese Summe, so musste dieser an die Camerlenghi abgeführt werden. Anscheinend handelte es sich dabei aber nur um eine Art Sicherungssystem, denn im 14. Jahrhundert standen der Getreidekammer bis zu 150 000 libra ständig zur Verfügung, die sich wohl kaum direkt in den Räumlichkeiten der Camera befunden haben werden.
Wie alle Officiales, die im Auftrag der Comune Geld einnahmen, so mussten die Getreideherren das genaue Datum notieren, darüber hinaus den Geldbetrag, und von wem und für was sie ihn erhalten hatten, bzw. an wen und wofür sie es ausgegeben hatten. Dazu kam jeweils Tag und Monat. Spätestens acht Tage nach Beendigung ihrer Amtszeit mussten alle Magistrate die letzten Gelder an die Camerarii abgegeben haben. Dies geschah unter Vergleichung der Aufzeichnungen der Getreideherren mit denjenigen ihrer Schreiber. Die monatliche Abrechnung "infra se" diente der Kontrolle. Dem gleichen Zweck diente wohl, dass bei Geldeinnahmen (ausdrücklich seit 1261) immer mindestens zwei Getreideherren anwesend sein mussten.
Die Einnahmen aus dem Verkauf konnten allerdings die Ausgaben, die naturgemäß bei Anlandung der neuen Ernte sprunghaft anstiegen, nur nach und nach ausgleichen. So musste die Camera Mittel und Wege finden, ihre ständige Liquidität zu sichern, soweit dies mit den noch unentwickelten Techniken möglich war.
Venedig sah sich nicht selten vor die Aufgabe gestellt, Geldmittel zu verflüssigen, die den Rahmen der ständigen Einnahmen aus indirekten Steuern, Zöllen usw. sprengten. Im Kriegsfall beliehen die wohlhabenderen Familien die Kommune. Von freiwilligen Anleihen ("in maxima necessitate" beschlossen) vernehmen wir erstmals 1164 . Der Auslöser der 'maxima necessitas' war ein Krieg gegen das dalmatinische Zara. Die Anleihe wurde im Umfang von 1150 Mark Silber (267 950 Gramm) von zwölf Familien aufgebracht. In dieser Anleihe können wir möglicherweise den Vorboten zu einem Wechsel im venezianischen Finanzierungssystem erkennen. Bis zum 11. Jahrhundert existierte nur eine einzige direkte Abgabe, nämlich das vielleicht nur einmal im Leben zu entrichtende decimum. Diese Abgabe, die nach einer beeidigten Vermögenserklärung erfolgte, verschwand im 12. Jahrhundert, wo stattdessen das advetaticum auftauchte, das mehrfach von ein und demselben Pflichtigen entrichtet werden musste, aber nur noch in Kriegsfällen und besonderen Notlagen. Möglicherweise versuchten die reichsten Familien eine Zwangsanleihe überflüssig zu machen, indem sie dieser durch freiwillige Anleihen zuvorkamen, die durch 11-jährige Verpachtung der Einnahmen aus dem Markt von Rialto kompensiert, allerdings nicht verzinst wurden.
Die erste Zwangsanleihe wurde anscheinend wegen des Krieges gegen Byzanz im Jahre 1171 erhoben. 1187 erfolgte wiederum eine freiwillige Anleihe gegen Verpachtung bestimmter kommunaler Einnahmen - mit dem Unterschied zur bisherigen Regelung, dass genau entsprechend dem Vermögen beliehen wurde. Vor 1207 erfolgte der endgültige Übergang zur Zwangsanleihe - ohne dass die freiwillige Anleihe damit verschwand. Üblicherweise betrug die Zwangsanleihe 0,5 bis 2 % des Vermögens. Vermögen bedeutete hierbei mobiler Besitz - dazu zählten Waren, Bargeld, Schmuck, Edelsteine - sowie Einnahmen aus Häusern und Grundbesitz.
Damit wurde für ein Vierteljahrtausend ein Finanzierungssystem etabliert, das in der Lage war - wenn auch unter oftmals größten Schwierigkeiten - den Geldbedarf der Serenissima zu decken.
Erst 1256 wurden die kretischen milites in das spätestens seit 1207 bestehende Zwangsanleihensystem einbezogen. War es ihnen erst jetzt gelungen, sich soweit ökonomisch einzurichten, dass sie zu dieser Art von Geldanlage verpflichtet werden konnten? Oder lag es daran, dass die Vermögen, die einer Zwangsanleihe unterworfen werden konnten zunächst gar nicht vollständig erfasst waren? Sicherlich waren die Vermögen der in Venedig ansässigen Familien in etwa bekannt. Aber eine Institution, die diese auch flächendeckend erfasste - d. h. vor allem den Immobilienbesitz - wurde erst verhältnismäßig spät (zwischen 1224 und 1252) eingerichtet. Diese Camera imprestitorum, der die Einnahme, Registrierung und Rückzahlung der Anleihen oblag, konnte sich ab 1243 auf ein catastico Comunis stützen, das allen Besitz in Venedig aufführte - sinnvollerweise monetarisiert. Der catastico wurde während des Krieges gegen Friedrich II. eingerichtet und es ist naheliegend, die Einrichtung der Camera imprestitorum entweder im Vorfeld oder während dieses Kampfes anzusetzen. So fand man gewissermaßen ausgehend von Aufzeichnungen venezianischen Besitzes die dazugehörigen Eigentümer.
1252 vernehmen wir erstmals von drei Iudices imprestitorum, die ab 1254 Anleihen von jedem Venezianer ab 14 Jahren einziehen mussten. Wie bereits erwähnt, wurden zwei Jahre später eben nicht nur alle ortsansässigen Venezianer erfasst, sondern man ging nunmehr vom Besitz aus und suchte die "dazugehörigen Venezianer" - und "fand" sie auf Kreta, später in Akkon oder bei den bisher verschonten kirchlichen Instituten. Allerdings stieß man hier schnell an Grenzen, denn die Domini de nocte, die diese Summen gegebenenfalls hätten eintreiben müssen, hatten außerhalb Venedigs keine Jurisdiktionsgewalt, was auswärtige Besitzungen der Kirche der Belastung durch Anleihen lange Zeit entzog.
Der Beschluß zur Aufnahme einer Anleihe erfolgte durch den Großen Rat oder durch ein von diesem eingesetztes Gremium, ab dem 14. Jahrhundert i. a. durch den Senat. Die Veranlagungen für die Zwangsanleihen wurden von den Vorstehern der sechs Stadtbezirke angefertigt. Ab 1280 lag das Mindestvermögen bei 50 libra. 1339 wurde als Untergrenze ein Mindestvermögen von 300 libra festgesetzt , das später bei 200 Dukaten lag.
Dass die Eintreibung mit allen Mitteln durchgesetzt wurde, zeigt die minutiöse Bestimmung, die die Capita contratarum 1296 zu folgendem Vorgehen verpflichtete: 1. Zunächst hatten sie Nachforschungen in ihren Stadtteilen einen Monat lang durchzuführen. Die Resultate kamen zu den Unterlagen "illis de Contrabannis". 2. Diese mussten binnen drei Monaten festgestellt haben, ob für die so aufgezeichneten Besitztümer Anleihen gezeichnet worden waren oder nicht. 3. Diejenigen Güter, für die dies nicht geschehen war, wurden den Iudices imprestitorum übermittelt, die 4. nun versuchen mussten, die Anleihen einzutreiben, 5. Die Domini de nocte mussten gegebenenfalls die Anleihen und Bußgelder eintreiben. 6. Ihr Vorgehen gegen "rebelles" sollte darin bestehen, dass sie die Bewohner aus ihrem Haus jagten, und verboten, dass jemand darin wohnte, es sei denn, die Schuld wurde beglichen. Schon zu dieser Zeit lässt sich eine Befreiung von der Anleihepflicht wegen Armut nachweisen. Die Namen derjenigen, die ein Pfand geben mussten, weil ihnen nicht genug Geld zur Verfügung stand, wurden im Rat vorgelesen.
Bußgelder konnten von den Getreideherren verhängt werden. Schließlich waren ihre Urteile gültig, als seien sie vom Großen Rat verhängt worden. Die späteren Provveditori alle biave durften den Besitz der zahlungsunfähigen Schuldner verkaufen lassen. Auch Mühlen waren vor den Eintreibern von Kornschulden nicht sicher. Hatten die aufsichtführenden Capita contratarum ihre Arbeit erledigt, so mussten sie den Officiales super Imprestitis ihre Abrechnungen vorlegen.
In der Camerlengaria wurden alle Anleihen, Gehälter, aber auch Außenstände notiert. Die eingezogenen Geldbeträge wurden bei den Prokuratoren von S. Marco aufbewahrt. Die Aufbewahrung der Register für die Anleihen war ihnen bereits um 1207 - zur Zeit der Umstellung auf Zwangsanleihen - übertragen worden. Damit waren die Finanzen der Kommune und die Dogenkasse endgültig voneinander getrennt worden - eine wichtige Voraussetzung für regelmäßige Zwangsanleihen, denn das Geld blieb unter der Kontrolle der einflussreichen und vermögenden Familien, deren politische Macht in den Jahrzehnten zuvor stark angewachsen war.
Für die Amortisation waren die jeweiligen Magistrate und Gremien zuständig, zu deren Gunsten die Anleihe aufgenommen wurde. Rückzahlungen erfolgten zunächst einmal jährlich, ab 1262 jeweils im März und im September.
Da die Zwangsanleihen immer häufiger nicht sogleich zurückgezahlt werden konnten, wurden sie 1262 in eine ständige Staatsschuld umgewandelt - Monte Vecchio genannt - welche bescheidene Zinsen abwarf. Ab 1263 musste erst die Zustimmung der XL vorliegen, bevor eine Anleihe im Großen Rat beantragt werden durfte. Ab 1283 musste sogar die Höhe der Anleihe vorher festgelegt werden, der wiederum nicht nur die Mehrheit der Anwesenden zustimmen musste, sondern mindestens zwanzig Mitglieder der XL. Die Officiales super imprestitis oder entsprechende Sonderkommissionen legten die Einzelheiten bezüglich der Anleihenhöhe, der Einziehung und Zahlungsweise, sowie der Amortisation fest. Um zu verhindern, dass sie Einfluss auf Abstimmungen über Anleihen nahmen, wurde ihnen verboten, den Großen Rat zu betreten, es sei denn anlässlich von Wahlen oder "diebus festivis specificatis"- und erst "postquam erit stridatum aliquid imprestitum".
Die erste Anleihe speziell zum Kauf von Getreide kennen wir aus dem Jahr 1229. Sie belief sich auf 5000 libra parvorum mit denen man bei dem damaligen Preisniveau rund 6000 star (ca. 400 t) Weizen erwerben konnte. Sie sollte binnen drei Monaten von einem gewissen Iacopo Bobizo aufgenommen und innerhalb von acht Tagen nach Ankunft des Getreides zurückgezahlt werden.
Die Camera frumenti besaß am Ende des 13. Jahrhunderts bereits das Recht, jederzeit Anleihen bis zu 10 000 libra aufzunehmen - auch ohne den Großen Rat um Erlaubnis bitten zu müssen. Eindeutig heißt es 1293 im Großen Rat:
"Item, quod eligantur tres boni homines ... qui habeant libertatem inveniendi ad imprestitum libras X mille, sicut faciunt illi qui sunt super Frumento ... ".
Zwei Jahre zuvor erhielt der Konsul von Apulien als einziger offizieller Stellvertreter im Ausland das Recht, Getreidekäufe unter Aufnahme von Krediten zu tätigen. Da es sich bei ihm um einen der wichtigsten Getreidekäufer im Salär der Serenissima handelte, deutet dies darauf hin, dass die Handhabung von Methoden zur Geldbeschaffung von seiten des venezianischen Staates erleichtert wurde. Darauf deuten weiterhin die verschiedenen Kompetenzübertragungen an die Kastellane von Koron und Modon, die Magistrate der kretischen "Verwaltungsbezirke", den Comes von Ragusa hin, die alle in eigener Regie eine bestimmte Menge an Vorräten anzulegen hatten und dafür auch Kredite aufnehmen durften (s. Kap. 1, Anm. 233).
Gegen Entrichtung der geforderten Anleihesummen wurde eine Art Quittung ausgestellt. Diese "Anleihescheine" waren bald frei verkäuflich. Dies ist insbesondere in Krisenzeiten von größter Bedeutung gewesen, die massenhafte Verkäufe von alten Anleihescheinen auslösten. Da sich der Zinsgewinn i. a. als relativ stabil erwies, zumal er in Höhe der Zinsen auf den ursprünglichen Emissionswert, nicht auf den Weiterverkaufswert berechnet wurde, dürften sich fast immer Käufer gefunden haben. So hielt sich der Preisverfall i. a. durch die so ausgelöste gegenläufige Bewegung in Grenzen und das Vertrauen in die Papiere wuchs.
Aus den Aufzeichnungen der Prokuratoren von S. Marco konnte Luzzatto eruieren, dass schon während des Krieges gegen Bologna (1270-73) mindestens 17 Anleihen aufgenommen wurden. Bezeichnenderweise wurden die Domini de nocte in dieser Zeit mit der Bestrafung der Säumigen beauftragt. Die Aufzeichnungen über die Anleihen gingen an "illis de super imprestitis", wobei die Capita contratarum mit einem Bußgeld von 10 libra rechnen mussten, wenn sie nicht binnen acht Tagen dafür Sorge trugen, dass die potentiellen Anleihezeichner bei den zuständigen Magistraten mitsamt Anleihenhöhe notiert wurden. Schließlich wurde für jedes sestiere ein Weiser ernannt, der die Überprüfung vornahm.
1273 trat eine kurze Ruhephase ein. Mit dem Krieg gegen Ancona (1276-82) nahm die Camera imprestitorum allein zwischen März 1278 und Mai 1279, also in nur 15 Monaten, zehn Anleihen auf. Die Summe aller Anleihen im Krisenjahr 1279 belief sich auf 408 000 libra. So erfolgte 1279-81 keine Rückzahlung. Eine neue Welle von Anleihen erhob sich ab 1283, ausgelöst durch den langwierigen Istrienkrieg. Allein in den siebeneinhalb Jahren zwischen April 1283 und Oktober 1290 wurden für den Istrienkrieg 23 Anleihen aufgenommen, davon allein 18 zwischen Juli 1287 und Dezember 1289, zu denen noch Kredite kamen. Darüber hinaus erscheinen für die Jahre 1283 bis 1294 weitere 21 Anleihen für andere Zwecke. Von 1287-91 wurden 34 Anleihen aufgenommen, die zusammen eine Quote, d. h. einen Anteil am Vermögen der Zeichnenden, von 17 % ausmachten, wobei hier Nachricht von weiteren Anleihen nur nicht auf uns gekommen ist, weil der Große Rat die Verabschiedung solcher Anleihen auf Sondergremien übertragen hatte (zuständig für den Aufstand auf Kreta, den Krieg gegen Ancona), deren Protokolle leider verloren gegangen sind.
Die Capita contratarum, die die potentiellen Anleihezeichner ihre Vermögensverhältnisse beeiden ließen, stellten zunehmend selbst Untersuchungen an. 1287 wurden sie dazu mit der jede Unklarheit beseitigenden Begründung angehalten, "cum multi habentes multam pecuniam, faciunt imprestitum de modica quantitate". Diese Beschwerden sollten nicht enden. So heißt es mehr als ein Jahrhundert später, "quod sunt multi qui possent facere multo plus de imprestitis quam faciant ... Et quia ut notum est sunt multi qui habent imprestita et non faciunt de imprestitis".
1285 musste die Camera frumenti für die von ihr beantragte Anleihe bereits eine Verzinsung von 8 % anbieten. 1286 und 1287 scheint die Getreidekammer ohne Anleihe ausgekommen zu sein. Vermutlich hängt das mit den 24 000 hyperpera zusammen, die ihr aus anderer Richtung zuflossen. Ende 1286 nämlich einigten sich Venedig und Byzanz nach zähen Verhandlungen um die in den vergangenen Jahren angerichteten Kriegsschäden auf die hohe Wiedergutmachungssumme von 24 000 Goldhyperpera, die Kaiser Andronikos in kurzer Zeit aufbrachte und entrichtete. Sie wurden wegen des rapiden Kursverfalls sofort in Dukaten umgemünzt und kamen dann der Getreidekammer zu. So entspannte sich für kurze Zeit ihre Lage. 1288 allerdings musste die vom Großen Rat zunächst mit 8%iger Verzinsung ausgeschriebene Anleihe für Kornkäufe (und die Rückzahlung von Krediten zur Niederschlagung eines kretischen Aufstandes) seitens der Getreidekammer schon mit 10% verzinst werden, um noch Investoren zu finden. Aber dies war noch immer ein unzureichendes Angebot. Um gleichzeitig das nötigste Geld zur Tätigung von Getreidekäufen herbeischaffen zu können, musste die Camera salis einen Teil ihrer Einnahmen an die Getreidekammer abtreten - in ähnlicher Weise mussten Ternarii (mit Einnahmen aus dem Ölhandel) und erneut Salinarii (aus dem Salzhandel) aushelfen. Elf Wochen später musste der Große Rat die Verzinsung sogar auf 12 % erhöhen, um die notwendigen 20 000 libra aufzubringen.
Dass ständige Verpfändungen von kommunalen Einnahmequellen nicht gerade zur Sanierung der Finanzen beitrugen, ist unschwer vorstellbar, gestattete aber die Abwälzung von Verpflichtungen z. B. auf die Kolonien. So beschloss der Große Rat, dass Einnahmen aus dem kretischen Handel ausschließlich zur Wiederherstellung des Hafens von Candia, "qui est multum devastatus" eingesetzt werden durften. Vier Tage später wurde dieser Beschluß insofern noch verschärft, als damit auch noch die Garnisonen unterhalten werden sollten.
Es handelte sich also nach wie vor um ein weitgehend improvisatorisches Suchen nach Geldquellen und Abwälzen von Kosten, sobald größere Aufwendungen für nötig erachtet wurden.
1289 nahm die Getreidekammer wiederum 20 000 libra auf, 1290 erneut 15 000. 1291 bestimmte der Große Rat, dass die Zwangsanleihe ausschließlich für den Kauf von Weizen und anderem Getreide verwandt werden durfte. 1291 bis 1294 erfolgte keine Anleihenaufnahme und die Camera imprestitorum konnte alle Gelder zurückzahlen. Bereits 1293 musste kein Garantiepreis mehr festgesetzt werden und im folgenden Jahr konnte man es sich sogar leisten, einen Getreidezoll zu erheben, ohne die Getreidehändler zu vergraulen.
Mit dem kostspieligen zweiten Genuesenkrieg (1294-99) war die kurze Phase der Konsolidierung des "Haushaltes" beendet. Wir müssen annehmen, dass auch in den folgenden Jahren Anleihen aufgenommen wurden, aber die Aufzeichnungen des für die Krisenjahre eingesetzten Rates der Dreißig, dem für sechs Jahre die Kontrolle über die Finanzen übertragen wurde, sind verschollen. Wir wissen aber immerhin, dass 1295 die Gelder der Ternaria aus den Ölzöllen angegriffen wurden, um den Anleihegebern von Kreta, Koron, Clarentia, Negroponte und Zypern 9 % Verzinsung gewähren zu können. 1297 und 1299 musste sich die Camera frumenti aus den Depositen der Prokuratien bedienen, um private Mühlen wieder instandsetzen zu können. So wich die Camera, seit ihr dies 1291 ausdrücklich gestattet worden war, immer wieder auf Kredite aus. Diese konnten nun oftmals erst mit der nächsten Anleihe zurückgezahlt werden, so dass die Aufnahme von Anleihen zum ausschließlichen Zweck der Tilgung von Krediten bald untersagt werden musste.
Je größer die Geldnöte, desto mehr Befreiungen von der Anleihepflicht wurden aufgehoben. An Klöster, Kirchen und die ihnen angehörigen Personen durften Besitztümer ab 1258/71 nur noch durch Testament oder Vertrag überantwortet werden, wenn die Kommune (auch) zukünftig von diesen Anleihen einziehen konnte. Ansonsten war das Testament ungültig. Zusätzlich wurde der Notar, der einem solchen Testament zur Gültigkeit verhelfen wollte, aus seinem Amt entlassen. In Zeiten steigenden Geldbedarfes hatten sicherlich viele Familien einen Kleriker, dem man vertrauensvoll etwas vererben konnte, wenn damit nur die leidige Anleihepflicht entfiel. 1283 wurden kirchliche Institutionen mit ihrem Gesamtvermögen zu Anleihen herangezogen. Kam diesen Einrichtungen eine Erbschaft zu, so mussten binnen acht Tagen die für die Einziehung von Anleihen verantwortlichen informiert werden, damit auch diese Besitztümer beliehen werden konnten. 1297/98 schließlich wurde die Kirche (d. h. ihre Sachwalter z. B. für fromme Stiftungen, die Prokuratoren) dazu aufgefordert, Anleihen früherer Jahre, deren Gesamtwert sich inzwischen auf 47% des zu beleihenden Besitzes summiert hatte, auf einen Schlag zu zeichnen!
Erwartungsgemäß türmte sich ein Berg von Hindernissen auf, den die venezianische "Verwaltung" allerdings abzutragen wußte: Da die entsprechenden Summen nicht eingetrieben werden konnten, sollten drei "sapientes viri" bestimmt und mit dieser Aufgabe betraut werden. Dieser Beschluß wurde zunächst um einen Monat suspendiert. Am 24. Mai 1298 waren alle Vorarbeiten abgeschlossen, die drei Gewählten (Iohannes Marcello, Marinus Pollani, Pancratius Barbo) schritten zur Tat, wobei die Domini de nocte die Räumung der Häuser der Zahlungsunfähigen veranlassen mussten. Schon im August des Vorjahres hatte sich der Große Rat mit dem Verkauf von Eigentum beschäftigt, dass Venezianer zurückgelassen hatten, die wegen ihrer Schulden geflohen waren.
Seit 1289 verlangsamte sich die Rückzahlung und der Marktwert der Anleihen fiel um 40 %. Die Camerarii, die bereits seit 1260 die Schulden der Comune aufzeichnen mussten, wurden 1296 aufgefordert, drei Monate lang 3000 libra zusätzlich zu den für Anleiherückzahlungen bestimmten 5000 libra in die Prokuratien einzuzahlen, um nicht näher spezifizierte Schulden zu tilgen.
Nach dem Ende des Genuesenkrieges trat eine Ruhepause bis zum Ferrarakrieg ein, in der es nochmals gelang, alle Gelder im Halbjahresturnus zurückzuzahlen (1299-1308). Dies war nicht zum geringsten den drei Savi zu verdanken, die 1299 zur Sanierung der Finanzen eingesetzt worden waren. Erneute Anleiheaufnahmen zugunsten der Camera frumenti erfolgten nur 1300 und 1302.
Betrachtet man die Reaktion Venedigs auf Mangeljahre unter dem Blickwinkel der Finanzierungsmodi genauer, so ergibt sich folgendes Bild:
Im April 1303 wurden die üblichen Ausfuhren von Getreide nach Padua beschränkt damit "Comune nostrum non paciatur dampnum". Gegenüber den Parmesen, die ebenfalls um Getreide nachgefragt hatten, lehnte Venedig mit der Begründung ab, dass
"nos non vivimus nisi de illo blado quod possumus recuperare facere per diversas partes mundi, in quibus facimus ipsum emi, ita quod sine gravi nostro dampno et periculo caritudinis non possumus ad presens eorum predictam requisitionem admittere"
- mit der Einschränkung allerdings, dass sobald wieder Reserven verfügbar seien, aus diesen der Wunsch Parmas befriedigt werden sollte. Einen ähnlichen Bescheid erhielt Bologna. Sogar der weitgehend autarke Getreideproduzent und -exporteur Ferrara versuchte Korn über die Adria einzuführen, durfte aber das bereits gekaufte Getreide nicht zollfrei an Venedigs Sperrfesten vorbei einführen. Selbst das kurz vor Mailand gelegene Cremona fragte in Venedig nach. Nicht zufällig drängte Venedig auf einen Vertragsabschluß mit dem seit 1301 mit Genua verbündeten Karl II. von Anjou, der das kornreiche Apulien wieder für Exporte öffnete. Ende Juli 1303 bot es einen Garantiepreis für Getreide aus Sizilien an.
Im Dezember 1303 wurde die Ausfuhr von Weizen, Leguminosen oder anderen blada aus dem Golf von Venedig gänzlich verboten und wie es in einem Beschluß vom 4. Januar 1304 heißt, durfte man keines "de predictis intra Culfum ab una terra ad aliam" bringen, mit der Bestimmung, dass jemand der "carigaverit aliqua de predictis, non possit ipsa portare vel portari facere alio quam Venecias".
Da auch die Salzkammer in Geldnöte geriet, entfielen zur gleichen Zeit die beiden wichtigsten Einnahmequellen der Kommune. Gleichzeitig stiegen die Preise. Das betraf allerdings nicht nur Venedig, sondern auch Apulien, wo sich der dortige Konsul beschwerte, dass er mit seinem bisherigen Gehalt nicht auskomme, weil "uncie et victualia sunt cariora solito". Ravenna verbot die Getreideausfuhr. Der ehemalige Führer des kretischen Aufstandes gegen die venezianische Herrschaft, Alexios Kalergis, erhielt sogar - "ganz pragmatisch" - das Recht, Korn auf den lokalen Märkten anzubieten und allein 770 t an Venedig zu verkaufen.
Die Preissteigerungen, die - so klingt zumindest der Vorwurf in einem Beschluß des Großen Rates durch - zumindest teilweise auf zu geringe Importbemühungen zurückzuführen waren, führten zu "conspiraciones que fiunt de blado in preiudicium nostrum", gegen die wiederum strenge Strafmaßnahmen verhängt wurden.
Da sich die beiden großen Quellen kommunaler Einnahmen, der Getreide- und der Salzhandel in diesen Jahren als verstopft erwiesen, blieb selbst für kleinere kommunale Finanzierungsvorhaben nur der Monte Vecchio. Dieser war zwar seit 1262 nur für die Rückzahlung und Verzinsung der Staatsanleihen vorgesehen, aber offenbar fand man keine andere Möglichkeit mehr. So begann die Ausschreibung von Anleihen bereits aus geringfügigen Anlässen. Zögernd, mit einem winzigen Vermögensanteil von 0,2 % wurde eine Anleihe "pro custodia culfi" aufgelegt.
1307 erhob die Getreidekammer erneut eine Anleihe, was neben der Tatsache, dass sie 1309 - im Gegensatz zur Salzkammer - nicht zu einem Beitrag zur Kriegskasse für den Kampf um Ferrara herangezogen wurde, zeigt, dass sie sich noch immer nicht erholt hatte. Noch voll mit den Wirkungen des Krieges um Ferrara und Zara beschäftigt und kurz nach der Verschwörung des Baiamonte Tiepolo, musste sie 1311 erneut zum Mittel der Anleihe greifen - ebenso im folgenden Jahr.
Als im Juli 1307 eine allgemeine Zollerhöhung erfolgte, schloss man die seit 1294 mit Zöllen belegten Getreideanlandungen ausdrücklich von Erhöhungen aus, womit eine dringend benötigte Einnahmequelle zugunsten einer sicheren Alimentierung ausgeschlossen werden musste. Der Geldbedarf stieg bis 1308 dermaßen, dass die Getreidekammer kurzfristig Kredite liquidieren musste, sei es durch Verkürzung der Rückzahlungsfristen Privater gegenüber der Camera, sei es durch scharfe Beschränkung der missbräuchlichen Kreditaufnahme durch die Camera für nicht zu ihrem "Ressort" gehörende Aufgaben. Gleichzeitig wurde erstmals eine "untergeordnete" Getreidekammer im venezianischen Machtbereich, nämlich diejenige von Chioggia veranlasst, monatlich eine gewisse Summe zu deponieren, um damit eine ausreichende Reserve zu schaffen.
Ab 1309 gerieten die Finanzen in einen Strudel von dreißig Anleihen binnen vier Jahren. Obwohl das Gesamtvermögen der Stadt sicherlich um ein vielfaches höher lag, wurden von den Anleihen Besitztümer im Wert von weit über einer Million libra erfasst. Aus einer kurzfristigen Beleihung wurde eine Umstellung auf Dauerrenditen.
Tab. 2.3: Die Summe der Anleihen (1255 bis 1313 und 1423 bis 1500)Jahr | Lire a grossi, ab 1423 Dukaten |
---|---|
1255 | 15.000 |
1279 | 400.000 |
1291 | 900.000 |
1299 | 1.500.000 |
1313 | 2.800.000 |
1423 | 800.000 |
1455 | 800.000 |
1464/9 | 670.000 |
1469 | 1.000.000 |
1492 | 1.000.000 |
1500 | 620.000 |
Auch der Umgang mit Anleihescheinen veränderte sich. Die Umstellung auf Dauerrendite ließ ein umfangreiches Geschäft mit den Anleihescheinen entstehen, deren Marktwert in den Jahren 1303 bis 1320 zwischen 60 und 80 % ihres Emissionswertes schwankte. In den folgenden dreißig Jahren stieg ihr Wert auf 80 bis 100 %, ja sogar bis auf 102 % im Jahr 1344. Damit aber veränderte sich in schwer abzuschätzender Weise die Verzinsung der Wertpapiere, die entsprechend dem Emissionswert, nicht entsprechend ihrem Verkaufswert auf dem Markt für Anleihescheine berechnet wurde. Fiel der Wert der Anleihescheine, so stieg also automatisch die Zinshöhe gemessen am Kaufpreis mit jeder Übertragung auf einen neuen Besitzer - und damit das Kaufinteresse. Diese Spekulation war in der Lage, den Marktwert in Zeiten relativer Ruhe zu regulieren, so lange Vertrauen in die Zahlungsfähigkeit und -bereitschaft der venezianischen Kassen bestand.
Mit dem Ende des Krieges um Ferrara begannen abermals Versuche, zu einer Regulierung der Einnahmen und Ausgaben zu kommen. Der Krieg gegen Zara war noch nicht zu Ende, der Papst verlangte hohe Wiedergutmachungssummen. Aber die großen Fernhändler verhinderten für diesmal noch eine generelle Erhöhung der Zölle, so dass als einziges - und zwar ausdrücklich nur für die Dauer des sich noch fortschleppenden Krieges um Zara - die Maklergebühren von 0,25 auf 0,5 % erhöht wurden. Dabei war die Staatskasse so leer, dass, nachdem einige Kreditgeber die Patrone des Arsenals wegen Nichtrückzahlung von Krediten erfolgreich bei den Consoli dei mercanti verklagt und die Domini de nocte das Geld eingetrieben hatten, man im Großen Rat schwere Befürchtungen hegte, "cum esset maxima summa et non simus ad dextrum de pecunia, sicut scire potestis et ultra ista impotencia pena esset magna quam Comune perderet.
1313 geriet die Camera gegenüber den Getreidehändlern Marinus Faletro und Marcus Mauroceno für volle neun Monate in Zahlungsverzug, ohne reagieren zu können. Da die beiden Getreidehändler sich schon wieder zwecks Tätigung neuer Käufe auf Kreta befanden, erhielt der Duca von Kreta und seine Räte, sowie der Rector von Rethimno am 26. Juli Anweisung, alles verfügbare Geld der Kommune an diese beiden zu überantworten. Ähnlich erging es im Dezember Nicolaus Arimundo und Paulus Mauroceno, die auch "iam multis mensibus transactis" der Kommune Weizen geliefert hatten und die - wohl schon seit dem Sommer des Jahres 1312 - auf ihr Geld warteten.
1314 wurde beschlossen, zugunsten der Camera frumenti eine Anleihe von 1 % auszuschreiben, allerdings mit der Einschränkung "quod non deberet exigi nisi postquam frumentum esset adductum Venecias". Als das Getreide tatsächlich ankam, beschloss der Große Rat nun doch keine Anleihe zu beschließen "ut non gravarentur homines de dicto imprestito", sondern das ursprünglich für eine Gesandtschaft nach Konstantinopel gedachte Geld Getreidekäufe zu investieren. Sobald die Gesandtschaft allerdings zum Aufbruch bereit sei, sollte hierfür eine neue Anleihe erhoben werden dürfen. So weit, so gut. Aber die Kommune hatte auch noch Schulden für "biscoto et blado" bei der Getreidekammer, die ebenfalls aus der "Gesandtschaftsanleihe" zurückgezahlt werden sollten. Auf dieses Geld musste die Camera allerdings warten, bis die Gesandtschaft ausgerüstet war, die nötigen Beschlüsse gefasst, Hin- und Rückreise sowie die Verhandlungen absolviert waren.
Es scheint, als sei es bis Ende 1314 gelungen, den "Haushalt" der Getreidekammer zu konsolidieren. Ganz allgemein zeichnet sich nun nach dieser etwas ausführlicher beschriebenen Phase der Unsicherheit ein verstärktes Bemühen ab, Grundlagen für eine besser gesicherte Rückzahlung und Verzinsung der Anleihen zu schaffen und die ständig wachsende Verschuldung abzubauen. So sollten nunmehr monatlich aus den "intrate" nicht mehr nur 3000 libra, sondern 5000 (oder vierteljährlich 15 000) in die Prokuratien gezahlt werden, um die Bedienung der Anleihen zu gewährleisten. Dies gegen starken Widerstand durchgesetzt zu haben, dürfte vor allem der Rogadia zu verdanken gewesen sein, die nun immer mehr Kompetenzen des Großen Rates an sich zog und sich insgesamt als wendiger und weniger anfällig für die einseitige Vertretung einzelner Interessengruppen erwies, als der Große Rat.
Unmittelbare Auswirkungen auf die Anleihen hatte dies zunächst nicht. Am 19. April 1315 wurde eine solche in Höhe von 0,5 % für die Romania aufgenommen, am 16. Juli eine für die Flotte, am 12. November eine für den Bau von Galeeren und auch Kredite wurden weiterhin in großem Umfang aufgenommen. Aber es zeigte sich nun, dass ältere Anleihescheine von der wieder mit reicheren Geldmitteln ausgestatteten Kommune selbst zurückgekauft werden konnten, womit die Zinsbelastung zurückging. So konnte man 1316 beschließen, dass alle Anleihescheine unter 10 libra zum Preis von 70 % des Emissionswertes zurückgekauft werden sollten. Das wiederum dürfte zur Erholung des Marktwertes der Papiere beigetragen haben.
Zur Bewältigung der kurzen Krise von 1316 griff man wieder auf das ganze Instrumentarium der Geldbeschaffung zurück - Mitgiften, die von den Prokuratoren von S. Marco verwaltet wurden, griff man ebenso an, wie man zukünftige Einnahmen verpachtete, private Kredite aufnahm oder Gelder und Gehälter für die Verwaltung einzog. Dabei sei erwähnt, dass die Mitgiften zugunsten der Getreidekammer angegriffen wurden, während die Kammer wiederum für die baldige Rückzahlung neuer Kredite verantwortlich gemacht wurde.
Die Rücklagen des Monte Vecchio wurden 1314 erfolgreich von einer restriktiven "Finanzpolitik" verteidigt. So erfolgreich, wie die Reform zunächst war, so schwere Diskussionen und Auseinandersetzungen löste sie aus. Das Ziel war zunächst der Ausgleich zwischen Einnahmen und Ausgaben. Die Ausgaben konnten noch relativ leicht reduziert werden, aber wie sollten die Einnahmen erhöht werden? Im Juli 1316 beschloß der Große Rat, naturalisierte Ausländer zu den für Venezianer üblichen Beiträgen heranzuziehen. Damit wurde die Beweglichkeit ausländischen Kapitals, das ja hinter den Naturalisierten stand, eingeschränkt und ein Teil in venezianische Kassen, insbesondere den Monte Vecchio gelenkt. So pragmatisch der Beschluß zu sein schien, läutete er doch eine Phase ein, in der ausländisches Kapital zunehmend vom venezianischen Markt abgedrängt wurde. Im Gegensatz dazu durften sie Getreide nach Venedig bringen und es dort verkaufen. Schon 1314 war dies ausdrücklich gestattet worden, was aber darauf hindeutet, dass überhaupt eine Diskussion über Beteiligung ausländischen Kapitals eingesetzt hatte. Durften 1316/17 noch Ausländer Korn herbeibringen, so war dies danach über lange Zeit nur noch Venezianern gestattet - in einigen Jahren immerhin noch auf ausländischen Schiffen.
So war aus einer Frage des Ausgleichs von Einnahmen und Ausgaben schnell eine Frage der politischen Ökonomie geworden. Dabei stand eine Gruppe von Reformern des Zollwesens auf der Grundlage verhältnismäßig freien Austausches von Kapital und Waren einer Gruppe von eher protektionistische Maßnahmen befürwortenden Fernhändlern gegenüber. Spätestens 1271/86 hatten die "Protektionisten" durchgesetzt, dass die Venezianer nicht nur den halben Zoll an die Vicedomini entrichteten (also statt 2,5 nur 1,25 %), sondern sogar gänzlich zollbefreit wurden, wenn sie genauso viele Waren exportierten, wie sie importiert hatten. Damit war die Gruppe der Fernhändler von einer entscheidenden Last befreit - eine Befreiung, die sie erbittert verteidigte. In den Jahren nach 1296 beschloß man, Ausländer aus bestimmten Handelssegmenten völlig auszuschließen. 1313 wurden die "Grade des Bürgerrechts", d. h. das Recht de intus und de extra von der Dauer des Aufenthaltes in Venedig abhängig gemacht. Da an diesen Rechten die Fähigkeit zur Teilnahme am Außenhandel hing (Braudel nennt den Fernhandel "eifersüchtig gehütete Jagdgründe"), kam ihnen entscheidende Bedeutung bei der Abdrängung fortan nichtbefugter Gruppen zu.
1284 wurden erstmals Ausländer beim Getreideimport benachteiligt, denn sie erhielten keine Garantiepreise mehr. Ähnlich 1301 und 1304. Infolge heraufziehender Mangeljahre hieß es dagegen 1315 in der Rogadia: "Forenses non veniant per mare preter quosdam et salvis pactis et preter ... bladum" - eine Ausnahmeregelung für getreideimportierende Ausländer, die bis einschließlich 1317 aufrechterhalten wurde (s. Tab. 4.3). Diese Art der Ausnahmeregelung galt in ähnlicher Weise auch für den Verkauf auf den Märkten um Rialto, San Bartolomeo und San Salvatore, denn dort galt für jeden Venezianer, der einen Stand unterhielt, dass er bei Strafe von 1000 libra "non possit tenere in statione sua vel domo aliquem foresterium". Dies galt ausdrücklich "solum de illis, qui tenerent speciariam vel mercationes subtiles, que ponderantur ad subtile, et de illis, qui tenerent merçariam, et etiam de illis, qui tenerent cambium". Mit anderen Worten: Ausländer wurden von jedem Handel ausgeschlossen, der für die Stadt nicht unmittelbar essentiell war (wie der Lebensmittelhandel), aber Höchstgewinne abwarf. Das galt insbesondere für den Spezereienhandel und das Bankgewerbe.
1317 wurde das ausländische Kapital durch die Rogati und die Mitglieder der XL ausgeschlossen, denen der Große Rat die Entscheidung überlassen hatte, nachdem man sich über die "scripture ... longe et multa", die eine fünfköpfige Kommission vorgelegt hatte, im Großen Rat nicht hatte einigen können. Wenn diese Bestimmung sich auch auf die Romania und die Regionen außerhalb des Golfes beschränkte, so überließ dieser Beschluß ausländischem Kapital doch nur noch die lokalen Märkte innerhalb des venezianischen Machtbereiches.
Nachdem 1322 Ausländer vom Erwerb von Grund und Boden ausgeschlossen worden waren, setzte sich die Interessengruppe der Großhändler im August 1324 endgültig durch. Hatten sich die Ausschlüsse seit Jahren gegen ausländische Investitionen gerichtet, so wurde mit der Begründung des Officium de navigantibus und der Begrenzung des Investitionsvolumens jedes einzelnen Händlers im Levantehandel auf die Höhe der gekauften Anleihescheine, sowie dem Verbot von Investitionstätigungen für Dritte, nicht mehr nur die ausländische Konkurrenz getroffen, sondern auch die kleinen Vermögen von den gewinnträchtigsten Geschäften ausgeschlossen, deren Ausübung zumindest erschwert. Allerdings wurde der Beschluß, dass niemand mehr im Levantehandel investieren dürfe, als in Anleihescheinen, bereits wenige Monate später wieder aufgehoben.
Den Import außeradriatischen Getreides wickelten bis 1329 nur noch Venezianer auf venezianischen Schiffen ab. Erfolge zeitigte das neue System bedingt durch verschiedene begleitende Maßnahmen. Für unser Thema von großer Bedeutung ist, dass Venezianer und Ausländer Depositen bei der Getreidekammer anlegen durften. Aus diesen Depositen durften auch Kredite vergeben werden, allerdings zunächst nur an die Kommune - in diesem Falle für den Bau von Schiffen, aus deren Verpachtung der Kredit zurückgezahlt werden sollte.
Weitere Erfolge stellten sich ein. So wurden mittlerweile monatlich 7000 libra zur Amortisation der Zwangsanleihen deponiert und ein Depositum von weiteren 2000 libra konnte für die Erledigung unaufschiebbarer Aufgaben eingerichtet werden. Mit der Erhöhung auf 7000 war man wohl etwas zu weit gegangen, so dass die Summe bald um 500 libra reduziert wurde - eine weitere Senkung auf 5200 libra wurde 1330 beschlossen. Die Ausgaben der Kommune stiegen und so mussten auch die Einnahmen erhöht werden. Die daraus resultierende Zollpolitik wiederum schadete u. U. verschiedenen Handelszweigen. Genau darum aber dürfte es in internen Auseinandersetzungen gegangen sein - welche Waren sollten, wenn es sich schon nicht vermeiden ließ, höheren Zöllen unterworfen werden?
Symptome der Besserung durch die "Austeritätspolitik" der Rogati sind das Ansteigen des Marktpreises für Anleihen auf 80 % und das Verschwinden der langfristigen Verpfändungen von kommunalen Einnahmequellen, die zwischen 1327 und 1339 nicht mehr auftauchen. Die Camera frumenti wurde an die kurze Leine genommen:
"Cum pro eo quod non cessant continue multiplicare peticiones in Curia, illorum qui petunt peccuniam mutuo a Camera frumenti, vel quod pro se substineat plezium pro eis, quod vertitur in sinistrum et preiudicium dicte Camere et posset generare periculum ... in futurum ... Capta fuit pars ut concessio dictarum gratiarum magis restringatur ... quod nulla talis gratia possit fieri aliquibus specialibus personis nec terminus aliquis amplius elongari in graciis factis et fiendis", außer mit Zustimmung aller sechs Dogenräte, von 35 Mitgliedern der XL und zwei Dritteln des Großen Rates. Kredit und Bürgschaft wurden in die Entscheidungsbefugnis des innersten Kreises gestellt, wobei gratie ausgeschlossen wurden.
1328 und 1329 erhob die Getreidekammer neue Anleihen, um ohne teure Kredite ihre Ausgaben decken zu können. 1331 beschloss der Große Rat, das Finanzgebaren der Getreidekammer weiteren Restriktionen zu unterwerfen.
Trotzdem ging das "Goldene Zeitalter" der Zeit des Dogen Giovanni Soranzo seinem Ende entgegen. Schwer wog, dass die Geldwertrelationen zwischen dem Gold- und dem Silbergeld schon lange nicht mehr stimmten und angeglichen werden mussten. Der Dukaten wurde 1328 gegenüber dem grosso um fast ein Drittel aufgewertet, womit die Flucht des Silbergeldes ins Ausland gestoppt werden konnte. Damit wurde wenigstens einer Ursache des Mangels an Silbergeld der Boden entzogen. Auch hier hatte sich wohl der Austeritätskurs der Rogadia bemerkbar gemacht, die ausnahmsweise zusammen mit der XL die nötige Entscheidungsbefugnis erhielt.
Trotz massiver Klagen über ständige, zuweilen jährlich geforderte Gehaltserhöhungen und die entsprechenden Belastungen der kommunalen Kassen, blieb ein tieferer Einschnitt aus. Die einzige Beschränkung bezog sich auf die Abstände zwischen den Gehaltsforderungen: die letzte Erhöhung musste mindestens drei Jahre zurückliegen.
Im Januar 1335 gelang es der Rogadia die Entscheidungsbefugnis über den Monte Vecchio an sich zu ziehen und die monatlich dort zu deponierende Summe wieder von 5200 auf 7500 libra (oder 22 500 pro Quartal) zu erhöhen. Damit war das wichtigste Finanzierungselement des Staates dem Großen Rat entwunden. Sechs Wochen später folgten klare Begründungen und Vorschriften: Was an kommunalen Einnahmen über ganz bestimmte Ausgaben hinausging, durfte nur noch für die Verzinsung und die Rückzahlung der Anleihen benutzt werden. Die übrigen Ausgaben durften die Summe von 3000 libra nicht überschreiten. Weitere 3000 waren für Almosen zu Ostern und Weihnachten vorgesehen. Eine Erhöhung lag fortan überhaupt nicht mehr im Kompetenzbereich des Großen Rates, sondern nur noch bei den Dogenräten, den Leitern der XL und der Rogadia, sofern mindestens 80 ihrer Mitglieder anwesend waren.
1335 war das Jahr, in dem die rigide Politik der Rogadia durchgesetzt wurde, aber auch das Jahr, in dem mit dem Krieg gegen die Scaligeri von Verona zwangsläufig eine neue Runde der massiven Verschuldungspolitik einsetzte. Anleihen in Höhe von je 1% des Vermögens wurden am 30. März und 30. Mai ausgeschrieben. Für die sich anschließenden Kämpfe um Istrien und Friaul gar 2 % am 7. Juli des folgenden Jahres, am 17. September nochmals für den Kampf gegen Verona 1 %, am 13. November abermals 2 % und auch im März 1337 erfolgte eine 2 %ige Anleihe. Wichtige Errungenschaften der letzten Jahre, wie die Verbesserung am Geldmarkt, die es schon erlaubten, die aufgegebenen Geldwechselgebühren für von Deutschen nach Venedig gebrachtes Geld wieder einzuführen, oder die Unantastbarkeit der Reserve zur Amortisation der Zwangsanleihen, wurden für diesen Krieg aufgegeben. Die Geldnot erzwang schließlich Anfang 1338, gegen den Willen der bisher vorherrschenden "Protektionisten"-Fraktion unter den Rogati, eine Verschärfung der Zollpolitik. Und Anfang November 1338 wurde nach fünf Abstimmungsgängen und mit hauchdünner Mehrheit das wichtigste Instrument dieser Fraktion, das Officium de navigantibus aufgelöst.
Die Verzinsung der älteren Anleihen wurde 1336-39 und nochmals 1342-48 aufgegeben. Auch die Eintreibung der riesigen Schuldsumme von 31 729 Dukaten, die die Stadt Florenz noch zu begleichen hatte, verzögerte sich, bis sich die Stadt nach zwei Jahren Handelssperre 1343 endlich bereit erklärte, die Summe in 10 Jahresraten zurückzuerstatten (bis 1352) - Gelder, die für die unmittelbare Finanzierung des Krieges gegen Verona zu spät kamen.
Als Anfang 1339 der Scaligeri-Krieg endete, wurden - noch vor Friedensschluss - die Zollerhöhungen wieder aufgehoben und fünf Weise bestellt. Ein Beibehalten des schwer auf der Wirtschaft lastenden Kriegs-Zollregimes war unmöglich, eine Rückkehr zur Vorkriegssituation nicht durchsetzbar. So wurden für eine Vielzahl von Waren neue Regelungen aufgestellt, die die Belastung für den Fernhandel verminderten, und andererseits dringend benötigtes Geld in die Staatskasse brachten. Dabei wurden zugunsten der für die Wiederausfuhr bestimmten Waren weitgehende Verminderungen der Zölle auf Stoffe, Spezereien, Waffen etc. beschlossen, während Konsumartikel wie Wein, Öl, Käse usw. fast vollständig in Kriegshöhe mit Zöllen belastet blieben. So ließ sich ein labiles Gleichgewicht zwischen den Bedürfnissen der Staatskasse und denjenigen des Fernhandels herstellen. Dabei gelang es, zumindest für ein Jahr monatlich nicht mehr 7500 libra, sondern 25 000 (oder 75 000 pro Quartal) für die Amortisation der Zwangsanleihen abzuzweigen.
Wie optimistisch die Stimmung am Anleihenmarkt trotz neuer Zwangsanleihen und Umlenkungen von Geldern des Monte Vecchio für dringliche Vorhaben war, zeigt die Tatsache, dass der Marktwert von Anleihescheinen auf 90 % des Emissionswertes stieg, während gleichzeitig die bisher von Zwangsanleihen mitbetroffenen Kleinvermögen zwischen 50 und 300 libra nicht mehr herangezogen wurden. Möglicherweise waren es genau die Anleihezeichner, die den Marktpreis durch Verkauf alter Anleihescheine bei Ausschreibung einer neuen Zwangsanleihe "drückten". Somit war ihr Ausscheiden aus dem Kreis der Käufer von Anleihescheinen zwar zunächst ein Verlust, aber andererseits ging damit das ständige Überangebot an Anleihescheinen zurück, die Preise stabilisierten sich auf hohem Niveau und die Bereitschaft zum Erwerb dieser Scheine dürfte gestiegen sein.
Ähnlich verfuhren die Rogati im neuerworbenen Treviso. Handelsgüter wurden nur leicht, Konsumgüter schwer mit Zöllen belegt. So wurden die Zölle für Wein, Fleisch, Öl, Käse und für lebende Tiere drastisch erhöht. Allerdings blieb der Brotzoll unangetastet.
Trotz dieser massiven Eingriffe, die in ähnlicher Weise in allen Kolonialgebieten durchgeführt wurden, musste man 1342 feststellen, dass den Einnahmen von 667 271 libra Ausgaben in Höhe von 670 646 libra gegenüberstanden. D. h. ein Defizit von 3375 libra klaffte zwischen Einnahmen und Ausgaben. Unglücklicherweise fiel dieses Auseinanderklaffen von Einnahmen und Ausgaben mit einer schweren Versorgungsnotlage zusammen. Hatte man im Oktober 1338 noch Ausfuhren von Getreide aus den reichhaltigen Reserven genehmigt, so wurde dies am 12. August 1339 in Erwartung einer Mangelsituation untersagt. Dabei wurde den Kolonialgebieten der selbständige Einkauf erlaubt und die Domini frumenti erhielten Anweisung, die Geleitzüge (mude) wieder einzurichten. Innerhalb kürzester Zeit gelang es der Getreidekammer nicht nur, große Reserven anzulegen, um damit in eine Reihe von Spekulationskäufen einzusteigen. Nein, die Reserven wurden so groß, dass angesichts unzureichender Speicherkapazitäten (trotz begonnener Neubauten) und eines bestens versorgten Umlandes, kaum Möglichkeiten bestanden, das Korn loszuwerden. Mitten in einer schwierigen wirtschaftlichen Lage schwamm die Stadt in Getreide. Da auch die Zwangskäufe angesichts begrenzter privater Geldmittel nicht unbegrenzt ausdehnbar waren und die Rückzahlungen nur schleppend liefen, geriet die Camera in Zahlungsschwierigkeiten. Da sie außerdem noch eine Reihe Außenstände bei anderen Magistraten hatte, die sich kaum eintreiben ließen und ihr immer drängender nach Bezahlung rufende Lieferanten im Nacken saßen, wurde der gewaltige Kornüberschuss zu einer Belastung für die Staatskasse.
Mehrmals wurden Weise gewählt, die Handlungsmöglichkeiten für diesen schwierigen Fall ausfindig machen sollten. Von Mai bis Dezember 1341, als sich bereits 470 000 star Getreide - z. T. in miserabelsten Speichern verteilt - in der Stadt befanden, kamen diese zu keinem brauchbaren Ergebnis. Die einzige Lösungsmöglichkeit bestand in einem Import-Verbot, sowohl für Getreide, als auch für Mehl. Nur noch aus der diesjährigen Ernte durfte importiert werden und zwar zu 10 grossi/star für Weizen und 11 grossi 6 denar für Mehl, wobei gleichzeitig die Rücklagen verkauft werden sollten. In Ergänzung dieser Maßnahmen wurde der Import von fertigem Brot vom benachbarten Festland (ca. 50-60 star pro Tag, also ca. 20 000 star pro Jahr) untersagt.
Um endlich die gewaltigen Getreidemengen bezahlen zu können, schlugen die sechs Dogenräte und die drei Leiter der XL vor, der "Camere frumenti pro solvendo mercatoribus, qui dederunt frumentum suum Comuni, de denar. depositi capitalis imprestitorum" zu leihen. Mit 194 gegen 28 Stimmen, bei 9 Enthaltungen wurde der Vorschlag angenommen.
1342 waren bereits 40 % des Getreides in schlechtem oder sehr schlechtem Zustand und mussten voraussichtlich dringend, wie schon 1341, verkauft werden. Nun fand sich der Große Rat bereit, der Camera frumenti 50 000 Dukaten zu leihen, aber die Rogati lehnten dies rigoros ab, um den Monte Vecchio vor solchen "gesetzwidrigen" Umwidmungen zu schützen.
Die einzigen Heilmittel waren weiterhin Importverbot, Verkauf des schlechteren Getreides an die Armen zu einem niedrigen Preis, kleinere "Finanzspritzen" und gute Pflege der vorhandenen Bestände. Außerdem wurde den Bezugsgebieten ausnahmsweise der freie Handel untereinander genehmigt. Schließlich verzichtete man auf die gewohnten Schiffskonvois für Getreide.
Das alles zusammen war offenbar zu viel des Guten. Innerhalb weniger Monate kehrte sich die Situation völlig um: plötzlich sah man sich nicht mehr Überschüssen gegenüber, die man schnellstmöglich loswerden wollte, sondern es war zu wenig Getreide in der Stadt. Vielleicht erkannte man erst jetzt die Mechanismen und Abhängigkeiten einer Stadt, die besonders aufgrund mangelnder Speicherkapazität von den Preis- und Mengenschwankungen des Marktes abhängig war, denn an jenem 15. September 1342, als man feststellte, dass plötzlich der Hunger an die Tür zu klopfen begann, protokollierte ein Schreiber des Großen Rates:
"Cum deffectus bladi inducat nobis continue mazionum dubium et timorem et propter strictam conditionem, ad quam hec dominatio in facto bladi sepius est reperto, ut obvietur tanto periculo, quod manifeste conspicitur, fiant in casibus huiusmodi ordines maximi precii pro conducentibus bladum huc, ob quod frumentum in tanta quantitate multiplicat, quod Comune nostram de ipso facit maximam amissionem et ultra hoc frumentum post modum dividitur per terram, de quo speciales persone gravantur et onerantur de malo blado etc.".
Trotz großer Vorbehalte in der XL setzte der Große Rat durch, dass im Umfang von 80 000 star eine Reserve von Hirse angelegt werden sollte. - zum Preis von nur 9 grossi/star. Gleichzeitig wurde die Camera frumenti aber noch mit Krediten belastet, wie z. B. dem für die Deckung der Ausstattungskosten für eine Gesandtschaft zum neuen Papst Clemens VI. Ein Zustand, der bald auch dem Großen Rat untragbar erschien.
"Vadit pars quod usque ad tres annos et tantum plus quousque non fuerit revocatum, non possit fieri gratia de dictis officiis vel aliquo eorum, videlicet armamenti et frumenti ... "
... und sich trotz aller Bemühungen immer wieder einschlich. Der Zugriff auf das Depositum der Getreidekammer war anscheinend zu verlockend, wenn z. B. teure Gesandtschaftsunternehmen anstanden. Ähnliches galt für Kredite an den Kaiser von Byzanz. Ende 1343 wurden von der Camera 30 000 Dukaten an dessen Kreditgeber in Konstantinopel ausgezahlt, und damit seine Schulden übernommen - eine Summe, die wiederum selbst in Venedig, und zwar diesmal nicht nur von Venezianern, sondern auch von Ausländern, als Kredit aufgenommen werden musste.
Dies alles geschah vor dem Hintergrund einer schweren Wirtschaftskrise, in der viele der Arbeiterwohnungen verlassen waren, eine Auswanderungswelle der Wollarbeiter nach Padua einsetzte und die entsprechenden Zolleinnahmen auf den geradezu lächerlichen Jahresertrag zusammengeschrumpft waren.
Gleichzeitig öffnete sich eine gefährliche Schere zwischen Einnahmen und Ausgaben. Waren die Einnahmen von 1341 auf 1342 von 667 241 auf 684 000, also um 17 759 libra gestiegen, so waren die Ausgaben bis 1344 um ca. 100 000 auf 774 700 gestiegen. Damit war die Differenz zwischen Einnahmen und Ausgaben von 3000 auf 60 000 libra angestiegen. Da bereits 1341 von den 668 000 eingezogenen libra sofort 270 000 wieder ausgezahlt werden mussten, um die letzte Anleihe zurückzuzahlen, lässt dies ahnen, wie es erst wenige Jahre später aussah.
Mitten in diese Dilemmata stieß die Nachricht von einer gemeinsamen Kreuzzugsflotte gegen die Türken, an der auch die Venezianer partizipieren sollten. Nach Prüfung der Mittel für den Schiffbau stellten die Rogati fest, dass die
"Camera Comunis (sit) obligata et debita Camere frumenti in maxima summa pecunie, que Camera frumenti est multum gravata et debita et requirit auxilium et consilium bonum".
Rat und vor allem Hilfe kamen aus ganz anderer Richtung: Hatten die Officiales auri bereits früher zuweilen größere Summen zur Verfügung gestellt, so erlaubte ihnen der sich seit einigen Jahren verstetigende Zustrom von Gold am 3. Juni 1343, der Getreidekammer 1000 Golddukaten zu leihen, die allerdings bis Ende Juli zurückzuzahlen waren.
Neben der schnell aufzulegenden Flotte hatte sich die Dominante für einen privaten Kredit an den byzantinischen Kaiser als Bürge zur Verfügung gestellt, aber der Kaiser war offensichtlich nicht in der Lage, bis zum 31. Dezember d. J. die Summe aufzubringen ... So sollte bei der Camera frumenti abermals ein Kredit aufgenommen werden. Die wiederum nahm, bar aller Mittel, Kredite bei Venezianern und Ausländern auf - z. B. veranlassten die venezianischen Unterhändler im Friedensvertrag von 1343 Nelipcio von Knin/Kroatien dazu, als einen Teil der vereinbarten Entschädigung 20 000 libra in der Camera frumenti gegen Zins anzulegen.
In der Rogadia beschloss man angesichts steigender laufender Kosten, die Rücklagen für den Monte Vecchio von 22 500 libra pro Monat auf 16 000 zu vermindern und diese darüber hinaus so lange der Camera frumenti zur Verfügung zu stellen, bis sich bei ihr eine ständige Rücklage von 150 000 libra ad grossos angesammelt hatte, maximal aber für zwei Jahre. Damit sollte es der Camera dann gelingen, sowohl Venezianern, als auch Nichtvenezianern "restituere de capitali". Da wenig später die Kasse auch vor den ständigen Zugriffen durch die Kommune, z. B. für Gesandtschaften, geschützt wurde, kamen die Getreideherren in ruhigeres Fahrwasser.
Inzwischen war der Höhepunkt der Wirtschaftskrise überschritten, so dass die Rogadia dem Problem der Amortisation der Zwangsanleihen mit größerer Gelassenheit entgegensehen konnte. Der Handel in der Ägäis und im Schwarzen Meer intensivierte sich wieder und die Kolonien begannen, ihre bei der Serenissima aufgenommenen Kredite zurückzuzahlen. Die eingesetzten Weisen stellten am 23. Mai 1345 fest: "Visis et cum omni diligentia examinatis introytibus et exitibus Comunis, qui non occurente aliquo extraordinario quasi viderentur equales".
Darüber hinaus stellten sie fest, nachdem sie "colloquio cum officialibus frumenti" durchgeführt hatten, dass ihre Aktiva sich auf 854 000 libra ad parvos beliefen. Davon waren abzuziehen: als Kredit an den byzantinischen Kaiser 30 000 Dukaten (ca. 79 000 libra ad parvos), dazu anscheinend weitere Schulden des Kaisers, so dass seine Gesamtschuld bei 96 000 libra lag, dazu die Aufwendungen für eine Gesandtschaft "Turisii et Gazerie" (La Tana auf der Krim) für 100 000 libra, weitere 130 000 libra, für deren Wiederbeschaffung keine Hoffnung bestand (de quibus habere aliquid non speratur). Dazu kamen die Verluste an Getreide, das z. Z. in den Speichern lag. Alles zusammen eine Summe von 326 000 libra. So befanden sich in den Händen der Getreideherren noch knapp 530 000 libra. Davon waren allerdings wiederum 755 000 libra Verschuldung abzuziehen. Am Ende stand eine erträgliche Schuld von 223 000 libra, die man vielleicht durch Getreideverkäufe ausgleichen konnte. So waren die Schulden, die noch vor 16 Monaten bei 150 000 libra gelegen hatten, aber - was entscheidend ist - nicht die Schulden gegenüber privaten Anlegern umfassten - relativ schnell vermindert, Verpflichtungen gegenüber Privaten weitgehend abgetragen worden. Die fünf Weisen kamen aufgrund dieser Berechnungen zu dem Schluss, dass von den 16 000 monatlich an die Getreidekammer zu zahlenden libra aus Zolleinnahmen erst einmal vier Monate lang die 30 000 libra Schulden, die sich bei der Camera Comunis angehäuft hatten, bezahlt werden sollten - die Getreidekammer brauchte das Geld offenbar nicht mehr so dringend. Keine zwei Monate später lieh sich die Comune schon wieder 12 000 Dukaten bei der Camera frumenti, deren Rückzahlung aus den monatlich 16 000 libra getätigt werden sollte, die die Getreidekammer nach Ablauf von vier Monaten wieder zurückerhalten sollte.
Im März 1347, nachdem die Kämpfe in Istrien und die Verteidigung von Zara große Summen verschlungen hatten, beschloss die Rogadia, die in diesem Monat für den Monte Vecchio vorgesehenen Beiträge von 16 000 libra in die Schuldentilgung zu stecken. Aber auch die Getreidekammer brauchte wieder dringend Geld, um ihrer Aufgabe nachzukommen. So erhielt sie von April bis einschließlich Januar 1348 die mittlerweile auf 12 000 libra pro Monat reduzierten Beiträge, also 120 000 libra binnen 10 Monaten. Das war auch dringend nötig, denn die Geldmittel der Camera waren bereits wieder zusammengeschrumpft, und zwar so sehr, dass die Rücklage die eigentlich für den Kauf von Hirse vorgesehen war, für Weizenkäufe eingesetzt werden musste. Drei Provveditori straordinari wurden eingesetzt, um Wege und Möglichkeiten für eine ausreichende Alimentation zu finden. Der Bailò von Konstantinopel erhielt die dringende Aufforderung, Getreide zu kaufen - ganz gleich woher. Schon im Dezember war die Getreidekammer durch die laufenden Getreidekäufe so verschuldet, dass die Camerarii Comunis ihr einen Kredit geben mussten, der aus den laufenden Verkäufen sofort zurückgezahlt werden sollte.
Die Rückzahlung der kommunalen Kredite zugunsten der Getreidekammer wurde also an die Verkaufsgeschwindigkeit und an den Marktpreis gekoppelt. Damit wurde der Getreidekammer eine neue Beweglichkeit gegeben, die ihr in den Jahren zuvor gefehlt hatte, als man Kapital beschaffte, indem man Anleihen und Kredite aufnahm. Aber nicht nur in dieser Beziehung hatten die Mangeljahre 1346 und 1347 neue Lernprozesse in Gang gesetzt.
Die Fähigkeit mit den Schwankungen am Getreidemarkt fertig zu werden war offenbar trotz aller Fortschritte noch nicht weit genug entwickelt. Zwar waren die nötigen Geldmittel durchaus zu beschaffen, aber die Speicherkapazitäten die nötig waren, um die Überschüsse aus guten Jahren so lagern zu können, dass sie schlechte Jahre - wohl bedingt durch die Sperre Süditaliens (1345) und der Krim (1343) - überbrücken konnten, hatten 1341-43 noch nicht zur Verfügung gestanden. Der Umbau der alten Reede in Terra Nuova zu einem Getreidespeicher dürfte für dieses Mal zu spät gekommen sein, obwohl er schon am 11. April 1341 beschlossen worden war. Aber Speicher solcher Ausmaße lassen sich nicht innerhalb weniger Monate errichten.
Für die nächste Krise, die über kurz oder lang zu erwarten war, standen nunmehr einige zusätzliche Hilfsmittel zur Verfügung. Dazu gesellte sich eine Art institutionalisierter gegenseitiger Unterstützung von Camera Comunis und Camera frumenti, die 1348 in einer Entscheidung der Rogadia folgendermaßen ihren Ausdruck fand:
" ... quod circha duc. XIIIIm, qui sunt in Camera frumenti, debeant restituere et dare nostris Camerariis pro parte solucionis pecunie mutuate pridie dicte Camere de pecunia percepta de una pro C, que facta fuit, nam ambe Camere sunt unum corpus, et quandocumque habebimus pecuniam, subveniemus dicte Camere frumenti, sicut semper fuimus consueti."
Die Getreideherren wurden also verpflichtet, die 14 000 Dukaten, die sie in ihrer Kasse hatten, an die Kommunekasse abzugeben. Damit zahlte die Getreidekasse einen von der Kommune erlangten und mit 1 % verzinsten Kredit zurück und gab mit dem Überhang nun ihrerseits der Kommune einen Kredit. Ignorieren wir das alle bisherigen Gegensätze übertünchende Pathos von den beiden Camere die, wie es so schön heißt 'sunt unum corpus', dann bleibt als Leitidee eine gegenseitige Absicherung. Und in der Tat, Anfang 1349 erklärte sich die Camera Comunis bereit, ihre Überschüsse bis Ende März in die Kasse der stark verschuldeten Getreidekammer fließen zu lassen. Am 20. August erhielt die Getreidekammer abermals 4000 Dukaten aus der Stadtkasse und die Zusicherung für ein ganzes Jahr, dass monatlich 4 - 5000 Dukaten aus den Überschüssen der Stadtkasse in die Kasse der Getreideherren fließen sollten. Außerdem wollte die Stadtkasse bei allen venezianischen Magistraten insgesamt bis zu 20 000 Dukaten an Krediten aufnehmen und diese gleichfalls den Getreideherren zur Verfügung stellen.
Darüber hinaus versuchte man durch Neuordnung des Kleinhandels und strengere Regelungen den Getreideverkauf zu beschleunigen, was wiederum für die Rückzahlung seitens der Camera frumenti von Nutzen gewesen sein wird.
Andererseits lastete in Zeiten hohen kommunalen Geldbedarfs der Zugriff der Stadt schwer auf der Kasse der Getreideherren. Aber welche Wahl hatte die Kommune bei extraordinärem Geldbedarf schon? Zollerhöhungen schadeten leicht der Wirtschaft, wie der Niedergang der Wollindustrie und der zeitweilige Rückgang des Weinhandels gezeigt hatten. Außer neuen Anleihen blieben nur noch die Salz- und die Getreidekasse, was gleichbedeutend war mit einer Belastung der vermögenden Schichten unter entsprechender Zinsbelastung oder Belastung der Gesamtbevölkerung über den Salz- oder Brotpreis.
Da sich die wirtschaftliche Lage insgesamt weiter verbesserte, hatte die Camera Comunis Ende März 1348 einen Überschuss von 80 000 libra, mit dessen Hilfe nunmehr wieder der Monte Vecchio bedient werden konnte, dem schon lange kein Geld mehr zugeflossen war. So sollten fortan monatlich 8000 libra eingezahlt werden, um die Amortisation der Anleihen wieder gewährleisten zu können. Eine Bestimmung, die der Schwarze Tod ab März d. J. 1348 gegenstandslos machte. Ohne diesen explizit als Ursache zu nennen ("per conditionem nostram sicut omnibus notum est") wurde der Beschluß über die Depositen kassiert und der alte Zustand wiederhergestellt.
Neben einer Reihe anderer Einrichtungen, die teils zusammengelegt, teils aufgelöst wurden, wurde auch die kaum ein Jahr alte Institution des Officium Provisorum bladi 1348 mit der Begründung wieder aufgelöst, dass sie für die Stadt nicht nötig sei und hohe, unnütze Kosten verursache. Auch die ältere und fortbestehende der beiden Getreidekammern verursachte Engpässe, wie man heute sagen würde, denn sie war zu stark bei privaten Anlegern verschuldet, die wieder einmal seit langem auf ihr Geld warteten. So griff ihr die Stadtkasse bis Ende März unter die Arme. Bereits am 20. März 1349 erhielt die Getreidekammer die Genehmigung, Kredite von privaten Anlegern bis zu 10 000 Dukaten aufzunehmen und diese mit 3, wenn nötig 4 % zu verzinsen. Im Juni 1349 durften, angesichts des Drängens der Kreditgeber, deren Forderungen sich auf 22 000 Dukaten angehäuft hatten, weitere Kredite zu 3 % in Höhe von 12 000 Dukaten - diesmal von Ausländern - aufgenommen werden. Die fast jedes Jahr um den Monat März gewählten Weisen stellten in diesem Jahr fest, dass die "rationes Camere frumenti" in diesem Jahr "in multa confusione" seien.
Der Geldbedarf, d. h. genauer gesagt die riesigen Deckungslücken der Getreidekammer, waren von Mitte Januar bis Ende März und von Mitte Mai bis Ende Juni aus der Kasse der Kommune gedeckt worden, von April bis Mitte Mai durch Kredite von Venezianern, im Juni und Juli - entgegen venezianischen Gepflogenheiten - auch durch Kredite von Ausländern. Wobei man den Ausländern die 4%ige Verzinsung verweigerte, die man den venezianischen Interessenten offerierte. Die ausländischen Investoren erhielten nur 3 % Ab August 1349 übernahm die Camera Comunis die Verpflichtung monatlich 4 - 5000 Dukaten zu überantworten und zog für die Getreidekasse 20 000 Dukaten ein. Ein Verfahren, das offenbar auf erbitterten Widerstand stieß. So musste der Rat der XL am 8. und am 16. Juni 1349 darüber befinden, ob es der bisherigen Beschlusslage entgegenstehe, dass die Getreidekammer sich Geld aus dem Monte Vecchio leihe. Die Advocatores waren nämlich der Meinung, dass die Kapitularien ein solches Verfahren verboten, es sei denn fünf der sechs Dogenräte, 30 Mitglieder des Rates der Vierzig und zwei Drittel des Großen Rates stimmten dafür. Noch am 8. Juni waren die 33 anwesenden Mitglieder der XL weitgehend uneins. In zwei Abstimmungen stimmten jeweils 16 Anwesende der Meinung der Advocatores zu, 17 waren entgegengesetzter Meinung oder "non sinceri". Acht Tage später fiel das Abstimmungsergebnis völlig anders aus: Nur noch sechs der wiederum 33 Anwesenden lehnten den Griff in die Staatskasse ab, wohingegen 18 zustimmten. Ein erstaunlicher Gesinnungswandel innerhalb von nur einer Woche.
Am 20. August legten zwei Kommissionen aus je drei Weisen getrennte Berichte und Propositionen vor, wie mit der Verschuldung der Getreidekammer und dem Überschuss an Getreide umzugehen sei. Die Vorschläge lauteten:
1. sollte allen privaten Besitzern von Getreide, das sich in Venedig befand, erlaubt werden dieses ad terras amicorum auszuführen.
2. Nach dem gerade in Ausführung begriffenen Zwangskauf in allen Pfarrgemeinden der Stadt sollten abermals 15 000 star Weizen in dieser Weise verkauft werden.
3. Sollten die Getreideherren und ihre Famuli dafür Sorge tragen, dass sie diejenigen zur Bezahlung veranlassten, die Getreide aus früheren Zwangskäufen noch nicht bezahlt hatten.
Kurz: die Menge des privaten und öffentlichen Getreides in der Stadt sollte im ersteren Fall durch Verkäufe außerhalb Venedigs vermindert werden, die letztere durch Zwangskäufe in der Stadt. Außerdem sollte für die Eintreibung von Außenständen Sorge getragen werden.
Diese Maßnahmen hängen nicht nur damit zusammen, dass die Kasse der Getreideherren wieder aufgefüllt werden sollte. Inzwischen war nämlich eine Reform des Verpflichtungskataloges der Camera Comunis begonnen worden, die ja in den letzten Jahren des öfteren eingesprungen war, um die Getreideherren aus den drängendsten Notlagen zu befreien. Die Reform zielte darauf ab, genau festzuhalten wie viel Geld an wen und für was ausgegeben werden sollte. Dabei wurde der Rahmen für diese Aufwendungen für 'administrative' Ausgaben auf 6000 libra pro Monat erhöht und gleichzeitig begrenzt. Bisher war man nämlich davon ausgegangen, dass 3000 libra pro Monat ausreichend seien - eine immer unrealistischere Annahme, insbesondere angesichts der spürbaren Teuerung.
Um diese erhöhten Aufwendungen bewältigen zu können, war es gut, wenn die Camera Comunis nicht auch noch die Getreideherren mit Geld versorgen musste. Damit fiel das noch junge Prinzip der gegenseitigen Absicherung.
Gleichzeitig ging man von dem System ab, monatlich eine fixe Summe für den Monte Vecchio zur Rückzahlung und Verzinsung der Anleihen bereitzuhalten. Stattdessen sollten 0,5 bis 1 % der nach Abzug der Ausgaben überhängenden Einnahmen der Camera Comunis - wenn möglich auch mehr - zu besagtem Zweck an die Prokuratoren von S. Marco abgeführt werden. Damit war einerseits eine größere Klarheit über die Ausgaben gewonnen, und andererseits eine größere Elastizität der Anbindung des Monte Vecchio an die wirtschaftliche Entwicklung gewährleistet. Eine Tatsache, die für die zunehmend an die Kasse der Kommune gebundene Getreidekasse u. U. einen großen Vorteil darstellen konnte - sofern dieses Verfahren der gegenseitigen Absicherung wieder in Kraft gesetzt werden sollte.
Dies allerdings nur unter der Voraussetzung, dass die Rückzahlung der Zwangsanleihen nicht mit zu viel Schwung in Angriff genommen wurde. Genau das aber geschah angesichts des bevorstehenden Krieges gegen Genua: die Camera Comunis hatte ihre Kassen geleert, indem sie nicht 0,5 oder 1 % zurückzahlte, sondern volle 4 %. Da nun aber schwierige Aufgaben bevorstanden und die Kasse eben leer war, nahm man Kredite im Umfang von 6000 Dukaten auf, zwei Monate später in Höhe von 10 000. Zusammen mit dem letzteren Beschluß entschied die Rogadia, monatlich 3000 libra an die Kreditgeber zurückzuzahlen.
All dies geschah schon unter dem Damoklesschwert eines abermaligen Krieges gegen Genua, denn mit Genuesen war es 1348, aber besonders um die Jahreswende 1349/50 zu schweren Reibereien v. a. im Schwarzen Meer gekommen. In Venedig muss den Senatoren klar gewesen sein, dass ein zukünftiger Krieg nicht mit den laufenden Einnahmen finanzierbar sein würde. Das hatten alle früheren Kriege seit dem Kampf gegen Kaiser Manuel I. (ab 1171) gezeigt. Auch Kredite oder die Belastung der Getreidekasse würden nicht ausreichen.
Inzwischen setzte sich nach langen Auseinandersetzungen die Partei der Kriegsbefürworter unter Führung von Pietro Zane durch. Seine Familie war im Schwarzmeerhandel engagiert und auch in der Levante. Offenbar war sie in Venedig selbst fast ohne Besitz. Von einer Erneuerung der früheren Zwangsanleihen waren im Kriegsfall für seine Familie keine nennenswerten Belastungen zu erwarten. Tatsächlich setzte seine Partei nach fünf Abstimmungen durch, dass der Krieg beschlossen und die nötigen Vorbereitungen unter Zuhilfenahme der Mittel des Monte Vecchio getroffen wurden. Am 1. September erfolgte der erste Beschluß zur Aufnahme einer Reihe von Zwangsanleihen. Daneben erfolgten Zollerhöhungen, wie mittlerweile bei jedem Krieg, wobei allerdings die verschiedenen Interessengruppen noch wesentlich härter aufeinander prallten und dabei den Großen Rat gegen die Rogadia auszuspielen versuchten. Erstmals wird die Schärfe der patrizischen Interessenpolitik voll greifbar.
Dies zeigte sich auch darin, dass offenbar viele Venezianer ihr Vermögen ins nahe gelegene Ausland, namentlich in die Mark Treviso, die Lombardei, in die Mark Ancona, die Romagna, ins Friaul, sowie nach Istrien und Dalmatien transferiert hatten und so versuchten, der Verpflichtung zur duodena und insbesondere zur Zwangsanleihe zu entgehen. Am 28. August 1350, im ersten Jahr des dritten Genuesenkrieges, wurden infolgedessen alle Auslandsvenezianer dieser Regionen aufgefordert, sich bei den dortigen Rektoren und Konsuln zu melden, um ihren Verpflichtungen nachzukommen. Schließlich, wie die Begründung lautete, "postquam nostre civilitatis comoda sentiunt, sentiant et onera". Nach den in Kriegsfällen üblichen Zollerhöhungen, die die Konsumenten bis an die Grenze des tragbaren belasteten und einem Bündnis mit Aragòn, das die Republik die Riesensumme von mindestens 223 200 fiorini kostete, waren die Möglichkeiten der Geldbeschaffung nahezu erschöpft. Um die Löcher notdürftig zu stopfen, versuchte die Mehrheit der Senatoren auch die Großhändler zur Deckung der Kriegskosten heranzuziehen. Dagegen sträubte sich mit zunehmendem Erfolg die Opposition unter Führung von Pietro Zane, so dass weitere Zollerhöhungen erfolgten, gepaart mit Preiserhöhungen z. B. beim kommunalen Salz- und Weinverkauf. Die Zoll- und Preiserhöhungen scheinen die entsprechenden Marktsegmente weitgehend ausgetrocknet zu haben, die Einnahmen waren stark rückläufig. Die nun von der Rogadia unterbreiteten Vorschläge, wie die Halbierung der Gehälter fast aller höheren Magistrate, war kaum mehr durchzusetzen und wurde stark abgeschwächt und verwässert. Eingeklemmt zwischen ständig wachsendem Defizit, einer durch überhöhte Zölle kollabierenden Wirtschaft und einer Opposition, die lieber Konsumenten und Wirtschaft aufs schwerste belastete, als auf Privilegien und ökonomische Vorteile wenigstens für die Dauer des Krieges zu verzichten, machte die Rogadia noch Kompromisse, während die Opposition im Großen Rat bereits in der Mehrheit war.
In diesem Moment machte die Rogadia den geradezu revolutionären Vorschlag, auf alle Waren der letzten muda einen Zoll von 3 % des Wertes ("libras tres pro centenario de valore ipso") zu erheben. Damit wurden erstmals die Waren des großen Fernhandels mit nennenswerten Zöllen belastet. Bei einer Entscheidung mit 51 zu 17 für die Vorlage, blieb dem unterlegenen Kreis der Oppositionellen nur der Auszug aus der Rogadia und der Umweg über den Großen Rat, wollten sie diese grundlegende Neuerung verhindern. Bei der unmittelbar folgenden Senatsabstimmung über eine 1,5 bis 2 %ige Belastung der in die Levante aufbrechenden mude, fehlten 16 Senatoren ... Alle Bemühungen "de reconciliando illos qui se absentarunt pro solis galearum nostrarum" scheiterten.
Mit Hilfe des Großen Rates gelang es der Opposition, die Rogadia auszuhebeln. Das Consilium beschloss, einen Rat der XXV einzusetzen, dem alle wichtigen Kompetenzen im Zusammenhang mit dem laufenden Krieg übertragen wurden. Und es gelang der Opposition, allen voran Pietro Zane, Nicolò Volpe, Bertuccio Grimani, Stefano Marioni und Stefano Bellegno, sich in dieses Gremium wählen zu lassen. - Damit war die Rogadia kaltgestellt. Besonders deutlich wurde dies vorgeführt, als diesem Gremium, bzw. den von diesem gewählten Weisen seitens des Großen Rates die Berechtigung abgesprochen wurde, den Vorschlag zu unterbreiten, unter entsprechender Abgabenbelastung auch wieder Ausländer im venezianischen Handel zuzulassen.
Mit dem Scheitern der Rogadia an der Majorität des Patriziats im Großen Rat war unmittelbar die Frage verbunden, wie die Camera frumenti nun die Händler bezahlen sollte, die in großer Zahl wieder ihr Korn anbieten würden. Da weder die Camera Comunis durch die Zölle auf Fernhandelswaren zu Geld gekommen war, noch genügend Geld aus dem Monte Vecchio verliehen werden konnte, musste sich die Getreidekammer an private Geldgeber wenden. Die Rogadia gestattete der Kammer, eine freiwillige Anleihe über 20 000 Dukaten zu einem Zinssatz von 4 % auszuschreiben.
War damit das Ende der "Vernetzung" zwischen den verschiedenen kommunalen Kassen erreicht? Es spricht einiges dafür. Das weiter oben ausgeführte "System" des Geldtransfers zwischen Camera frumenti und Camera Comunis, zwischen Zoll- und Anleihegeldern auf der einen Seite und Einnahmen aus dem Getreideverkauf auf der anderen, zwischen Außenwirtschaftsgewinnen hier und Konsumtionsgewinnen dort, konnte nur solange funktionieren, wie beide "Kassen" durch regelmäßige Einnahmen gefüllt und auf der anderen Seite nicht durch ständige Aderlässe geschwächt wurden. Genau diese beiden Möglichkeiten aber traten um 1351 ein. Die venezianische Wirtschaft geriet in eine lange Krise, gekennzeichnet durch Abwanderung von Facharbeitern, Rückgang der venezianischen Industrien, rückläufige Zolleinnahmen aus dem Überseehandel. Daneben verlangte der dritte Krieg gegen Genua große Geldmittel, die nun nicht mehr für die Getreidekammer zur Verfügung standen.
Die innen- und außenpolitischen Auseinandersetzungen hinterließen auf dem Markt für Anleihen tiefe Spuren. Noch 1350 hatte ihr Marktwert bei 99 % des Emissionswertes gelegen, fiel nun aber rapide. Dabei war das Verhältnis von Spekulation, Vertrauen in die Stabilität, bzw. Furcht vor Einbrüchen am Markt und tatsächlichem Wert der Anleihescheine durchaus im öffentlichen Bewusstsein. So fiel der Marktwert auf ganze 76 %, während Zahl und Höhe der Anleihen hochschnellten. Am 3. April erfolgte eine Anleihe zu 2 %, am 31. Juli zu 3 %, am 6. November wiederum zu 3 %, am 10. April 1352 abermals zu 3 % - allesamt für den Genuesenkrieg. Da die folgenden Monate außenpolitisch eher ruhig verliefen, wurden die Anleihen vermindert: 2 % für die "solutione hominum galearum" am 4. November.
1353 blieb es nicht so ruhig. Der Rat der XXV war in vielen seiner Funktionen von einem neuen Gremium, einem (neuen) Rat der XXX abgelöst worden, womit die Rogadia abermals abgedrängt werden konnte. Gleichzeitig stiegen die Quoten der neuen Anleihen auf 4 %, die Kredite bei Privaten nahmen zu und der Termin für die zweite Anleihe wurde von Oktober auf Juli vorverlegt. Die schwere Niederlage von Portolongo gegen die genuesische Flotte änderte an dem Bild der zunehmenden Staatsschuld nur wenig: 3 % am 17. August 1354, 3 % am 4. November. Insgesamt 53 % des beleihbaren Vermögens in den Jahren von 1345 bis 1354.
Alle Rückzahlungen mussten zeitweise eingestellt werden, die Prokuratoren von S. Marco erhielten Anweisungen, kommunal verwaltete Immobilien - z. B. kirchlicher Einrichtungen - zu verkaufen - und was in diesem Moment vielleicht noch gravierender war, auch gegen Anleihescheine. Rasch verfiel ihr Wert bis er bei 68% den Tiefpunkt erreichte.
Wenn die Anleihekammer alle Hände voll zu tun hatte, so musste dies nicht bedeuten, dass auch die Camera frumenti unter Geldmangel litt. Im Gegenteil, die Pestverluste "ersparten" ihr im Jahre 1349 so viele Ausgaben, dass es in diesem Jahr nur lakonisch heißt, die "Camera frumenti presentialiter satis bene sit furnita pecunia ..."
Dies änderte sich schnell im Laufe des 3. Genuesenkriegs (1350-1355) und insbesondere durch den Aufstand der kretischen milites (1363-1365). Der Große Rat übertrug 1364 dem Dogen und seinen Räten, sowie fünf Weisen (Savi) die Regelung der finanziellen Schwierigkeiten, die durch diese Kriege entstanden waren, und bald zu einer schweren Finanzkrise führten.
Die engen Zusammenhänge zwischen der Partei des "Protektionismus" und der Kriegspartei unter Führung des Marino Falier, der versuchte die Adelsrepublik umzustürzen und eine Vorherrschaft der Levantehändler gegenüber der "Partei des wirtschaftlich liberaler denkenden Adels" zu installieren, können hier nicht dargestellt werden. Für unsere Fragestellung sind diese inneren Erschütterungen der Oligarchie nur die Begleitmusik zur allgemeinen äußeren und inneren Krise. Ein Interesse, an dem Prinzip einer Vorherrschaft des Adels und des Ausschlusses aller anderen Gesellschaftskreise aus dem politischen Bereich und aus großen Teilen der Wirtschaft, etwas zu ändern, bestand weder auf der einen, noch auf der anderen Seite.
Mit dem Ende der Verschwörung und der Rückkehr des für Venezianer wie Genuesen so bitter nötigen Friedens, stellte sich auch - wie jedes Jahr - die Frage nach der Finanzierung der anstehenden Getreidekäufe. Mit neuen Überlegungen sollten die zukünftigen Aufgaben nach den schweren Verlusten durch den 5-jährigen Krieg angepackt werden, denn "bonum sit anticipare tempus", wie es in einem Beschluß der Rogadia vom 16. Juni 1355 heißt. Anticipare konnte für die Getreideherren angesichts leerer Kassen und des zerbrochenen Nexus' zwischen der Camera Comunis und der Camera frumenti nur bedeuten, dass sie ihre Käufe durch Kredite finanzierten. Bereits am 19. Mai 1355 wurde ihnen gestattet, Kredite bis zu einer Höhe von 50 000 Dukaten aufzunehmen. Nebenbei bemerkt, wird es seinen Grund in der nun einsetzenden unsystematischen, ja geradezu chaotischen Abfolge von riskanten Kreditaufnahmen haben, dass die später zur Überprüfung des Finanzgebarens eingesetzten Provveditori alle biave ihre Untersuchungen genau bis zu diesem Zeitpunkt (1355-65) nach rückwärts erstrecken sollten.
Gleichzeitig mit den gewaltigen Kreditaufnahmen und der fortdauernden politischen Vorherrschaft der gegenüber ausländischem und nichtadligem Kapital eingestellten Kreise, verminderte die Politik der an einem venezianischen Handelsmonopol interessierten "Protektionisten" die Erhöhung des Handelsvolumens ausländischer Unternehmer durch die Wiedereinführung einer umstrittenen Abgabe am Fondaco dei Tedeschi. Symptomatisch ist das Verbot von Seidenimporten von jenseits der Alpen gelegenen Gebieten her, und der hohe Einfuhrzoll, den man Importeuren aus Oberitalien abverlangte. Auch in anderer Beziehung setzten sich abermals die großen Fernhändler durch, die ihre Schiffskonvois in die Levante schickten. Sie ließen diese Konvois wieder von jeder Abgabe befreien und hielten weiterhin die ausländische Konkurrenz vom venezianischen Markt fern. Dass damit Kredite nicht billiger wurden, da kein Kapital von auswärts einströmte, liegt auf der Hand. Damit aber erreichte die Verschuldung der Getreidekammer schwindelerregende Höhen.
Die Getreideherren sahen sich gezwungen, sich von der Rogadia erneut Kreditaufnahmen genehmigen zu lassen. Am 28. Dezember 1355 erfolgte diese Genehmigung im Umfang von 40 000 und am 13. März des folgenden Jahres nochmals im Umfang von 10 000 Dukaten - und falls nötig auch mehr. So hatte die Getreidekammer innerhalb von knapp 10 Monaten zwischen dem 19. Mai 1355 und dem 13. März 1356 insgesamt über 100 000 Dukaten an Krediten aufgenommen (für die gleiche Summe wurde zwei Jahre später Zara gekauft!). Selbst unter der optimistischen Annahme, dass die Stadt nach den großen Aderlässen der Pest von 1348 wieder 80 000 Einwohner hatte, dürfte deren Konsum an Getreide vielleicht bei 200 000 star pro Jahr gelegen haben. Selbst unter der ebenso optimistischen Annahme, dass alles zu Höchstpreisen, also zu 20 solidi/star gekauft und bezahlt wurde, entsprach dies einer Gesamteinnahme von 200 000 libra parvorum. Bei einem Wechselkurs von 1:32 zwischen piccolo und grosso nahm die Kammer also 6250 libra grossorum oder 62 500 Dukaten ein. An vollständige Tilgung der Schulden war unter diesen Umständen überhaupt nicht zu denken. Um einen Vergleich heranzuziehen: 1362 stellte die Rogadia fest, dass unter den venezianischen Kolonien nur die Salzgewinnung von Chioggia wirklich gewinnbringend sei, denn sie brachte pro Jahr 25 bis 30 000 Dukaten ein.
Trotz all dieser Neubelastungen konnten durch die Beendigung des Krieges Erleichterungen für die Käufer von Anleihescheinen durchgesetzt werden. So durften fortan wieder die Anleihequoten geändert werden. Außerdem wurden diejenigen, die vor der Eintreibung geflohen waren, von der Verpflichtung befreit, alle inzwischen angefallenen Anleihen nachzuzahlen. Gleichzeitig wurde eine neue Münze für die Kolonien in der Romania geprägt, die 3 bis 4000 Dukaten Reingewinn in die venezianische Staatskasse brachte - auf Kosten der Kolonialgebiete.
Nie zuvor war die Getreidekammer in einem solchen Ausmaß von Zuschüssen kommunaler Kassen abgeschnitten worden und gleichzeitig auf Kredite privater Investoren angewiesen. Behält man dabei im Hinterkopf, dass diese Investoren praktisch nur Venezianer sein konnten und hierfür hohe Kreditzinsen anfielen, so kann man mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit annehmen, dass die selben Leute, die die protektionistische Politik verfolgten, auch diejenigen waren, die Profite aus dem Getreidegeschäft schlugen. Dabei waren Kredite in Venedig wesentlich teurer als im benachbarten Ausland. Verlangte man dort kaum mehr als 10 oder 12 %, so waren es in Venedig zwischen 25 und 40 %, zuweilen sogar mehr. So wurde am 27. November 1356 im Großen Rat der Vorschlag gemacht, den rechtmäßigen Zinssatz auf 10 % für Anleihescheine gegen Pfandhergabe (prestiti su pegno) und auf 12 % für Obligationen per scrittura, also durch bloße Eintragung, zu beschränken - der Große Rat lehnte ab.
Schon Anfang 1356 war es mit der äußeren Ruhe wieder vorbei. Nun begann der Krieg gegen Ungarn, der für die Republik von S. Marco tiefgreifende Folgen haben sollte. Wieder gelang es den Monopolisten des Levante-Handels, die Rogadia mit Hilfe des Großen Rates und eines erneut kreierten Rates der XXV auszuschalten.
Aber 1358 trat die entscheidende Wende ein: Ausländer wurden, mit wenigen Einschränkungen, wieder auf dem venezianischen Markt zugelassen. Aber die Gruppe der "Protektionisten" konnte sich 1360 abermals durchsetzen - viele der mittlerweile ansässig gewordenen Ausländer flohen. Noch einmal flammten die Parteienkämpfe in den Gremien auf.
Das unüberschaubare Finanzgebaren der großen Magistraturen, wie der Salz- und Getreidekammer, wurde schärferer staatlicher Kontrolle unterworfen, das Officium super rationibus Comunis bestätigt, weil es "utiliter et bene respondevit". Ende 1359 beschwerte man sich, dass ein großer Teil der Magistrate niemals regelmäßig die Abrechnungen aus seiner Amtszeit vorgelegt habe. Eine Reihe kleinerer Maßnahmen sollte das Rechnungswesen der Camera frumenti neuregeln. Neben der Aufsicht über die Rechnungsführung der Camera Comunis stand den Officiales super rationibus Comunis auch die Aufsicht über die öffentliche Schuld und die Rückzahlung der Anleihen zu - also die Aufsicht über den Monte Vecchio. Gleichzeitig wurde die Institution zu einer Dauereinrichtung gemacht. Es ist nur schwer vorstellbar, wie eine mittelalterliche Institution einer solchen Aufgabe, sämtliche "rationes ambaxatorum, provisorum, rectorum, notariorum et nunciorum et aliarum quarumlibet personarum quocumque missarum et mittendarum per Dominium extra Venecias, que habuerint expendere pecuniam Comunis" prüfen sollte und "similiter rationes Camere Comunis, salinarum maris, offici dacii vini, pagatorum armamenti, officialium frumenti et patronorum arsenatus."
Während die Monopolisten des Levantehandels noch einmal versuchten das Ruder herumzureißen, brach die Zahlungsmoral, vor allem des Adels, zusammen. Besonders schwer betroffen war die Camera frumenti, die in diesen wenigen, außenpolitisch ruhigen Jahren die einzige Institution war, die den Einwohnern Venedigs Geld abverlangte. Der Zorn, der im Großen Rat geäußert wurde, spiegelt sich in einem der Beschlüsse wider, die sich sonst durch sachlichen Ton auszeichnen:
"Cum denarii de frumento, quod datur per contratas, per aliquos non bene solvantur, quod procedit maxime ista de causa, quia aliqui nostri nobiles, non timentes penas appositas super hoc, dilatant huiusmodi soluciones, et alii, videntes sic, non curant etiam ipsi solvere:
Vadit pars, ut detur causa nostris nobilibus antedictis, qui debent esse regula et exemplum ceteris benefaciendi, quod faciant id quod debent, quod committatur capitibus sexteriorum quod sub debito sacramenti teneantur et debeant infra tres dies, postquam caduti fuerint missi eis, notificare omnibus et singulis de Maiori Consilio quod solvant id quod debent infra octo dies proximos. Et omnes illos, qui infra dictos octo dies non solverint, dare debeant ipsi Capita sexteriorum, statim elapso termino, in scriptis Domino et Consiliariis. Et Dominus ac Consiliarii teneantur in primo Maiori Consilio, quod fiet, facere eos stridari et publice legi in Maiori Consilio. Et a die, qua lecti et stridati ibi erunt, non possint habere aliquod officium vel regimen Comunis Venetiarum intus vel extra, nec esse de Maiori Consilio, donec plene solverint id quod deberent, remanentibus nichilominus firmis contra eos aliis penis statutis super hoc tam ad officiales Capitum sexteriorum, quam alibi."
Die Gravamina wurden also diesmal klar und deutlich beim Namen genannt: Für das bereits verteilte Korn liefen die Bezahlungen von Seiten des Adels trotz harter Strafen nur zögerlich, z. T. gar nicht ein. Andere, denen der Erfolg solcher Verzögerungstaktik nicht verborgen blieb, verweigerten die Bezahlung ganz. Um dieses schlechte Vorbild zu beseitigen, sollten die immer noch Säumigen registriert (und zwar von den Vorstehern der Stadtsechstel, nicht mehr der Pfarrsprengel), öffentlich verlesen und von allen Ämtern bis zur Begleichung der Schuld ausgeschlossen werden. Vor dem Hintergrund der schlechten Wirtschaftslage war es aber sicherlich nicht nur der Adel, der sich weigerte, überfällige Zahlungen zu leisten, oder diese hinauszögerte, obwohl gerade er Vorbild sein sollte.
Acht Tage nach dieser scharfen "Standpauke" an den eigenen Stand, und einer an Schärfe bisher nicht erreichten Strafandrohung, musste die Camera frumenti neue Kredite in Höhe von 45 000 Dukaten aufnehmen, um Weizen kaufen zu können. Weitere 15 000 wurden für blada aufgenommen. Nach gut einem weiteren Jahr fürchtete man, dass allein die Lasten, die durch die Getreidekammer auf die Gesamteinnahmen der Kommune zukamen, so gewaltig seien, "quod introitus nostri nunquam poterunt respirare". Wie oftmals in Situationen, in denen so leicht keine Lösung gefunden werden konnte, setzte die Rogadia eine dreiköpfige Kommission von Sapientes ein, die Mittel und Wege finden sollte, zu einer Regelung des "Haushaltes" zu kommen "cum quam minori damno et maiori avantagio Comunis fieri possit ... Intelligendo quod non possint aliquid ponere, quod pertineret ad restringendum libertatem emendi et recuperandi bladum".
Noch im selben Jahr 1362 wurde erstmals in der Rogadia eine Berechnung der durch den Getreideverkauf in Treviso entstehenden Nebenkosten schriftlich abgefasst, denn dort konnten 450 libra parvorum eingespart werden. Mehr kam bei den Bemühungen um greifbare Einsparungen nicht heraus. Eine angesichts des Gesamtbedarfs geradezu lächerliche Summe.
Anfang 1363 wurde festgestellt, "Quia ad officium Capitum sexteriorum, sicut notorium esse potest, quamplures falliti pro frumento Comunis dato per contractas, et continue datur, reperiuntur, quod ascendit ad magnam sumam peccunie ... Vadit pars, pro bono nostri Comunis, ut scribe dicti officii sint magis solliciti et attenti ad investigandum et sentiendum per contractas, si custodes dicti officii exigerunt et designant peccuniam de dicto frumento habitam, tam temporis ellapsi quam presentis et futuri, prout tenentur et debent, quod, sicut scribe predicti habent unum denarium pro quolibet, pro quolibet stario frumenti, sic habere debeant duos denarios pro quolibet ipsorum pro stario. Et sic consulunt Provisores Comunis, qui dicta negocia examinaverunt, et Capita sexteriorum predicta," und außerdem, "quod custodes dicti officii vel alii, quibus committetur per Capita sexteriorum, de omni quantitate frumenti Comunis dati per contractas a duobus annis supra, pro quibus frumentis exigent pecuniam debitam, habere debeant de eo, quod exigerint, partem, que propterea debet devenire in Comune, que pars est denar. XVI pro quolibet stario."
Mittels Prämien sollte die gegenseitige Kontrolle und die Motivation der unteren Chargen verbessert werden. Dabei erhielten allein die Schreiber 2 denar, die custodes 16 denar pro star, wenn es ihnen gelang Rückstände der letzten beiden Jahre einzutreiben. Das bedeutete, dass allein ca. 5 % des Verkaufspreises durch Prämienzahlungen verloren gingen.
1363 endlich wurden die Voraussetzungen für eine Wiederbelebung der venezianischen Wirtschaft geschaffen. Mit knapper Mehrheit wurde ausländisches Kapital wieder zugelassen. Allerdings durften diese Ausländer, die in Venedig zu wohnen hatten, nicht mehr Geld in Geschäfte investieren, als sie an Anleihen gezeichnet hatten. Eine Parallele zur Behandlung der Levante-Monopolisten (für diese hatte eine ähnliche Regelung gegolten) sowie der Bankiers, die bisher keine Beachtung gefunden zu haben scheint.
Daneben wurde das Anleihensystem reformiert und Zahl und Höhe der Anleihen vermindert. Auch die Depositen bei den Prokuratoren von S. Marco konnten zum Teil verflüssigt und in Anleihen investiert werden.
Ansonsten verursachten nach wie vor schleppende Zahlungen, Betrug, Unterschlagung und zunehmende Repressalien ständig steigende Kosten, zu deren Ursachen offenbar nicht zum geringsten zählte, dass die Vorgänge innerhalb der Camera frumenti kaum noch durchschaubar waren. Geldmangel wurde nur noch durch ständig sich wiederholende Kreditaufnahmen bei privaten Investoren ausgeglichen und so bei ständig steigendem Defizit von Jahr zu Jahr fortgeschleppt.
Nach Überwindung der bis dato schwersten Wirtschaftskrise erholten sich die Anleihescheine und erreichten im Juli 1368 mit 96 % ihren Höhepunkt, und trotz des Krieges gegen die Carrara hielten sie sich um 92,5 %. Auch die Getreidekammer erfreute sich für kurze Zeit großer finanzieller Reserven, denn sie konnte den Kauf der Insel Tenedos am Eingang zu den Dardanellen finanzieren, d. h. sie brachte zusätzlich zu ihren sonstigen Verpflichtungen 25 000 Dukaten auf. Diese relative Stabilität ist insbesondere angesichts der Tatsache erstaunlich, dass Venedig in diesen Jahrzehnten mit einer ungeheuren Häufung von Rückschlägen und schweren Niederlagen zu kämpfen hatte. Nicht nur, dass die Genuesen, denen neben dem alaunreichen Foça 1346 Chios, 1355 Lesbos zufiel, einen Erfolg nach dem anderen feiern konnten. 1358 ging nach fast einem Drittel Jahrtausend venezianischer Herrschaft auch Dalmatien an Ungarn verloren und der Aufstand der kretischen milites (1363-65) erschütterte das Kolonialsystem der Serenissima bis in seine Grundmauern. Gleichzeitig ließ sich die Serenissima auf einen kostspieligen und harten Kampf mit den Carrara von Padua ein - alles in allem eine Anspannung von Kräften, die eine geregelte Alimentation erzwang, um wenigstens Ruhe im Innern zu bewahren, andererseits schier unlösbare Probleme verursachte.
Am 6. Juli 1365 setzte der Große Rat drei Proveditores blavis ein, um das Gebaren der Domini frumenti im Verlaufe der letzten zehn Jahre zu überprüfen, dabei die Gesamtausgaben und die Außenstände zu schätzen und möglichst noch einzutreiben. Für die Zukunft sollten sie die Leitung der Camera übernehmen, die Versorgung besser regulieren, die Depositen überprüfen und überwachen, die Zahlungseingänge rigoros kontrollieren und Missbräuche ausmerzen. Angesichts des Chaos', aus dem weder Getreideherren noch eingesetzte Kommissionen einen gangbaren Ausweg gefunden hatten, eine anspruchsvolle Aufgabe. Dabei scheint das erste Anliegen die Überprüfung der Rechnungsführung gewesen zu sein, die 10 Jahre rückwirkend erfolgen sollte. Kein Zufall, denn seit diesem Zeitpunkt (1355) war es zu einer Vielzahl von kreditären Belastungen der Camera frumenti gekommen, die schließlich zum Kollaps der Institution geführt und den "Staatshaushalt" schwer in Mitleidenschaft gezogen hatte. Einen "Staatshaushalt", der angesichts der Kosten, die die Kriege gegen Genua (1350-55), Ungarn (1356-58) und der große Aufstand der feudatores von Kreta (1363-65) verursachten, schneller Entlastung bedurfte.
Die neue Leitung sah sich neben der Wiederherstellung der Zahlungsfähigkeit fast sofort vor weitere Probleme gestellt, denn Venedig - und das heißt immer zuerst und am stärksten die ärmeren Schichten - wurde von den drei furchtbaren Mangeljahren 1368-70 bedroht.
Allgemein stiegen auch nach 1370 weiterhin die Preise, so dass sich die Rogadia mehrfach mit den Getreidepreisen auseinandersetzen musste. Aber die Wirtschaftslage insgesamt scheint sich gebessert zu haben, und die Bereitschaft, ausländisches Kapital und ausländische Händler nicht nur als Konkurrenz, sondern als notwendig zu begreifen wuchs, denn man bemerkte immer deutlicher, dass "fortitudo et status civitatis est mercadantia, ad quam augendam vigilandam est summopere, et vita mercationis sit habere largitatem et non stricturam et quod habeat introytum et exitum, quibus deficentibus vel altero eorum deficit ipsa mercatio."
An diesen neuerlichen ökonomischen Aufschwung wurde die Getreidekammer diesmal in anderer Weise angebunden, als in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts. Damals hatte man versucht, die Kasse der Domini frumenti in gewisser Weise an die Zolleinnahmen der Camera Comunis zu koppeln. Ab 1374 versuchte die Rogadia nicht, die Getreidekammer wieder an kommunale Geldmittel zu binden (wie bis 1350), oder sie einem Kreditmarkt auszuliefern, der privilegierte venezianische Spekulanten anzog (wie bis 1374), sondern ihr im Rahmen einer Kredit- und Depositenwirtschaft größere Unabhängigkeit zu verschaffen. Das war nur möglich, weil spätestens mit dem Scheitern der letzten Machtkämpfe um die protektionistische Ausrichtung der venezianischen Wirtschaftspolitik (1372/73) wieder ausländisches Kapital zur Verfügung stand.
Nun konnte und musste die Getreidekammer einen umfangreichen Depositendienst anbieten - zu einem Zinssatz von 3 %. Damit konnte die Gewinnspanne anscheinend vor dem Hintergrund einer neuen Phase ökonomischer Expansion ohne weiteres die Kosten für Tilgung und Verzinsung decken. Andererseits zeigte der Zusammenbruch der Zancani-Bank (1375), dass der Kreditmarkt noch nicht flexibel genug war, eine so große Institution von so eminenter politischer Bedeutung mit hinreichenden Mitteln auszustatten.
Im Hintergrund ist jedoch zunächst die mediterrane Hungerkrise der Jahre 1373 und 1374 zu sehen, die es ungleich schwerer machte, genügend Getreide zu beschaffen. Nachdem es von Weihnachten bis Neujahr kaum geregnet hatte, folgten bis Juni ununterbrochene Regenfälle, die in weiten Teilen der Mittelmeerregion die Ernten vernichteten. Bei den Getreidekäufen musste nun, bei drastisch erhöhten Preisen doch auf kommunale Kredite zurückgegriffen werden. Für eine gewisse Zeit also überlappten sich noch Kredite bei kommunalen Kassen und die rein private Geldbewirtschaftung, was anfangs noch zu Schwierigkeiten führte.
So wie man versuchte, die Getreidekammer gewissermaßen "auf eigene Beine zu stellen", so versuchte man, die Anleiherückzahlung wieder in geordnete Bahnen zu lenken und so das Vertrauen wieder herzustellen. Zu diesem Zweck wurde sowohl die Camera imprestitorum, als auch die Getreidekammer verstärkt der Aufsicht der Officiales super rationibus Comunis unterstellt.
Aber die Anleihekammer wurde Mitte 1376, nachdem es zu kriegerischen Auseinandersetzungen mit den Habsburgern um einige Orte im Friaul gekommen war, abermals angewiesen, hohe Anleihen von jeweils 3 % des Vermögens aufzunehmen. Die außenpolitische Lage, die sich im Laufe der späten 70er Jahre zuspitzte und schließlich in den mörderischen Chioggia-Krieg gegen Genua mündete, erzwang nach wenigen Jahren neue Rückgriffe auf das auf Dauer untragbare System ständiger Zwangsanleihen. Am 15. Dezember 1377 waren es noch 3 %, am 12. Mai 1378 bereits 4 %, am 23. September gleichfalls 4 %, ebenso wie am 5. Dezember 1378 und am 12. Mai 1379, sowie im Dezember des selben Jahres. Am 12. April 1380 wurde neben diesen 4 % allein weitere 2 % für die Camera frumenti aufgenommen, am 11. September gar 6 % in einer Gesamthöhe von 25 000 Dukaten. Am 20. November wurden abermals 1 % des Vermögens der Anleihepflichtigen zugunsten der Getreidekammer eingezogen. Noch am 10. Januar und am 23. März, sowie am 16. Juli und 27. November 1377, dann am 13. April 1378 und am 14. Jan. 1379 waren parallel dazu private Kredite aufgenommen worden. Aber 1380, auf dem Tiefpunkt des Vertrauens in die kommunale Zahlungsfähigkeit, reichte die Zahl der Kreditgeber nicht mehr aus. Das System der Finanzierung durch Kredite brach endgültig zusammen.
Tab. 2.4: Die Vermögensverteilung nach dem catasto von 1379/80Vermögen in Lire a grossi |
Adlige | Popolanen | zusammen |
---|---|---|---|
300-1.000 | 431 | 541 | 972 |
1.000-3.000 | 386 | 214 | 600 |
3.000-5.000 | 145 | 88 | 233 |
5.000-10.000 | 158 | 48 | 216 |
10.000-20.000 | 66 | 20 | 86 |
20.000-35.000 | 20 | 5 | 25 |
35.000-50.000 | 4 | 1 | 5 |
> 50.000 | 1 | 0 | 1 |
zusammen | 1211 | 917 | 2128 |
Auf der Basis eines neuen catasto erfasste man alle Anleihepflichtigen, von denen es nur gut zweitausend gab. Ungefähr vier von neun waren dabei der untersten Kategorie zuzurechnen. Nimmt man die beiden untersten zusammen, so gehörten ihr bereits drei von vier an. Der Anteil der politisch bevorrechteten Adligen lag in den höheren Gruppen über demjenigen der Popolanen, ohne dass man, wie Luzzatto zurecht anmerkt (132), von einer Plutokratie sprechen kann. Etwa 120 Familien lagen über 10 000 lire, von denen nur etwa ein Fünftel von reichen Popolanen gebildet wurde.
Die ständigen Anleihen in Verbindung mit immer größeren Schwierigkeiten bei der Einziehung führten angesichts der katastrophalen Kriegslage zur Überspannung ihrer "Finanzkraft". Die Umklammerung durch die Flotte Genuas, die fast schon in die Stadt selbst eingedrungen war, sich lange Zeit Chioggias bemächtigte und den Außenhandel abwürgte, führte fast zum Zusammenbruch des Systems. Nachdem 1380 bereits der piccolo drastisch abgewertet worden war (von 1:32 auf 1:43 im Verhältnis zum grosso), erreichte im Mai 1381 die Finanzkrise ihren Höhepunkt, als die Anleihescheine erst auf 33, dann auf ganze 19 % abstürzten, die Anleihen gleichzeitig einen Wert von 44 % des Vermögens erreichten. Insgesamt betrug die Höhe der Anleihen zwischen 1377 und 1381 volle 107 %. Selbst unter der realistischen Annahme, dass das geschätzte Vermögen im Durchschnitt nur ein Viertel des tatsächlichen Gesamtwertes der Vermögen betrug, heißt dies, dass annähernd 30 % des Vermögens praktisch unverzinst und auf unabsehbare Zeit in der Staatskasse verschwanden. Dabei sind die Militärabgaben, sowie der Zusammenbruch des Außenhandels kaum zu quantifizieren. Um die endgültig nicht mehr Zahlungsfähigen zu entlasten, wurde etwa einem Drittel der Anleihepflichtigen erlaubt, statt zu 100 % Anleihen zu erwerben, nur 40 % dieser Summe a fondo perduto zu überantworten. Konnten sie trotzdem nicht zahlen, so wurde den Insolventen (caduti) ihr mobiler und immobiler Besitz enteignet. Tatsächlich ging der Senat am 18. Mai 1381 davon aus, dass der Gesamtestimo der Stadt von 6 auf 4,5 Millionen lire zu reduzieren war, d. h. dass mindestens ein Viertel des Vermögens der Stadt als verloren galt.
Der riesige Schuldenberg, der sich im Verlaufe des Krieges allein durch Getreidekäufe angehäuft hatte, wurde durch eine rücksichtslose Ausnutzung des Salzmonopols, dessen Preis von 15-22 auf 25 Dukaten pro moggio erhöht wurde, wieder ausgeglichen. Die Preise beim Verkauf von Getreide innerhalb Venedigs wurden dermaßen hoch angesetzt, dass es in einem Brief heißt "quantitas magna farine et bladi est in fonticis, ubi venditur, et quasi nihil de ipsa venditur, pulcrior est ad decem lib. star; nec tamen expeditur." Ob es angesichts dieser Situation klug war, den Händlern über die sonst üblichen Zahlungen hinaus auch noch weitere vier piccoli pro star aufzubürden, zu zahlen an die Fonticarii, sei dahingestellt.
Der schwerste Krieg, den Venedig jemals geführt hatte, seit es den Sarazenen im Jahre 860 gelungen war, mit einer Flotte in die Lagune einzudringen, hatte die staatliche Geldpolitik restlos durcheinander gebracht. Die Schröpfung aller Gesellschaftsschichten durch Anleihen einerseits und Verbrauchszölle, Abwertungen, sowie Preiserhöhungen andererseits, hatte so gewaltige Ausmaße angenommen, dass nur noch passiver Widerstand und ein kompliziertes System von Verweigerung, Abwälzung und Betrug ein sinnvolles Gegengewicht gegen ein irrational gewordenes Finanzierungssystem darstellen konnten.
Nach dem Frieden von Turin (1381), stieg der Preis der Anleihen wieder auf bescheidene 40 %, hielt sich dann zehn Jahre lang zwischen 40 und 50 %, kletterte um die Jahrhundertwende immerhin auf 61 %. Die Staatsanleihen verloren so stark an Wert, dass kapitalstarke Spekulanten diese zu niedrigen Preisen erwerben konnten und dadurch, trotz herabgesetzter Verzinsung - die sich ja grundsätzlich auf den ursprünglichen Emissionswert bezog - 10 bis 15 % Gewinn machen konnten. Dies geschah trotz der Tatsache, dass mit dem Beschluß vom 11. Februar 1381 eine Gebühr von 1 % der Anleihesummen erhoben wurde, was einer Verminderung des Zinssatzes von 5 auf 4 % gleichkam. 1383 beschloss man eine verhältnismäßig bescheidene Anleihe von 0,5 % possessionum, aber von 2 % auf den Wareneingang - eine Anleihe, die vor dem Umschwung von 1363 gar nicht denkbar gewesen wäre.
Die langsam einsetzende Erholung erlaubte es Ende 1384, den Kauf von Korfu zu finanzieren. Trotzdem, oder gerade deshalb ging die Camera imprestitorum dazu über, Anleihescheine non enigrev, also solche, die bereits weiterverkauft worden waren, ab 1386 nur noch zu drei, schließlich ab 1433 nur noch zu zwei Prozent zu verzinsen. Im Jahre 1463 beschloss man, die capitali inigrev ebenfalls zu belasten, und zwar mit der decima.
Venedigs Wirtschaftsblüte wurde nach 1400 durch einen neuen Expansionsschub der türkischen Völker bedroht. Schon die Verlegung der osmanischen Hauptstadt aus dem kleinasiatischen Brussa (Bursa) ins thrakische Adrianopel (Edirne) und die erste Besetzung Salonikis ließen die Hauptstoßrichtung erkennen, die türkische Heere nach Konstantinopel und Bulgarien, Albanien und Serbien, ja bis Ungarn und bis ins Friaul führte - bis in Sichtweite vor Venedig. Gleichzeitig breitete sich die venezianische Herrschaft nach dem Tod Gian Galeazzo Viscontis von Mailand (1402) zügig in die Terraferma aus, und bereitete damit die spätere Schwerpunktverlagerung vom Überseehandel zur Agrarwirtschaft auf dem italienischen Festland vor.
Zunächst kletterte die Staatsschuld 1420 auf die Rekordhöhe von 8 850 000 Dukaten, zu deren Verminderung die Einnahmen aus der Terraferma kaum beitrugen, hingegen die Verminderung des Zinssatzes für die Staatsanleihen von 4-5 auf 1-1,5 % erheblich.
Tab. 2.5: Einnahmen Venedigs i. J. 1432 in lire a grossiGebiete | Einnahmen |
---|---|
Dominante (aus Zöllen und dem Stadtgebiet) | 613.750 |
Terraferma | 306.050 |
Romania | 180.000 |
zusammen | 1.099.800 |
Tab. 2.6a: Einnahmen und Kosten der Terraferma (1450-1500) in Dukaten, dazu die Differenz
um 1450 | 1464/9 | 1490 | 1500 |
317.000 | 230.000 | 331.000 | 329.000 |
128.000 | - | 128.000 | 92.000 |
229.000 | - | 203.000 | 238.000 |
1469 | 1500 |
616.000 | 616.000 |
(186.000) | 240.000 |
430.000 | (376.000) |
Tabelle 2. 5 belegt noch für das Jahr 1432, also immerhin ein Vierteljahrhundert nach dem Erwerb Veronas und anderer wichtiger Städte des Veneto, dass die Bedeutung der Region für das venezianische Finanzsystem noch erheblich geringer war, als diejenige des mittelmeerischen Fernhandels - wenn uns auch die Proportionen von 14 : 7 : 4 (613 750 : 306 050 : 180 000) zur Vorsicht mahnen sollte. Vielleicht deutet sie aber auch nur auf "Rundungen" hin, die trotzdem die Tatsachen nicht allzu sehr verzerren.
Nicht die Türken waren es zunächst, die das venezianische Finanzsystem fast sofort in neue Schwierigkeiten brachten, sondern die vier Kriege gegen Mailand (1421-54). In den Jahren 1425-27 erreichte die Gesamthöhe der Anleihen 59 % des beleihbaren Vermögens. Aber das war noch bei weitem nicht der Tiefpunkt. Zwischen 1431 und 1441 betrug diese Summe 288 %, d. h. durchschnittlich 26 % pro Jahr, mit einem Maximum von 39 %! In dieser Situation als Anleihepflichtiger ehrlich zu bleiben, wäre wohl einem wirtschaftlichen Selbstmord gleichgekommen, so dass wir annehmen müssen, dass die Diskrepanz zwischen tatsächlichem und deklariertem Vermögen wesentlich größer geworden sein muss, als noch z. Z. des Chioggia-Krieges. Dabei fiel nicht nur die Verzinsung von 5 auf 4, ja sogar auf 3 %, sondern der Marktwert der Papiere stürzte von 67 % (1425) auf 42 % (1431), ja auf 20 % (1440) des Emissionswertes. Nach 1445 wurde es normal, dass überhaupt die halbjährliche Rückzahlung nur noch einmal im Jahr vorgenommen wurde. Verständlicherweise wuchs der Widerstand gegen dieses hoffnungslose System, das für die Eigentümer "sichtbaren" Vermögens, und das waren vor allem die alten Familien mit ihrem Immobilienbesitz innerhalb der Stadt, besonders gefährlich wurde, während die "case nuove" ihr bewegliches und im Ausland oder den Kolonien befindliches Vermögen besser kaschieren konnten.
Weiter geschwächt wurde der Marktwert der Anleihescheine noch dadurch, dass ab 1433, wie bereits erwähnt, die Verzinsung der capitali non inigrev auf 2 % vermindert wurde, und die capitali inigrev, also noch nicht weiterverkaufte Anleihen, ab 1463 mit einer Abgabe belastet wurden.
Begleitet wurde diese katastrophale Situation durch Bankrotte, z. B. 1453 der Soranzo-Bank. Im gleichen Jahr wurde Francesco Sforza Herr von Mailand und Konstantinopel fiel in die Hände der Osmanen - ein wahrhaft schwarzes Jahr nicht nur für Venedigs Finanzwesen.
Obwohl 1433 massive Versuche einsetzten, durch eine neue Finanzorganisation die Situation wieder in den Griff zu bekommen, war noch keine Lösung in Sicht. Zwar gelang es den drei Governatori alle Entrate unter Federführung des Senates, die vielen Fäden der Finanzverwaltung zu bündeln. 1474 wurde ihre Zahl sogar auf vier erhöht und 1480 wurde ein Esattore, ja 1516 wurde abermals ein Governatore hinzugefügt. Sie erstatteten dem Senat (in dem sie selbst sogar das Wahlrecht besaßen) Bericht, überwachten das Finanzgebaren der Officia, überprüften deren Bücher, kassierten deren Einnahmen und überantworteten sie den Camerlenghi di Comun.
Aber mit rein organisatorischen Mitteln war die zunehmende Belastung der am Geldumlauf partizipierenden Kreise und ihrer Geldreserven durch den gleichzeitigen Kampf gegen die Osmanen im Osten und die Mailänder im Westen nicht auszugleichen. In dieser Situation griff der Senat nach der Eroberung Konstantinopels zwischen dem 6. und 8. Dezember 1453 zu tiefgreifenden Maßnahmen - Ironie der Geschichte, dass solche "Umstürze" - man denke nur an die Folgen der Massenverhaftung von 1171 - so eng mit der gehassten Stadt am Bosporus verbunden waren:
Alle Einnahmen, mit äußerst geringfügigen Ausnahmen, mussten für Kriegszwecke aufgewandt werden. Für ein Jahr wurden alle Saläre gestrichen, alle Mieter bzw. Pächter von Häusern und Läden zahlten einmalig die Hälfte ihrer Pacht, bzw. Miete in die Staatskasse, die Eigentümer ein Drittel dieser Einnahmen. Die Hälfte der Einnahmen aus Besitztümern auf dem Festland ging an den Staat, leisteten die Eigentümer hierfür Anleihen, ein Viertel. Die Juden zahlten eine Sonderabgabe von 16 000 Dukaten, Zölle und Abgaben wurden drastisch erhöht. Entscheidend war: Diesmal blieben viele der Bestimmungen, insbesondere diejenigen über direkte Abgaben, also direkte Steuern, in Kraft.
Trotzdem geriet die Camera imprestitorum, die 1453 mit der Amortisation bereits acht Jahre in Verzug geraten war, 1463 schon 13 Jahre, 1480 gar 21 Jahre in Verzug. Das System der Zwangsanleihen verschwand diesmal endgültig und machte einer direkten Besteuerung Platz, gegen die sich die führenden Familien der Stadt immer gesträubt hatten. Trotz der Friedensschlüsse mit den Mailändern (Lodi 1454) und den Osmanen (nach dem langen Krieg von 1463 bis 1479) kam es nicht mehr zu einer Rückkehr zum alten System.
Ab 1463 kristallisierten sich die neuen Regeln klar heraus: Ein deskriptiver und analytischer estimo aller Einnahmen und Einnahmequellen klärte die Vermögensverhältnisse, die Anleihe wurde zweimal jährlich eingezogen und verlor jeden Anschein einer Ausnahmeregelung. Ein ausschließlich zu diesem Zweck eingerichtetes Zehnmännergremium war für die Durchführung verantwortlich, so dass der nunmehr eingerichtete Monte Nuovo weniger instabil zu sein versprach als der Monte Vecchio.
Trotz der unübersehbaren Schwierigkeiten des Anleihesystems, war es für den "Haushalt" mehr als 250 Jahre lang unverzichtbar gewesen. Anleihen hatten, solange Rückzahlung und Verzinsung gewährleistet waren, für den Zeichnenden gegenüber anderen Investitionsformen mehrere Vorteile. Zum ersten brachten sie unter (fast) allen Umständen sicheren Zinsgewinn. Zum zweiten erforderten sie keinerlei Einsatz. Und zum dritten waren sie trotz des kirchlichen Zinsverbotes offenbar moralisch unumstritten. Eigene Geschäfte hingegen konnten - neben den genannten Schwierigkeiten - auch noch durch die Wahl in ein Amt - diese durfte nicht abgelehnt werden - auf lange Zeit verunmöglicht werden. Dies alles galt aber nur, solange die ökonomische Entwicklung durch ein Mindestmaß an Stabilität gekennzeichnet war. Hier sei nur angedeutet, dass der ökonomische Niedergang Oberitaliens insbesondere im 17. und 18. Jahrhundert genau auf dieser Transferierung von Kapital in die Landwirtschaft und in den öffentlichen Sektor hervorgerufen wurde. Das Anleihensystem mit seiner Benachteiligung "sichtbaren", also überprüfbaren immobilen Vermögens dürfte nicht unerheblich dazu beigetragen haben, Kapital, an dem es auch in der Neuzeit nicht mangelte, in den Handel und in private Investitionen zu drängen, wo sie besser kaschiert werden konnten. Mit dem Ende dieses Anleihensystems, zu dem die gewichtige Kasse der Getreideherren nicht zum wenigsten beigetragen hat - so sei hier vorgegriffen - verschwand dieser "Anreiz" zu derjenigen Investitionsform, die die Seemacht Venedig zu einer ökonomischen Großmacht emporgetragen hatte. Ob den Unternehmern dabei tatsächlich die Risikofreudigkeit der ersten Generationen, etwa eines Romano Mairano aus dem 12. Jahrhundert, der noch mit sechzig sein eigenes Schiff kommandierte, fehlte oder nicht, sei dahingestellt. In jedem Falle gab es auch handfeste Gründe, sein Kapital nicht in Staatspapiere zu investieren, sondern möglichst weitgehend vor dem immer rüder und unberechenbarer werdenden staatlichen Zugriff zu schützen.
Was verursachte die Überflutung der Terraferma mit "schwarzem Geld", der Romania mit überteuerten Silbermünzen? Warum war es während der gesamten Zeit so schwierig, an genügend Bargeld zu kommen? Den Zeitgenossen war der ständige Mangel bewusst und ein Dorn im Auge. So wurde in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts ein Depositum - zunächst als reine Geldreserve - für die Camera frumenti angelegt, in das monatlich 2000 Dukaten eingezahlt werden sollten. Im Krisenjahr 1349 wurde dieser Beschluß allerdings wieder aufgehoben. Chioggia war für die Finanzierung seiner Getreideimporte sogar schon im frühen 14. Jahrhundert selbst zuständig. Es deponierte seit 1308 monatlich 83 libra 6 solidi 8 denar, also jährlich genau 1000 libra und hatte 1328 bereits eine Reserve von 10 000 libra für Getreidekäufe in Notzeiten angelegt. Dies scheint der zuständigen Kammer aber nicht ausreichend erschienen zu sein, denn sie bat in Venedig um weitere 5000 libra für die Getreidekasse.
Welche Rolle nun spielte die neue Getreidekammer unter Leitung der Provveditori alle biave nach der Krise des Chioggia-Krieges? Dazu müssen wir uns des großen Aufschwungs der venezianischen Wirtschaft und seiner einmaligen Stellung in der "Krise des Spätmittelalters" bewusst werden. Das gilt insbesondere für die Frage der Edelmetallreserven.
Es gelang Venedig den beiden großen Liquiditätskrisen von etwa 1395 bis 1415 und 1440 bis 1460 zu entgehen, bzw. seine Folgen auch mit Hilfe des Getreidehandels zu begrenzen, so dass die Stadt ihre wirtschaftliche Hochblüte ausgerechnet zu einer Zeit erlebte, in der die meisten Regionen Europas von einer schweren Krise betroffen waren. Die monopolartige Stellung, die Venedig im Gewürzhandel des 15. Jahrhunderts einnahm, ist nicht voraussetzungslos - und damit die Tatsache, dass sich dieses "island of commercial prosperity in fifteenth-century Europe" entgegen allen Krisenerscheinungen des Spätmittelalters auch weiterhin, wenn auch mit rückläufiger Tendenz, zu erheblichen Teilen aus der Levante ernähren konnte.
Wie John Day 1978 nachdrücklich feststellte, bestand die europäische Wirtschaft des Spätmittelalters, trotz der Entwicklung von Kreditwesen, Wechsel und Depositenbank (deposit banking) in ihrem Kern aus "hard-money-economies". Diese basierten auf Münzgeldumlauf, auf dem Umlauf von Münzen also, deren Wert im Großen und Ganzen durch den Anteil des in ihnen befindlichen Edelmetalls determiniert wurde.
Damit wurde die Relation zwischen Zu- und Abfluss von Edelmetallen zu einer entscheidenden Größe der wirtschaftlichen Entwicklung. Und gerade Venedig, aber auch die übrigen italienischen Handelspartner der levantinischen Exporteure von Luxuswaren, verursachten ein gewaltiges Defizit in Bezug auf die in West- und Südeuropa zirkulierenden Edelmetallbestände. Dazu kam der nicht unbeträchtliche Abfluss durch Pilgerreisen - und nicht zuletzt durch Getreideimporte. Schließlich spielten auch die Löse- und Freikaufgelder für Gefangene und Waren eine nicht unerhebliche Rolle.
Venedig, das wohl neben Frankreich im Europa des 15. Jahrhunderts die größte Münzstätte darstellte, war ohne Zweifel eines der Hauptschlupflöcher für Edelmetalle, die Europa verließen. Selbst im fernen England war man sich, folgt man John Day, dieses Zusammenhanges zwischen Im- und Export von Edelmetallen bewusst, denn dort stellte man auf die Frage, warum kein Gold und Silber nach England kämen 1381/82 im Parlament fest, dass der Wert der Importe nicht denjenigen der Exporte überschreiten dürfe.
Das aus deutschen landen stammende Gold, das in den Fondaco dei Tedeschi floss, wurde in die Münze gebracht, von wo es diese in Form von Dukaten verließ, die hauptsächlich Richtung Ägypten abflossen. Tommaso Mocenigo berichtet, dass 1423 das Äquivalent von 5000 Mark in Golddukaten, also ca. 30 000 Dukaten in Silbermünzen nach Ägypten und Syrien flossen - und sogar 50 000 in die venezianischen Kolonien. Leider erfahren wir nicht, wie viel Gold wohin floss. Venedig, sozusagen als Ausfalltor, hatte dabei ganz eigene Probleme. Wie Tommaso Mocenigo behauptete, wurden in seiner Regierungszeit (1414-1423) jährlich 1,2 Millionen Dukaten geprägt, sowie Silbermünzen im Gesamtwert von weiteren 800 000 Dukaten. Von den letzteren flossen 30 000 nach Ägypten und Syrien, 50 000 in die venezianischen Kolonien, 100 000 in die Terraferma - und 100 000 Richtung England. Des Weiteren flossen ca. 300 000 Golddukaten, wie bereits erwähnt, in die Levante. Wir wissen, dass 1433, nach einer Handelsunterbrechung, 460 000 Dukaten mit den Staatsgaleeren nach Alexandria und Beirut mitgeführt wurden, und dass auch 1496 und 1497 jeweils 360 000 Dukaten nach Ägypten und Syrien verfrachtet wurden. Noch 1512 berichtet ein Gesandter, dass vor der Reise Vasco da Gamas nach Indien, die Venedig bekanntlich die scharfe Konkurrenz der Portugiesen einbrachte, alljährlich 300 000 Dukaten dorthin flossen. Wie Day errechnete, wanderten jährlich große Edelmetallmengen als grossi oder als Dukaten in die Levante, die einem Äquivalent von einer Tonne Gold, oder aber 10-12 Tonnen Silber entsprachen.
Von entscheidender Bedeutung wurde dabei immer mehr der Golddukaten, der demzufolge zunehmend stabilisiert werden musste - und zwar auf Kosten der Silbermünzen. So kam es 1394 zwar zu einer Erhöhung des Silberanteils im grosso, aber 1397 beschloss man, aus einer Silbermark fortan 131 statt nur 127 grossi zu schlagen. Zwei Jahre später wurde auch der soldo zu 12 denar abgewertet.
Je nach "Nachfrage" von Seiten der levantinischen Exporteure, musste der Senat wiederum lenkend auf die beiden Edelmetallströme einwirken. Der Versuch von 1396, Goldabflüsse Richtung Flandern zu beschränken, wurde schnell als handelsschädlich aufgegeben. So versuchte der Senat andere Wege. Gold- und Silberrelation waren dabei von größter Bedeutung. Als man beispielsweise 1407 feststellte, dass immer mehr Goldmünzen in der Levante bevorzugt wurden, versuchte man einen Teil des Silberzustroms nach Venedig abzulenken. So wurde der grosso weiter abgewertet, so dass nunmehr 136 statt 131 grossi pro Silbermark ausgemünzt wurden (womit er für Spekulanten weniger interessant wurde). Die Wechselgebühren wurden vermindert, was insbesondere die in der Romania tätigen Getreidehändler verlangt hatten, die Silber von dort nach Venedig brachten. Zugleich wurde der Silberexport völlig freigegeben, vorausgesetzt, jede vierte Gewichtseinheit wurde ausgemünzt. Gleich im folgenden Jahr wurde verfügt, dass in Zeiten des Getreidemangels alles Silbergeld, insbesondere aus der Adriaregion, nach Venedig verbracht werden sollte. Erreicht wurde eine Erhöhung des Silberzustroms bei gleichzeitiger Minderung des Silberanteils in jeder Münze, so dass mehr Münzen zu geringerem Wert umliefen.
Das Jahr 1403 ist aber in noch anderer Beziehung ein wichtiges Jahr. Man gestattete nämlich von nun an den Bankiers (campsores oder bancherii), nur noch eineinhalb mal soviel Geld in den Handel zu investieren, wie sie staatliche Anleihescheine gekauft hatten. Damit sollte die Bereitschaft zur Aufnahme von Anleihen durch die Bankiers gefördert werden, bei denen sich immer mehr Kapital sammelte, was den Geldumlauf verlangsamte. Inwiefern die Camera imprestitorum damit eine wichtige Funktion einer Staatsbank an sich ziehen konnte, bleibt aber unklar. Entscheidend für unseren Zusammenhang ist, dass
"in facto autem mercantie de blado pro conducendo venetias sint dicti bancherii in sua libertate sicut eis libuerit et placebit."
Die Investition von Kapital in Bereichen verschiedener Dringlichkeit wurde also gefördert, indem gesetzliche Schranken geschaffen wurden. Dabei entstanden Überhänge an nicht mehr frei verfügbarem Kapital, die dann (notgedrungen) in weniger gewinnträchtige Bereiche gesteckt wurden. Dieser Wandel wurde einerseits durch das Wachstum der Banken bewirkt, andererseits durch die ständig fallenden Zinsgewinne durch Staatsanleihen, die damit weniger freiwillige Anleger fanden. Völlig frei blieb dagegen die Investition in Getreidegeschäfte, d. h. hier mussten sogar dringliche Staatsanleihen (Gian Galeazzo Visconti von Mailand war gerade verstorben und es standen schwere kriegerische Auseinandersetzungen bevor) zugunsten von Getreidekäufen zurückstehen.
Aber auch weitere drastische Maßnahmen halfen nichts gegen den zunehmenden Mangel an Kapital: Nun wurde selbst das stabile Venedig 1416/19 von einer schweren Edelmetallkrise erfasst, die sich besonders augenfällig an der Menge der ausgemünzten grossi und solidi ablesen lässt. 1419 wurden nicht mehr, wie sonst pro Jahr üblich 40 000 Silbermark (= 9060 kg oder 236 600 Dukaten), sondern nur noch 10 000 Mark (= 58 900 Dukaten) zu Silbermünzen verarbeitet. Allerdings ist hier Days Deutung etwas zu eindeutig ausgefallen. Sicherlich spielte bei der verminderten Edelmetallzufuhr die Blockade Kaiser Sigmunds gegen die Serenissima eine nicht unerhebliche Rolle, darf aber nicht überbewertet werden. Zutreffend ist, dass die Sperre vorrangig die Goldzufuhr betraf, wohl weniger die Silberzufuhr. Zu Mocenigos Zeit gingen 25 % der jährlichen Dukatenproduktion Richtung Osten, aber nur 10 % der Silbermünzen (in Münz- und Barrenform). Dagegen gingen 25 % der Silbermünzen in den europäischen Geldkreislauf, aber praktisch keine Dukaten.
Mit dieser Möglichkeit, zwischen zwei Edelmetallstandbeinen je nach Bedarf wechseln zu können, steht Venedig allerdings ziemlich einmalig da. Alle anderen großen Münzen Europas, inklusive derjenigen von Genua und selbst derjenigen der Mamluken, waren von starken Rückgängen und "Engpässen" betroffen. In Venedig führte diese Mangelsituation zu keinen langfristigen wirtschaftlichen Krisenerscheinungen, aber zu einer Verschuldung in Rekordhöhe.
Was war nun die Ursache dieses geradezu dramatischen Rückgangs? Bis 1350/60 konnte der Niedergang alter Silberbergbaue, wie Goslar und Freiberg, Iglau und Meissen in Tirol durch die aufstrebenden Minen von Kuttenberg in Böhmen und zu einem geringeren Teil durch Iglesias auf Sardinien (bis 1365) kompensiert werden. Aber am Ende des 14. Jahrhunderts verloren auch diese beiden Silberstätten an Bedeutung. Der schwache Ersatz, den die Goldminen von Ungarn zu bieten vermochten, war nichts im Vergleich zu den Mengen, die im 14. Jahrhundert aus dem westlichen Sudan (Königreich Mali) nach Europa gekommen waren. Die Einrichtung der mudua in die Barbaria, also die Maghrebstaaten (selbst Florenz ließ eine solche 1421-80 verkehren) mit ihrem ökonomischen Zentrum Tunis, lässt sich auch als, wie Day es ausdrückte, "scramble for bullion" deuten. Erst der weitgehende Fortfall des westsudanesischen Goldzuflusses führte zur langen Edelmetallkrise des 15. Jahrhunderts. Insbesondere in den 40er und 50er Jahren wirkte sich dies dahingehend aus, dass - außer in Venedig und Valencia, die ja eine Vermittlerrolle im Goldhandel innehatten - in allen Münzorten Gold erheblich teurer wurde.
In Venedig wirkte sich erst der Krieg gegen Mailand (bis 1454) so aus, dass um 1465 der Eindruck entstehen konnte, die Silber- piccoli und -quattrini seien die einzigen in der Terraferma umlaufenden "richtigen" Münzen, denn 1442-72 kursierten massenhaft Kupfermünzen, 1462 wurde die Prägung des grosso eingestellt. Dabei gingen Edelmetallmangel und übergroßer Geldbedarf Hand in Hand. Venedig versuchte dagegen eine Art "Binnenhandel" aufzubauen. Geld, das beispielsweise für Wein oder Getreide von Kreta oder Korfu, oder zyprische Baumwolle verausgabt wurde, blieb dabei innerhalb seines Machtbereichs und begrenzte so den Abfluss von Edelmetallen. Dazu trug in gewissem Umfang auch bei, wie Stahl bemerkt, dass der Senat keine Skrupel hatte, die Durchsetzung einer Art Kolonialwährung zu erzwingen, die weniger Edelmetall enthielt.
So spielten Methoden der Kapitalbeschaffung, mit denen zu erheblichen Teilen Getreidekäufe finanziert wurden, sowie die Wahl der Währung eine entscheidende Rolle nicht nur für die wirtschaftliche Entwicklung, sondern auch für die Versorgungspolitik, die in enger Verbindung zueinander standen.
Die enge Verflechtung aller Ebenen patrizischer Macht gestattete eine (interne) Öffentlichkeit fast aller Entscheidungen und zugleich ein Ausmaß an fehlender Kompetenzabgrenzung, das alle Bereiche institutioneller Entscheidungen und sozialer Handlung in engste Beziehung zueinander brachte. In einem fließenden System, das erst begann, Ansätze zu einem Haushalt zu entwickeln, wenigstens verschiedene Kassen für verschiedene Zuständigkeiten auszubilden, war es noch kaum möglich - zumal in Notzeiten - klare Grenzen für die Verwendung der verschiedenen Gelder festzulegen. So war es weder personell noch organisatorisch ein Problem, zur Erfüllung kommunaler Aufgaben in andere, vollere Kassen zu greifen.
Das gilt umso mehr für die Camera frumenti, als diese unregelmäßige Einnahmen mit sprunghaften Ausgaben zu korrelieren gezwungen war, wobei gleichzeitig - trotz gegenteiliger Beschlüsse - die Kasse für eine Vielzahl von Zwecken "geplündert" wurde. Nun stand allen großen Magistraturen, genauso wie der "Staatskasse" die Möglichkeit zur Verfügung, durch Zwangsanleihen auch kurzfristig sehr große Summen aufzubieten. Da die so entstandene Staatsschuld nicht gänzlich getilgt werden konnte, wurde 1262 eine ständige Staatsschuld eingerichtet (Monte Vecchio).
Der Camera frumenti gelang es i. a. durch freiwillige Anleihen "Liquiditätslücken" zu stopfen. Es zeigte sich aber, dass schon in den 1280er Jahren bis zu 12 % Zinsen angeboten werden mussten, um eine hinreichende Zahl von Investoren zu finden. Eine kurzfristige Erleichterung mag der 1294 eingeführte Importzoll gebracht haben, aber die Camera musste zunehmend auf teure Kredite ausweichen. Nach dem Ferrara-Krieg begann eine gewisse Erholung der "Staatskasse", die aber partiell durch den Ausschluss ausländischen Kapitals zunichte gemacht wurde. Bezeichnenderweise wurde ausländischen Investoren nur in wenigen Jahren, untersagt, ihr Geld in der Camera frumenti zu investieren - sei es in Form von Anleihen, sei es in Form von Depositen. Insbesondere in Mangeljahren durften auch ausländische Kornhändler den venezianischen Markt aufsuchen.
1335 begann in dieser unhaltbaren, durch überhöhte Zölle auf Konsumgüter des einfachen Bedarfs unter Schonung aller Luxusgüter gekennzeichneten Phase, eine Wendung. Der Senat zog die Beaufsichtigung des Monte Vecchio an sich und es gelang, die Ausgaben und Einnahmen annähernd auszugleichen.
1341 trafen die Annona, nachdem sich zuerst ein ungewöhnlicher Weizenüberschuss in der Stadt angesammelt hatte, dem ein katastrophaler Mangel folgte, schwere Belastungen. Zugleich öffnete sich die Schere zwischen Staatsausgaben und -einnahmen in gefährlichem Maße, bei gleichzeitig wachsendem Schuldendienst. So borgte sich die Camera Comunis bei der Camera frumenti, diese bei privaten Investoren. Für etwa ein Jahrzehnt etablierte sich nun ein Usus, der die beiden Kassen aufs engste durch gegenseitige Kreditierung verband.
Die finanziellen Lasten des 3. Genuesenkrieges zerstörten zum einen dieses Ausgleichsmittel, zum anderen brach der Kampf zwischen Rogadia und Großem Rat, zwischen denjenigen, die auf die großen mude zur Finanzierung staatlicher Aufgaben abzielten und denjenigen, die sich auf Konsumgüterzölle zu stützen gedachten, offen aus. Mitten in der Wirtschaftskrise der 2. Hälfte des 14. Jahrhunderts musste die Camera frumenti weitgehend auf teure, private Kredite zurückgreifen, wobei ihr die Pest zunächst einen großen Teil der Ausgaben "ersparte", danach gerieten die Mittel der Annona in ein kaum mehr zu entwirrendes Chaos.
Bis 1365 hatte sich ein so gewaltiger Schuldenberg aufgehäuft, waren die "Bücher" so chaotisch geführt worden, dass die Annona einer neuen Aufsicht unterstellt wurde, die sich in unmittelbarer Nähe des Machtzentrums um S. Marco einquartierte. Diese erreichte eine zunehmende Unabhängigkeit der Annona von privaten Spekulationskrediten privilegierte Venezianer durch Öffnung des Kapitalmarkts für Ausländer und für Bankiers. Gleichzeitig erlaubte die Überwindung aller Krisensymptome eine neue Blüte der Wirtschaft, v. a. durch den Gewürzhandel, den Venedig fast monopolisierte. Somit konnten Zwangsanleihen in erhöhtem Umfang eingezogen werden. Dabei spielte die rechtzeitige Umstellung auf den einsetzenden Goldstrom eine wichtige Rolle, die durch die venezianische Kolonialstruktur und durch Kornkäufe in Dukaten, also Goldmünzen, verstärkt wurden.
Wie Reinhold Mueller zeigen konnte, wurde die Camera schon im 13. und noch mehr im 14. Jahrhundert zu einem wichtigen Instrument der Depositenverwaltung. Dabei entstand für die Dauer eines Jahrhunderts einer der wichtigsten "debiti fluttuanti" (schwebende Schuld). Eine entscheidende Funktion erhielt die Camera dabei durch die Beschaffung ausländischen Kapitals, dem ansonsten der Weg in die venezianische Wirtschaft weitgehend verlegt war. So deponierte Marsilio da Carrara, 1323 Signore von Padua, die Summe von 10 000 lire di piccoli, Pietro da Marano, Ratgeber am Scaligeri-Hof zu Verona sogar 10 000 Dukaten. Cangrande II., der sich an die Prokuratoren von S. Marco und an die Camera frumenti wandte, wünschte für seine Erben gar 90 000 Dukaten sicher zu deponieren. Im Gegenzug erklärte der Doge Giovanni Dolfin
"Firmiter promittimus quod pecunias supradictas ... salvas et sicuras habebimus".
So gelangten 77 500 Dukaten in die Kasse der Camera frumenti. Wenig später wurde die Summe auf 81 643 Dukaten erhöht, weitere 110 000 Dukaten wurden bei den Prokuratoren deponiert. Der spätere Streit um diese gewaltigen Summen, in den sich auch Bernabò Visconti, Signore von Mailand, einmischte, soll uns hier nicht interessieren.
Schließlich durften ab 1328 Gelder an die Camera frumenti genauso für den Gebrauch innerhalb Venedigs verliehen werden, wie an Privatpersonen. Ludovico Gonzaga von Mantua (1334-82) deponierte 1374 während des Teuerungsjahres eine größere Summe von 33 334 Dukaten (347). In diesem Jahr lieferte Ludovico unbekannte Kornmengen, deren Erlös seinem Depositum zugeschrieben wurde. Dabei dürfte die Bankenkrise d. J. die Gewinne in die Höhe getrieben haben. Auch unmittelbar vor und nach dem Chioggia-Krieg lieferte der Mantuaner große Kornmengen. Bei seinem Tod lagen über 100 000 Dukaten im Depositum.
Von Nelipcio von Knin, der 1341 die Summe von 20 000 lire di piccoli als Bedingung für einen Friedensvertrag bei der Camera deponieren musste, war bereits die Rede.
Als einer der letzten Einleger wünschte Paolo Guinigi, Signore von Lucca und venezianischer Ehrenbürger i. J. 1412, einen Teil "de thesauro suo" zu deponieren. Die politischen Unruhen in Lucca veranlassten ihn zu folgender Begründung:
"Sed consideratis instabilitate et mutatione rerum et statuum et condicionum huius mundi et diversis casibus et voluntatibus que quotidie occurrunt, ac etiam habito respectu quod illos qui dominantur in hoc mundo oportet sepe facere pro conservatione sui status versus alios, de rebus que licet sint tolerabiles uno tempore, alio tempore videntur oppositum, et multi capitato tempore exercent et prosequuntur ius suum interdum iuste, interdum iniuste, ipse volens habere pro se et suis heredibus unum capitale firmissimum in hac civitate, supplicat quod possit suprascriptum pecuniam ponere, aut ad imprestita, aut ad cameram frumenti et ipsam condicionare omnibus illis modis et formis, qui et que ipsi dominio videbuntur."
Guinigi wünschte - ein Vergleich mit Schweizer Bankgepflogenheiten drängt sich auf - in unsicheren Zeiten seine Rücklagen sicher aufzubewahren. Da lange Zeit die venezianische Staatsschuld und das Depositum der Getreidekammer mit ihrer festen Verzinsung als sichere Refugien für ausländisches Kapital galten, kamen diese beiden Anlagemöglichkeiten in Frage. Allerdings wurde das Geld in die Staatsschuld gesteckt, denn die Camera frumenti hatte seit der Krise des Chioggia-Krieges ihre Funktion als "Staatsbank" weitgehend eingebüßt und mit der Eroberung der Terraferma verlor sie gänzlich die Aufgabe der Kapitalbeschaffung bei den Investoren Oberitaliens.
Zu den gewaltigen Summen, die die Getreideherren jährlich umsetzten, trug also nicht nur ihre eigentliche Aufgabe, die Versorgung der Stadt mit Getreide bei, sondern in zeitweise vielleicht noch größerem Ausmaß die Verwaltung von Depositen, der Kapitalversorgungsdienst gegenüber anderen kommunalen Kassen und die Zinszahlung. So urteilte bereits 1342 der Große Rat:
"Cum officium armamenti et officium frumenti sint officia ponderosa et maxime quantitas pecunie vadat per manus dictorum officiorum ... "
Die Camera frumenti, die ständig mit großen, spätestens seit 1256 geschützten, also nur für ihre Zwecke vorgesehenen Geldmengen umging, und seit 1275 eine eigene Kasse für Hirsekäufe hatte, wurde etwa ab 1300 (genauer gesagt zwischen 1297 und 1304) erstmals erkennbar zur Verwaltung von Depositen eingesetzt - eine Entwicklung, die sich übrigens auch für die Ableger der Getreidekammer in den Kolonien belegen lässt.
Neben diesen Depositen verwaltete die Camera auf Anweisung auch eingezogene Vermögen, Gelder aus Erbverträgen, sowie gegen entsprechende Sicherheiten (ab 1308) auch Kredite mit einer Laufzeit von maximal zwei Monaten. Darüber hinaus wurden eingezogene Bußgelder, die zur Entschädigung der Opfer von Delikten (z. B. in Form einer späteren Mitgift) genutzt werden sollten, gern bei der Getreidekammer deponiert.
Bald konnten auch erstmals Institutionen Kredite bei der Getreidekammer aufnehmen. So wurde ein Hospiz für arme und alte Matrosen auf der Insel S. Elena, gegründet vom Medicus Magister Gualterius Anfang des 14. Jahrhunderts mit Hilfe von Krediten der Camera frumenti eingerichtet. In dem Moment, wo diese Kredite an den Staat weitergegeben wurden und dieser über seine Geldmittel die Zinszahlung gewährleistete, so Mueller, übernahm die Camera frumenti eine wichtige Funktion einer Staatsbank.
War noch (spätestens) 1256 vom Großen Rat verfügt worden, dass die Gelder der Getreidekammer ausschließlich für ihre Bedürfnisse ausgegeben werden durften und in der Hand der Camera verbleiben sollten, so wurde dieser Beschluß 1272 - offenbar nachdem es von dieser Seite zu Übergriffen gekommen war - in ähnlicher Weise auch und besonders gegenüber den Consiliarii wiederholt. Als der byzantinische Kaiser Johannes V. von der Serenissima 30 000 Dukaten erhalten sollte, lieh sich der Bailò von Konstantinopel diese Summe bei venezianischen Händlern. Da die camera nostri Comunis diese Summe nicht entbehren konnte ("et dicta pecunia de camera nostri comunis haberi non possit, et pro bono comunis et honore nostro necesse sit aliquam bonam viam invenire" ), war es die "Staatsbank-Getreidekammer", die diese Summe an die kreditgebenden Händler zurückzuzahlen hatte. Dazu nahm sie selbst Kredite auf, für die sie auch Zinsen und Tilgung zu leisten hatte. Die Rückzahlung durch den Basileus ging an die Getreidekammer, ebenso die Zinsen. Sollte es dabei Verzögerungen geben - und die hatte es bei den byzantinischen Kaisern eigentlich immer gegeben - so musste die Camera zwischen kaiserlichen Zahlungsrückständen und Forderungen der Kreditgeber an die Camera ausgleichen.
Eine Debatte über den Silberhandel führte am 15. Dezember 1356 erstmals dazu, dass die Einrichtung einer tatsächlichen Staatsbank vorgeschlagen wurde, der allerdings alle Kredit- und Depositenfunktionen abgesprochen werden sollten, "sed solum teneatur facere scribi omnes solutiones que fiunt de persona ad personam", um die Banken von der Fessel der Kautionszahlungen zu befreien. Aber der Vorschlag wurde mit 20 zu 13, bei 11 Enthaltungen abgelehnt, beim zweiten Mal mit 48 zu 3 und 4 Enthaltungen. Stattdessen wurden societates und comilitates ... de argento mit schweren Strafen bedroht. Zugleich richtete die Camera Konten für jeden Getreidehändler ein, für die am Ende des 14. Jahrhunderts auch Zinsen gezahlt wurden. Außerdem verwaltete die Camera nicht nur Gelder für die Kasse der Kommune, sondern auch für den Rat der Zehn, der die Besitztümer der Verschwörer von 1310 an sich gezogen hatte. Der Weg von einem gelegentlichen Kreditverwalter zum dauerhaften Bediener einer Staatsschuld war offenbar nicht weit, erforderte aber immerhin soviel Mehrarbeit, dass 1307 die Zahl der Domini frumenti von drei auf vier erhöht wurde.
Nicht nur in Venedig, sondern auch in den Kolonien trat die Camera frumenti als Kreditgeber auf. So hatten 1344 allein drei Mitglieder der Familie Kalergis auf Kreta knapp 4000 hyperpera Schulden.
Obwohl die Getreidekasse offenbar lange als Kapitalbeschaffer für staatliche Aufgaben unverzichtbar war, versuchte man doch, gewisse Geldsummen vor dieser nicht ganz ungefährlichen Bindung zu schützen, indem man Sonderkassen einrichtete. Es scheint, als hatten nur Salz- und Getreidekammer das Recht, größere Geldmengen in ihren Räumlichkeiten aufzubewahren. Das Limit für die Salzkammer lag bei 4000 libra, während die Getreidekammer ihre Gelder erst in die Prokuratien abführen musste, wenn diese die Summe von 5000 libra überschritten. Den späteren Provveditori alle biave setzte man als Grenze 1000 Dukaten, wobei sie ihr Geld "intro i banchi di senta" aufbewahren durften. Trotzdem hatten sie ab 1344 jederzeit 150 000 libra zur Verfügung, die vermutlich in den Prokuratien deponiert wurden.
Ab 1275 durften die Getreideherren jederzeit Anleihen in Höhe von 0,5 % aufnehmen lassen, wenn sie mit deren Erlösen Hirse unterhalb einer bestimmten Preisgrenze erwarben. War das Geld verbraucht, so wurde keine weitere Hirse eingekauft. Blieb Geld übrig, das sich wegen zu hoher Preise nicht investieren ließ, so wurde es in die Prokuratien gegeben. Das gleiche galt für die Verkaufserlöse. Von dieser so gebildeten Rücklage durfte wiederum ausschließlich Hirse gekauft werden. So sollte immer eine bestimmte Menge Hirse in der Stadt sein, die schließlich in einem eigenen Speicher gelagert wurde (s. Kap. 5.1).
War die Getreidekammer mit ihrer separierten Kasse gewissermaßen die "Weizenkasse" und Kapitalreserve, so wurde 1275 die besagte "Hirsekasse" angelegt, die räumlich von der ersteren getrennt wurde. Nur eine solche Rücklage ermöglichte Großeinkäufe, wie jenen von 50 000 star Hirse für 9 grossi/star, also insgesamt für 450 000 grossi. Diese Summe entsprach immerhin 1875 libra grossorum oder knapp einer Tonne Feingehalt Silber.
Zunächst erfolgte die Rechnungsführung durch die Camera frumenti alle vier Monate, schließlich jährlich. Gegenüber den Camerlenghi, den höchsten Finanzmagistraten der Stadt, musste ab 1320 monatlich abgerechnet werden. Neben der Salzkammer (Camera Salis) wurde die Getreidekammer im 13. und 14. Jahrhundert also unverkennbar zu einem der wichtigsten Finanzorgane Venedigs. Peyer bezeichnet sie sogar "als eine Art Staatsbanken".
Neben Getreideverkauf, Kreditierung durch kommunale Kassen und private Anleger, Depositendiensten, sowie Zinsgewinnung durch eigene Kreditvergaben verfügten die Getreideherren über ein weiteres Mittel zur Kapitalbeschaffung. Dieses beinhaltete nicht die Beleihung privater Vermögen, sondern versuchte festgelegte Vermögen wieder zu verflüssigen. Bedeutende Verwalter solcher Vermögen waren die Prokuratoren von S. Marco, denen wir bereits im 12. Jahrhundert begegnen. Zunächst war ihre Aufgabe auf die Kirche von S. Marco beschränkt, aber bald verwalteten sie auch Erbschaften und Zehnte, so dass die Zahl der Prokuratoren entsprechend ihrem wachsenden Aufgabenbereich 1231/33 auf zwei, 1259/60 auf drei, 1266 auf vier, 1319 auf sechs, 1443 schließlich auf neun erhöht wurde, wobei noch Schreiber, Gastalden und Advokaten hinzukamen. Dabei erledigte einen Teil der Aufgaben ein Gastaldo, der für die Einziehung der Renten, für die Annahme von Zahlungen durch Banken und die Versteigerung mobilen Eigentums an der Rialtobrücke verantwortlich war. Bis 1308 gab es nur zwei, dann drei, ab 1320 wohl sechs Gastalden. Dazu kamen noch ein Advocatus als Rechtsvertreter, zwei Scribe und ein Camerarius, sowie weitere kleine Posten, die hier aufzuführen überflüssig wäre.
Um ihre Liegenschaftsverwaltung zu verbessern teilte man die Einrichtung in drei Abteilungen auf. Zwei Prokuratoren blieben für die namengebende Kirche verantwortlich, zwei für die sestieri de citra canale (also auf der S. Marco-Seite der Stadt), zwei weitere für diejenigen de ultra Rivoaltum sive ultra canale.
Diese Einrichtung wickelte im 14. Jahrhundert ca. 200 Liegenschaften pro Jahr ab und um 1400 verwaltete sie fast tausend dauerhafte Stiftungen. Die Prokuratoren wurden so zu Treuhändern für Erbschaften, d. h. vor allem für Mitgiften (repromissa oder vadia) und fromme Stiftungen.
Darüber hinaus wurden die Prokuratien gern als Depositorium benutzt. 1. wurde hier kommunales Geld aus der benachbarten Münze und von den Camerlenghi di Comun, Bußgelder, Bürgschaften und Kautionen zurückgelegt, aber auch private Depositen, die geringfügig verzinst wurden - ein beliebtes Asyl für ausländisches Kapital. Die Depositen wurden dabei von der Prokuatorenabteilung de supra verwaltet. 2. wurden Summen aus Sequestrationen deponiert, ebenso wie 3. solche Gelder, die der Tilgung kommunaler Schulden dienten. Die wichtigste Funktion in diesem Zusammenhang war 4. die eines Depositoriums für Staatsanleihen und für die Gelder aller Magistraturen. Ab einer gewissen Höhe mussten sie von den Magistraten an die Camerlenghi abgeführt werden, die sie wiederum sammelten und an die Prokuratoren weiterleiteten. Darüber hinaus verwaltete sie 5. Besitztümer von Waisen (als tutor) und agierte 6. als Erbschaftsvollstrecker (furnitor, wenn nicht vom Erben eingesetzt - ansonsten hieß er commissarius). Handelte es sich um den Verkauf einer Mitgift, so musste der Ehegatte 7. eine Summe dort hinterlegen, die dem Wert der Mitgift entsprach. Außerdem hatte 8. jeder Grundstückskäufer 10 % des angenommenen Wertes des avisierten Grundstückes in den Prokuratien zu deponieren.
Wurde Eigentum nicht nur deponiert, sondern auch tatsächlich verwaltet, wie es bei Stiftungen und Mitgiften der Fall war, so geschah dies ad lucrandum, d. h. mit einer bestimmten Verzinsung - ansonsten wäre auf längere Sicht der Wert der Einlagen durch Erhöhung der allgemeinen Lebenshaltungskosten vermindert worden. Neben den vier üblichen Investitionsformen, wie kommerziellen Transaktionen im Fernhandel, Kauf von Grundbesitz, Staatsanleihen und der Investition in lokalen colleganze (im Gegensatz zur echten colleganza handelte es sich hierbei nur um Kredite für kurzfristige Unternehmungen), konnten diese Gelder auch langfristig in der Camera frumenti zinsbringend investiert werden. Sie verlor allerdings, wie bereits dargestellt, im letzten Viertel des 14. Jahrhunderts ihre Bedeutung als Kreditinstrument zugunsten der Staatsanleihen.
Wie beschrieben, konnten die Prokuratoren das ihnen überantwortete Geld auch in der Getreidekammer investieren, die ja seit den 1280er Jahren auch Depositen verwaltete. Kurz: Gelder aus Erbgängen, vor allem aber ausländisches Kapital, das in den Prokuratien ein Asyl fand, stand auf diesem Umweg für die Getreideversorgung der Stadt zur Verfügung.
Die erste Kreditaufnahme der Getreidekammer bei den Prokuratoren kennen wir aus dem Jahre 1297. Sie erfolgte zur Wiederherstellung zweier Getreidemühlen. 1316 hören wir erstmals von Mitgiften, die auf diese Art zinsbringend investiert wurden. Mitgiften, die mit der Ehe in die Verwaltung des Ehemannes kamen, wurden nach dem Tod des Erblassers zuerst aus dem Erbe an die Witwe ausbezahlt. Oftmals aber bestand die Mitgift in Immobilien. Sollten diese verkauft werden, so wurde ihr Wert beeidet und der Gatte musste bei der Eheschließung eine entsprechende Summe in den Prokuratien deponieren. Diese Maßnahme sicherte zwar die Mitgift, behinderte aber den Kapitalumlauf. Ab 1233 hatten die Prokuratoren dafür zu sorgen, dass sich der Wert des nunmehr hinterlegten Geldes nicht verminderte. Schon 1260 war eine Verzinsung von 5 % möglich. 1316 durften Mitgiften auch an die Camera frumenti verliehen werden, wenn auch zunächst nur für 15 Tage. Ab 1329 erfolgte die Deponierung und Verzinsung nach den gleichen Bedingungen, wie in den Prokuratien. Allerdings hatten die Officiales frumenti das Recht, solche Angebote von Seiten der Prokuratoren abzulehnen, was aber wohl nur in Zeiten geschah, in denen die Getreidekammer ohne Kredite auskam.
Generell frei von der Anleihepflicht waren nur Zehnte, flüssige Mittel für fromme Stiftungen, Schulden und Besitztümer mit einem Kapitalwert von weniger als 200 Dukaten. Nunmehr (1398) durften alle Besitztümer, die nicht entfremdet werden durften, trotzdem an Venezianer verkauft werden, sofern sie im Raum Treviso, Ceneda, Padua, Ferrara oder auf Istrien lagen. Um die Erben nicht um ihren Anteil zu bringen, musste der Erlös in Anleihen investiert werden. 1407 wurde aus der Erlaubnis eine Anweisung: alle in der Verwaltung der Prokuratoren befindlichen Besitztümer waren in Staatsanleihen umzuwandeln, lagen sie nun in Venedig oder in der Terraferma.
Fromme Stiftungen bereiteten der Dominante und ihren Organen Kopfzerbrechen, denn sie blockierten zunehmend Kapital. Den Zeitgenossen war durchaus klar, dass ein großer Teil der öffentlichen Schuld in den Händen von Stiftungen lag, insbesondere opere pie. Wie sehr in Venedig Stiftungen blühten, verrät ein Bericht an den Podestà von Murano aus dem Jahre 1359, in dem es heißt, dass allein auf dieser Insel tausend Personen auf diese Art versorgt wurden und, dass sich die Einwohnerschaft über den übermäßigen Bau von Hospizen beschwere.
Reinhold Mueller (214f.) beschreibt einen bezeichnenden Vorgang: Als 1374 ein ausländischer Patrizier verstarb, baten die Erbschaftsverwalter um die Erlaubnis für 1500 Dukaten Anleihen kaufen zu dürfen, mit deren Erlösen zwei Priester täglich für die Seele des Verstorbenen beten sollten. Zwei der drei Officiales imprestitorum erklärten sich einverstanden, da es sich ja um ein opus pietatis handelte. Der dritte, Marino Bon, widersetzte sich jedoch mit dem Argument, dass die Nachfragen sich vervielfältigen würden, würde man jetzt zustimmen. Außerdem würden die zu diesem Zeitpunkt bei 80 % erhältlichen Anleihen etwa 6 % Zinsen abwerfen, wohingegen sie sich bisher mit Einlagen bei der Getreidekammer zu 3 bis 4 % hatten zufrieden geben müssen. Es wäre also schädlich, würde man zustimmen, da Ausländer, Prokuratoren, Klöster, scuole und Stiftungen bereits zwei Fünftel aller Anleihen besäßen, die zudem überhaupt nicht verkauft werden könnten. Wenn man also eine Genehmigung geben wollte, so doch wenigstens nur beim Kauf von Anleihen zum Emissionspreis, d. h. zu einem Zinssatz von 5%.
Marino Bon sah also in aller Deutlichkeit, dass der Zufluss von Kapital in die Staatsschuld (in Form von Anleihescheinen auf dem Markt) durchaus die noch relativ junge Abkopplung der Getreidekasse von kommunalen Kassen und von der reinen Finanzierung aus privaten Krediten gefährden konnte. Trotzdem drang er mit seinen Einwänden nicht durch.
Für die Getreidekammer waren Geldmittel aus den Prokuratien also ein zweischneidiges Schwert. Einerseits konnte man so ansonsten unerreichbare Kapitalien angreifen, andererseits trieb dieser Kreditierungsweg die Zinsen in die Höhe.
Allerdings ging die Phase der "Staatsbank" für die Annona bereits ihrem Ende entgegen, so dass das Schwergewicht bei der Geldbeschaffung wieder verstärkt auf den Verkaufserlösen lag.
Die Bäcker entrichteten eine Abgabe, die sich 1582 immerhin auf 2689 Dukaten belief. Eine vielleicht nicht zu unterschätzende Einnahmequelle stellten Bußgelder und konfiszierte Waren dar. Bereits aus einer der ältesten überlieferten partes des Großen Rates erfahren wir, dass ab 1243 jeder ertappte Schmuggler den anderthalbfachen Zollsatz zu entrichten hatte, wobei Bußgelder insgesamt eine so erhebliche Rolle gespielt zu haben scheinen, dass man sie bald für größere bauliche Vorhaben verplanen konnte. Aus Bußgeldern auf Schmuggel floß auch der Camera frumenti Geld zu, denn derjenige, der versuchte, dem Stapelzwang zu entgehen, verlor ein Viertel des Schiffswertes und ein Viertel des Getreides.
Offenbar kam es schon im 13. Jahrhundert zu Unklarheiten darüber, an welche der Magistraturen diese Einnahmen abgeführt werden sollten. Sollten diese Gelder bei den "Exekutivorganen" der Republik, also den Schmuggelmagistraten, den Führern der Küstenflotten oder den Domini de nocte bleiben? Oder mussten sie an die geschädigten Magistrate abgeführt werden? Im Falle des Getreideschmuggels entschied man sich für das letztere: So mussten ab 1285 die Domini de nocte sämtliche diesbezüglichen Einnahmen an diejenigen abführen, "qui sunt supra frumentum". Noch 1386 erhoben die Provveditori alle biave ein Bußgeld in Höhe von 100 libra und konnten 1/3 des Schmuggelgutes einziehen.
Nicht nur jede illegale Bewegung wurde mit "Abgaben" belegt (wenn auch besonders hohen), sondern auch fast jede legale. Ob die Schiffe Zoll entrichteten, Anker- oder Liegegebühren fällig wurden, ob kommunale Makler den Verkauf vermittelten, ob die Gebühren für Verkaufsstände, Waage, Schiffsführer, Speicherung oder Mahlen anfielen, jedes Mal floss Geld durch die Hände der betreffenden Magistrate, von dem wiederum ein Teil in den verschiedenen Kassen der Stadt landete. Dasselbe galt für den Transport zu den Mühlen, von den Mühlen zu den contrade und damit zu den Konsumenten, sowie beim Verkauf direkt aus den Speichern. Wir können noch eine ganze Reihe weiterer, weniger bedeutender Einnahmequellen in den überlieferten Ratsbeschlüssen entdecken.
Viel rücksichtsloser ging die Serenissima in ihrem Machtbereich außerhalb Venedigs vor. Eine bedeutende Einnahmequelle für die Getreideherren dürfte das ebenfalls der Monopolisierung unterworfene Getreide Kretas dargestellt haben, das durch die Getreidekammer grundsätzlich billiger erworben wurde, als das Getreide der übrigen Romania. Die ständigen Ermahnungen, das Getreide auch ja direkt, ohne Umwege nach Venedig zu bringen, weder auf Kreta selbst, noch unterwegs etwas davon zu veräußern usw. deuten darauf hin, dass die auf Kreta lebenden Venezianer durchaus bessere Geschäfte machen konnten, als ihr Korn der Camera frumenti zu verkaufen. Die Einnahmen aus dem Weizenverkauf mussten Duca und Rat von Kreta in einer Reihe von Jahren an Venedig abliefern. Hielten sie die vom Großen Rat festgesetzten Fristen nicht ein, so hielt sich die Comune an deren Besitz schadlos.
"Cum largo modo et sepius petantur salaria a Communi, seu additiones salarii, nam interdum sunt aliqui qui infra annum, postquam est sibi datum vel additum salarium, aliam petitionem pro salario porrigunt ... " - Cessi, regolazione n. 117, 5. Nov. 1332
Als besonders schwierig erwies sich die Durchsetzung von Sparmaßnahmen zur Verminderung der Staatsausgaben, gegen die sich das betroffene Patriziat als Alleininhaber der Magistraturen heftig zur Wehr setzte. Gelang es schon in Friedenszeiten nur schwer, die Bereitstellung von Geldmitteln entsprechend der wachsenden Zahl staatlicher Aufgaben zu gewährleisten, so glich die schier endlose Kette von z. T. widersprüchlichen Not- und Zwangsmaßnahmen eher einer hoch entwickelten Form der Hilflosigkeit, die Geldbedarf, Repräsentationszwänge und extensive Bereicherung unter allen Umständen miteinander verbinden musste. Eine Nachricht wie "Camera frumenti presentialiter satis bene sit furnita pecunia ... " stellte da eine äußerst seltene Ausnahme dar. Normalerweise wandelten die Camera Comunis und Camera frumenti immer am Abgrund. Dies spiegelt sich in den geradezu verzweifelten Sparmaßnahmen wider, die auf dem Rücken der Magistraturen ausgeführt wurden. Für die vorherrschenden (und reichsten) Familien, deren Stimme wir in den Aufzeichnungen des Senats am häufigsten wiederfinden, lag, folgen wir dem obigen Zitat, die Schuld bei den Magistraten.
In Zeiten, in denen die Einnahmen die Ausgaben überstiegen, wurde die Zahl der Institutionen und der dort Beschäftigten gern erhöht. Nach dem Krieg gegen Ancona (1276-82) wurde beispielsweise die Zahl der Tres super Ternaria, den drei für die Ölimporte verantwortlichen Adligen, auf vier erhöht. Schon der Bolognakrieg (1270-73) hatte zu genau entgegengesetzten Maßnahmen geführt. Es wurden Magistraturen zusammengelegt, um Gehälter einzusparen. Diese Methode taucht von nun an regelmäßig in Krisenzeiten auf. War eine Zusammenlegung unmöglich, so griff man zu Gehaltskürzungen, zu deren Durchsetzung Sonderkommissionen eingesetzt wurden. Ein Beschluß von 1294 spricht ausdrücklich von "nobiles, qui electi fuerunt ad ... providendum de minuendis salariis et aliis expensis Comunis". Diese Bedingungen führten dazu, dass nicht mehr genügend Venezianer für öffentliche Aufgaben zur Verfügung standen, so dass auch Nichtvenezianer etwa zu Custodes gemacht wurden.
All diese Zwangsmaßnahmen schossen mitunter über das gesetzte Ziel hinaus und ließen den venezianischen Adel nicht nur zu einer bekanntermaßen schlechten Zahlungsmoral übergehen, sondern die Zahl der Verweigerungen von Amtsübernahmen und die der Amtsmissbräuche scheint zugenommen zu haben. Wie gesagt, wurden in Krisenzeiten die Gehälter oftmals gekürzt. Dabei fällt auf, dass die Getreideherren bei Ende des zweiten Kriegs gegen Genua als einzige bereits zwei Wochen vor allen anderen Magistraten wieder in den alten Stand versetzt wurden, als 1299 der zweite Krieg gegen Genua beendet war.
Anfangs gewährte man den gewählten Vertretern der Serenissima offenbar eine gewisse Kompensation, indem man ihnen gestattete, in ihren "Amtsbezirken" Handel zu treiben. Obwohl dies vielleicht anfangs eine verlockende Möglichkeit darstellte, Kosten für Gehälter einzusparen, versuchte man die Möglichkeit "mercatum habere" für die Magistrate doch zunehmend wieder einzuschränken, wobei ihnen wiederum höhere Vergütungen als eine Art Entschädigung zukamen. Ohne hier die Sparwege des Fiskus weiter zu verfolgen sei nur angemerkt, wie weit diese "Maßnahmenkataloge" führen konnten. Einige Etappen: 1381 wurde der nach Konstantinopel abreisende Gesandte gleichzeitig zum Bailò , um die Reisekosten zu vermindern - 1456 mussten die venezianischen Magistrate vier Monate lang ohne Salär dienen - als Ausgleich durfte ein gewisser Donato Pizzamano 1457 seine Pferde verkaufen . 1463, beim Zusammenbruch des Anleihensystems, ging man so weit, die Gehälter für ein Jahr völlig zu streichen.
Eine mittelalterliche Metropole von mehr als hunderttausend Einwohnern, ohne verfügbare Anbauflächen für ihr wichtigstes Grundnahrungsmittel, konnte die differierenden Konjunkturen von Zeit, Raum und Wert nur mittels des Tauschmediums Geld ausgleichen. Dabei waren die hard-money-economies weitgehend auf hinreichenden Zu- und Abfluss von Metallen für ihre Münzproduktion angewiesen. Der Wert der Münzen richtete sich vorrangig nach dem Edelmetallanteil. Gold konnte sich im Getreidehandel Venedigs zunächst nicht durchsetzen. Der seit 1284 eingesetzte Golddukaten eroberte binnen weniger Jahrzehnte den Handel mit Ägypten und Syrien, wobei Gold im Verhältnis zu Silber erheblich an Wert zunahm. Der afrikanische Goldzustrom ab den 1330er Jahren ließ den Wert des Silbers wieder steigen, so dass die zecca versuchte, den Abfluss zu drosseln. Besonders die Kolonien bekamen dies zu spüren, denn sie wurden gezwungen den bei weitem überbewerteten Silber-tornesello zu akzeptieren, während die Prägung des Silber-grosso in Venedig eingestellt wurde.
Diese Zwangsumtausche dienten vorrangig der Ausbeutung kolonialer Arbeitskraft durch Abschöpfung von fast schon betrügerischen Mehrgewinnen, v. a. auf Kosten der Bewohner Kretas, und zugleich der Losschlagung von überteuertem Silber. Da die milites gezwungen wurden, Getreide zu bestimmten Preisen abzugeben, traf sie die Münzpolitik besonders hart.
Am anderen Ende des Kolonialreiches, auf der Terraferma verhinderte die besagte Münzpraxis die Entwicklung einer gewinnträchtigen Landwirtschaft, da Gewinne ständig zugunsten des Fiskus eingestrichen wurden. Die ab 1570 zu konstatierende Hauptrolle bei der Versorgung der Metropole konnte durch die Terraferma v. a. deshalb nicht früher übernommen werden, weil die Versorgung mit Getreide aus Süditalien und der Romania, aber auch aus den Kolonien erheblich geringere Geldmittel erforderte. Außerdem verhinderte schon der relative Erfolg in der Ausbeutung der Kornreserven des gesamten Balkans lange Zeit die Verlagerung des Versorgungsschwerpunktes auf die Terraferma.
Daneben gestattete die Trennung von Münzen des Fernhandels von denen des Binnenhandels und die Festsetzung von Wechselkursen zwischen diesen beiden Münzsorten Manipulationen, die in Krisenzeiten einen größeren als üblichen Teil der Beschaffungskosten für Getreide auf die Konsumenten abzuwälzen erlaubten.
Innerhalb Venedigs, wo für und durch dessen Bevölkerung jährlich über 10 Tonnen Silber umgesetzt wurden - was allein dem Kornhandel einen ersten Rang unter den Wirtschaftstätigkeiten gab - reichten die regelmäßigen Einnahmen aus Zöllen und Abgaben nicht aus, um die sprunghaften Bewegungen der Ausgaben auszugleichen, wenn diese auch ein bedeutendes Lenkungsmittel und eine wichtige Einnahmequelle (Getreidezoll) darstellten.
Ohne zunächst die Rolle der Getreideverkäufe in Betracht zu ziehen, zeigt sich, dass deren verhältnismäßig gleichmäßiger Verkauf schwer mit dem im Jahreslauf schwankenden Zustrom von Korn zu vermitteln war. Das galt umso mehr, je größer die Zahl und Entfernung der Bezugsgebiete und je unberechenbarer das politische Verhältnis zu diesen war. Um bei Zufuhren ohne Umschweife reagieren zu können, wurde der Camera eine Art "Handkasse" von 5000 libra und eine Reserve von weiteren 150 000 libra bei den Prokuratoren eingerichtet. Diese Kassen ständig gefüllt zu halten war eines der schwierigsten zu lösenden Probleme. Wichtige Grundlagen waren ein leistungsfähiger Kreditmarkt und die Verfügbarkeit über die im Monte Vecchio geballten Mittel aus Zwangsanleihen, die auch direkt für Kornkäufe - wenn auch selten - erhoben wurden. Anleihen bis zu 10 000 libra konnten hingegen von der Camera jederzeit erhoben werden. Die wenigen höheren Anleihesummen zeichnen sich durch höhere Verzinsung aus, die auf Dauer nicht zu tragen war.
Die zunehmende Belastung seit dem 2. Genuesenkrieg (bis 1299) entzog Venedig nach und nach die Möglichkeit, die Einnahmen der Camera zu verpfänden, um damit Kredite zu finanzieren. So stützte man sich zunehmend auf Zwangsanleihen, die zu ca. 5 % verzinst wurden, während der Ausschluss ausländischer Kreditgeber zu einer allgemeinen Erhöhung des Zinsniveaus bei Krediten führte.
Ab den 1320er Jahren versuchte man durch regelmäßige Einzahlungen zugunsten des Monte Vecchio die Zinszahlung und die Amortisation zu gewährleisten. Noch stärker als der Große Rat versuchte dies der Senat, der 1335 die Kontrolle über den Monte Vecchio an sich zog. Zugleich gelang es, den sinkenden Wert der frei handelbaren Anleihescheine durch eine Reihe das Vertrauen wiederherstellender Maßnahmen zu stützen. Die Verminderung der Differenz zwischen Einnahmen und Ausgaben spielte dabei eine entscheidende Rolle.
Die Koinzidenz einer schweren Versorgungskrise mit einer gefährlichen Öffnung der Einnahmen-Ausgaben-Schere zwang die Senatoren dazu, zu einem wechselseitigen Ausgleich zwischen den beiden großen Kassen der Comune und der Camera überzugehen, gegen den es erhebliche Widerstände gab. Dabei spielten Fernhändler, die die Verzahnung kommunaler Zolleinnahmen aus dem Großhandel mit der Krisenfinanzierung verhindern wollten, sowie Kreditspekulanten die treibenden Kräfte.
Warum aber war es während der gesamten Zeit so schwierig, an genügend Bargeld zu kommen? Den Zeitgenossen war der ständige Mangel bewusst und ein Dorn im Auge. Offenbar wurde in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts ein "depositum" - zunächst als reine Geldreserve - für die Camera frumenti angelegt, in das monatlich 2000 Dukaten eingezahlt werden sollten. Im Krisenjahr 1349 wurde dieser Beschluß allerdings wieder aufgehoben. Chioggia war für die Finanzierung seiner Getreideimporte sogar schon im frühen 14. Jahrhundert selbst zuständig. Es deponierte seit März 1308 monatlich 83 libra 6 solidi 8 denar, also jährlich genau 1000 libra und hatte 1328 bereits eine Reserve von 10 000 libra für Getreidekäufe in Notzeiten angelegt. Dies scheint der zuständigen Kammer aber nicht ausreichend erschienen zu sein, denn sie bat in Venedig um weitere 5000 libra für die Getreidekasse. Spätestens 1383 besaßen alle Rektoren eine solche Kasse.
Venedig gelang es, eine Kolonialstruktur aufzubauen, die möglicherweise dazu führte, dass Geld, das beispielsweise für Wein oder Getreide von Kreta oder Korfu, oder zyprische Baumwolle verausgabt wurde, innerhalb des venezianischen Machtbereiches verblieb und so den Abfluss von Edelmetallen begrenzte. Dazu trug in gewissem Umfang auch bei, wie Stahl bemerkt, dass der Senat keine Skrupel hatte, die Durchsetzung einer Art Kolonialwährung zu erzwingen, die weniger Edelmetall enthielt.
So spielten Methoden der Kapitalbeschaffung, mit denen zu erheblichen Teilen Getreidekäufe finanziert wurden, sowie die Wahl der Währung eine entscheidende Rolle nicht nur für die wirtschaftliche Entwicklung, sondern auch für die Versorgungspolitik, die in enger Verbindung zueinander standen.
Die enge Verflechtung aller Ebenen patrizischer Macht gestattete eine (interne) Öffentlichkeit fast aller Entscheidungen und zugleich ein Ausmaß an fehlender Kompetenzabgrenzung, das alle Bereiche institutioneller Entscheidungen und sozialer Handlung in engste Beziehung zueinander brachte. In einem ständig fließenden System, das erst begann, Ansätze zu einem Haushalt zu entwickeln, wenigstens verschiedene Kassen für verschiedene Zuständigkeiten auszubilden, war es noch kaum möglich - zumal in Notzeiten - klare Grenzen für die Verwendung der verschiedenen Gelder festzulegen. So war es weder personell noch organisatorisch ein Problem, zur Erfüllung kommunaler Aufgaben in andere, vollere Kassen zu greifen.
Das gilt umso mehr für die Camera frumenti, als diese unregelmäßige Einnahmen mit sprunghaften Ausgaben zu korrelieren gezwungen war, wobei gleichzeitig - trotz gegenteiliger Beschlüsse - die Kasse für eine Vielzahl von Zwecken "geplündert" wurde. Nun stand allen großen Magistraturen, genauso wie der "Staatskasse" die Möglichkeit zur Verfügung, durch Zwangsanleihen auch kurzfristig sehr große Summen aufzubieten. Da die so entstandene Staatsschuld nicht gänzlich getilgt werden konnte, wurde 1262 eine ständige Staatsschuld eingerichtet (Monte Vecchio).
Der Camera frumenti gelang es i. a. durch freiwillige Anleihen "Liquiditätslücken" zu stopfen, während sie in den 1280er Jahren einen nicht wieder erreichten Stand an Machtbefugnissen erreichte. Es zeigte sich aber, dass schon jetzt bis zu 12 % Zinsen angeboten werden mussten, um eine hinreichende Zahl von Investoren zu finden. Eine kurzfristige Erleichterung mag der 1294 eingeführte Importzoll gebracht haben, aber die Camera musste zunehmend auf teure Kredite ausweichen. Nur in außenpolitisch "ruhigen" Phasen, wie etwa 1273-76, 1291-94 oder 1299-1308 konnte an Entschuldung gedacht werden. Nach dem Ferrara-Krieg begann eine gewisse Erholung der "Staatskasse", die aber partiell durch den Ausschluss ausländischen Kapitals zunichte gemacht wurde. Hingegen wurde ausländischen Investoren nur in wenigen Jahren, untersagt, ihr Geld in der Camera frumenti zu investieren - sei es in Form von Anleihen, sei es in Form von Depositen. Insbesondere in Mangeljahren durften auch ausländische Kornhändler den venezianischen Markt aufsuchen.
1335 begann in der seit 1329 anhaltenden, durch überhöhte Zölle auf Konsumgüter des einfachen Bedarfs unter Schonung aller Luxusgüter gekennzeichneten Phase, eine Wendung. Der Senat zog die Beaufsichtigung des Monte Vecchio an sich und es gelang, die Ausgaben und Einnahmen annähernd auszugleichen. Eine Unteraufsichtnahme der Getreidekammer schlug zunächst fehl.
1341 trafen die Annona, nachdem sich zuerst ein ungewöhnlicher Weizenüberschuss in der Stadt angesammelt hatte, dem ein katastrophaler Mangel folgte, schwere Belastungen durch hohe Ausgaben. Zugleich öffnete sich die Schere zwischen Staatsausgaben und -einnahmen in gefährlichem Maße, bei gleichzeitig wachsendem Schuldendienst. So borgte sich die Camera Comunis bei der Camera frumenti, und umgekehrt. Für etwa ein Jahrzehnt etablierte sich nun ein Usus, der die beiden Kassen aufs engste durch gegenseitige Kreditierung verband.
Die finanziellen Lasten des 3. Genuesenkrieges zerstörten zum einen dieses Ausgleichsmittel, zum anderen brach der Kampf zwischen Rogadia und Großem Rat, zwischen denjenigen, die auf die großen mude zur Finanzierung staatlicher Aufgaben abzielten und denjenigen, die sich auf Konsumgüterzölle zu stützen gedachten, offen aus. Mitten in der Wirtschaftskrise der 2. Hälfte des 14. Jahrhunderts musste die Camera frumenti weitgehend auf teure, private Kredite zurückgreifen, wobei ihr die Pest zunächst einen großen Teil der Ausgaben "ersparte". Ab Mitte der 1350er Jahre gerieten die Mittel der Annona in ein kaum mehr zu entwirrendes Chaos.
Bis 1365 hatte sich ein so gewaltiger Schuldenberg aufgehäuft, waren die "Bücher" so chaotisch geführt worden, dass die Annona endgültig einer neuen Aufsicht unterstellt wurde, die sich in unmittelbarer Nähe des Machtzentrums um S. Marco einquartierte. Diese erreichte eine zunehmende Unabhängigkeit von privaten Spekulationskrediten privilegierte Venezianer durch Öffnung des Kapitalmarkts für Ausländer und für Bankiers. Gleichzeitig erlaubte die Überwindung aller Krisensymptome eine neue Blüte der Wirtschaft, v. a. durch den Gewürzhandel, den Venedig fast monopolisierte. Damit konnten Zwangsanleihen in erhöhtem Umfang eingezogen werden. Die rechtzeitige Umstellung auf den einsetzenden Goldstrom spielte eine wichtige Rolle, die durch die venezianische Kolonialstruktur und durch Kornkäufe in Dukaten, also Goldmünzen, verstärkt wurden.
An den neuerlichen ökonomischen Aufschwung wurde die Getreidekammer diesmal in anderer Weise angebunden, als in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts. Damals hatte man versucht, die Kasse der Domini frumenti in gewisser Weise an die Zolleinnahmen der Camera Comunis zu koppeln. Ab 1374 versuchte die Rogadia nicht, die Getreidekammer wieder an kommunale Geldmittel zu binden (wie bis 1350), oder sie einem Kreislauf von innervenezianischen Krediten auszuliefern, der privilegierte venezianische Spekulanten anzog (wie bis 1374), sondern ihr im Rahmen einer Kredit- und Depositenwirtschaft größere Unabhängigkeit zu verschaffen. Das war nur möglich, weil spätestens mit dem Scheitern der letzten Machtkämpfe um die protektionistische Ausrichtung der venezianischen Wirtschaftspolitik (1372/73) wieder reichlich ausländisches Kapital zur Verfügung stand. Andererseits hatte der Zusammenbruch der Zancani-Bank (1375) gezeigt, dass der Kreditmarkt noch nicht flexibel genug war, eine so große Institution von so eminenter politischer Bedeutung mit hinreichenden Mitteln auszustatten.
Immerhin beliefen sich 1323 die kreditierten Summen auf ca. 10 % des Gesamtbedarfes, so dass zu dieser Zeit ihr Anteil sehr hoch veranschlagt werden darf. Günstiger an ausländisches Kapital zu kommen gelang vor 1300 über einen umfangreichen Depositendienst, der fast ein Jahrhundert lang große Summen in die Kasse brachte. Hiervon konnte wiederum die Staatskasse profitieren, die von den Domini frumenti Kredite zu einem festen Zinssatz (heute würde man vielleicht Lombardsatz sagen) erhielten. Die verschiedenen Sonderkassen der Domini dienten nicht nur der schnelleren Bereitstellung von Zahlungsmitteln, sondern auch dem Schutz vor ständigen Zugriffen auf diese Reserven. Die "Handkasse" von 5000 libra befand sich direkt im Sitz der Camera, ihre Rücklage von 150 000 libra unter Aufsicht der Prokuratoren. Daneben wurde eine Hirsekasse von ca. 80 000 libra eingerichtet, sowie verschiedene Reserven in den Kolonien.
Bei der Beschaffung von Kapital spielten die Prokuratoren aber nicht nur hinsichtlich der Aufbewahrung umfangreicher Geldmittel eine wichtige Rolle. Insbesondere "tote" Vermögen konnten mit ihrer Hilfe dem Kapitalverkehr zur Verfügung gestellt werden. Das galt für Erbschaften, Mitgiften, Abgaben auf Grundstücke, fromme Stiftungen. Dabei konnten verschiedene Anlageformen, wie etwa Anleihen und verzinste Einlagen bei der Getreidekammer leicht miteinander in Konflikt geraten, denn die Rendite variierte stark. Stimmte man etwa der Stiftung eines opus pietatis über eine Anleihe (zu 5 %) bei niedrigem Marktwert zu, so konnte die Realverzinsung leicht 7 oder mehr Prozent betragen. Einlagen hingegen wurden nur mit 3 bis 4 % verzinst.
Zu dieser Zeit konnte und musste die Getreidekammer längst einen umfangreichen Depositendienst anbieten - zu einem moderaten Zinssatz von 3 %. Hierbei konnte die Gewinnspanne vor dem Hintergrund einer neuen Phase ökonomischer Expansion anscheinend ohne weiteres die Kosten für Tilgung und Verzinsung decken.
Die italienischen Machtkämpfe des späten 14. und des 15. Jahrhunderts erforderten ungeheure Geldmittel, die hauptsächlich durch Zwangsanleihen beschafft wurden. Je mehr gefordert wurde, desto mehr versuchte man Vermögen zu kaschieren - und umgekehrt - eine Schraube ohne Ende. Bestimmte Arten des Vermögens sind dem Fiskus aber besser, andere schlechter zu entziehen. Dabei waren die case nuove im Vorteil, die stärker ihr Vermögen außerhalb Venedigs investierten. So wurde zwar weiter Kapital in Landkäufe auf der Terraferma investiert, aber gefördert wurde diese Investitionsform erst mit der Abschaffung des Monte Vecchio.
Venedigs Goldbedarf wuchs in geradezu umgekehrtem Verhältnis zum gesamteuropäischen Goldmangel - den es durch Goldabfluss noch verstärkte, als es sein Handelsmonopol für Ägypten und Syrien stabilisierte. Unter Abwertung und Verminderung des Silberanteils des grosso und unter Ausnutzung von Kornexporten verstärkte Venedig zugleich den Silberzustrom, bei gleichzeitiger Drosselung des Abflusses. Dabei verstärkte der Kornhandel den Silberzufluss durch Exporte nach Oberitalien (innerhalb des Kolonialsystems dominierte das Silber weiterhin), so dass der Fernhandel mit Luxuswaren mit Hilfe des Goldstromes bewerkstelligt werden konnte.
Die Zwangsabgabe von Korn durch die kretischen milites und die Einnahmen aus Bußgeldern (z. B. bei Schmuggel) dürften daneben nicht unerhebliche Geldmittel in die Kassen der Getreidekammer gebracht haben.
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