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Die Dichte der mittelalterlichen und frühneuzeitlichen venezianischen Überlieferung lässt sich nur mit der des Vatikans vergleichen. Vor allem ab etwa 1220, dann verstärkt ab 1280, setzen zudem die Protokolle der Ratsgremien ein. Dazu kommen zahllose Regelwerke für die Korporationen1, die bedeutenden Industrien und die Finanzverwaltung. Ganz anders hingegen sieht es für die frühe Zeit aus. Wir verfügen nur etwa über vierzig Dokumente für das 5. bis 7. Jahrhundert, dazu etwa hundert weitere Dokumente bis zum Jahr 1000.1a Von größter Bedeutung ist zudem das Werk zur Langobardengeschichte des Paulus Diaconus aus dem späten 8. Jahrhundert. Erste archäologische Grabungen erfolgten erst ab 1961 (auf Torcello), und es dauerte beinahe 15 Jahre, bis ihre Ergebnisse Eingang in erste allgemeine Darstellungen fanden1c. Ansonsten wurden sie bis weit in die 1990er Jahre weitgehend ignoriert - was damit zusammenhängt, dass einerseits die Archäologen mit ihren Publikationen stark in Verzug sind, andererseits sie selbst ihre Funde nur selten in historische Kontexte einbinden. Darüber hinaus hatten die meisten Historiker Mühe, die fragmentarischen Funde in ihre Untersuchungen und Fragestellungen einzubinden oder lehnten sie rundheraus ab. Von archäologischer Seite gilt Ernesto Canal als Pionier. 1995 erschien mit Le Venezie sommerse: quarant’anni di archeologia lagunare eine Zusammenfassung von vier Jahrzehnten archäologischer Forschung.1g, Archeologia della laguna di Venezia 1960-2010 im Jahr 2013 bei Cierre Edizioni in Verona.
Ein weiterer Faktor behindert die historische Arbeit bis in die Gegenwart, wenn es auch deutliche Bemühungen gibt, dies zu ändern. Die Zahl der Quelleneditionen ist im Verhältnis zum Fundus des Staatsarchivs2, der Biblioteca Marciana und des Museo Civico Correr nämlich immer noch gering.
Zwar existieren etwa tausend Chroniken, doch unterscheiden sie sich meist nur geringfügig. Dies hängt damit zusammen, dass immer wieder von vier Autoren abgeschrieben wurde: Andrea Dandolo3, sein Fortsetzer Raffaino Caresini4, Nicolò Trevisan5 und Giangiacopo Caroldo.6 Dazu kamen als bedeutende Verfasser Martino da Canale7 und das Städtelob des Marino Sanudo.8 Eine besondere Rolle kommt dem Chronicon Altinate zu.8a Da Venedig die staatliche Geschichtsschreibung strikt kontrollierte und entsprechende Verfasser berief9, sind nicht-venezianische Schriften ein wichtiges Korrektiv.10 Das gleiche gilt für die Istorie veneziane aus der Feder des späteren Dogen Nicolò Contarini, die zwar von der staatlich kontrollierten Historiographhie in Auftrag gegeben worden waren, dann aber wegen eines zu freien Stils, vor allem aber wegen nicht für die Öffentlichkeit bestimmter Einzelheiten interner Auseinandersetzungen, nicht genehmigt wurden. Umso bedeutender ist sein inzwischen ediertes Werk für die heutige Geschichtsschreibung.10a Die älteste Chronik in Volgare wurde 2010 unter dem Titel Cronica di Venexia detta di Enrico Dandolo. Origini - 1362 ediert.10b
Für das Frühmittelalter stehen Diplomatarien zur Verfügung sowie die Editionen der Kaiserpacta und der zahlreichen Verträge mit den italienischen Städten.11 Von besonderer Bedeutung für die Urkundenüberlieferung sind die Editionen von Tafel und Thomas zur älteren Handels- und Staatsgeschichte der Republik Venedig.12 Hinzu kommen die von Roberto Cessi edierten Documenti relativi alla storia di Venezia anteriori al Mille, 2 Bde, Padua 1940-1942.
Die ältesten überlieferten Protokolle entstanden im Kleinen Rat und stammen aus den Jahren 1223 bis 1229.13 Für die Zeit von 1232 bis 1299 bilden die gleichfalls von Roberto Cessi edierten Protokolle des Großen Rates eine Hauptquelle.14
Typisch für die Aufteilung vorhandener Gremien entsprechend enger gefasster Zuständigkeiten ist der Rat der Vierzig (die XL). Er entstand gegen 1220, stieg zu einem bedeutenden Gremium auf, verlor jedoch im Laufe des 14. Jahrhunderts seine politische Bedeutung und wurde zum Gerichtshof. Im 14. Jahrhundert entstand die XL Nuova für das Zivilrecht, die der alten XL das Strafrecht überließ. Gegen 1420 wurde diese nach neuen Kriterien der Kompetenzzuweisung abermals aufgeteilt, so dass man nun neben der Quarantia Criminal, auch von der Quarantia Civil Vecchia, bzw. Nuova sprach. Der älteste erhaltene Band enthält die Beschlüsse von 1342/1347. Die Vorgängerbände sind verschollen, die erhaltenen in schlechtem Zustand. Antonino Lombardo erarbeitete die dreibändige Edition, die die Zeit von 1342-1368 umfasst.15
Besonders wichtig für das 14. und 15. Jahrhundert sind die Sammlungen des Senats, insbesondere Misti, Secreta und Sindicati. Die Misti setzen sich aus 60 Bänden für die Jahre 1293 bis 1440 zusammen, allerdings sind die ersten 14 verschollen. Die Bände 1-14 umfassen (fast) nur die Rubriken von 4.267 Beschlüssen16, die unedierten Bände 15 bis 60 umfassen über 7.000 Blätter. Die Secreta setzen regelmäßig ab dem Jahr 1401 ein und umfassen 135 Bände mit 10 Registerbänden. Aus dem 14. Jahrhundert sind nur vier weitere von ursprünglich 19 Bänden erhalten (Libri secretorum collegii rogatorum 1345-50, 1376-78, 1388-97), so dass insgesamt 139 Bände für die Zeit von 1401 bis 1630 vorliegen. Sie stellten das Register dar, in dem sich Magistrate und Archivare bedienen konnten. Bei den Sindicati handelt es sich ausschließlich um Anweisungen an Magistrate oder Gesandte von seiten des Senats (s. Venezianische Diplomatie). Insbesondere die Register für die Jahre 1329-1332 sind von großer Bedeutung, da für diese Zeit nur die Rubriken der Misti vorliegen. Weitere Editionen sind in Vorbereitung.16a
Für das 14. Jahrhundert liegen als Editionen das Notatorio del Collegio (1327-1383), die Secreta Collegii, der Liber secretorum Collegii Bd. I (1363-66) und (1408-13), schließlich die von Predelli edierten Regesten der Beschlüsse des Collegio, des Großen Rates und des Senates (Regesti dei Commemoriali) vor.16b
Auch der Rat der Zehn hinterließ Aufzeichnungen, von denen Ferruccio Zago inzwischen 5 Bände veröffentlichen konnte.17
Der wichtigste Fundus für die Kolonialgeschichte sind die Beschlüsse des Duca di Candia, des Herrn Kretas.18 Eine Beschwerdesammlung zur Piraterie in der Ägäis ist bereits von Tafel und Thomas veröffentlicht worden. Sie beleuchtet die Verhältnisse zwischen 1268 und 1278.19
Die zahlreichen Inschriften Venedigs sind von Emmanuele Antonio Cicogna ediert worden20, der neben zahlreichen kleineren Werken auch den Bericht über die Eroberung Negropontes durch die Osmanen herausgab.20a
Erst ab dem 15. Jahrhundert setzt die Überlieferung der Diarien ein. Besonders wichtig sind die des Girolamo Priuli21 und die Marin Sanudos des Jüngeren.22
Für die Wirtschaftsgeschichte sind die Kaufmannsbriefe und -bücher von größter Bedeutung, wie die Briefe des Pignol Zucchello23 oder die (unedierten) Briefe der Bembo für das späte 15. Jahrhundert, sowie die Pratiche della mercatura (Kaufmannshandbücher) von Giovanni da Uzzano24, Benvenuto Stracca25 und v. a. Francesco Balducci Pegolotti.26 Das gilt auch für den berühmten Zibaldone da Canal27 und den Tariffa de pesi e mesure des Bartholomeo di Pasi.28 Zwar ediert aber kaum erschlossen sind die Rechnungsbücher des Giacomo Badoer, die die Jahre 1436 bis 1439 umfassen.
Für die Geschichte der Zünfte und des Handwerks sind die zahlreichen Statuten (mariegole) von Bedeutung. Sie sind partiell ediert, doch oftmals schwer aufzufinden.28a Im Spätmittelalter setzen die Aufzeichnungen der großen, behörden- und staatsbankartigen Institutionen ein, wie der Salz- (Provveditori al Sal) und der Getreidekammer (Provveditori alle Biave), die nicht ediert sind.29
Riesige Quelleneditionen wurden hingegen, vor allem im 19. Jahrhundert, unter räumlichen Aspekten zusammengestellt. Dazu zählen die Editionen zu Albanien,30 die Belgrader Acta, die Serbien betreffen,31 das Gegenstück aus dem kroatischen Zagreb32, dann für den Friaul33, Istrien34, Ferrara35, für die Levante und die Romania36 oder zu Kreta37, aber auch zu England.37a
Weniger nach räumlichen, als nach finanzgeschichtlichen Kriterien wurden die Documenti finanziari zusammengestellt.38
Karten und Stadtpläne wurden schon früh zu einer präzisen Quelle, wie der Plan des Iacopo de Barbari von 1500 beweist, dessen Druckstöcke sich in der Biblioteca Marciana befinden.
Da Venedig praktisch im gesamten europäischen, nordafrikanischen und vorderasiatischen Raum präsent war, bieten die entsprechenden Quelleneditionen der großen Zentralarchive bedeutende Stücke zur Geschichte der Außenpolitik und Diplomatie, aber auch zur Handels- und Wirtschaftsgeschichte. Dies gilt etwa für die Kaiserurkunden des oströmischen Reiches.38a
Das venezianische Staatsarchiv ist dazu übergegangen, für die Forschung bedeutende Bestände über das Internet zur Verfügung zu stellen.39 Auch entstanden gewaltige Projekte, wie The Rulers of Venice, 1332-1524, in dem sich inzwischen 70.000 Datensätze von Amtsinhabern auf der Basis des Segretario alle Voci (1340-1524), sowie der Beschlüsse des Großen Rates, des Senates und des Rates der Zehn finden - ein enormer Gewinn für die Prosopographie Venedigs.
Die für die venezianische Geschichte bedeutenden Archivalien sind auf zahlreiche Institutionen verteilt, unter denen das Staatsarchiv herausragt. Einen ersten Zugang kann die folgende Liste bieten:
Für die Abbildungen gilt:
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