Entstehung und Aufstieg
Ausgangspunkt der Besiedlung Venedigs war eine Gruppe von Inseln in der um 4000 v. Chr. entstandenen Lagune, die die Ablagerungen des Brenta und anderer kleiner Flüsse immer weiter in die Adria vorschoben.4 Die Bevölkerungszahl der an und in der so entstandenen Lagune liegenden Siedlungen, die bis in mesolithische Zeit zurückreichen5, stieg durch Flüchtlinge an, die sich dort der Legende nach 410 vor den Westgoten Alarichs, besonders aber 452 vor den aus zahlreichen Nationen bestehenden Einheiten unter dem Befehl des Hunnenkönigs Attila in Sicherheit brachten. Das legendäre Gründungsdatum Venedigs, der 25. März 421, könnte eine Erinnerung an die frühen Zuwanderer darstellen.6 Als 568 bzw. 569 die Langobarden in Oberitalien einwanderten, erreichte ein weiterer Flüchtlingsstrom die Lagune.
Einige Inseln waren, wie Torcello, spätestens seit dem 1. Jahrhundert dauerhaft bewohnt, wie lange angenommen wurde. Jedoch lag der Meeresspiegel zu dieser Zeit 2,35 m unter dem heutigen Niveau. Eine dauerhafte Besiedlung lässt sich daher erst ab dem 4. Jahrhundert nachweisen. Dann erlebte Torcello Ende des 6. Jahrhunderts einen Aufschwung, der sich im 7. Jahrhundert in einer Ausweitung der Siedlungsfläche und in besseren Häusern niederschlug. Wohl aus dem 9. Jahrhundert stammt eine Glaswerkstatt.6a Rund zwei Drittel der importierten Amphoren auf der Insel stammten aus dem Ägäis- und dem Levanteraum, der Rest bis Ende des 7. Jahrhunderts aus Nordafrika. Eine ökonomische Vormachtstellung, wie so oft behauptet, lässt sich mangels Vergleichsstudien aus der Lagune kaum belegen.
Den Baugrund der Stadt bildeten neben der Insel Rialto die benachbarten Luprio7, Canaleclo8, Gemine9, Mendicola10, Ombriola11, Olivolo und Spinalunga.12 Pfahlroste aus Baumstämmen wurden in den Untergrund gerammt, um die Siedlungen zu erweitern.
Mit der Eroberung des Ostgotenreiches unter Kaiser Justinian I. ab 535 kam die Lagune (wieder) unter oströmisch-byzantinische Herrschaft, vermutlich mit der Eroberung Ravennas im Jahr 540. Erst 562 gelang es, den letzten gotischen Widerstand niederzuringen. Unter diesen Umständen dürfte die Verwaltung weitgehend eine militärische gewesen sein. Die Landnahme der Langobarden ab 568 bzw. 569 zwang Kaiser Maurikios, den verbliebenen Randprovinzen größere Eigenständigkeit zu gewähren, und so wurde Ende des 6. Jahrhunderts das Exarchat Ravenna geschaffen13, eine Bezeichnung, die allerdings erst nach 750 in den Quellen auftaucht. Der Terminus exarchus erscheint hingegen bereits unter dem 4. Oktober 584 in einem Brief Papst Pelagius' II. (579-590). Er bezeichnete einen Militärkommandanten. Dabei ist eine unmittelbare Ernennung von Lokalkommandanten durch den Exarchen letztmalig für das Jahr 687 greifbar. Um 700 wurde die Einsetzung von lokalen duces bestenfalls noch vom Exarchen abgesegnet.
Der Exarch ernannte den Magister militum als militärischen Oberbefehlshaber der Provinz. Ob die duces dabei Lokalkommandanten mit festen Gebieten waren, lässt sich nicht mehr ermitteln; das gleiche gilt für die Frage, ob der Magister vor allem für die Zusammenfassung der Kräfte anlässlich von Feldzügen verantwortlich war. Möglicherweise wurden die Titel auch synonym gebraucht, da die Kommandanten zunehmend ortsfest wurden. Spätestens in den 630er Jahren kam es zu einer zunehmenden Regionalisierung der Verwaltung in Form von Dukaten, wie etwa in Ligurien oder Istrien, aber auch in Venetien. Sieht man vom angeblich ersten Dogen ab, so taucht ein Dux dort erstmals 727 auf. Durchaus möglich ist, dass Konstantinopel die Verwaltung der Provinz bereits früh lokalen Gruppen unter Leitung eines Dux überließ, solange sie in kaiserlichem Sinne agierten.
Dem Magister militum unterstanden in der Lagune anscheinend Tribunen13a, die Cassiodor in einem Brief von 537/38 erstmals nennt und die er als tribuni maritimorum bezeichnet.13b Wie deren Übergang unter oströmische Herrschaft ab etwa 540 erfolgte, ist unklar. Zunächst dürfte es sich jedenfalls um ein Amt, später um einen Erbtitel gehandelt haben, den bestimmte Familien beanspruchten. Ursprünglich waren sie Kommandanten eines numerus (bandon) von 300 bis 400 Mann. Als längere Zeit stationierte Kommandanten entwickelten sie im Lauf des 7. Jahrhunderts eine zunehmende Bindung an ihren Ort. Doch sind die Quellen hier nicht sehr zuverlässig. Die älteste Inschrift, die die Existenz eines Tribunen belegt, stammt aus Jesolo und datiert in das 7. Jahrhundert.13c Um diese Zeit dominierten sie womöglich bereits die Lagune. Entscheidend für diese Entwicklung war, dass die Staatsbeamten über ein regelmäßiges Geldeinkommen verfügten und dass sie von den drückenden Steuern befreit waren. Im Gegensatz dazu waren die alten Grundbesitzerfamilien davon nicht befreit. Infolge der kriegsbedingten wirtschaftlichen Schrumpfung konnten diese Beamten zunehmend als Landkäufer auftreten, die sowohl privaten als auch kirchlichen Besitz aufkauften. Zudem wurden die Militärbeamten zunehmend mit zivilen Aufgaben betraut. Insbesondere durften sie Ende des 6. Jahrhunderts auch in Zivilsachen Recht sprechen, ein Recht, das sie bis 751 weiter ausbauten. Eine wichtige Quelle für die byzantinische Zeit ist eine um 804 entstandene Auflistung von Beschwerden, die sich als Vergleich mit der schlechten Gegenwart auf die Zeit vor den Franken beziehen.
Dieses Placitum von Rižana/Risano13d zeigt, trotz aller Schönfärberei der Vergangenheit, dass sie über dem populus gestanden hatten. Demnach verfügten die byzantinischen Tribunen - zumindest auf Istrien - über Freigelassene und weitere Hilfskräfte; sie wurden von der Kirche verpflegt und die Hälfte ihrer Steuern zahlte sie darüber hinaus. Sie hatten Land verpachtet, Fischfang war eine wichtige Einnahmequelle, ebenso wie die Waldwirtschaft. Hatte ein Tribun den Ehrentitel Hypatos, so war er nur dem Magister militum unterstellt (davon sind insgesamt 5 Fälle überliefert), wie gemutmaßt wurde. In Venetien erwarben Tribunen wohl auch Land, doch spielte hier der Handel eine ungleich größere Rolle. Provinzhauptstadt war zunächst Oderzo, das antike Opitergium.
Als 568 die Langobarden nach Norditalien zogen - möglicherweise anfangs als Föderaten -, umgingen sie unter Führung König Albuins die befestigte Provinzhauptstadt und zogen 569 westwärts nach Mailand, ohne dort auf Widerstand zu treffen - sine aliquo obstaculo, wie Paulus Diaconus überliefert. Pavia verteidigte sich hingegen drei Jahre lang bis 572. Ostrom konnte sich nur im Raum Mantua, Padua, Monselice, Altino, Concordia und Oderzo halten, jedoch nur bis zur zweiten Expansionsphase des Langobardenreichs. Padua fiel dabei Anfang des 7. Jahrhunderts. In der dritten Expansionsphase fiel Oderzo im Jahr 639. Es wurde um 666 zerstört, das Territorium unter die angrenzenden Herzogtümer Friaul, Treviso und Ceneda aufgeteilt. Damit löste sich die Provinz weitgehend auf und die Lagune war zunehmend auf sich selbst gestellt.
Der Bischofssitz wurde 635 von Altino in das leichter zu schützende Torcello verlegt. Folgt man der venezianischen Historiographie, so gründeten die Flüchtlinge aus Aquileia Grado, die aus Concordia gründeten Caorle, die aus Oderzo Herakleia, die aus Altino schließlich Torcello. Durch die Abtrennung der ursprünglichen Heimatstädte wurde der Rückweg endgültig abgeschnitten, der Aufbau urbaner Strukturen wurde intensiviert oder setzte überhaupt erst ein. Das Zentrum der Administration der Provinz wurde nach dem ersten Fall Oderzos (ca. 639) das heute auf dem Festland gelegene, im 7. Jahrhundert jedoch auf einer Laguneninsel gelegene Herakleia. Weitere Zentren in der Lagune entwickelten sich auf Torcello und Olivolo, von denen angenommen wird, dass ihnen kleinere Nachbarinseln untergeordnet waren. Möglicherweise unterstanden die Zentren einem Duca oder Magister militum. Insgesamt verschwanden von 372 bekannten Städten der Antike im Zuge der Invasionen 116, von den 25 in der Regio X Venetia et Histria verschwanden 6 der 25 Städte.13g Dabei spielte zum einen die Politik der Langobarden eine Rolle, aber es scheint auch zu massiven Überschwemmungen gekommen zu sein, insbesondere Ende des 6. Jahrhunderts, die sich sowohl auf dem Festland, als auch in der Lagune nachweisen lassen, so etwa auf Torcello. Gefährdete Stellen wurden wohl schon aus diesem Grunde aufgegeben, wichtige Handelswege und Häfen unbrauchbar.
Dabei nahm der Handel mit dem Festland, vor allem mit Salz und Getreide, der bereits im 6. Jahrhundert eine wichtige Rolle14 gespielt hatte, im 8. Jahrhundert offenbar noch zu. Dieser komplizierte Handel, der auf gute Kontakte zu den lokalen Machthabern, auf ebensolche Kontakte zu Produzenten und Abnehmern angewiesen war, stand nicht jedermann offen. Es bedurfte erheblicher Erfahrung und vielerlei Fertigkeiten, um hierin bestehen zu können. Im Gegensatz zu den Standesgenossen außerhalb Venedigs erwarb der venezianische Adel, der sich überwiegend auf römische Wurzeln zurückführte, wohl um 800 bereits sein Vermögen nicht aus immobilem Besitz sondern (zunehmend) im Handel. Möglicherweise kamen ihm bestehende Verbindungen zu den alten Festlandszentren dabei zugute.
Paulicius wurde 697 – folgt man der historiographischen Tradition Venedigs – zum ersten Dogen erhoben.14a Er vertrat demnach erstmals die gesamte Lagune. Zuvor, so berichtet der einzige Gewährsmann Johannes Diaconus in seiner Chronik, hätten jährlich neu gewählte Tribunen die Lagune beherrscht und den Dogen in sein neues Amt erhoben.14b Um 713/16 wird erstmals ein Dux (Führer oder Herzog) Ursus als Stellvertreter des Exarchen erwähnt, der noch am ehesten eine historische und keine legendäre Gestalt war. Die Verlegung des Amtssitzes erfolgte unter seinen Nachfolgern zunächst nach Heraclea und später nach Malamocco. Ab 811 wurde während der Amtszeit des Dogen Agnello Particiaco Rialto zum Amtssitz.
Bei der Wahl des ersten Dogen erscheinen entsprechend der venezianischen Tradition zum ersten Mal die so genannten zwölf apostolischen Familien der Badoer, Barozzi, Contarini, Dandolo, Falier, Gradenigo, Memmo, Michiel, Morosini, Polani, Sanudo und Tiepolo. Nach Johannes Diaconus, dem Geschichtsschreiber, Kaplan und Diplomaten des Dogen Pietro II. Orseolo (991–1009), stammte Paulicius aus Eraclea, der Hauptstadt der Venezia marittima, die unter dem oströmischen Kaiser Herakleios (610–641) gegründet worden war. Paulicius sei von der Volksversammlung der Venetici, die mit den erwachsenen Männern der Lagune gleichgesetzt wurde, zum dux gewählt worden. Er sollte demnach die (angebliche) Herrschaft der Tribunen, die seit 150 Jahren die Inseln beherrschten, beenden. Nach Johannes Diaconus wurden diese Tribunen jährlich gewählt, doch war ihre Macht zu gering, um dem Druck der „Barbaren“ standzuhalten. Daher entschied man sich, alle Macht in eine Hand zu geben, da dies „honorabilius“ sei. Dabei hat der honor im Frühmittelalter eine spezifische Bedeutung, denn er bezeichnet eher die Wahrung äußerlich sichtbarer Anzeichen für die Ehre der machttragenden Gemeinschaft, vor allem der führenden Mitglieder, bei der die Symbolische Kommunikation von zentraler Bedeutung war. Johannes lässt durch diese Begründung eine Parallele zum Denken der Langobarden aufscheinen, denn es handelte sich dabei um das gleiche Motiv, aus dem die Langobarden ihre Herzogszeit durch Einsetzung eines Königs beendet hatten, nämlich von König Authari im Jahr 584. Nach Johannes Diaconus – und damit weicht er von der noch immer verbreiteten Datierung ab – fand die Wahl zur Zeit des Kaisers Anastasius (713–715/16) und des Langobardenkönigs Liutprand (712–744) statt, also zwischen 713 und 715. Die heute verbreitete Datierung in das Jahr 697 geht auf die Chronik des Dogen Andrea Dandolo (1343–1354) zurück. Der Verfasser der Cronica di Venexia detta di Enrico Dandolo glaubt, die Wahl habe während der Regierungszeit Papst Gregors (II.) stattgefunden, der von 715 bis 731 im Amt war, und zugleich während derjenigen des Kaisers „Anostasio II“, also Anastasius' II. Die Datierung in dieser ersten Chronik Venedigs, die in Volgare verfasst wurde, erfolgt dennoch, obwohl damit nur die Jahre 715 und 716 in Frage kommen, explizit in das Jahr „DCCV“, also das Jahr 705. Ein erheblicher Teil der Historiker bestreitet heute die Historizität der ersten beiden Dogen.
Von Byzanz zunehmend unabhängig zeigte sich Venedig erstmals im beginnenden byzantinischen Bilderstreit (726/27), als sich die Stadt auf die päpstliche Seite stellte. Darüber hinaus kam es erstmals zu einem Vertrag aus eigener Autorität, also ohne byzantinische Bestätigung, mit den Langobarden zwischen 714 und 717. Im Zusammenhang mit den byzantinisch-langobardischen Kämpfen soll der Doge Ursus den Beinamen Ipato (griech. Hypatos), also Konsul erhalten haben. Die venezianische Tradition legte einen Zusammenhang zur Rückeroberung Ravennas und der Pentapolis nach 729/34 nahe. Doch ist diese Deutung sehr unsicher, denn wahrscheinlich ist die Darstellung des Paulus Diaconus zutreffend, nicht die der späteren Geschichtsschreiber, dass nämlich die Rückeroberung Ravennas von den Langobarden erst im Herbst 739 stattfand. Bereits 732 wurden die Orte der Lagune einem eigenen Bischof unterstellt, was ihre Zusammengehörigkeit verstärkt haben wird und sie zugleich deutlicher sichtbar machte.
Diese Verselbstständigung der Lagunenorte hatte eine Vorgeschichte. Severus, der Patriarch von Aquileia, war vom Exarchen Smaragdus zusammen mit dreien seiner Bischöfe, nämlich Johannes von Parenzo, Severus von Triest und Vindemius von Cissa, aus Grado nach Ravenna entführt und gezwungen worden, sich im Dreikapitelstreit dem Papst zu unterwerfen. Severus widerrief jedoch im Jahr 590. Daraufhin wurde er von Papst Gregor I. nach Rom zitiert. Überbringer der Forderung war ein Tribun, der einen Befehl des Kaisers Maurikios mit sich führte, und der Soldaten mitbrachte.14e Interessant in unserem Zusammenhang ist dabei weniger der theologische Streit oder die Frage der Gewaltanwendung, sondern die kaum verhohlene Separatismusdrohung: Nach Ansicht der Bischöfe war es nämlich nicht mit dem römischen Recht vereinbar, dass in einem Prozess eine der Parteien als Richter fungiere. Sie gelobten dem Kaiser zwar Treue, drohten aber gleichzeitig damit, dass man in Zukunft bei fehlender Unterstützung gegen den Papst nicht sicherstellen könne, dass die Bischöfe entlegenerer Diözesen in Aquileia geweiht werden würden und so Konstantinopel jeglichen Einfluss verlieren könnte.14f Maurikios forderte daraufhin von Rom, auf Gewalt zu verzichten. Der Exarch Kallinikos sandte 599 dem Papst eine Kopie eines kaiserlichen Befehls, die Häretiker nicht zu verfolgen. Diese Rücksichtnahme änderte sich mit Kaiser Phokas, der Kallinikos 602 durch Smaragdus ersetzen ließ. Die Spannungen nahmen zu, Smaragdus besetzte das Bistum Grado mit einem Papstanhänger. Dessen Gegner wählten schließlich einen Gegenpatriarchen namens Johannes, der von König Agilulf und Gisulf II. von Friaul unterstützt wurde. Damit gingen Binnen- und Küstenvenetien eigene Wege. 627/28 musste der in Roms Augen häretische Patriarch Fortunatus aus dem byzantinischen Grado ins langobardische Aquileia fliehen. Nach dem Tod Kaiser Herakleios' (641) mischte sich Konstantinopel nicht mehr in die Kontroverse ein. Sie wurde erst 698/99 geschlichtet. 716 erkannte Rom offiziell den Patriarchenstatus Aquileias an.
Mit der zweiten Eroberung Ravennas durch die Langobarden (751) war die byzantinische Herrschaft in Mittel- und Oberitalien beendet. Trotzdem wusste Venedig die formale Abhängigkeit von Byzanz zu schätzen, denn nur diese war in der Lage, seine Unabhängigkeit gegenüber den Franken unter Karl dem Großen zu bewahren, der ab 773 das Langobardenreich eroberte. 785 veranlasste der König den Papst, die venezianischen Händler aus der Pentapolis vertreiben zu lassen.14g Besonders deutlich zeigt dies der Versuch König Pippins von Italien, um 809/10 die Inseln zu erobern. Erst im Frieden von Aachen (812) wurde Venedig als Teil des Byzantinischen Reiches anerkannt. Dies und die Verlegung des Dogensitzes an die Stelle des heutigen Dogenpalastes bildeten wesentliche Grundlagen für die spätere Sonderentwicklung der Stadt gegenüber dem übrigen Italien. Zuvor war Malamocco zwischen etwa 742 und 810 eine Art Hauptstadt der Lagune gewesen, das wiederum Eraclea in dieser Funktion abgelöst hatte.
Innerhalb der Lagune herrschte während dieses Prozesses keineswegs Einmütigkeit. Zunächst einmal prägten Langobarden und Byzantiner die internen Konflikte, vor allem aber theologische Auseinandersetzungen innerhalb des östlichen Kaiserreichs. Dabei galt der Bilderstreit bei vielen Autoren durchgängig als oberste Handlungsrichtlinie der Päpste, der angeblich alles politische Denken untergeordnet wurde. Um dies zu belegen, musste allerdings die gesamte Chronologie insbesondere der Kämpfe um Ravenna angepasst werden. Paulus Diaconus beschreibt in seiner Langobardengeschichte (VI, 54), nachdem er vom erfolgreichen Bündnis Liutprands mit Karl Martell (739) berichtet hat, wie der regis nepus, der Neffe des Langobardenkönigs, die demütigende Vertreibung aus dem gerade erst eroberten Ravenna hinnehmen musste, bei der er auch noch in venezianische Gefangenschaft geriet. Dieser Bericht erschien bei Johannes Diaconus, der offenbar Einblick in einen Brief Papst Gregors III. an Antoninus, den Patriarchen von Grado genommen hatte. In diesem Brief hatte der Papst um Hilfe bei der Rückgewinnung von Ravenna für die Kaiser Leo und Konstantin ersucht. Johannes gab den Wortlaut des Briefes wieder, allerdings ohne Datum und Ort, platzierte ihn jedenfalls in die Tage des Magister militum Julianus Hypathus, was nach traditioneller venezianischer Chronologie der Zeit um 740 entsprach. Einen sehr ähnlichen Bericht lieferte Mitte des 14. Jahrhunderts der besagte Doge Andrea Dandolo, doch war der Adressat des päpstlichen Briefes in seiner Fassung nun der Dux Ursus, was den Brief in die Zeit zwischen etwa 726 und 736 platzierte. Damit verlegte er den Kampf um Ravenna nicht nur um mehr als ein Jahrzehnt vor, sondern er verwechselte dabei auch Papst Gregor III. (731–741) mit Gregors II. (715–731), womit die Kämpfe in die Zeit zwischen 727 und Anfang 731 fielen. Dies ist das bis heute meist genannte Datum für die Kampfhandlungen um Ravenna. Im Werk des Paulus Diaconus folgt die Rückeroberung Ravennas auf das Hilfeersuchen des Papstes an Karl Martell, das sich auf 739 datieren lässt. Auch Johannes Diaconus datiert sie implizit in die Zeit um 740. Thomas Hodgkin griff nicht nur auf diese Textposition zurück, sondern bei ihm kommt, wenn man die traditionelle venezianische Chronologie in Zweifel zieht, ein Argument für diese zeitliche Platzierung durch den zweiten Brief Papst Gregors III. an Karl Martell zum tragen. Beide Briefe des Papstes an den fränkischen Hausmeier finden sich im Codex Carolinus, allerdings ohne Datum. Der erste Brief lässt sich jedoch in den Sommer des Jahres 739 datieren, so dass man üblicherweise eine Datierung des besagten zweiten Briefes in die Zeit um die Jahreswende 739 auf 740 annimmt. Im zweiten Brief klagt der Papst über den Verlust des Wenigen, was noch übrig sei in Ravenna, um die Armen in Rom zu versorgen, und für die Kirchenbeleuchtung im Ravennatischen („id, quod modicum remanserat preterito anno pro subsidio et alimento pauperum Christi seu luminariorum con-cinnatione in partibus Ravennacium“). Dies alles sei, mit Bezug auf das Vorjahr, nun durch „Schwert und Feuer zerstört worden“ (‚nunc gladio et igni cuncta consumi‘), nämlich durch die langobardischen Könige Liutprand und Hildeprand.14gg Die Bezugnahme auf das vorhergehende Jahr platziert den Brief kurz nach dem 1. September 739. Da es keinen Hinweis darauf gibt, dass die Langobarden Ravenna in diesen Jahren zweimal erobert haben, muss entsprechend dieser zeitnahen Quelle die langobardische Eroberung Ravennas in den Herbst 739 fallen. Damit ist der eingangs genannte Brief des Papstes an Antoninus von Grado, in dem er die Venezianer um Hilfe ersucht, gleichzeitig mit dem zweiten Brief an Karl Martell entstanden. Nach dem dritten Dogen der traditionellen Zählung, Ursus Ipatus (Orso Ipato), wurde kein Doge mehr gewählt oder akklamiert, sondern fünf Magistri militum, die je ein Jahr herrschten. Diese waren Dominicus Leo, Felix Cornicula, Diodato selbst und Julianus Hypathus. Der letzte der magistri, Johannes Fabriciacus, wurde während der Abwesenheit des zuständigen byzantinischen Exarchen gewaltsam vertrieben und der Regierungssitz von Eraclea nach Malamocco verlegt. Zum Dogen wurde Diodato gewählt, selbst ehemaliger magister militum und Sohn des ermordeten Ursus. Byzanz verlieh ihm ebenso wie seinem Vater den Titel Ipato.
Der besagte vierte Doge Diodato Ipato wurde laut Johannes Diaconus durch die lokalen Familien erhoben – sie ‚schufen sich einen Dogen‘ –, die die Macht innehatten, und die nach fünf Jahren einen erneuten Verfassungswechsel durchsetzten. Gleichzeitig erfolgte eine Übersiedlung des Herrschaftssitzes nach Malamocco, womit der Herrschaftssitz nicht mehr am Westrand der Lagune von Venedig, sondern an ihrem Ostrand lag, auf einer der langen Sandbänke, die die Lagune von der Adria trennten. Der Doge fiel 756 anscheinend den Kämpfen zwischen prolangobardischer und probyzantinischer Fraktion zum Opfer. Auch der probyzantinische Nachfolger Galla Lupanio, der ihn gestürzt hatte, fiel einem Attentat zum Opfer. So jedenfalls wurden diese mörderischen Kämpfe vielfach gedeutet. Mangels geeigneter Quellen ist jedoch gar nicht mehr zu klären, ob sich bei diesen Kämpfen prolangobardische und byzanzfreundliche Kräfte gegenüberstanden, oder aber ob der Streit eher Grundbesitzer gegen Händlerfamilien aufbrachte. Möglicherweise hängen die Kämpfe aber auch mit der Tatsache zusammen, dass Familien, die noch dem Verwaltungssystem des sich in Italien auflösenden byzantinischen Machtbereichs angehörten, dessen Funktionäre sich im Amt des Tribunats wiederfanden, und die zu einer dezentralen Machtauffassung neigten, solchen Familien gegenüberstanden, die der sich verstärkenden, zentralisierenden Macht der Dogen anhingen, wie sie sich auch in anderen Städten byzantinischer Tradition durchsetzte.
Mit der Unterstützung des langobardischen Königs Desiderius wurde Domenico Monegario zum Dogen gewählt. Er führte bis zu seinem Sturz im Jahr 764 eine prolangobardische Fraktion, was dem oberitalienischen Handel Venedigs zugutekam, denn dieser hing von der Zulassung durch den Langobardenkönig ab. Zugleich wurden erste Versuche unternommen, die Macht des Dogen durch zwei Tribunen zu beschränken. Diese „Kontrolltribunen“ kennen wir aus den Jahren 756 bei Domenico Monegario, dem die seit 751 von Byzanz unabhängigeren Großen in Venedig misstrauten, 810/11 bei Angelo, dem beim Umzug nach Rialto und unter dem Schutz der byzantinischen Flotte zwei Tribunen zur Seite gestellt wurden, und 836, als die Tribunen Basilius und Johannes zusammen mit Ursus, dem Bischof von Olivolo, eine Übergangsregierung bis zur Rückkehr des rechtmäßigen Dogen Johannes aus dem Exil bildeten. Von einer dauerhaften Kontrollfunktion kann in keinem dieser Fälle die Rede sein. Es handelt sich wohl, wie so oft, eher um eine Rückprojektion späterer Verhältnisse, als man den Dogen stärker kontrollierte und vor allem an einer Dynastiebildung hindern wollte. Die Unterstützer des Dominicus entschieden jedenfalls, ihm zwei Tribunen beizusetzen, die je ein Jahr amtierten. Schon Johannes Diaconus konnte sich diese, zu seiner Zeit bereits unverständliche Machtkonstruktion nur durch die „Torheit“ und den „Wankelmut“ des venezianischen Volkes erklären. Nicht weniger instabil waren die außenpolitischen Verhältnisse. Den Venezianern erschien es offenbar nicht opportun, die Eroberung Ravennas durch die Langobarden, die sie 739/40 noch rückgängig gemacht hatten, erneut zu revidieren, als die Langobarden die Hauptstadt des byzantinischen Italiens 751 zum zweiten Mal eroberten. Doch auch die Langobarden machten ihrerseits keinerlei Anstalten gegen die Bewohner der Lagune vorzugehen. Insgesamt handelte es sich wohl um die drei unruhigsten Jahrzehnte der venezianischen Geschichte, in denen sich die herrschenden Familien der Lagune rücksichtslose Auseinandersetzungen und Kämpfe lieferten. So war 737 der Doge Ursus ermordet worden, daraufhin herrschten für je ein Jahr fünf Magistri militum, dann folgte, wieder als Doge, der Sohn des Ursus, Deusdedit. Letzter wurden wiederum gestürzt und geblendet von Galla, der seinerseits gestürzt wurde, und auch Domenico Monegario wurde geblendet. Erst mit seinem Nachfolger Mauritius endete um 764 diese äußerst unruhige Phase der frühen venezianischen Geschichte.
Dies alles geschah im Windschatten der Kämpfe um Italien, in deren Verlauf die Franken das Langobardenreich eroberten. Der Langobardenfeldzug Karls des Großen endete mit der Unterwerfung der Hauptstadt Pavia. Karl selbst ließ sich 774 die Langobardenkrone in der Hauptstadt aufsetzen. Auf sein Betreiben wurde der Dogensohn aus langobardischer Gefangenschaft freigelassen. Jedoch sah sich Venedig nun einer noch stärker expansionistischen Macht gegenüber. Der Doge Maurizio Galbaio - jener Mauritius, der seit 764 herrschte - versuchte daher einen Gegenpol zu schaffen, indem er die alten Bindungen an Konstantinopel festigte, dem Venedig formal immer noch angehörte. Es gelang ihm, die Bestätigung seines Sohnes als Nachfolger im Dogenamt durch den byzantinischen Kaiser zu erhalten. Sein Ziel dürfte es gewesen sein, die Wahl des Dogen durch die Veneter abzuschaffen und das Amt erblich zu machen, eine Politik, die die inneren Machtkämpfe in Venedig in den nächsten Jahrzehnten bestimmen sollte. Maurizio Galbaio, der von 764 bis 787 das Dogenamt in einem byzanzfreundlichen Sinne führte, versuchte gegen starke Widerstände eine erste Dogendynastie durchzusetzen, indem er seinen Sohn Johannes (Giovanni Galbaio) zum Nachfolger machte. Doch dieser überwarf sich mit dem Klerus der Stadt und unterlag schließlich einer profränkischen Fraktion unter der Führung des Obelerius, der dann allerdings im Zusammenhang mit der Belagerung durch Pippin mitsamt seiner fränkischen Ehefrau 810 fliehen musste. Er hatte gemeinsam mit seinen Brüdern Beatus und Valentinus geherrscht. Ein gewaltsamer Rückkehrversuch scheiterte um 829. Obelerius wurde hingerichtet, sein Haupt ostentativ an der Westgrenze des venezianischen Dukats aufgespießt.
Mauritius sorgte für eine eigenständigere kirchliche Politik, indem er Obeliebato, einen Angehörigen einer tribunizischen Familie aus Malamocco, auf den neuen Bischofssitz Olivolo inmitten der Lagune setzte. Damit war auch kirchlich eine scharfe Grenze zum Frankenreich gezogen. Dies wiederum führte nicht nur zu Konflikten mit dem Patriarchen, sondern betonte noch einmal die fränkisch-venezianische Grenze. Mit Unterstützung oder auf Veranlassung König Karls verfügte Papst Hadrian I., der sich des byzantinischen Exarchats von Ravenna bemächtigt hatte, dass alle venezianischen Kaufleute das Gebiet der dortigen Pentapolis zu verlassen hatten. Als Begründung wurde der Handel mit Sklaven und Eunuchen genannt. Zugleich besetzten fränkische Truppen 787/788 Istrien.
Maurizio Galbaio starb – anders als seine Vorgänger – eines natürlichen Todes. Er schloss jedoch seine Augen mitten in einem Konflikt, der Venedigs Unabhängigkeit und sein wirtschaftliches Überleben aufs stärkste gefährden sollte. Mit Mauritius, seinem Sohn Johannes sowie dessen Sohn Mauritius (II.), den Johannes seinerseits zum Mitdogen erhob, bildeten die Galbaii eine erste, wenn auch kurzlebige Dogendynastie.
Doch es waren nicht nur die Einflüsse der benachbarten Mächte und von Byzanz, das nach einer krisenhaften Phase zwischen etwa 710 und 730 wieder aktiver eingriff, sowie die Versuche der Dynastiebildung, die die internen Kämpfe befeuerten, sondern auch der zwischen verschiedenen städtischen Zentrum um und in der Lagune. Der Konflikt zwischen dem alten Zentrum Herakleia, wo sich - aber das ist nicht anhand der Quellen verifizierbar - vermutlich die probyzantinischen Familien befanden, und der im Aufstieg befindlichen Siedlung Malamocco am Ostrand der Lagune, spielte ebenfalls eine Rolle. Domenico Monegario wurde 756 der erste Doge, der aus Malamocco stammte. Vielleicht ist auch schon die Wahl von Deusdedit 742/43 als Aufstand Malamoccos gegen die byzantinische Vorherrschaft oder die Vorherrschaft von Herakleia zu werten; in jedem Falle war Malamocco als Dogensitz sicherer als das exponierte Herakleia, das sich dem Zugriff der Franken schwerlich entziehen konnte. Maurizio Galbaio wurde hingegen als eine Art byzantinischer Beamter betrachtet, denn in einem Brief des Patriarchen von Grado an Papst Stephan III. aus dem Jahre 770/71 wird er als consul et imperialis dux huius Venetiarum provinciae bezeichnet.14h Er führte den byzantinischen Brauch ein, bereits zu Lebzeiten populo interpellante seinen Sohn zum Mitregenten zu erheben. In den Verhandlungen von 754 zwischen Papst Stephan II. und Pippin tauchte Venetia nicht auf, weil es als zu Byzanz gehörig betrachtet wurde, obwohl das Exarchat Ravenna nicht mehr existierte. Aufgrunddessen verlor der Doge gegenüber tribunizischen Familien - sie hatten das Tribunenamt möglicherweise schon erblich gemacht - an Einfluss, von denen sich vor allem gegen Ende des 8. Jahrhunderts einige dem byzantinischen Einfluss entgegenstellten. Die Dogen ihrerseits nutzten die darauf basierenden Fraktionskämpfe, um ihre dynastischen Ambitionen durchzusetzen. Dazu nutzten sie die prestigeträchtige und legitimierende byzantinische Tradition, den Einfluss des Volkes sowie vermutlich ihre familiäre Hausmacht und ihren Grundbesitz, die sich immer mehr in die Lagune verlagerten.
Diese internen Kämpfe wurden durch die aggressive Politik der Franken intensiviert, vor allem zwischen 787 und 811. Als erstes nahm der Patriarch von Grado, Johannes (767-802), wohl 775/76 Kontakt mit dem Papst auf, den er von antifränkischen Umtrieben in Kenntnis setzte. Dies hing wahrscheinlich mit der Gründung des Bistums von Olivolo (San Pietro di Castello) zusammen, das der Doge in diesem Jahr gegründet hatte. Seine Jurisdiktion erstreckte sich auch auf Rialto, was Johannes als Bedrohung seiner Stellung erkannte. Byzanz verstärkte nun seine diplomatischen Aktivitäten. Der Gegensatz zwischen Malamocco, wo der Doge residierte, und Grado eskalierte unter dem Dogen Johannes. Er entsandte 802 (?) seinen Sohn Mauritius (II.) mit dem Befehl, den Patriarchen zu ermorden. Dieser wurde von einem Turm gestürzt. Doch letztlich war dies fruchtlos, denn dessen Nachfolger Fortunatus war ebenfalls ein Parteigänger der Franken, der sich aber sicherheitshalber aus Grado absetzte. Mit ihm gingen die Tribunen Obelierius und Felix aus Malamocco sowie weitere Adlige ins Exil nach Treviso. Ein Jahr später stürzte diese profränkische Gruppe die Galbaii, die möglicherweise aufgrund ihrer dynastischen Bestrebungen unter Ausschluss des Volkes den Rückhalt verloren hatten, und nach Pavia (ins Exil?) gingen. Die besagte Gruppe machte den von ihr gewählten Obelierius zum Dogen (803-10). Dabei kam der profränkischen Gruppe zustatten, dass Byzanz mit Aufständen und mit Angriffen der Araber beschäftigt war. Der neue Doge und sein Bruder Beatus begaben sich Weihnachten 805 an den Hof Karls. Sie wurden von Vertretern der Stadt Zara begleitet, was darauf hindeutet, dass sich auch Dalmatien von Byzanz abgewandt hatte, von dem keinerlei Schutz zu erwarten war. Egilius Gaulus aus Malamocco soll, folgt man der Origo14i, die Stadt Herakleia zerstört und die Dogenfamilie ermordet haben. Die Bewohner gingen daraufhin nach Rialto (Rivo qui dicitur alto). Möglicherweise wurde die Stadt im Rahmen der sich anschließenden Flottenoperationen in der Lagune ein zweites Mal niedergebrannt.
Doch damit steckte Venedig in einem viel größeren Konflikt, denn mit der Kaiserkrönung Karls im Jahr 800 und dem Tod der Kaiserin Irene im Jahr 802 eskalierte der Streit zwischen den Großmächten ihrer Zeit (Zweikaiserproblem). Byzanz reagierte stark verzögert, sah sich aber, nachdem die Franken gegen Dalmatien gezogen waren, dazu gezwungen. Konstantinopel sah seine Dominanz auf dem Meer gefährdet, die die Voraussetzung dafür war, das weitläufige Reich zusammenzuhalten, das sein Hinterland, sieht man von Kleinasien ab, weitgehend eingebüßt hatte. Der patrikios Niketas führte 806 eine Flotte in die Lagune, womit der Ostkaiser seit 751 erstmals wieder militärisch präsent war. Die Flotte blieb bis August 807. Während dieser Zeit kam es zu einem Friedensschluss mit Pippin14j Der profränkische Doge Obelerius erhielt den Titel spatharios (Schwertträger), ein Titel, der noch über dem des hypathos (Konsul) stand, und der nur zwei mal verliehen wurde, zuletzt 840/41 an Pietro Tradonico. Vielleicht wurde der Kult des Heiligen Theodor eingeführt. Niketas nahm allerdings den Bruder des Dogen, Beatus, sowie den profränkischen Bischof Christoforus und den tribunus Felix als Geiseln mit nach Konstantinopel. Beatus kehrte später mit dem Titel eines hypatos nach Venedig zurück. Bereits 808/9 lag die nächste byzantinische Flotte, diesmal unter Führung des Paulos, des Strategen von Kephallonia, in der Lagune. Auch diesmal überwinterte die Flotte in dem sicheren Hafen. Bei Comacchio kam es allerdings zu einer Niederlage der Byzantiner, der ein neuer Friedensvertrag folgen sollte. Anscheinend fürchteten Obelerius und Beatus, die beiden Dogen, um die Autonomie der Stadt und hintertrieben den Vertrag.14k
Pippin griff im Frühjahr 810, folgt man den Reichsannalen, erfolgreich Malamocco an, doch musste er wegen der Flotte unter Führung des Paulos auf einen Angriff auf Dalmatien verzichten.14l Johannes Diaconus berichtet hingegen von einem Vertragsbruch Pippins, und dass er nur bis Albiola gekommen sei, einem Ort, der einen Teil des heutigen Lido di Pellestrina südlich von Malamocco, in der Nähe von San Pietro in Volta und Portosecco bildet. Dann sei er zurückgeschlagen worden. Die Quellen sind widersprüchlich. Wahrscheinlich verlegten die Venezianer ihren Hauptsitz nach Rialto, obwohl die Insel näher am Festland lag, weil Pippin Malamocco über die Lidi erreicht hatte. In jedem Falle fiel das venezianische Festland an die Franken, der 807 geflohene Fortunatus wurde wieder als Patriarch eingesetzt. Erneut erschien eine byzantinische Flotte, diesmal unter dem Befehl des spatharios Arsaphios, diesmal aber, um Friedensverhandlungen aufzunehmen. Darüber hinaus setzte er die Dogenbrüder ab und ersetzte sie durch Agnello Particiaco (später vielfach Angelo Partecipazio genannt). Sein Amtssitz wurde Rialto, doch wurden ihm zur Kontrolle zwei Tribunen zur Seite gestellt. Nach einiger Zeit, in der die Particiaco vermutlich ihre Macht festigten, wurde der Patriarch Fortunatus abgesetzt. Arsaphios wollte mit Pippin verhandeln, doch starb dieser Sohn Karls des Großen bereits am 8. Juli 810. So musste Arsaphios nach Aachen zu Karl gehen, der Venedig dem Byzantinischen Reich zugestand, wie die Reichsannalen berichten.14m Nach komplizierten Verhandlungen, über die im Osten zwei Kaiser gestürzt wurden und im Westen Kaiser Karl verstarb, erkannten sich die beiden Kaiserreiche 815 gegenseitig an, nachdem es bereits 812 zu einer vertraglichen Abmachung gekommen war. Venedig blieb beim Ostreich, doch die Präsenz der kaiserlichen Macht ließ rapide nach, da Byzanz mit den Bulgaren, die bis vor die Hauptstadt Konstantinopel zogen, massiv beschäftigt war. Militärische Präsenz in der Lagune zeigte Byzanz nach dem Jahr 810 nicht mehr. Dennoch blieb der Einfluss Konstantinopels noch deutlich spürbar. Im Gegensatz zum Jahr 806, als die Divisio Regnorum, das Reichsteilungsgesetz Karls des Großen, die Lagune noch dem Kaisersohn Pippin zugewiesen hatte, war 812/15 auch der fränkische Anspruch aufgegeben worden.
Unter der Dynastie der Particiaco machte die Vergrößerung der Stadt deutliche Fortschritte, insbesondere um das neue Zentrum Rialto. Ihr Selbstbewusstsein wuchs, aber es fehlte noch eine spirituelle Erhöhung, ein Symbol für die neue Bedeutung der Stadt. Nach dem Raub - die Legende behauptet, nach der Rettung vor den Sarazenen, die zu dieser Zeit Kirchen abrissen - seiner Reliquien aus Alexandria (828), wo sich bereits eine venezianische Kaufmannskolonie befand, wurde der Evangelist Markus zum neuen Schutzpatron der Stadt erhoben. Die Republik wurde nun ihm geweiht, und das Symbol des Evangelisten, der geflügelte Löwe, wurde zum Hoheitszeichen der Republik. Noch heute findet man ihn im gesamten Bereich ehemals venezianischer Besitzungen. Damit war ein weiterer Schritt zur Unabhängigkeit getan, jetzt gegenüber dem Patriarchen von Aquileia, der eine geistliche Oberherrschaft beanspruchte; möglicherweise aber auch gegenüber Byzanz, denn Markus löste den Heiligen Theodor als Schutzpatron ab. Ob dessen Kult durch Narses im 6. Jahrhundert oder durch den Flottenführer Niketas 806/7 eingeführt wurde, sei dahingestellt. Dass dies kein ungewöhnliches Vorgehen war, zeigte sich 819. Andrea Dandolo berichtet, dass Kaiser Leon V. Reliquien des Heiligen Zacharias nach Venedig bringen ließ. Die sie begleitenden griechischen Baumeister sollten ihm eine Kirche errichten (San Zaccaria).14n Die beiden Heiligen, nämlich Markus, dessen Symbol der Löwe, und Theodor, dessen Symbol der Drache ist, weil er zur Zeit des Kaisers Licinius einen solchen getötet haben soll, stehen noch heute auf den Säulen der Piazzetta. In Iohannes' Amtszeit wurde der erste, unter seinem Bruder begonnene Vorgängerbau des Markusdomes, die Palastkapelle zur Aufnahme der Reliquie des heiligen Markus, fertiggestellt.
Der über Jahrhunderte schwelende Streit mit Aquileia hatte seine Wurzeln nicht erst im fränkisch-byzantinischen Kampf. Er ging vielmehr darauf zurück, dass 568/69, als die Langobarden nach Italien kamen, der Patriarch nach Grado geflohen war. Dadurch entstand eine geistliche Konkurrenz zum alten Patriarchensitz, gleichsam in Sichtweite, den die venezianischen Großen nutzten, um sich dem religiösen Oberhaupt, der zugleich Vasall der Franken, später des Heiligen Römischen Reiches war, zu entziehen. Sie wandten sich Grado zu. Die Reliquien des Heiligen Markus wurden damit von eminenter politischer Bedeutung, um sich dem Herrschaftsanspruch Aquileias und damit dem indirekten Herrschaftsanspruch des Reichs zu entziehen. Als Hüter einer solch hochrangigen Reliquie konnte Venedig seine spirituelle Stellung und die Unabhängigkeit vom Patriarchen dadurch unterstreichen, dass der Heilige, dem die Gründung des Patriarchats zugeschrieben wurde, körperlich in Venedig anwesend war. Damit hatte man eine beinahe unmittelbare Verbindung zur göttlichen Familie.
Der von Byzanz eingesetzte Doge Agnello Particiaco erwies sich als loyal, während ihm ein Teil der Familie feindlich gegenüberstand. Nach byzantinischem Usus erhob er seinen Sohn Johannes zum Mitregenten, den anderen Sohn Justinianus (Giustiniano Particiaco) schickte er nach Konstantinopel. Als letzterer mit dem Titel hypatos ausgestattet zurückkehrte, wurde er zum Mitregenten erhoben, sein Bruder Johannes indes ins Exil nach Zara geschickt. Nach einem Aufenthalt in slawischem Gebiet und der Flucht aus Zara war Iohannes im lombardischen Bergamo erschienen und hatte sich dem Schutz Kaiser Ludwigs des Frommen unterstellt. Der wollte jedoch einen neuerlichen Konflikt mit Konstantinopel vermeiden und lieferte den Prätendenten an Venedig aus, wo der Vater und der ältere Sohn dafür sorgten, dass er nach Konstantinopel verbracht wurde. Im Jahr 820 wurde auch der junge Agnellus in die Hauptstadt geschickt, als dort Michael II. den Thron bestieg. Agnellus starb während des Aufenthaltes in der Metropole. Damit verblieb Iustinianus als einziger amtierender Doge. Die älteste volkssprachliche Chronik, die Cronica di Venexia detta di Enrico Dandolo aus dem späten 14. Jahrhundert, stellt die Vorgänge auf einer in dieser Zeit längst üblichen, sehr persönlichen Ebene dar, was den Dogen noch einmal größere individuelle Macht zuwies.14o Während der spätere Doge „Iustinian“ durch seinen Vater nach Konstantinopel gesandt worden war, um dort erfolgreich Abmachungen auszuhandeln („per voler alcuni pati fermar con lui“), wurde in Venedig Iustinians jüngerer Bruder Iohannes deshalb zum Mitdogen erhoben, weil man dem Haus Particiaco vertraut habe, wie die Chronik begründet. Als der Ältere zurückkehrte, gab Iohannes die Position zugunsten seines Bruders auf. Dies musste er laut der Chronik tun, weil er sich ungenannter Vergehen schuldig gemacht hatte („habiando facto alcun despiaser, et grosso, ad alcuni dela Terra“). Infolgedessen wurde er nach Konstantinopel verbannt (oder in Sicherheit gebracht). Ein Zusammenhang mit der Auseinandersetzung der beiden Brüder um die Frage der Mitregentschaft wird in der Chronik negiert, obwohl Iohannes zunächst bevorzugt wurde. Doch war es gerade dieser Zwei-, wenn man den Enkel Agnellus' mit einbezieht sogar Dreigenerationenkonflikt, an dem sich später eine ganze Reihe sich widersprechender Deutungen entzündete. Weil der alte Doge das Amt schließlich nicht mehr ausfüllen konnte, herrschte fortan sein Sohn Iohannes – in den Schriften, so der Verfasser der Cronica –, fand der alte Doge keine Erwähnung mehr.
Venedig leistete 828 einer Aufforderung Konstantinopels Folge, gegen die Araber vor Syrakus Unterstützung zu leisten, erneut etwa zwei Jahre später. Den Moment des Übergangs in der Herrschaft der beiden Agnello-Söhne versuchte Obelerio zu nutzen, um aus dem Exil zurückzukehren. Doch scheiterte er und er wurde hingerichtet (zwischen 829 und 831). Damit war die pro-fränkische Partei unterlegen.
Doch dann kehrten sich die Fronten um. Nun musste der Doge aus Venedig fliehen und Zuflucht beim fränkischen Kaiser Lothar suchen, während der Tribun Caroso für sechs Monate die Lagune beherrschte. Nur mit Hilfe der Franken konnte der Doge zurückkehren. Bis zur Rückkehr des Dogen übernahm der Bischof von Olivolo gemeinsam mit zwei Tribunen die Regierungstätigkeit. Giovanni wurde wieder in seinem Amt bestätigt. Er ließ Caroso blenden und verbannen, da er als Senator von Konstantinopel nicht hingerichtet werden durfte. Doch die undurchsichtigen Auseinandersetzungen, bei denen es sich nicht mehr um den fränkisch-byzantinischen Gegensatz handelte, gingen weiter. Giovanni geriet in einen Hinterhalt einer verfeindeten Familie und wurde 836 zwangsweise zum Kleriker geweiht. Damit war er für das Dogenamt untauglich.15
Trotz der anhaltenden Auseinandersetzungen konnte sich eine rudimentäre Verwaltung um den Dogensitz auf Rialto entwickeln. So sind Beamte des Dogen, die für die Eintreibung von Abgaben und Gebühren zuständig waren, ab 819 unter dem Titel Gastalden belegt. Ob sich hier eine kontinuierliche Entwicklung anbahnte, oder ob es auch hier Brüche gab, ist unklar, denn die nächste Erwähnung eines Gastalden stammt erst wieder aus dem Jahr 1000. Die Dogen selbst führten immer wieder byzantinische Titel, wie den eines hypathos oder spatharios. Daher leiteten sich die frühen Symbole bei der Amtsübergabe ab, für letzteren das Schwert, für ersteren Stab und Szepter (Knüppel), die Symbole der Konsuln (fustis und baculus).
Parallel zum Aufstieg neuer Institutionen verschwand Ende des Jahrhunderts das byzantinische Amt des Tribunen bald gänzlich, doch die tribunizischen Familien beherrschten fortan die Stadt. Später war der Adel in Venedig immer eher ein Amtsadel - die Ämter wurden geradezu zum Signum der Zugehörigkeit zum Adel - als ein Geblütsadel. Unter Venetia verstand man inzwischen ein Gebiet, das von Grado bis Chioggia reichte. Im Pactum Lotharii15a, in dem Kaiser Lothar I. im Jahr 840 Venedig mit zahlreichen Rechten ausstattete, sind 18 verschiedene Orte angeführt, darunter Rialto und Olivolo. Ihre Unabhängigkeit wurde damit endgültig anerkannt. Unter dem Dogen Pietro Tribuno erfolgte die Einbeziehung dieser beiden Orte in ein gemeinsames Verteidigungssystem, aus dem die eigentliche Stadt Venedig hervorging. Auslöser für diese Anstrengung waren Angriffe der Ungarn, die im Jahr 900 bis in die Lagune eingedrungen waren. Die Inseln der nunmehr unbestrittenen Hauptstadt der Lagune wurden mit Mauern umgeben, eine Kette schützte die Einfahrt zum Canal Grande. Innerhalb der Stadt verfestigte sich eine Gruppe von vermögenden Händlern, die überwiegend aus den adligen Familien stammten. Im Gegensatz zu den Standesgenossen auf dem Festland stand bei ihnen der Handel in hohem Ansehen.
Die Schwäche des Byzantinischen Reiches veranlasste Venedig zur Einmischung in die durch Slawen, Ungarn und Muslime (Sarazenen) ausgelösten Plünder- und Eroberungszüge. Schon 827-28 schickte Venedig auf Verlangen des Kaisers eine Flotte gegen die Sarazenen, die begannen, Sizilien zu erobern. Zugleich bekämpfte Venedig Piratenflotten der Narentaner (im Süden des heutigen Kroatien)16, denen der Doge Pietro Candiano 887 zum Opfer fiel. Um 846 drangen Slawen bis Caorle vor, 875 die Sarazenen bis Grado - sie hatten schon in der Seeschlacht vor der Insel Sansego (Susak, südöstlich von Pola) den Venezianern schwer zugesetzt.
Um 880 gelang es Venedig endgültig, seine Stellung als regionale Vormacht auszubauen, eine Entwicklung, die auch das Vordringen der Ungarn im Jahr 900 nicht aufhalten konnte, die Altino zerstörten und in die Lagune eindrangen. 854 und 946 wurde Comacchio, das die Mündung des Po beherrschte, durch die Venezianer erobert und zerstört. Damit geriet Venedig jedoch mit dem Kirchenstaat in Konflikt, denn dieser war durch die Pippinische Schenkung von 754 Oberherr von Comacchio geworden. Die Eroberer wurden erstmals von der päpstlichen Exkommunikation getroffen.
Das Verhältnis zu Byzanz nahm währenddessen zunehmend den Charakter eines Bündnisses an. In seinem Werk über die Verwaltung des Byzantinischen Reiches des Kaisers Konstantin Porphyrogenitus, die die Zustände zu Anfang des 10. Jahrhunderts wiedergibt, erscheint noch Venedig.14d Damit erschien Venedig immer noch als Teil des östlichen Kaiserreichs, obwohl die Stadt mehrere, souveräne Verträge mit den Königen von Italien abschloss, wie 888 mit Berengar I., 891 mit Wido von Spoleto, 924 mit Rudolf von Burgund und 927 mit Hugo I. von der Provence.
836 wählte das Volk, also die einflussreichen männlichen Vertreter der mächtigsten Familien, Pietro Tradonico zum Dogen. Byzanz war durch einen dreißigjährigen Bürgerkrieg nach der Ermordung des Kaisers im Jahr 820 und danach mit den Angriffen der Sarazenen auf Kreta und Sizilien vollauf beschäftigt. Venedig wurde praktisch autonom. Die einzig nennenswerte Seemacht in der nördlichen Adria stellten die Venezianer dar. Um 830 kam es jedoch zu ersten Konflikten mit slawischen Piraten in der Adria. 834/35 wurden Kauffahrer auf dem Rückweg von Benevent von Narentanern überfallen. Fast alle wurden umgebracht. 839 fuhr eine venezianische Flotte an die Ostküste und schloss Frieden mit kroatischen und narentanischen Piraten. Doch bereits 840 entsandte Venedig eine neue Flotte gegen die Narentaner unter ihrem Führer Ljudislav. Ihren Höhepunkt erreichte die Seeräuberei unter ihrem Führer Domagoj (864-876). Ähnlich wie im Fall der Piraterie, so waren die Venezianer im Kampf gegen die Sarazenen anfangs nicht sehr erfolgreich. Die beiden Flottenexpeditionen von etwa 827 und 829 waren ohne Ergebnis, die von 841 (mit 60 Schiffen) gegen die Sarazenen vor Tarent endeten in einem Fiasko. Ossero und Ancona wurden noch 841 geplündert, 842 landeten Sarazenen im Kvarner Golf. Wieder musste Venedig eine Niederlage einstecken. Nun plünderten Slawen Caorle (zwischen 842 und 846). Möglicherweise mit der Hilfe byzantinischer Schiffbauer und eines größeren Schiffstyps, der Chelandrie, der möglicherweise mit griechischem Feuer ausgestattet war, konnte Venedig jedoch bald erste Siege erringen. Die Wichtigkeit dieser Abwehr wurde sogar im Pactum Lotharii ausdrücklich fesgehalten.14da Dieses Pactum stellt zugleich den ersten Vertrag dar, den Venedig nicht über Konstantinopel sondern direkt mit dem Reich abschloss. Außerdem wurde der Doge Pietro nicht, wie noch sein Vorgänger, als imperialis ipatus et humilis dux provincie Veneciarum tituliert, sondern als gloriosissimus dux Veneticorum. 867 besiegte eine venezianische Flotte eine arabische vor Tarent, eine Belagerung Grados konnte 875 abgewehrt werden.
Schon unter Pietro II. Candiano (932-939) setzte Venedig seine Vormachtstellung gegenüber Capodistria (Koper), einem der wichtigsten Handelsorte auf Istrien, durch.17 Dazu genügte erstmals eine Blockade, ein Machtmittel, das Venedig in den Anrainerländern der Adria über Jahrhunderte erfolgreich einsetzte. Die Familie Candiano hatte schon früher eine bedeutende Rolle gespielt und 887 mit Pietro I. Candiano einen ersten Dogen gestellt. Er kam jedoch bereits nach kaum einem halben Jahr beim Kampf gegen die Narentaner18 ums Leben.
Unter der Dynastie der Candiano, die zwischen 942 und 976 ununterbrochen die Dogen stellten, schien es fast, als könnten westeuropäische, am Feudalsystem orientierte Vasallitätsverhältnisse die Oberhand gewinnen. Dabei musste Pietro III. Candiano (942-959) seinem Sohn Pietro IV. weichen, der von den Feudalherren des Festlands und König Berengar II., unterstützt wurde. Pietro IV. lehnte sich an Otto I. an, der 962 zum Kaiser erhoben wurde, und der den Dogen dazu veranlasste, ihm Tribut zu leisten - im Tausch gegen den Zugriff auf die Kirchengüter in seinem Gebiet. Pietro IV. schickte seine erste Frau in ein Kloster und heiratete Waldrada, eine Nichte des Kaisers.
Die imperiale Politik Ottos II. brach gegenüber Venedig grundsätzlich mit der Tradition seiner Amtsvorgänger, die seit 812 Bestand hatte. In der Folge wurde 976 die pro-ottonische Dogendynastie der Candiano gestürzt. Wie es bei Petrus Diaconus heißt, erhoben sich einige der Großen gegen den Dogen und belagerten ihn und seine Garde im zu dieser Zeit noch befestigten Dogenpalast. Am 11. August 976 legten sie Feuer. Der Doge und sein Sohn Vitale, Bischof von Venedig, flohen aus dem brennenden Dogenpalast in die Markuskirche. Der Doge und ein im Säuglingsalter stehender Sohn wurden dort umgebracht - wahrscheinlich auf byzantinische Initiative. Mehrere hundert Häuser, der Dogenpalast und die erste Markuskirche wurden dabei zerstört. Der Witwe seines ermordeten Vorgängers, Waldrada, beließ der neue Doge Pietro I. Orseolo ihr Erbe, denn sie stand unter dem Schutz der Kaiserwitwe Adelheid. Der Doge ging bereits 978 in ein Kloster, er ist der einzige Doge, der heiliggesprochen wurde (1731).
Als die weiterhin Otto II. loyale Familie Coloprini mit den pro-byzantinischen Morosini und Orseolo in offenen Konflikt geriet, wandte sie sich an Kaiser Otto. Während die erste, im Januar oder Februar 981 angeordnete Handelsblockade Venedig kaum beeinträchtigte, fügte die zweite im Juli 983 verhängte Handelssperre der Stadt erhebliche Schäden zu. Die Coloprini wurden nun gefangengesetzt, ihre Stadtpaläste zerstört, wenige Jahre später wurden auch die rückkehrenden Coloprini von den Morosini umgebracht. Nur der frühe Tod Ottos II. Ende 983 verhinderte möglicherweise die Unterwerfung Venedigs unter das Imperium.19
Mit der Regierungszeit des Dogen Pietro II. Orseolo (991-1008), dem Sohn Pietros I., der 978 Mönch geworden war, begann der Aufstieg Venedigs zur Großmacht, und zwar wirtschaftlich und politisch. 992 erhielt Venedig ein Privileg des byzantinischen Kaisers Basileios II., das die Handelsabgaben in Byzanz erheblich reduzierte und die Venezianer gegenüber den konkurrierenden Städten begünstigte.20 Zugleich nannte das Privileg die Venezianer extranei, also Fremde, was sicherlich keine Bezeichnung mehr für byzantinische Untertanen war, noch nicht einmal mehr dem Anspruch nach.
Otto III., der im März 996 zu seinem ersten Italienzug aufbrach, übernahm in Verona die Patenschaft über Ottone, den dreijährigen Sohn und Nachfolger des Dogen, und führte dadurch das gute Verhältnis der Ottonen zu Venedig fort.
Ebenso richtungweisend war die Durchsetzung der freien Schifffahrt durch die Adria. 997 bis 998 gelang ein erster erfolgreicher Feldzug gegen die Narentaner in Dalmatien, bis 1000 wurden die als Schlupfwinkel für Piraten geltenden Inseln Korčula und Lastovo erobert. Die Flotte setzte die politische Vorherrschaft Venedigs gewaltsam bis Ragusa durch, dem heutigen Dubrovnik. Weiter im Süden der Adria gelangen ebenfalls wichtige Erfolge. 1002-03 konnte die Flotte die sarazenischen Belagerer vor dem byzantinischen Bari besiegen.
Jahr | Einwohner |
900 | 37.000 |
1000 | 45.000 |
1200 | 70.000 |
1300 | 110.000 |
Pietro wird die Zeremonie der alljährlichen Verehelichung Venedigs mit dem Meer zugeschrieben (Festa della Sensa). Dieses Staatsschauspiel unterstrich symbolisch Venedigs Anspruch auf die Beherrschung der Adria, wenn nicht gar des gesamten Mittelmeeres. Die Fraktion der auf die Adria und den Fernhandel ausgerichteten Gruppen hatte sich endgültig durchgesetzt. Der Doge beanspruchte nun den Titel Dux Veneticorum et Dalmaticorum, und innenpolitisch entzog er sich in einmaligem Ausmaß der Kontrolle durch seine Standesgenossen.
Venedig war unter Pietro II. Orseolo zur Großmacht aufgestiegen, und seine Familie unternahm den Versuch einer Dynastiebildung, der jedoch am Widerstand der führenden Familien scheiterte. Hebel zur Machtausübung sollten vor allem höchste kirchliche Ämter und die guten Beziehungen zu den Kaiser- und Königshäusern sein. So war Pietros Sohn Giovanni Orseolo seit etwa 1003 mit der byzantinischen Prinzessin Maria Argyra verheiratet, doch der designierte Nachfolger des Dogen starb bereits 1006. Stattdessen folgte auf Pietro sein Bruder Ottone.
Aus der Zeit zwischen 569 und 1008 ließen sich aus der Überlieferung mittels prosopographischer Forschung unter Auslassung legendärer Überlieferung, wie der Origo Civitatum Italiae seu Venetiarum (Chronicon Altinate et Cronicon Gradense), etwa 1.230 Individuen herausfiltern, die mit Venedig in Beziehung standen. Diese stammten wiederum überwiegend aus dem 10. Jahrhundert, die zugehörigen Quellen überwiegend aus dem 10. und 11. Jahrhundert. Die meisten von ihnen werden in drei Zusammenhängen genannt, nämlich dort, wo es um Handelsverbote im Bereich von Sklaven, Holz und Waffen mit Muslimen ging (Verbot des Sklavenhandels durch Petrus Candianus von 960, des Handels mit Muslimen von 971), bei Donationen an Klöster und bei der Entrichtung des Zehnten (Petrus Ursoylus (978), Vitalis Candianus (978/9) und Petrus Ursoylus II (991/1008)) und im Verlauf von politischen Auseinandersetzungen (das Verbot Unruhen zu provozieren, das Petrus Ursoylus II. 998 erließ). Von den 1.230 Individuen erscheinen 947 im 10. und frühen 11. Jahrhundert, die übrigen 283 verteilen sich auf die Zeit zwischen dem 6. und dem 9. Jahrhundert. Recht gut dokumentiert ist dabei noch das 6. Jahrhundert, während die Zeit dazwischen, also das 7. bis 9. Jahrhundert, aus recht späten Quellen belegt ist, vor allem aus der Istoria Veneticorum. Dabei ist schwierig zu erkennen, wie die meist aus Grado und eben nicht der Lagune stammenden Individuen, die überwiegend aus Inschriften und weniger aus Dokumenten und Chroniken bekannt sind, mit den kosmopolitischen Klans von Rialto im 10. und 11. Jahrhundert in Zusammenhang stehen. So besteht bei den frühen Namen eher ein Zusammenhang zum Patriarchat Grado, während ab dem 10. Jahrhundert berühmte Namen wie die Maurocenus (Morosini), Bragadinus (Bragadin), Gradonicus (Gradenigo), Candianus (Candiano) oder Ursoylus (Orseolo) auftauchen. Anscheinend entstanden erst im 10. Jahrhundert die Familiennamen, was immer noch sehr früh ist, doch war dieser Prozess offenbar noch nicht abgeschlossen. Überraschenderweise überwiegen die Laien mit 1039 Individuen, während Kleriker nur 201 Namen liefern.20m
Der Doge Ottone Orseolo (1009-1026) war seit 996 Patensohn Ottos III., sein Vater Pietro II. hatte von Kaiser Basileios II. 992 ein weitreichendes Handelsprivileg erhalten. Seit 1011 mit Maria aus dem Haus der Arpaden verheiratet, war Ottone Schwager König Stephans I. von Ungarn.
Der Konflikt mit Konrad II. bereitete sich dadurch vor, dass er seinen Bruder Orso zum Patriarchen von Grado erhob, darüber hinaus einen weiteren Bruder, den zwanzigjährigen Vitale, zum Bischof von Torcello. Poppo wehrte sich gegen die seiner Meinung nach nicht rechtmäßige Ämtervergabe bei Papst Benedikt VIII., er selbst behinderte den Handel auf dem oberitalienischen Festland. Papst Johannes XIX. unterstellte Grado dem Patriarchen von Aquileia.
Eine Gruppel unter Führung von Domenico Flabanico stürzte Ottone und verbannte ihn mit seinem Bruder Orso nach Istrien. Poppo besetzte daraufhin Grado, worauf die Venezianer ihrerseits die Brüder 1023 eilig wieder in ihre Ämter beriefen. 1026 wurde der Doge wegen der Fortsetzung seiner dynastischen Politik erneut gefangen genommen. Man schor seinen Bart und er wurde nach Konstantinopel ins Exil geschickt. Daraufhin entzogen sowohl Byzanz als auch Konrad II. Venedig seine Handelsprivilegien.
Auf Ottone Orseolo folgte Pietro Centranico (1026-32), der aber von den Anhängern Orseolos wieder abgesetzt wurde. Auch er verlor Amt und Bart und ging nach Konstantinopel ins Exil. Ottone wurde 1032 abermals Doge, vertreten durch Orso, der wieder Patriarch von Grado war. Ottone war jedoch bereits verstorben, als sein Bruder Vitale ihn in Konstantinopel abholen wollte. Zwar versuchte die Orseolo-Familie in einem Handstreich ein letztes Mal eines ihrer Mitglieder einzusetzen, doch Domenico Orseolo wurde bereits nach einem Tag von einer Volksversammlung wieder abgesetzt. Er ging nach Ravenna ins Exil.
Zum Dogen wurde nun Domenico Flabanico, ihm wurden zwei Räte oder Sapienti beigegeben, die seine Macht begrenzen sollten. Der Doge durfte fortan keinen Verwandten mehr zum Mitdogen erheben und ihn damit zum Nachfolger prädestinieren.
Inzwischen meldete Stephan von Ungarn Ansprüche auf die dalmatinischen Städte an, die Venedig seit Pietro II. unterstanden. Der Sohn Ottones, Pietro Orseolo, wurde von Stephan 1037 zu seinem Nachfolger bestimmt. Er regierte Ungarn von 1038 bis 1041 und von 1044 bis 1046.
Innenpolitisch setzten die großen Familien also 1032 durch, dass kein Doge mehr seinen Mitregenten und Nachfolger bestimmen durfte. Stattdessen wurde ihm ein Beratergremium beigesetzt, das die Macht des Dogen kontrollieren sollte.
Politische Institutionen, innere Machtbalance, Abriegelung der Führungsschicht
Diese lange Phase, in der sich mächtige Familien mit ihrer Klientel blutige Kämpfe um die Dogenmacht lieferten und versuchten eine Dynastie zu gründen, und in der vor allem auswärtige Mächte immer wieder als Zünglein an der Waage auftraten, hat in der venezianischen Historiographie tiefe Spuren hinterlassen - vor allem aber hat sie politische Reformen angestoßen. Diese zielten darauf ab, den mächtigen Dogen zu einer Repräsentationsfigur zu machen, die einer engen Kontrolle und Überwachung unterlag, ohne gänzlich den politischen Einfluss zu verlieren.
Venedigs ständische Ordnung korrespondierte bereits im Hoch- und Spätmittelalter aufs Engste mit der ökonomischen Arbeitsteilung. Die Nobilhòmini, die Angehörigen des Adles, waren für die Politik und die gehobene Verwaltung, sowie für die Heeres- und Flottenführung zuständig, aber auch für die diplomatischen und Wachposten in den Kolonien. Ihre wirtschaftliche Grundlage war aber ebenso der Fernhandel wie bei den Cittadini, jenen Kaufleuten, deren Familien keinen Zugang zu den politisch entscheidenden Institutionen hatten. Nobilhòmini und Cittadini sorgten für Geldmittel und Wertschöpfung durch Handel und Produktion, die Populani, die Mehrheit der Bevölkerung, stellte Soldaten, Matrosen, Handwerker, Dienstboten, leistete allgemein Handarbeit und trieb Kleinhandel. Nur die Stellung des Kanzlers war ihnen zugänglich, aber auch Aufstiegsmöglichkeiten in den Handwerkerkorporationen.
Die frühen Institutionen sind in einer Gesellschaft entstanden, die schriftliche Dokumente nur relativ selten brauchte, und sie nur begrenzt aufbewahren wollte. So entstanden der Kleine Rat als beratendes Gremium für den Dogen und der Arengo, eine Art Volksversammlung, die in der Frühzeit wohl noch Mitbestimmungsrechte hatte, doch bald zum reinen Akklamationsorgan wurde. Während der Arengo zunehmend an Bedeutung verlor und 1141 vom Consilium Sapientium, einer Vorgängerinstitution des Großen Rates, abgelöst wurde, wuchs der Einfluss des Kleinen Rates, dessen sechs Mitglieder die Stadtsechstel (Sestieri) vertraten, aus denen Venedig bestand.
Bereits ab dem frühen 13. Jahrhundert existieren umfangreiche schriftliche Zeugnisse in Form von Ratsprotokollen und Bürgschaften.21 Die Dokumentation der Verfassungsentwicklung, sowie der Innen- und Außenpolitik22 Venedigs ist von da an umfangreich, lückenarm und in ihrer Dichte wohl nur mit der des Vatikans zu vergleichen.
Dies stand in enger Wechselwirkung mit den Institutionen, die sich stetig veränderten. Beachtet wurde dabei stets das Prinzip einer sorgfältigen Austarierung von Macht und gegenseitiger Kontrolle der verschiedenen Gremien; dieses Prinzip war einer der Gründe für die einzigartige Stabilität dieses Staates. Ziel aller Reformen war, die Vorherrschaft einer einzigen Familie, wie sie in den Stadtstaaten Oberitaliens üblich war, und mit der Venedig selbst so schlechte Erfahrungen gemacht hatte, zu verhindern. Die Kehrseite war jedoch ein strenges Polizei- und Spitzelsystem.
Während die Orseolo noch versuchten, eine Dynastie zu gründen, was mit ihrem Sturz unterbunden wurde, versuchte man spätere Nachfolger in ihrer Macht scharf zu begrenzen, ohne die bedeutende Repräsentationsfigur zu beschädigen. So musste der gewählte Doge ab 1148 einen umfangreichen Eid ablegen, die promissione ducale. Er wurde auf Lebenszeit gewählt, durfte die Wahl jedoch nicht ablehnen und konnte jederzeit durch Beschluss abgesetzt werden. Sein Wohnsitz war der Dogenpalast. Er hatte den Vorsitz in allen Gremien der Republik, er konnte Anträge auf den Erlass von Gesetzen stellen. Über Krieg und Frieden entschied die Signoria, bzw. der Große Rat, die Versammlung aller männlichen, erwachsenen Adligen der Stadt. Die promissione wurde dem Dogen jedes Jahr vorgelesen. Ab 1192 wurde sie für jeden Dogen neu formuliert und immer weiter verschärft.
Entscheidungen durfte er nur mit Zustimmung seiner Berater (consiglieri) treffen. Er durfte keine Volksversammlung einberufen, keine an ihn gerichteten Briefe ohne Beisein eines Beraters lesen. Nach seinem Tod wurden seine Amtsgeschäfte von einer Kommission überprüft. So war die Macht des Dogen weniger von formaler Natur. Er war auf Lebenszeit gewählt, bei allen Ratssitzungen zugegen und stimmberechtigt, er hatte Zugang zu den einflussreichen Personen, die immer wieder in wechselnde Ämter gelangten und er konnte Wahlen beeinflussen. Zudem stand hinter ihm meist eine der mächtigen Adelsfamilien.
Gerade deren Einfluss versuchten die jeweils anderen Familien zu begrenzen. Zwischen 1132 und 1148 wurde der Alleinherrschaft des Dogen ein Gremium gegenübergestellt, aus dem sich der Große Rat entwickelte. Hierin hatten Vertreter der bedeutendsten Familien Sitz und Stimme. Um 1200 wenig mehr als 40 Mitglieder umfassend, wuchs er auf etwa 2.000 Mitglieder an.23 1297 kam es zur Schließung des Großen Rates, der so genannten Serrata.24 Hiermit wurde der Zugang zum Großen Rat mit dem Recht aktiver und passiver Wahl des Dogen auf eine feste Anzahl von Familien beschränkt. Diese wurden mit ihren männlichen Nachkommen später in das Goldene Buch eingetragen. Die Mitglieder des Großen Rates, des maggior consiglio, gehörten diesem auf Lebenszeit an. Der Große Rat war keine eigentliche Legislative, musste jedoch zu allen Gesetzesvorlagen gehört werden. Zugleich wurden hier alle politischen Ämter besetzt, so dass er gelegentlich als „Wahlmaschinerie“ bezeichnet wurde.
Eine Art Präsidium des Großen Rates war die Signoria, das höchste Kontrollorgan. In ihr waren - neben dem Dogen und dem Kleinen Rat - die Häupter der Quarantia vertreten, die Leiter des obersten Gerichts. Mitte des 13. Jahrhunderts ging aus dem Großen Rat der Senat hervor, der ursprünglich ein Ratsgremium aus altgedienten Händlern und Diplomaten war, das sich mit Handels- und Schifffahrtsfragen befasste. Da sich um diese Fragen in Venedig alle anderen politischen Fragen drehten, zogen die zunächst als Pregati bezeichneten Senatoren nach und nach vielerlei Aufgaben an sich und bildeten damit eine Art Regierung. Umgekehrt veranlasste dies alle Fernhändlerfamilien dazu, ihren Einfluss hier zu konzentrieren, wo alle Wirtschaftsfragen verhandelt und entschieden wurden.
Daneben gab es ab 1310 den Rat der Zehn, eine Kontrollinstanz, in der, wie in fast allen bedeutenden Gremien, der Doge Sitz und Stimme hatte. Der Rat der Zehn war nach einem Adelsaufstand geschaffen worden, um weitere Unruhen zu verhindern. Er stellte eine Art oberstes Polizei- und Verwaltungsorgan dar, das mit umfassenden Rechten ausgestattet war. Es ist bezeichnend für Venedig, dass dieses Organ öffentlicher Kontrolle und Überwachung zeitweise in scharfe Konkurrenz zum Senat trat, vor allem in Krisenzeiten.
Neben diesen Hauptgremien entstanden zu jedem größeren Fragenkomplex meist kurzlebige Sondergremien, die sich etwa mit dem Siedleraufstand auf Kreta befassten, oder mit der Reinigung der Kanäle. Dabei wurden die meisten Ämter nur kurzfristig, häufig auf ein oder zwei Jahre besetzt. Bei Verfehlungen hatten eigene Advocatores bzw. Avvogadori die Aufgabe, zu ermitteln und gegebenenfalls Anklage zu erheben. Eine regelrechte Berufsausbildung existierte bis zum Ende der Republik nicht, so dass alle Positionen von mehr oder minder erfahrenen Laien ausgefüllt wurden.
Eines der höchsten Ämter war das der Prokuratoren, die eine Art Finanz- und Schatzministerium darstellten. Sie residierten in den Prokuratien um den Markusplatz. Im Dogenpalast leitete der Kanzler, ein als einziger durchgängig nicht von einem Adligen eingenommener Posten, den Schriftverkehr. Er war der einzige, an dessen Befähigung überprüfbare Kriterien gestellt wurden, während alle anderen nur als geeignet und vertrauenswürdig eingeschätzt und gewählt werden mussten.
Die politische Führung einschließlich der Finanzorgane ballte sich um den Markusplatz, während die Insel Rialto das ökonomische Zentrum bildete.
Großmacht und Niedergang
Neben den Konflikten mit dem Heiligen Römischen Reich, besonders mit dem Patriarchen von Aquileia, bedrohten vor allem die Normannen Süditaliens Venedigs Machtstellung in der Adria. Zugleich drängten Ungarn und Kroaten an die Adriaküste. Als 1075 die dalmatinischen Städte die Normannen um Hilfe gegen die Ungarn ersuchten und der Normannenführer Robert Guiscard auf Eroberungszug gen Konstantinopel bereits in Albanien Fuß fasste, drohten Venedigs Handelswege durch die Adria abgesperrt zu werden. Diese Befürchtung sollte die Führungsgruppe der Stadt nicht mehr loslassen und veranlasste sie dazu, die Herrschaft einer einzigen politischen Macht über beide Seiten der Adria mit allen Mitteln zu verhindern. Nur so konnte Venedigs Existenzgrundlage, der Fernhandel, gesichert werden.
Schon früher hatte Venedig Privilegien erhalten, doch seine Handelsvormacht beruhte in der Hauptsache auf zwei Privilegien. Diese hatte die Stadt dadurch errungen, dass sie einerseits Heinrich IV. im Investiturstreit mit Papst Gregor VII. unterstützte.25 Andererseits stand sie Kaiser Alexios I. von Byzanz gegen die türkischen Seldschuken und die Normannen Süditaliens bei, die Konstantinopel von Osten und Westen zugleich bedrohten.26 Durch das Privileg Heinrichs IV. war es den Händlern des Heiligen Römischen Reichs verboten, ihre Waren über Venedig hinaus nach Osten zu bringen. Umgekehrt durften griechische, syrische oder ägyptische Händler ihre Waren nicht im Reich anbieten. So fungierte Venedig als Makler zwischen den beiden Kaiserreichen, eine Funktion, die durch Handelshäuser für die verschiedenen Händlernationen zum Ausdruck kam, deren Gebühren und Zölle große Mengen an Gold und Silber in die Stadt brachten.
Als besonders konfliktreich erwies sich dennoch bald das Verhältnis zu seinem alten Verbündeten, dem Byzantinischen Reich. Das Kaiserreich war nach der Schlacht von Manzikert (1071) zunehmend gegen die türkischen Seldschuken in die Defensive geraten. Venedig bot Kaiser Alexios I. die Unterstützung seiner Flotte im Kampf gegen die Türken und die Normannen an und erhielt hierfür Handelsprivilegien, die seine Händler ab 1082 von allen Abgaben befreiten. Dazu kam ein großes Händlerquartier in der byzantinischen Hauptstadt am Goldenen Horn. Hierdurch gelang es den Venezianern innerhalb weniger Jahrzehnte, das Byzantinische Reich wirtschaftlich zu dominieren. Diese Vorherrschaft ging so weit, dass das wirtschaftliche Fundament des byzantinischen Staates gefährdet wurde. Das Morgenländische Schisma (1054) sowie der Erste Kreuzzug von 1096 bis 1099 trugen weiter zur Entfremdung zwischen Venedig und Byzanz bei.
Doch die Kreuzzüge eröffneten den italienischen Handelsstädten neue Möglichkeiten. Um sich hier einzuschalten, schickte Venedig 1099, nachdem es sich lange vom Kreuzzug ferngehalten hatte, 207 Schiffe unter dem Kommando des Dogensohns Giovanni Vitale und des Bischofs von Olivolo aus. Im Dezember kam es zu einer Seeschlacht mit Konkurrenten aus Pisa vor Rhodos, die Venezianer nahmen nach dem Sieg Reliquien des Hl. Nikolaus aus Myra mit. Venedig erhielt Abgabenfreiheit und Kolonien in allen noch zu erobernden Städten des entstehenden Königreichs Jerusalem.
Mit dem Königreich Kroatien, das in Personalunion zum Königreich Ungarn gehörte und vom Papst unterstützt wurde, kam es schon seit dem frühen 10. Jahrhundert immer wieder zu Konflikten um die Städte Istriens und Kroatiens und um den Bischofssitz Grado. Dabei verbündeten sich die Gegner Venedigs mit den Normannen und nahmen bei einer Seeschlacht vor Korfu den Sohn des Dogen Domenico Selvo (1070-1084) gefangen. Die Gegnerschaft der Normannen basierte wiederum darauf, dass sie versuchten, das Byzantinische Reich zu erobern, während der Doge, der mit einer Tochter des Kaisers verheiratet war, dort Handelsinteressen verfolgte. Kaiser Alexios I. übertrug dem Dogen den Titel Herzog von Dalmatien und Kroatien. Gleichzeitig setzte jedoch Ladislaus einen Neffen als König in Dalmatien und Kroatien ein. 1105 bis 1115 eskalierte der Konflikt in einem Krieg, in dessen Verlauf Venedig einige Küstenorte zurückerobern konnte. 1125 fiel Split.
1133-35 eroberten die Ungarn wiederum Šibenik, Trogir und Split. Zugleich versuchte Padua das venezianische Salzmonopol abzuschütteln, und Ancona versuchte Venedig die Vorherrschaft in der Adria streitig zu machen. Papst Eugen III. ließ Venedig und seinen Dogen exkommunizieren. Bei internen Machtkämpfen wurden die mächtigen Badoer und Dandolo zeitweise entmachtet. Besonders gefährlich wurde die Situation, als sich ein Ehebündnis zwischen Ungarn und Byzanz abzeichnete.
Das Konfliktfeld wurde noch dadurch ausgeweitet, dass sich Friedrich Barbarossa in die italienische Politik einschaltete. Venedig verband sich 1167 mit der Lega Lombarda, einem oberitalienischen Städtebund, der vom Papst unterstützt wurde (vgl. Ghibellinen und Guelfen). Selbst mit den Normannen Süditaliens befand sich Venedig nun im Bund, denn, eine weitere Konstante venezianischer Politik, die Stadt hatte kein Interesse an einem übermächtigen Nachbarn auf dem Festland. 1177 vereinbarten Friedrich I. und Papst Alexander III. einen Friedensschluss in Venedig.
Unter Kaiser Manuel I. (1143-1180), dessen Mutter aus Ungarn stammte, gelang Byzanz die Unterwerfung erheblicher Teile des heute zu Serbien gehörenden Raszien. 1167 unterlagen ihm die Ungarn, wodurch Byzanz erneut zum unmittelbaren Nachbarn Venedigs wurde.
Die Beziehungen zu Byzanz waren seit Jahrzehnten äußerst gespannt. Seit dem Privileg von 1082 beharrte Venedig zunehmend auf einer monopolartigen Stellung in Konstantinopel. Dies führte zu schweren Konflikten vor allem mit Pisa, die sich im Laufe der Kriege um das Heilige Land weiter steigerten. Der Doge Domenico Michiel fuhr mit 40 Galeeren, 40 Frachtschiffen und weiteren 28 Schiffen im April 1123 zur Unterstützung Balduins II. nach Jerusalem, schlug vor Askalon eine ägyptische Flotte und am 7. Juli 1124 fiel Tyros. Der Doge lehnte zwar die Königskrone von Jerusalem ab, fuhr aber mit seiner Flotte gegen Byzanz, als er von der Privilegierung der Pisaner durch Kaiser Johannes II. hörte. Dabei plünderte die Flotte Rhodos, Samos, Chios, Lesbos, Andros, Modon und Kephallenia. 1126 erneuerte der Kaiser unter diesem Druck das Handelsprivileg von 1082.
Kaiser Manuel I. (1143-1180), der Sohn und Nachfolger Johannes', betrieb nicht nur eine Restaurationspolitik in Kleinasien und Italien (Ancona war für fast zwei Jahrzehnte byzantinischer Brückenkopf), sondern auch eine Annäherung an Ungarn. Beide Ziele der byzantinischen Politik richteten sich gegen die Interessen Venedigs, da Konstantinopel bei ihrer Verwirklichung seinen Machtbereich bis nach Istrien ausgedehnt und darüber hinaus mit der Kontrolle der Adria die Macht über Venedigs Seewege erlangt hätte.
Kaiser Manuel wollte außerdem das Abkommen von 1082 widerrufen. Er beschlagnahmte am 12. März 1171 in einer offenbar völlig überraschenden Aktion sämtlichen venezianischen Besitz und inhaftierte in einer Nacht die Venezianer in seinem gesamten Machtbereich.27 Zwar führte eine venezianische Flotte einen Rachefeldzug durch, musste sich aber unverrichteter Dinge zurückziehen. In Venedig führte dies zu Tumulten, in deren Verlauf der Doge Vitale II. Michiel auf offener Straße erstochen wurde. Noch erheblich mehr Opfer forderten die Lateinerpogrome von 1182 unter Manuels Nachfolger Alexios II. Komnenos, doch waren hiervon die konkurrierenden italienischen Städte stärker betroffen als Venedig. Erst 1185 nämlich erhielten seine Händler wieder Zugang zum byzantinischen Markt, doch unter deutlich stärkeren Beschränkungen als vor 1171. Mit einem Sieg über die pisanische Flotte konnte Venedig 1196 wieder sein Handelsmonopol in der Adria durchsetzen. Kaiser Alexios III. stellte Venedig 1198 ein weit reichendes Handelsprivileg aus.
Die Katastrophe von 1171 führte offenbar zur Überwindung der Gegensätze innerhalb der Führungsschicht - entweder zwischen Händlern und Landbesitzern (so deutete es Giorgio Cracco 1967) oder im Kampf um die Bändigung des Dogen (Rösch 1989) - und sozialer Spannungen innerhalb der stark angewachsenen Stadt. Die sechs Stadtquartiere (Sestieri) entstanden, von je einem Vertreter im Kleinen Rat repräsentiert, Kontroll- und Steuerungsorganisationen für Handel und Produktion wurden eingerichtet, der Lebensmittelmarkt streng reguliert, kriegswirtschaftliche Anstrengungen unternommen. Zudem wurden alle Vermögenden einem rigorosen Beleihungssystem unterworfen, bei dem gegen Zins kurzfristig große Geldmengen aufgebracht wurden, um Kriege zu bezahlen, aber auch, um die Versorgung der Stadt mit Lebensmitteln zu sichern.28
Den Vierten Kreuzzug (1201-1204) nutzte der Doge Enrico Dandolo29 zur Eroberung der immer noch reichen Metropole am Bosporus - der bei weitem größten Stadt Europas - wohl kaum aus Rache für die antivenezianischen Aktionen Manuels. Dabei kam ihm zustatten, dass das Byzantinische Reich zu zerfallen begann, denn Trapezunt, Klein-Armenien, Zypern und Teile Mittelgriechenlands um Korinth hatten sich bereits von der Hauptstadt losgesagt. Das unter Geldmangel leidende Kreuzfahrerheer, das sich ab 1201 bei Venedig sammelte, hatte einen Vertrag abgeschlossen, in dem sich Venedig verpflichtete, den Transport des Heeres auf seinen Schiffen zu übernehmen. Doch statt der erwarteten 30.000 kamen nur wenig mehr als 10.000 Mann zusammen, die mit 41.000 Silbermark zudem nur die Hälfte des vereinbarten Transportlohns aufbringen konnten. So akzeptierten die Führer des Kreuzfahrerheeres Dandolos Vorschlag, das widerspenstige Zara (Zadar) - zur Kompensation der Kosten der Überfahrt ins Heilige Land - für Venedig zurückzuerobern. Der Doge erklärte sich bereit, persönlich am Kreuzzug teilzunehmen.
Nach der Eroberung Zaras gab Enrico Dandolo die Flucht eines byzantinischen Thronprätendenten, der sich um Hilfe an das Kreuzfahrerheer unter Führung des Bonifaz von Montferrat wandte, den Vorwand in die Hand, vor Konstantinopel zu ziehen. Eine unbekannte Zahl von Kreuzfahrern weigerte sich, und die Männer zogen auf eigenen Wegen weiter. Die übrigen nahmen, vor allem auf Drängen Dandolos, das Angebot an, zumal der Thronprätendent versprach, die Kosten der Überfahrt zu übernehmen und selbst mit 10.000 Mann die Kreuzfahrt zu unterstützen. Am 23. Juni erreichte die Flotte den Bosporus, am 17. Juli begann der Angriff auf die Stadt. Kaiser Alexios III. floh. Der gestürzte Isaak II. kehrte auf den Thron zurück, der Thronprätendent und Sohn des alten Kaisers Alexios IV. saß bald ebenfalls auf dem Thron. Vater und Sohn wurden jedoch im Februar 1204 gestürzt und kamen ums Leben.
Nach zwei Belagerungen und der Eroberung am 13. April 1204 kam es zu einer der größten Plünderungen des Mittelalters. Obwohl Alexios V. aus der Stadt geflohen war, und obwohl eine geistliche Delegation die Schlüssel der Stadt übergab, plünderten und zerstörten die Kreuzfahrer drei Tage lang die Stadt. Die Erinnerung daran ist im orthodoxen Gebiet nie verblasst, sie wurde mit den Taten des Antichrist gleichgesetzt, die Kirchenspaltung von 1054, die durch die Wiedereinsetzung Isaaks aufgehoben werden sollte, war nun unwiderruflich. Die Gesamtbeute der größten Plünderung des europäischen Mittelalters wurde auf 400.000 Silbermark geschätzt. Sie brachte ungeheure Schätze in den Süden und Westen Europas. In Venedig war die Quadriga auf der Markuskirche ein Symbol für Dandolos Triumph. Zahlreiche Venezianer brachen auf, um sich aus dem zerfallenden Byzanz ein Stück zu sichern. Die wichtigste Beute für Venedig war die Insel Kreta.
Den Eroberern fiel nur ein verhältnismäßig kleiner Teil des Byzantinischen Reichs zu, während sich vor allem in Kleinasien Teilreiche bildeten, ebenso wie in Griechenland (Despotat Epirus). Diese Teilreiche eroberten nach und nach das Lateinische Kaiserreich zurück, wobei sich das Kaiserreich Nikaia durchsetzte. Diese Kämpfe überforderten nicht nur die Ressourcen der griechischen Teilreiche, sondern entlasteten auch die türkischen Emirate, die ihre Siedlungs- und Machtstrukturen stabilisieren konnten. Dabei wandelten die Beys von Aydın und Mentesche ihre küstennahen Herrschaftsgebiete in Seemächte um und wurden damit zu einer ernsten Gefahr. Andererseits etablierte Venedig dort einen Konsul, unterhielt Handelskontakte und nutzte türkische Söldner, um sein Kolonialreich zusammenzuhalten. Parallel zur Expansion der byzantinischen Teilstaaten machten sich Herrschaften, wie die der Bulgaren und Serben, unabhängig und eroberten Teile des Reiches.
Venedig profitierte beinahe ein halbes Jahrhundert lang von der Errichtung des Lateinischen Kaiserreichs, das es faktisch kontrollierte. Die vertraglichen Abmachungen sicherten der Serenissima ausdrücklich die Herrschaft über drei Achtel des Reiches, eine Herrschaft, die Venedig allerdings nur entsprechend seinen Handelsinteressen ausübte - und seiner begrenzten militärischen Möglichkeiten. Es errichtete in den folgenden Jahren ein Kolonialreich in der Ägäis mit dem Schwerpunkt Kreta.30 Eine Kette von Festungen zog sich von der Ostküste der Adria über Kreta und Konstantinopel bis ins Schwarze Meer (vgl. Venezianische Kolonien). Unter dem Schutz des Mongolenreiches erschloss es sich zudem den Handel bis tief nach Asien. Der bekannteste dieser Reisenden ist wohl Marco Polo.
Doch diese Vormachtstellung blieb nicht ungefährdet. Die mächtigste Rivalin war zunächst Pisa, dann Genua. Lange hatten Genuesen versucht, die Eroberung Kretas zu verhindern, und die Insel 1204 bis 1207 selbst besetzt. Darüber hinaus versuchten Byzantiner 1230-1236 und 1262-65, dann abermals Genuesen 1265 die Insel zu erobern. Zudem wehrte sich die griechische Bevölkerung in mehreren Aufständen: 1217-19, 1222-24 und 1228-36, erneut ab 1254, wiederum 1262-68 und abermals 1273-82. Fast die ganze Insel wurde schließlich von dem Aufstand unter Alexios Kalergis erfasst (1283-1299).
Zudem verbündete sich der byzantinische Exilprätendent im kleinasiatischen Nikaia mit Genua. 1261 gelang es den Verbündeten überraschend, mit nur 800 Mann Konstantinopel zurückzuerobern. Venedig musste einen Teil seines Gebietes und seiner Privilegien an den Erzrivalen Genua abtreten, 3000 Lateiner verließen die Stadt, vor allem Venezianer. Dieser Dauerkonflikt zwischen den beiden Handelsmetropolen eskalierte im 13. und 14. Jahrhundert in vier jeweils mehrjährigen Kriegen, die im gesamten Mittelmeer- und Schwarzmeerraum geführt wurden. 1379 gelang den Genuesen im Bündnis mit Ungarn sogar eine einjährige Eroberung Chioggias.31
Daneben versuchte Venedig sich in den Auseinandersetzungen zwischen den Staufern, allen voran Friedrich II., und dem Papst zu behaupten. Schließlich gelang es Karl von Anjou32, die Macht der Staufer in Süditalien zu brechen (1266 gegen Manfred, endgültig 1268 gegen Konradin). Da Karl die Politik der Normannen fortsetzte, und versuchte Byzanz zu erobern, war er der gegebene Verbündete Venedigs zur Rückgewinnung seiner dortigen Privilegien. Doch 1282 machte die Sizilianische Vesper den gemeinsamen Plänen ein Ende, und Sizilien fiel an das iberische Königreich Aragòn.
Es dauerte weitere drei Jahre, bis Venedig in Konstantinopel wieder zugelassen wurde, doch zu ungünstigen Bedingungen.33 Zudem geriet es mit den Nachfolgern Karls in Konflikt, denen es gelang, die Königskrone in Ungarn zu erwerben. Damit bestand erneut die Gefahr einer Abriegelung der Adria, und Venedig verlor seine Vorherrschaft in Dalmatien. Dabei wurde in dieser Epoche das Französische bereits in den Kreuzfahrerstaaten des 12. Jahrhunderts dominierend, schlug dann auch in Venedig starke Wurzeln, wie die Chronik des Martino da Canal erweist, aber auch ein Testament von 1294, das ein venezianischer Händler auf Zypern aufsetzen ließ, oder der Vertrag des Sultans von Aleppo an-Nasir Yusuf, den er 1254 mit Venedig schloss33n.
Eine weitere politische Entwicklung brachte Venedigs Herrschaft in Gefahr, die Entstehung der Signoria, wie die der Scaligeri in Verona oder der Este in Ferrara. Nachdem es Venedig seit etwa 1200 zunehmend gelungen war, die benachbarten Festlandsstädte gegeneinander auszuspielen, sie durch Handelsblockaden, Umstürze oder militärische Gewalt seinen Interessen unterzuordnen - zu diesen Städten gehörten etwa Ferrara, Padua, Treviso, Ancona und Bologna34 - gefährdeten die Signori seine Vormacht. Diese Herrschaftsform in den Städten Oberitaliens brachte bald mehrere dieser recht schnell wachsenden Zentren in eine Hand, was Venedig politisch erpressbar machte. Besonders von Mailand und Verona sah sich Venedig bedroht.
Trotzdem gelang es Venedig, seine Vormachtstellung im östlichen Mittelmeerraum zu behaupten, obwohl in der ersten Pestwelle von 134835 mehr als die Hälfte der Bevölkerung ums Leben kam, und obwohl 1379 die Genuesen im Bunde mit Ungarn beinahe die Stadt eroberten. Zudem erschütterte 1310 ein Adelsaufstand unter Führung des Baiamonte Tiepolo die Republik, 1355 versuchte der Doge Marino Falier einen Staatsstreich und es erhoben sich 1363 die venezianischen Siedler auf Kreta in einem Jahre andauernden Aufstand gegen die rigide Politik Venedigs.36
Durch die Pest war die Bevölkerungszahl 1348 von etwa 120.000 auf vielleicht 60.000 eingebrochen. Die Masse an Toten konnte nur aus der Stadt geschafft werden, indem man im April 1348 zwei Inseln, San Leonardo Fossamala und San Marco in Bocca Lama opferte. Die Friedhöfe in der Stadt wurden weiterhin benutzt. Dennoch genügte nach zwei Monaten der Platz nicht mehr. Apokalyptische Erwartungen und eine intensivierte Frömmigkeit machten sich bemerkbar. Angesichts der katastrophalen Situation löste sich die staatliche Ordnung Anfang Juli 1348 praktisch auf, als der Große Rat verkündete, er könne sich nicht mehr versammeln und man könne Rettung nur noch von Gott erwarten. Der Senat beauftragte Provveditori alla Sanità mit der Bekämpfung der Pest. Sie wurden von nun an immer wieder neu bestellt, wenn die Pest ausbrach. 1485 wurden die Proveditoren auf Dauer bestellt, was dem venezianischen Krankenwesen im 16. und 17. Jahrhundert einen gutetn Ruf verschaffte. Ab 1504 ordneten sie an, dass jeder Verstorbene von einem Arzt darauf untersucht werden musste, ob er an einer ansteckenden Krankheit verstorben war. Der Verlust von mehr als der Hälfte der Bevölkerung zwang Venedig erstmals in seiner Geschichte, auf fremde Soldaten zurückzugreifen. Dies geschah im Krieg von 1350 bis 1355, den sich Venedig mit Genua lieferte.
Dieser ersten Pestwelle folgten bis in das frühe 16. Jahrhundert weitere 25 Epidemien. 1423 ließ die Stadt ein erstes Pestkrankenhaus errichten, das Lazzaretto Vecchio, das allerdings zunächst nur der Isolierung der Kranken diente. Erst 1468 wurde mit dem Lazzaretto Nuovo eine erste Quarantänestation eingerichtet. Hier mussten sich alle einfinden, die aus Gebieten kamen, in denen die Pest herrschte, und so lange warten, bis man sicher sein konnte, dass sie symptomfrei waren. Trotz der immer wieder auftretenden Pestwellen erholte sich die Bevölkerungszahl, vor allem durch Zuwanderung, die politische Stabilität kehrte zurück.
Der Friede von Turin (8. August 1381) läutete eine neue Phase der Prosperität ein, zumal Genua, durch innere Kämpfe geschwächt, keine große Gefahr mehr darstellte.37 Nach langen Kämpfen mit Ungarn, das die Stützpunkte in Dalmatien bedrohte, gelang es den Venezianern zwischen 1410 und 1420 sogar, ganz Dalmatien zu erobern. Doch es gelang ihnen nicht, ihr altes Herrschaftsgebiet im südlichen Istrien nach Norden auszudehnen; der Nordteil geriet in den Einflussbereich der Habsburger. Die Grenzziehung stand ab etwa 1500 fest, als die Grafschaft Görz durch Erbschaft an Habsburg fiel und so Triest dem venezianischen Einfluss entzogen wurde. Hingegen kam 1386 Korfu durch Kauf an Venedig, darüber hinaus die Ionischen Inseln und eine Reihe von Städten entlang der albanischen Küste.
Währenddessen gelang es den Türken - zunächst unter verschiedenen Dynastien, dann unter Führung der Osmanen -, Kleinasien zu erobern. Mitte des 14. Jahrhunderts setzten sie nach Europa über und reduzierten Byzanz zunehmend auf seine Hauptstadt, womit sie zu Rivalen Venedigs wurden. Denn trotz der Rückeroberung von 1261 war die Durchfahrt durch den Bosporus, den Konstantinopel schützte, von größter Bedeutung für Venedig. Dies umso mehr, als 1291 der letzte Handelsstützpunkt im Heiligen Land fiel. Venedig musste sich infolgedessen auf die Handelswege über Kleinarmenien und Täbris, sowie über Famagusta, Konstantinopel und das Schwarze Meer konzentrieren. Das wiederum verschärfte die Rivalität mit Genua, die - selbst in Zeiten relativen Friedens - immer wieder zu Überfällen auf die gegnerischen Stützpunkte und zu offener Piraterie führte.
Etwa zur selben Zeit begann Venedig, sich auf das Festland, die Terra Ferma, auszudehnen, wo der Adel bereits umfangreiche Ländereien besaß, und wo häufig Venezianer im Amt eines Podestà tätig waren. Die 1402 einsetzende Eroberungspolitik war in Venedig heftig umstritten, denn sie führte zwangsläufig zu Konflikten mit dem Reich, dem Papst und den mächtigsten Staaten Italiens. So waren schon die Angriffe auf Ferrara, das Venedig als erste Festlandsstadt 1240 erobert hatte, gescheitert, ebenso wie im Krieg von 1308 bis 1312. In beiden Fällen scheiterte Venedig vor allem am päpstlichen Widerstand. 1339 hingegen wurde Treviso im Zuge eines Krieges gegen die Scaliger von Verona erobert, wenn diese Eroberung auch erst 1388 endgültig abgeschlossen wurde. In den Jahren nach 1402, dem Todesjahr des Mailänders Gian Galeazzo Visconti, der große Teile Oberitaliens beherrscht hatte, brachte Venedig die Herrschaft über ganz Venetien und Friaul an sich, ebenso wie über die dalmatinische Küste.
Mit diesen Eroberungen forderte Venedig den König von Ungarn und des Heiligen Römischen Reiches Sigismund heraus, dessen Rechte damit in beiden Fällen verletzt wurden. Schließlich war das bedrohte Aquileja Reichslehen, und als König von Ungarn hatte Sigismund seit dem Frieden von Turin (1381) Anspruch auf die Küstenstädte Dalmatiens. So kam es 1411 bis 1413 zu einem ersten Krieg, der aber trotz Blockademaßnahmen zu keinerlei Resultaten führte. 1418-1420 kam es zu einem zweiten Krieg zwischen Venedig und dem König, an dessen Ende 1433 Feltre, Belluno, Udine und der übrige Friaul an Venedig fielen.38
Beschleunigt wurde diese Eroberung unter Führung des Dogen Francesco Foscari (1423-57).39 1425 besiegte eine venezianische Armee die Mailänder bei Maclodio (in der Provinz Brescia) und schob die Grenze bis an die Adda vor. Doch 1446 verbündeten sich Mailand, Florenz, Bologna und Cremona gegen Venedig. Bei Casalmaggiore siegte Venedig abermals, und in Mailand wurden die Visconti gestürzt. Venedig verbündete sich zeitweise mit dem neuen Herrn Mailands, Francesco Sforza, wechselte aber angesichts seiner zunehmenden Macht wieder zu seinen Feinden über.
Erst im Frieden von Lodi 1454 erfolgte eine vorläufige Grenzziehung: Die Adda wurde als venezianische Westgrenze festgelegt. Diese Eroberungen und mehrere Versuche, Ferrara, auf das der Kirchenstaat Anspruch erhob, zu erobern, führten dazu, dass der Papst und die meisten anderen italienischen Staaten nun in Venedig ihren schärfsten Rivalen sahen.
Venedig war bei diesen langwierigen Kriegen als zentraler Finanzplatz im Vorteil, weil es leichter die große Geldsummen verschlingenden Berufsarmeen der Condottieri bezahlen konnte, die nun die Kriege in Italien führten. Doch versuchten seine Gegner mit verschiedenen geld- und wirtschaftspolitischen Maßnahmen diese Stellung ins Wanken zu bringen. Die Mittel reichten dabei von der Handelsblockade bis zur Ausgabe von gefälschten Münzen.
Viele dieser Mittel standen gegenüber den Osmanen nicht zur Verfügung, die spätestens mit der ersten Belagerung Konstantinopels (1422) zur Großmacht geworden waren, die nun daran ging, die zahlreichen kleinen Herrschaftsgebiete zu erobern. Venedig verteidigte von 1423 bis 1430 vergebens Thessaloniki, und auch die Ungarn wurden zurückgeschlagen. 1453 gelang es den Osmanen endgültig Konstantinopel zu erobern. Schlagartig riss damit der immer noch bedeutende Handel mit dem Ägäis- und dem Schwarzmeerraum ab. Dennoch gelang es der venezianischen Diplomatie, neue Fäden anzuknüpfen, so dass das Quartier in der nunmehr osmanischen Hauptstadt erneut bezogen werden konnte. 1460 eroberten osmanische Truppen die letzte nennenswerte byzantinische Bastion Mistra, womit das Osmanische Reich zum unmittelbaren Nachbarn der venezianischen Festungen der Peloponnes wurde. 1475 kam die Krim hinzu, wodurch der von Genuesen vermittelte Handel zusammenbrach. Schon in der Zeit vor der Eroberung Konstantinopels setzte eine griechische Flüchtlingswelle nach Westen ein, so dass die Griechen zur größten Gemeinde in Venedig wurden. Ihre rund 10.000 Mitglieder erhielten 1514 das Recht, eine orthodoxe Kirche zu errichten, San Giorgio dei Greci. Ebenso stieg die Zahl der Armenier an, die bereits 1496 ihre Kirche Santa Croce weihten.40 Hinzu kamen jüdische Flüchtlinge aus Spanien, von wo sie ab 1492 vertrieben wurden, ebenso wie wenig später aus den anderen spanischen Gebieten einschließlich Portugal. 1575 entstand in Venedig das erste Handelshaus der Türken, 1621 zogen sie in den Fontego dei Turchi am Canal Grande. Auch wenn 1492 und 1601 venezianische Gesetze den Handel zwischen Christen und Muslimen untersagten, so beweisen doch venezianische Archivalien, vor allem Notariatsakten, dass dieser Handel recht intensiv vonstatten ging. Girolamo Civran wurde 1534 zum ersten staatlichen Dolmetscher (dragomanno) für Griechisch und Türkisch erhoben. Ihm folgte 1550 bis 1595 der als besonders befähigt geltende Michele Membrè, gegen Ende des Jahrhunderts schließlich Giacomo De Nores. Die Leistungsfähgikeit der Übersetzer unterhalb dieser Ebene differierte dabei aufs stärkste. Der ahidname Selims I. von 1513 wurde beispielsweise so schlecht übersetzt, dass manche Sätze etwas ganz anderes bedeuten, als das,, was im türkischen Text stand.
1463-1479 stand Venedig erneut im Krieg mit der östlichen Großmacht, auch wenn der Grad und die Permanenz der Bedrohung durch die Geschichtsschreibung vielfach übertrieben wurden. Lange Phasen des Friedens und sogar der Hilfsangebote der Osmanen gegen die westlichen Widersacher Venedigs relativieren inzwischen dieses Bild. Auch verging seit dem 16. Jahrhundert kein Jahr, in dem nicht mindestens ein türkischer ulak, ein Briefüberbringer, häufig aber auch ein elçis, ein regelrechter Botschafter in Venedig erschien. Er hatte meist umfassende Handlungskompetenzen. Auch begannen Venezianer und Osmanen das Meer aufzuteilen, während sich andernorts immer mehr die Vorstellung durchsetzte, dass die offene See allen gehöre. Darüber hinaus setzten Kommissionen Grenzverläufe auf dem Balkan und in Griechenland fest, man einigte sich also überwiegend friedlich bei Meinungsverschiedenheiten und entwickelte ein entsprechendes diplomatisches Procedere. Zudem machte eine Reihe von Venezianern in den Reihen der osmanischen Flotten und Armeen Karriere - so etwa Marcantonio Querini oder Andrea Celeste, der als beylerbey von Algier durch seinem berühmten Sklaven Miguel de Cervantes in die Geschichte der Literatur einging. Zwischen den Diplomaten entwickelten sich vielfach Freundschaften. Insgesamt lagen Venedig und Istanbul erheblich weniger im Krieg miteinander, als andere Mächte der Zeit.
Wenn es jedoch zu Kriegen kam, dann war die Schärfe und Grundsätzlichkeit der Auseinandersetzung nicht zu unterschätzen. So eroberten, trotz vereinzelter venezianischer Erfolge, die Osmanen 1470 die Insel Negroponte. Selbst Bündnisversuche mit dem Schah von Persien sowie Angriffe auf Smyrna, Halikarnassos und Antalya brachten keine greifbaren Ergebnisse. Als die Herrscher von Persien und Karaman von den Osmanen geschlagen wurden und Skanderbeg, der Albanien verteidigt hatte, starb, führte Venedig den Krieg allein fort. Zwar konnte es Skutari zunächst gegen die Belagerer verteidigen, verlor die Stadt zwei Jahre später dennoch. Die Hohe Pforte versuchte sogar einen Angriff im Friaul, sowie in Apulien. Erst am 24. Januar 1479 kam es zu einem Friedensschluss, der fünf Jahre später bestätigt wurde. Venedig musste auf die Argolis, Negroponte, Skutari und Lemnos verzichten und darüber hinaus jedes Jahr 10.000 Golddukaten an Tribut zahlen.
Umso mehr konzentrierte sich Venedig auf das italienische Festland. Gegen den Widerstand von Mailand, Florenz und Neapel versuchte es im Bund mit dem Papst Ferrara zu erobern. Trotz schwerer Niederlagen zu Lande gelang es, Gallipoli in Apulien zu erobern. Außerdem fielen Venedig im Frieden von 1484 die Polesine und Rovigo zu. In den Kämpfen gegen den französischen König Karl VIII., der 1494 versuchte, Italien zu erobern, und im Zusammenhang mit der spanischen Eroberung des Königreichs Neapel, besetzte die venezianische Flotte einen großen Teil der apulischen Küstenstädte. Am 15. April 1499 schloss Ludwig XII. von Frankreich mit Agostino Barbarigo, dem Dogen Venedigs, einen Friedensvertrag.
Insgesamt hatte Venedig seine Vormachtstellung im Osten weitgehend eingebüßt, profitierte aber nach wie vor vom Mittelmeerhandel in einem Ausmaß, das sie zur reichsten und einer der größten Städte Europas machte. Darüber hinaus werteten Meliorationen auf dem Festland die Erträge auf, so dass auch von hier umfangreiche Gewinne nach Venedig flossen. Mit rund 180.000 Einwohnern, die Beloch schätzte, erreichte sie annähernd ihre maximale Einwohnerzahl, wobei in ihrem Kolonialreich rund zwei Millionen Menschen lebten.41 Allerdings sind spätere Schätzungen erheblich bescheidener. Sie kommen für die Zeit um 1500 auf etwa 100.000 Einwohner.41a Der Ausbau der Stadt nach innen, durch Landgewinnung und Trockenlegung von Sümpfen, durch höhere Häuser und dichtere Bebauung, beschleunigte sich.42 Zudem prägten Zuwanderer aus dem gesamten Handelsgebiet die Stadt zunehmend. Perser, Türken, Armenier, Bewohner des Heiligen Römischen Reiches, Juden, dazu Bewohner zahlreicher italienischer Städte fanden eigene Handelshäuser, Quartiere und Straßenzüge. Neben dem Fernhandel und dem Handel mit Salz und Getreide wuchsen die Glasindustrie und der Schiffbau43 zu den bedeutendsten Einnahmequellen heran.
Unter der Führung Papst Julius' II. versuchte die Liga von Cambrai die venezianische Expansion rückgängig zu machen. Kaiser Maximilian I. forderte die Terra Ferma als entfremdetes Reichsgebiet zurück, Spanien forderte die apulischen Städte, der König von Frankreich Cremona, der König von Ungarn Dalmatien. Die venezianische Armee erlitt in der Schlacht von Agnadello am 14. Mai 1509 eine vernichtende Niederlage. Trotzdem gelang es der Serenissima im selben Jahr das verlorene Padua zurückzuerobern, und bald kamen Brescia und Verona wieder an Venedig. Trotz der Rückeroberungen kam die venezianische Expansion zum Stillstand. Spanien erlangte weitgehende Vorherrschaft in Italien, der Süden fiel ihm ganz zu. 1511 entstand jedoch eine neue Koalition gegen die französische Expansion nach Italien, von der sich Venedig allerdings schon 1513 wieder abwandte. 1521 bis 1522 und 1524 bis 1525 unterstützte Venedig König Franz I. von Frankreich gegen den Papst und die Habsburger. Von nun an betrieb die Republik gegenüber den italienischen Staaten eine Politik der strikten Neutralität, verbündete sich aber immer wieder gegen die Habsburger, wie etwa in der Liga von Cognac (1526 bis 1530).
Während der Kriege mit den Osmanen von 1499 bis 1503 und von 1537 bis 1540 war Venedig mit Spanien verbündet. 1538 erlitt der Admiral der Bundesflotte, Andrea Doria, bei Preveza eine schwere Niederlage gegen die osmanische Flotte, der es erstmals gelang, sich auf See durchzusetzen. Das Herzogtum Naxos, das seit dem IV. Kreuzzug venezianischen Vasallen unterstand, wurde von den Osmanen in Besitz genommen. Venedig war durch seine vergleichsweise geringen Ressourcen nur noch mühsam in der Lage, im Konzert der Großmächte mitzuspielen. So sah sich die Stadt ab 1545 gezwungen, ähnlich wie andere Seemächte, auf Galeerenhäftlinge zurückzugreifen, die an die Ruderbank angekettet waren.
Ein letztes Mal spielte Venedig 1571 eine weltpolitische Rolle, als es im Rahmen der Heiligen Liga 110 Galeeren zur Bündnisflotte beitrug, die insgesamt 211 Schiffe umfasste. In der Seeschlacht von Lepanto,44 unweit des griechischen Patras, konnte diese Flotte die osmanische besiegen und 117 von deren 260 Galeeren erobern. Doch Venedig konnte keinen Vorteil daraus ziehen - die Insel Zypern war schon vor der Seeschlacht verloren gegangen, und es fehlten längst die Kräfte für eine Rückeroberung. Zudem umfasste die osmanische Flotte schon wenig später wieder 250 Kriegsschiffe. So ging mit Zypern die letzte bedeutende Besitzung in der Levante verloren, ein Verlust, der 1573 vertraglich anerkannt wurde.
Aus der Perspektive der Venezianer hatten die (bis dato fünf) Türkenkriege weiterhin oberste Priorität. Dabei versuchten sie, sich nicht in Auseinandersetzungen hineinziehen zu lassen, wie sie die Uskoken durch ihre Piraterie immer wieder auslösten. Die Uskoken waren christliche Flüchtlinge aus den osmanisch besetzten Gebieten Bosniens und Dalmatiens. Sie waren nach Lepanto als Untertanen der Habsburger in den Grenzgebieten zur Verteidigung angesiedelt worden. Als Venedig 1613 militärisch gegen sie vorging und Gradisca attackierte, fand es sich in einem mehrjährigen Konflikt mit den Habsburgern wieder, der erst 1617 beigelegt werden konnte. In diesem Jahr versuchte der spanische Vizekönig von Neapel die Vorherrschaft Venedigs in der Adria - mit geringem Erfolg - zu brechen. Der hierin verwickelte spanische Gesandte wurde abberufen, drei seiner Männer gehenkt. Das Misstrauen gegen Spaniens Intrigen ging so weit, dass 1622 der - wie sich später herausstellte - unschuldige Gesandte Antonio Foscarini zwischen den Säulen des Markus und des Theodor auf der Piazzetta hingerichtet wurde.45 Politisch war die Stadt dabei gespalten. Einerseits wehrten sich die so genannten giovani, die Jungen, gegen die Einmischung des Papstes in die Politik Venedigs, und unterstützten dabei über die Konfessionsgrenzen hinweg die protestantischen Herrscher. Zudem misstrauten sie den katholischen Habsburgern, vor allem den spanischen. Führer dieser anti-päpstlichen und anti-jesuitischen Gruppe, die in weltlichen Dingen dem Papst keine Vorrechte einräumen wollte, war Paolo Sarpi. Die Gegner der giovani waren die vecchi, die Alten, auch papalisti, Papstanhänger genannt. Sie unterstützten Spanien, das bereits die meisten Gebiete Italiens beherrschte.
1628 wurde Venedig in die Kämpfe um das Machtgleichgewicht innerhalb Italiens durch den Franzosen Charles von Gonzaga-Nevers hineingezogen. Venedig verband sich mit Frankreich gegen die Habsburger, die im Bündnis mit Savoyen standen. Die Venezianer erlitten bei dem Versuch, Mantua von den deutschen Belagerern zu entsetzen, eine schwere Niederlage. Diese Niederlage in Verbindung mit der sechzehnmonatigen Pest von 1630 bis 1632, die Venedig, eine Stadt von 140.000 Einwohnern (andere schätzten 150.000), rund 50.000 Menschenleben kostete,46 war der Beginn seines außenpolitischen Niedergangs. Die Kirche Santa Maria della Salute wurde zum Dank für das Ende der Katastrophe errichtet.
1638 drang eine tunesisch-algerische Korsarenflotte in die Adria ein und zog sich in den osmanischen Hafen von Valona zurück. Die venezianische Flotte beschoss die Stadt, kaperte die Piratenflotte und befreite 3.600 Gefangene. An der Hohen Pforte bereitete man im Gegenzug die Eroberung Kretas vor. Die Belagerung von Candia, der Hauptstadt der Insel, dauerte 21 Jahre. Zugleich griffen türkische Flottenverbände Dalmatien an, das allerdings gehalten werden konnte. Candia kapitulierte am 6. September 1669. Die letzten Festungen um Kreta hielten sich noch bis 1718.
Die Herrschaft des Adels blieb trotz der äußeren Erschütterungen stabil, der Stand scharf nach außen abgegrenzt.47 1594 wies Venedig 1.967 mindestens 25-jährige Adlige auf, die sich im Großen Rat versammelten und den Adel insgesamt repräsentierten. Während des Kampfes um Kreta gestattete dieser Adel ausnahmsweise die Aufnahme von hundert neuen Familien gegen Zahlung von 100.000 Dukaten, um die Kriegslasten tragen zu können. Dennoch beherrschten nach dieser Aggregation weiterhin die 24 alten Familien (case vecchie) die Politik, die sich bis in die Zeit vor 800 zurückverfolgen konnten. Hinzu kamen etwa 40 weitere Familien, die über zahlreiche Ämter Zugang zum Kernbereich der Machtausübung hatten. Gelegentlich stießen neue Familien in den innersten, weniger scharf abgegrenzten Machtkern vor, andere mussten ihn verlassen. Dabei sank die Zahl der Adligen insgesamt trotz der Aggregation bis 1719 auf nur noch 1.703, die sich auf rund 140 Familien mit zahlreichen Zweigen verteilten. Deren Bindung untereinander wurde dadurch begünstigt, dass die Brüder innerhalb einer Familie ohne Vertrag eine Handelsgesellschaft darstellten.
Die Vermögensverteilung wurde innerhalb des steuerpflichtigen Adels - was in Europa eine Ausnahme war - 1581, 1661 und 1711 erhoben. Von den 59 Haushalten, die über ein Jahreseinkommen aus ihren Häusern und Liegenschaften von mehr als 2.000 Dukaten pro Jahr verfügten, waren 1581 nur drei nicht adlig. 1711 gehörte gar von den 70 Haushaltsvorständen, denen mehr als 6.000 Dukaten zuflossen, nur einer nicht dem Adel an. Vermögen und Adel waren praktisch identisch, sieht man von wenigen Ausnahmen ab.
Dabei sind die mobilen Vermögen nicht berücksichtigt, die sich über die Testamente analysieren ließen. Depositen bei der Zecca, der staatlichen Münze, spielten dabei eine große Rolle, ähnlich wie im 14. Jahrhundert bei der Weizenkammer, der Camera del frumento. Der 1701 verstorbene Alvise da Mosto hatte dort eine Summe von 39.000 Dukaten hinterlegt. Hinzu kamen Einlagen in Familienunternehmen, wie die des Antonio Grimani, der bis 1624 rund 20.000 Dukaten in eine Seifensiederei investiert hatte. Außerdem trug der Handel mit den Produkten der eigenen Güter, wie Getreide und Vieh erheblich zum Vermögen bei. Der Adel erwarb vor allem zwischen etwa 1650 und 1720 fast 40 % des frei werdenden Gemeindelands auf dem Festland. Wichtig waren auch Mitgiften, die zwischen 5.000 und 200.000 Dukaten schwankten, sowie Einnahmen aus Staats- und Kirchenämtern.
Insgesamt zählten etwa 7.000 Menschen zum Adel, der die rund 150.000 Einwohner zählende Stadt und das 1,5 bis 2,2 Millionen Einwohner zählende Kolonialreich beherrschte, politisch und ökonomisch. Die Machtausübung geschah weiterhin in einem Turnus von über 400 dem Adel vorbehaltenen Ämtern, die meist jährlich ausgeübt wurden, sieht man einmal vom Dogen und den Prokuratoren und einigen wenigen weiteren Ämtern ab, die auf Lebenszeit vergeben wurden. Eine Professionalisierung der Politik im Sinne einer Ausbildung oder eines Studiums hat sich in Venedig nie durchgesetzt.
Erst nachdem die osmanische Armee vor Wien 1683 gescheitert war, gelang es, ein neuerliches Bündnis zu schließen. 1685 landete eine venezianische Armee unter Francesco Morosini und Otto Wilhelm von Königsmarck auf Santa Maura (Lefkas), dann auf dem Peloponnes, eroberte Patras, Lepanto und Korinth und stieß weiter bis Athen vor. 1686 wurden Argos und Nauplia eingenommen. Die Rückeroberung von Euböa scheiterte jedoch 1688. Obwohl der venezianischen Flotte Seesiege bei Mytilini, vor Andros und sogar den Dardanellen gelangen (1695, 1697 und 1698), nahmen die eigentlichen Sieger, die österreichischen Habsburger und das Russische Reich, Venedigs Forderungen nicht ernst. Schließlich sicherte der Frieden von Karlowitz im Jahr 1699 die Eroberungen Venedigs nur notdürftig.
Im Dezember 1714 begannen die Osmanen mit der Rückeroberung. Daniele Dolfin, Admiral der venezianischen Flotte, war nicht bereit, diese für die Morea, die seit 1684/85 venezianisch war, aufs Spiel zu setzen. Trotz der Niederlagen, die die Osmanen gleichzeitig gegen die habsburgischen Armeen einstecken mussten, gelang es Venedig nicht, im Frieden von Passarowitz (1718) die Wiederherausgabe der Morea durchzusetzen, wohingegen die Habsburger große territoriale Gewinne verbuchten. Dieser Krieg war der letzte zwischen dem Osmanischen Reich und Venedig. Venedigs Kolonialreich, der Stato da Mar, bestand praktisch nur noch aus Dalmatien und einer Reihe von Inseln.
Ausschlaggebend für den allmählichen Niedergang Venedigs war der zunehmende Bedeutungsverlust des Handels in der Levante und der damit einhergehende Aufstieg neuer Mächte. Diese Mächte verfügten über Ressourcen und über Organisations- und Kreditformen, die in Venedig nicht zur Verfügung standen. Zudem unterschätzte man in Venedig die Bedeutung der neu erschlossenen Ressourcen der Neuen Welt und Ostindiens und konnte damit nicht von den sich verlagernden Handelsströmen (Atlantischer Dreieckshandel und Gewürzroute) profitieren. So wurde Venedig durch die aufstrebenden Staaten Portugal, Spanien, der Niederlande und England bzw. Großbritannien wirtschaftlich und machtpolitisch allmählich überflügelt. Es besaß zudem aufgrund seiner relativ geringen Bevölkerungszahl und des Mangels an rohstoffreichen Kolonien nicht die Möglichkeiten einer merkantilistischen Wirtschaftspolitik im großen Stil. Einzig die Produzenten von Glasperlen gewannen durch den Handel der neuen Kolonialmächte in Amerika, Asien und Afrika riesige neue Märkte. In Europa spezialisierte sich Venedig auf den Handel mit Luxuswaren, vor allem mit Glas, und auf die Landwirtschaft.
Venedig und die italienischen Stadtstaaten sanken insgesamt von Regionalmächten zu Lokalmächten herab, die Landwirtschaft wurde zum Haupttätigkeitsfeld eines wachsenden Teils des Adels.
Dennoch gelang es Venedig, seine bis heute bestehenden Verteidigungsanlagen auszubauen, die Murazzi, ein System, das praktisch die gesamte Lagune umschloss und das zwischen 1744 und 1782 entstand.48 Zudem hielt sich Venedig keineswegs aus den Konflikten, wie im Maghreb, heraus. 1778 operierte seine Flotte vor Tripolis, 1784-87 entspann sich ein Krieg mit Tunesien, den Angelo Emos Flotte führte, 1795 mit Marokko und noch im Oktober 1796 mit Algier.
Auf seinem Italienfeldzug bot Napoléon Bonaparte ein Bündnis an, doch lehnte der Senat ab. Er unterstützte stattdessen den bewaffneten Aufstand auf der Terra ferma, als Bonaparte gegen die Österreicher zog. Nachdem am 17. April die französische Flotte von den Kanonen am Lido zurückgeschlagen worden war, erklärte Napoleon, der Attila für Venedig sein zu wollen.49 1796 rückten zwar 12.000 schiavoni, Soldaten aus Dalmatien und Albanien, in die Stadt ein, doch überließen sie das Festland Napoleon. Am 17. April 1797 kam es in Verona zu einem Aufstand, dem Veroneser Osterfest, bei dem fast 400 Franzosen ums Leben kamen. Der Aufstand wurde niedergeschlagen, der Senat hatte die Rebellen um vorsichtige Zurückhaltung ersucht.
Am 1. Mai 1797 erklärte Napoleon Venedig den Krieg. Am 2. Mai verlangte er von Unterhändlern die Entwaffnung, die Überlassung des Arsenals und die Modernisierung der Verfassung. Am 12. Mai löste sich die Republik auf. Der Große Rat wurde einberufen, doch nur 537 der 1200 Mitglieder erschienen. Zwar war er damit formal nicht entscheidungsfähig, denn mindestens die Hälfte seiner Mitglieder musste anwesend sein, doch legte der letzte Doge Lodovico Manin sein Amt nieder. Die Stadt wurde am 14. Mai 1797 besetzt. Es gab insgesamt nur noch 962 Patrizier aus 192 Familien, die fast alle ihre Ämter verloren. Der Friede von Campo Formio brachte das Gebiet der Republik mit Ausnahme der an Frankreich fallenden Ionischen Inseln 1798 an Österreich.
1805 bis 1814 war Venedig wieder unter französischer Hoheit; ein erheblicher Teil seiner historischen Kunstschätze und Archivalien wurde nach Paris gebracht. Eugène de Beauharnais, seit 1805 Vizekönig von Italien, wurde am 17. Dezember 1807 Prince de Venise, doch sein Streben, von Napoleon das Königtum Italien zu erhalten, wurde nicht erfüllt.49c
Die Franzosen ließen die Korporationen auflösen, ebenso die mehr als 300 scuole. Die Zahl der Kirchengemeinden wurde von 70 auf 39 reduziert, 60 Klöster aufgelöst. Ab 1810 wurden zahlreiche Kirchen umfunktioniert oder abgerissen, 24 von ihnen entweiht. Der Kunstmarkt brach zusammen, da ein erheblicher Teil der Kunstwerke der Bruderschaften, Zünfte, Klöster und Kirchen gleichzeitig auf den Markt kam, sei es durch Verkauf, sei es durch Raub.
Am Markusplatz entstand die Ala Napoleonica, der die Kirche San Geminiano zum Opfer fiel, der alte Weizenspeicher wurde ebenfalls abgerissen. Im Osten der Stadt entstand die Via Eugenia, die heutige Via Garibaldi, ein breiter Durchbruch durch die Arbeiterquartiere des Arsenals. Zudem litt der Handel unter der Kontinentalsperre, die privaten Vermögen wurden zur Kriegsfinanzierung herangezogen, die meisten Adligen fanden unter den neuen Bedingungen kaum eine ausreichende Beschäftigung und sahen sich gezwungen, ihr Vermögen zu verbrauchen, ihre Kunstwerke wurden vielfach verkauft. Vom Herbst 1813 bis Frühjahr 1814 blockierte die englische Flotte die Stadt. Die Bevölkerung schrumpfte um ein Drittel auf 100.000.
Nach der endgültigen Niederschlagung der napoleonischen Herrschaft in Europa und dem die Restauration einleitenden Wiener Kongress fiel Venedig 1815 zusammen mit der Lombardei erneut an Österreich (vgl. Königreich Lombardo-Venetien). Doch nur ein Teil der Kunstwerke und Archivstücke kehrte zurück50, wenn auch am 13. Dezember 1815 die Bronzequadriga am Markusdom wieder aufgestellt wurde. Venedig wurde neben Mailand immerhin zur Residenzstadt, doch der seit 1818 regierende Vizekönig, Erzherzog Rainer, schilderte 1819 die Stadt in düsteren Zügen. Im selben Jahr berichtete der Schwede Jacob Berggren von einer Schauspieltruppe aus Venedig, die in Triest gastierte. Er meinte, "die Liebe geht allem andern bei den Venezianern vor, deren Moral in ihrem Wahlspruche ausgedrückt ist: Un prete, una putta e una gondola" (Ein Priester, eine Hure und eine Gondel).50c Die Maßnahmen zur wirtschaftlichen Genesung, die in den 1820er Jahren einsetzte, wurden eher auf der unteren und mittleren Verwaltungsebene vollzogen, als auf der der Regentschaft. Nach und nach wurden Straßenbauten in Angriff genommen und am 4. Januar 1846 überquerte die erste Dampflokomotive den Bahndamm durch die Lagune. Dennoch stagnierte die Stadt und ganz Europa rebellierte 1848 gegen die konservativen Regime.
Rechtlich unterstand der österreichische Norden Italiens einem Vizekönig, dessen beide Herrschaftsbereiche Venezien und Lombardei jeweils einem Zivilstatthalter. Ihnen standen Militärgouverneure zur Seite. Dabei gestattete die Verfassung die Beteiligung von Italienern nur auf der untersten Ebene des Gemeindewesens und nur auf zivilen Feldern. Das Amt des Bürgermeisters von Venedig (podestà) als das höchste für Venezianer erreichbare reichte in seinen Kompetenzen über die Stadt nicht hinaus. Venedig erhielt während dieser Zeit jeweils einen auf drei Jahre ernannten Podestà, was vielfach unzulänglich mit ‚Bürgermeister‘ übersetzt wurde. Die Kommune schlug dazu drei Kandidaten vor, von denen der österreichische Kaiser einen aussuchte. Politische Ämter wurden dabei eher zu Ehrenposten, und selbst diese wurden weitgehend vom Adel besetzt, nachdem Wien Zugehörigkeit zum Patriziat in den meisten Fällen schon durch Verleihung von Grafentiteln (conti) anerkannt hatte. Bartolomeo Gerolamo Gradenigo, der bereits seit 1811 für die Franzosen das Podestat innehatte, gründete beim Abzug der Franzosen 1814 eine provisorische Regierung. Am 4. Mai 1814 ordnete Gradenigo eine feierliche Prozession und einen Dankgottesdienst anlässlich des Endes der Belagerung durch die britische Flotte an. Mit dem Vertrag von Fontainebleau wurde der Krieg zunächst beendet, Napoleon verbannt. Vizekönig Eugène de Beauharnais unterzeichnete die Konvention von Schiarino-Rizzino. Auf dieser Grundlage konnten die Österreicher zurückkehren, während Gradenigo eine provisorische Regierung führte. Er blieb auch in den ersten eineinhalb Jahren der österreichischen Herrschaft Bürgermeister der Stadt. Ihm folgte Marco Molin im Amt. Prinz Heinrich XV. Reuß zu Greiz übernahm für Österreich am 20. April 1814 formal die Stadtregentschaft, Heinrich wurde bis 1816 erster Generalgouverneur von Venedig. Nun bekam Venedig zu spüren, dass die Politik zugunsten der Lagune und der städtischen Wirtschaft und zu Lasten des angrenzenden Festlands mit der ungewohnten Zugehörigkeit zu einem Festlandsstaat endete. Dies zeigte sich etwa darin, dass die Österreicher die Lagune in ein Festungssystem zum Schutz des Hinterlands einbezogen und die seit Jahrhunderten umgeleiteten Flüsse Brenta und Sile wieder in die Lagune strömen ließen. Zugunsten der landsässigen Agrarier wurde also ab 1840 eine Verlandung der südlichen Lagune in Kauf genommen. Sie ließen zudem zahlreiche Kanäle zuschütten und schufen im doppelten Sinne des Wortes eine Anbindung an das Festland, indem sie eine Brücke errichteten. 1818 wurde Francesco Calbo Crotta zum Podestà ernannt, 1827 bis 1834 folgte ihm Domenico Morosini, 1834 bis 1837 Giuseppe Boldù, schließlich 1837 bis 1857 Giovanni Correr im Amt.
Venedig erhob sich im Zuge der Revolutionen von 1848 gegen die Habsburger und rief unter der Führung des demokratisch-republikanischen Revolutionärs Daniele Manin am 23. März 1848 die Repubblica di San Marco aus. Diese wurde am 23. August 1849 von österreichischen Truppen niedergeschlagen. Während der Belagerung ließen die Brüder Oberleutnant Franz und .Josef Uchatius nach einem Antrag Radetzkys vom 3. Juni 1849 Ballons mit 15 kg-Sprengkörpern steigen, von denen aufgrund widriger Windverhältnisse nur wenige vom 1.-12. Juli. am Lido und am Markusplatz einschlugen. Damit erlebte Venedig den ersten Luftangriff mit Sprenggeschossen aus Flugobjekten.50f Nach dem gewaltsamen Wiedereinzug der Österreicher blieb Correr im Amt.
1849 bis 1851 verlor Venedig den Status des Freihafens und die Stadt unterlag bis zum 1. Mai 1854 dem Belagerungszustand. Die wirtschaftlichen Folgen waren so gravierend, dass viele Bewohner Venedig verließen. Dies verstärkte sich noch, als Napoleon III. und Kaiser Franz Joseph im Vorfrieden von Villafranca vereinbarten, die Lombardei an König Viktor Emanuel von Sardinien-Piemont zu übereignen, Venedig jedoch bei Österreich bleiben sollte. Bis 1861 verließen 4500 Bürger die Stadt Venedig. Allein 1861 kehrten 878 Menschen der Stadt den Rücken, im folgenden Jahr wren es sogar 1.579. Unter ihnen war der spätere erste Bürgermeister Venedigs, Giobatta Giustinian, und seine Frau Elisabetta Michiel.
In Folge der Niederlage Österreichs gegen Preußen im Krieg von 1866, in dem das 1861 neu gegründete Königreich Italien Verbündeter Preußens war, kam Venedig gemäß dem Frieden von Wien vom 3. Oktober 1866 an Italien. Am 13. Oktober kamen die ersten 200 italienischen Soldaten nach Venedig, drei Tage später folgten die übrigen für Venedig vorgesehenen Truppen. Vertreter des Königs war Giuseppe Pasolini. Am 19. Oktober übergab der kaiserliche Vertreter Wiens, Karl Moering, im Hotel Europa die Stadt formal an den kaiserlichen Vertreter von Paris, dieser reichte sie an den königlichen Vertreter Roms weiter. Die italienische Flotte fuhr durch die Porta di Malamocco in die Lagune. Am 21. und 22. Oktober wurden Plebiszite durchgeführt, die den Anschluss an Italien bestätigten. Bei geringer Beteiligung an der namentlichen und für jeden anhand der Farben der Stimmkarten erkennbaren Richtung, stimmte die überwältigende Mehrheit für, nur 69 gegen den Anschluss. Am 29. Oktober 1866 konnte der zurückgekehrte Giobatta Giustinian das Amt des Podestà von Venedig übernehmen, wie die Stadtoberhäupter unter österreichischer Führung genannt wurden. Vom 7. bis 14. November besuchte König Viktor Emanuel die Stadt. Am 26. Februar 1867 empfing der Bürgermeister mit einer großen Menschenmenge Garibaldi.50g Am 22. März nahm man in einer feierlichen Zeremonie die aus Paris kommende Asche Daniele Manins in Venedig auf. Nachfolger Giustinians wurde 1868 Giuseppe Giovanelli, nachdem der seit 1867 amtierende Kommissar Ferdinando Laurin die Leitung der Stadt übernommen und für Wahlen gesorgt hatte. Zu dieser Zeit wurde der Ausbau des kleinen Hafens la marittima begonnen, 1870 wurde die Zecca aufgelöst, das Gebäude zum Sitz der Handelskammer. 1871 zählte Venedig 128.901 Einwohner, um 1750 waren es noch 150.000 gewesen.
In ganz Norditalien kam es in den nächsten Jahrzehnten zu gesellschaftlicher Stagnation und zu einem langen wirtschaftlichen Niedergang. Bis 1890 wanderten allein aus dem Veneto 1,4 Millionen Menschen aus, viele nach Nordamerika. Ab Sommer 1872 kam es zu ersten Streiks, es entstanden anarchistische und sozialistische Gruppierungen50k, ebenso wie nationalistische. Jede politische Gruppierung versuchte über das Massenmedium der Epoche, die Zeitung, die öffentliche Meinung zu beeinflussen. Neben der konservativen Gazzetta di Venezia unter der Leitung von Ferruccio Macola, die mit dem Giornale di Venezia unter Luciano Zùccoli fusionierte, bestand das Adriatico unter Leitung des Radikalen Sebastiano Tecchio, dann führten die Sozialisten Marangoni und Musatti den Secolo Nuovo, schließlich fand das katholische Blatt Difesa sein Publikum. Der Gazzettino, der heute die einzige verbliebene venezianische Zeitung ist, erschien erst ab März 1887. Das Blatt wurde von Gianpietro Talamini gegründet.
Auf die ökonomischen und politischen Umwälzungen reagierte man in Venedig zögerlich, wenn auch Motorboote (Vaporetti) als öffentliche Verkehrsmittel eingeführt und die Wasser- und Gasversorgung verbessert wurden. Erst unter Bürgermeister Riccardo Selvatico kam es zu verstärkten Industrialisierungsbemühungen, wie etwa dem Bau der Stuckymühle, aber auch zu Anstrengungen, die Lage der unteren Schichten zu verbessern.
Unter Bürgermeister Filippo Grimani, der von 1895 bis 1919 die Stadt als Bürgermeister und Führer einer gemäßigt konservativ-klerikalen Koalition führte, wurde die Kommune Venedig ausgedehnt, die Trennung von industrialisiertem Festland und touristischer Kernstadt endgültig zur Richtlinie der Politik. In Cannaregion wurden mehrere Rios zugeschüttet, um Fußgängern eine vom Bahnhof bis zur Rialtobrücke ununterbrochene Einkaufsstraße zu öffnen, die Strada Nova. So entstand nördlich des Bahnhofs die Lista di Spagna, oder der sie ostwärts fortsetzende Rio Terà di San Leonardo mit entsprechend niedrigen Brücken, die den Gondelverkehr unmöglich machten. Aus dem Lido wurde ein Luxusrefugium für betuchte Touristen, den Anfang machte der Bau des Hotel des Bains (1900) und des Excelsior (1908). 1917 wurde der Hafen Marghera eröffnet, der die Arbeitsteilung zwischen dem Industrierand der Lagune und der Altstadt, deren Rolle fast ausschließlich auf Tourismus festgelegt wurde, offenkundig machte. Zugleich setzte gegen Ende des Ersten Weltkriegs ein breiter Exodus ein, um sich vor dem nahen Kriegsgegner, der bis auf wenige Kilometer an die Stadt herangerückt war, in Sicherheit zu bringen. Viele von den Flüchtlingen kamen nie zurück.
Bereits 1915 kam es zu Luftangriffen auf Venedig. Allein in der Nacht vom 26. auf den 27. Februar 1918, in der Nacht der acht Stunden, fielen 14,7 Tonnen Sprengstoff auf die Stadt herab. Österreichisch-ungarische Flugzeuge griffen Venedig zwischen dem Sommer 1915 und dem Herbst 1918 insgesamt 42 Mal aus der Luft an, 52 Bewohner Venedigs starben durch 1.029 Bomben, 84 wurden verletzt. Dabei ging es den Angreifern einerseits um die neuen Industriezonen auf dem Festland und im Westen der Stadt, andererseits um die Marine, also vor allem das Arsenal im Osten. Doch die Explosionen zerstörten Ziele fast überall in der Stadt. So waren die Schäden an Gebäuden beträchtlich, auch wenn sich die Stadt mit gewaltigen Mauern aus Sandsäcken, Holzverbretterungen und dicken Umwicklungen der Skulpturen zu schützen suchte. In der Chiesa degli Scalzi stürzte das Dach ein, ein großes Deckengemälde von GiambattistaTiepolo wurde fast völlig zerstört - Ziel des Angriffs war wohl der nahe gelegene Bahnhof. Fast 150.000 Einwohner hatte Venedig vor dem Weltkrieg gehabt. Als er zu Ende ging, waren es noch gut 40.000 Menschen. Die Lebensbedingungen waren hart. Die Stadt war während vieler Nächte verdunkelt gewesen, die Fährverbindungen waren eingestellt worden, nach der Schlacht von Caporetto, der der Rückzug an die Piavelinie folgte, hatte der italienische Befehlshaber erklärt, er könne Venedig nicht retten. Die Menschen plünderten ihre Konten, flohen. Andere löschten als Freiwillige die Brände, versorgten die Verletzten, versuchten die Gebäude zu schützen. Die Front lag nur noch 20 km von Venedig entfernt.
Nach dem Krieg war die Stadt gespalten, zahlreiche Tumulte grenzten die von den feindseligen Gruppierungen beherrschten Gebiete gegeneinander ab. Während die Sozialisten den Osten der Stadt mit seinen Arbeiterquartieren dominierten, beherrschten Klerikale, Konservative und Faschissten das Gebiet um den Markusplatz. Die Faschisten, die bereits 1920 an die Macht drängten, setzten ein Groß-Venedig mittels Eingemeindungen durch. Die Bottenighi, wo der Hafen Marghera entstanden war, waren bereits 1917 Venedig zugeschlagen worden, ebenso Marghera selbst und Malcontenta. Diese Ausdehnungspolitik war bereits in den 1880er Jahren Richtung Lido, Malamocco und Alberoni begonnen worden, doch eine Ausdehnung auf das angrenzende Festland setzte erst kurz vor dem Beginn der faschistischen Ära ein. Treibende Kraft der Industrialisierung des Festlands und der Nutzung des historischen Zentrums für Tourismus und luxuriöses Wohnen war Giuseppe Volpi. Bürgermeister Filippo Grimani stimmte dem Projekt zu. Der Gruppe veneziano, ein informeller, über Familien- und Freundschaftsbande stabiilisierter Verband von adligen und bürgerlichen Unternehmern, begann schon vor dem Ersten Weltkrieg eine auf den Adriaraum gerichtete Expansionspolitik, wie sich bereits 1903 bis 1909 bei der Intervention in Montenegro zeigte. Dort erlangte er das Tabakmonopol und gründete Unternehmen in Podgorica und Antivari (Bar). Auch entstand eine 44 km lange Eisenbahnverbindung zum Skutari-See. Bald wurde die SADE, die 1905 gegründete Adriatische Gesellschaft für Elektrizität, zum größten Stromproduzenten Italiens. 1934 besaß die inzwischen sechstgrößte Gesellschaft Italiens beinahe ein Monopol im gesamten Nordosten.
Ab 1926 gehörte der Industriekomplex Mestre-Marghera zu Venedig, drei Jahre später entstand eine Autobrücke mit einem Parkhaus am Piazzale Roma, dazu ein Bahnhof (Santa Lucia) und künstliche Inseln, deren größte Tronchetto war. 1931 wurde die eiserne Brücke an der Accademia, die unter den Österreichern gebaut woren war, durch eine hölzerne Brücke ersetzt. 1933-34 folgte am Bahnhof die Scalzi-Brücke. Ein neuer Kanal, der Rio nuovo, verband den Bahnhof mit der Biegung des Canal Grande bei der Ca' Foscari ab 1931-33, fünf Brücken überspannten den neuen Kanal. Sie wurden nach traditionellem Vorbild in istrischem Marmor errichtet. 1935 bis 1937 wurde die Riva degli Schiavoni nach Osten bis zu den Giardini verlängert. Der Bau einer Staßenbrücke zum Lido kam nie zustande. Der dortige Flughafen Giovanni Nicelli wurde modernisiert, eine schnelle Bootsverbindung eingerichtet. Zudem wurde 1925 bis 1931 der Canale di San Nicolò zwischen Adria und Bacino di San Marco vertieft. Kurz vor dem Krieg wurden auf der Grundlage der faschistischen Rassengesetze zahlreiche Intellektuelle und Künstler, aber auch Beamte und Angestellte aus dem öffentlichen Dienst entlassen bzw. einem Veröffentlichungsverbot unterworfen.
Die Verbindung der wirtschaftlichen Macht, die der einstige Viehhändler Giuseppe Volpi (1877-1947) aufgebaut hatte, mit der faschistischen Diktatur schob alle Widerstände rücksichtslos beiseite. Er gehörte, zusammen mit Vittorio Cini, Piero Foscari und Achille Gaggia der führenden Gruppe an, dem gruppo veneziano. Volpi verfügte über Kontakte zur Regierung aus der Kolonialzeit, als er Gouverneur von Tripolitanien gewesen war, und auch zu den Faschisten. Ihrer Partei trat er 1924 bei. Volpi machte seinen Gefolgsmann Giovanni Giuriati zum Vorsitzenden der faschistischen Partei in Venedig, womit er den Gegner seiner Wirtschaftspolitik Piero Marsich überspielte. Noch schärfer wurde seine Wirtschaftsdiktatur, als er 1925 bis 1928 italienischer Wirtschaftsminister war. Damit stand einer weiteren Ausdehnung der Industriezone auf dem Festland, und dem Ausbau Venedigs zur Tourismusmetropole zugunsten seiner Hotelkette nichts mehr im Wege. Um seine Herrschaft über Venedig auch medial abzusichern, kaufte er 1926 die Gazzetta di Venezia, dann 1938 die wichtigste Zeitung der Stadt, den Gazzettino, der schnell zur Hauspostille seines Industrieimperiums wurde. Während Porto Marghera 1928 noch 4.880 Arbeiter zählte, waren es 1939 bereits 18.872. Aus dem gruppo veneziano wurde beinahe ein gruppo Volpi. Volpi saß von 1934 bis 1943 im Großen Rat der Faschisten. Und Volpi hatte keine Skrupel, seinen Einfluss auch mit Hilfe der faschistischen Rassegesetzgebung auszuweiten. So stürzte er Edgardo Morpurgo mittels einer antisemitschen Kampagne des Gazzettino als Chef der Assicurazioni Generali. Volpi propagierte gar eine Kontinuität zwischen Rom, Venedig und dem Faschismus, übersandte dem Bischof von Tripolis ein Goldfragment aus San Marco (heute in Misurata), ließ in Tripolis für sich einen Gouverneurspalast im venezianischen Stil bauen und unterstützte Studien zur venezianischen Geschichte. Volpi wurde vielfach als Doge angesprochen. In Libyen setzte er Landenteignungen durch, ließ Tripolitanien unterwerfen, setzte rassistsche Gesetze durch und öffnete das Land für Unternehmen, Spekulanten und alle Freunde des Regimes. Doch mit der Verbindung von Geschäft, Politik und Expansion Venedigs war Volpi nicht allein. Diese Verbindung wurde auch von Piero Foscari propagiert, der Dalmatien für Venedig forderte, vor allem Zara (Zadar).
Doch Mussolini wurde Ende Juli 1943 gestürzt, Hitlers Armee, SS und Gestapo übernahmen daraufhin ab dem 8. September 1943 die eigentliche Macht in Italien, während von Süden die am 3. September gelandeten Alliierten weiter vorrückten. Die deutschen Besatzer setzten fast sogleich die Deportation der Juden durch; die jüdische Gemeinde in Venedig hatte 1.800 Mitglieder gezählt (die Faschisten zählten nach ihren rassistischen Kriterien 2.18955). Anfang September 1943 verlangte die Gestapo vom Vorsteher der jüdischen Gemeinde, Giuseppe Jona, eine Mitgliederliste. Er sagte sie für den nächsten Tag zu, warnte aber die Gemeinde, beseitigte alle Unterlagen und nahm sich das Leben. Am 1. Dezember wurde über das Radio bekanntgegeben, dass alle Juden verhaftet werden sollten. Bis Mitte Februar 1944 lag die Deportation in den Händen der italienischen Polizei. Sie verhaftete bei einer Razzia 163 Juden, die SS verhaftete weitere in einem Krankenhaus. Am 31. Dezember wurden 93 Menschen ins Zwischenlanger nach Fossoli geschickt, am 18. Januar folgten vier zuvor kranke Kinder. Am 22. Februar 1944 ging Transport Nummer 8 mit 489 Gefangenen - unter ihnen Primo Levi - von Fossoli nach Auschwitz, wo er vier Tage später ankam. Am 17. August 1944 wurde das jüdische Pflegeheim mit 30 Bewohnern, unter ihnen Adolfo Ottolenghi, von der SS durchsucht. 21 alte Leute wurden nach Triest gebracht. Nur einer von ihnen überlebte Auschwitz. Vom 6. bis 11. Oktober 1944 führte die SS die dritte Razzia durch und verhaftete 21 Kranke, dazu einige Juden, die sich in den Heilanstalten versteckt hatten; von ihnen wurden 20 in das gerade errichtete Internierungslager San Sabba in Triest überführt. Insgesamt war zwar mehreren hundert jüdischen Venezianern die Flucht gelungen, davon rund 200 in die Schweiz, doch 246 von ihnen wurden deportiert und starben auf der Fahrt oder wurden in Auschwitz oder Ravensbrück ermordet. Nur 15 kehrten zurück.56 Zum jüdischen Widerstand bietet das Archiv des Jüdischen Dokumentationszentrums, gegründet 1955 in Venedig anlässlich des 10. Jahrestages des Kriegsendes (heute in Mailand: Centro di Documentazione Ebraica Contemporanea) die wichtigsten Quellen.
Im Oktober 1943 entstand die Partisanenformation „Venezia” mit etwa 30 aktiven Mitgliedern, doch blieb es bis Juli 1944 relativ ruhig. Die ersten Aktionen richteten sich vorrangig gegen das Eisenbahnnetz um Mestre. Unter dem Kommando von Alfredo Vivian verlegten die Partisanen ihre Aktivitäten auf das Gebiet um San Donà di Piave. Die venezianische Gruppe widmete sich vor allem der Flugblattverteilung und Gegenpropaganda. Der Kommissar der Partisanenformation Giuseppe Turcato wusste, dass die Fluchtmöglichkeiten zu begrenzt waren. Einer Gruppe, die vom „Roten Grafen” Giovanni Tonetti finanziert wurde, gelang unter der Führung von Aldo Varisco eine Reihe von Attentaten. Am 6. Juli tötete Vittorino Boscolo den Marinefeldwebel Bartolomeo Asara, der die Rekrutierung der Soldaten für das Regime befehligte. In der Nacht davor waren zwei Mitglieder der faschistischen Partei im Stadtteil Dorsoduro getötet worden. Geführt vom Kommandanten der Nationalgarde Salvatore Morelli töteten Faschisten zwei Nächte später fünf Männer im Stadtteil Cannaregio. Nach Kriegsende wurde gegen zwei der Beteiligten die Todesstrafe verhängt. Am 26. Juli zündete eine Gruppe unter dem Kommando von „Kim” Arcalli eine Bombe im Palast Ca’ Giustinian, der Bezirkskommandozentrale der Nationalgarde. Der Palazzo wurde zerstört, 14 Menschen starben. Die Vergeltungsmaßnahme erfolgte am 28. Juli. Dazu wurden 13 Partisanen aus dem Gefängnis geholt und auf den Trümmern des Palastes erschossen, der jüngste war der 18-jährige Francesco Biancotto. Die Partisanenformation „Venezia“ wurde bald in Brigade „Biancotto“ umbenannt, doch die Widerstandsstrukturen in Venedig waren damit weitgehend zerschlagen. Als ein betrunkener Wachposten der deutschen Marine, die an der Riva dell’ Impero am Markusbecken ankerte, am 2. August 1944 ertrank, vermutete das deutsche Kommando einen Anschlag. Daher wurden am Morgen des 3. August sieben Gefangene, darunter Alfredo Vivian, ans Ufer gebracht und vor den Augen Hunderter herbeigeschaffter Zeugen erschossen.
Um trotz der Verluste Präsenz zu zeigen, organisierte Turcato die so genannte „Beffa del Goldoni”, den Streich, die Eulenspiegelei des Goldoni. Dazu wurde das Teatro Carlo Goldoni im März 1945 während einer Aufführung von Partisanen besetzt und die anstehende Befreiung verkündet - die Besatzer waren unfähig, schnell genug zu reagieren.
Am 25. April 1945 erklärten die Partisanen einen allgemeinen Aufstand, am selben Tag überschritt die 8. Britische Armee den Po und stieß in Richtung Venedig vor. Am folgenden Tag wurden die Insassen im Gefängnis auf Santa Maria Maggiore durch die politischen Gefangenen und die Wärter befreit. In der Nacht vom 27. auf den 28. April 1945 besetzten Partisanen öffentliche Gebäude in Venedig, darunter den Bahnhof. Auf dem Hauptparkplatz unweit des Bahnhofs kam es im Westen der Altstadt zu Kämpfen. Die Aufständischen zogen zur Platzkommandantur auf dem Markusplatz, doch der befehlshabende Kommandant drohte damit, den Hafen und die Versorgungsleitungen für Gas, Wasser und Strom zu zerstören, wenn seine Truppen nicht abziehen dürften. Am Nachmittag vereinbarte man nach schwierigen Verhandlungen den freien Abzug am Abend.61 Am 29. April nachmittags zogen alliierte Truppen in Venedig ein. Anders verliefen die Kämpfe in Mestre. Erminio Ferretto, ein Veteran aus dem spanischen Bürgerkrieg, gründete zusammen mit seinen Gefolgsleuten der Brigade Garibaldi das Bataillon „Felisati”, das den Namen eines der ermordeten Partisanen der Ca’ Giustinian trug. Sie führten Anschläge gegen Kasernen durch, doch in der Nacht vom 5. zum 6. Februar 1945 wurde Ferretto von Faschisten ermordet. Die Überlebenden nannten sich nun Brigade „Ferretto” und kämpften zwischen dem 27. und 29. April in Mestre und Marghera, das noch vor dem Eintreffen der alliierten Truppen befreit wurde. Am 29. April erfolgte die Kapitulation der deutschen Armeen in Italien, die Kampfhandlungen endeten erst am 2. Mai. Neben den Partisanen hatte eine mehr als 200-köpfige Privatarmee (Popski's Private Army, PPA) in britischen Diensten Venedig befreit.
Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde Giovanni Ponti vom Komitee der nationalen Befreiung zum Bürgermeister (sindaco) von Venedig ernannt, ein Amt, das er bis zu den ersten freien Wahlen im Jahr 1946 innehatte. Sein Vizebürgermeister und Nachfolger wurde der gemeinsame Kandidat von Kommunisten und Sozialisten Giobatta Gianquinto (1946-51). Sein Sekretär Giorgio Longo war 1970-75 selbst Bürgermeister.
Giovanni Ponti wurde nach dem Krieg Bürgermeister einer Fünfparteienkoalition, in der sich die Widerstandskämpfer zusammenfanden.62 Vicesindaci wurden Giobatta Gianquinto (Partito Comunista Italiano) und Giovanni Cicogna (Partito Liberale Italiano), Prosindaco per la terraferma wurde Arturo Valentini (Partito Socialista Italiano di Unità Proletaria). Bis 1946 einigten sie sich in fast allen Fragen einmütig. Nach der ersten Wahl stellten die Christdemokraten 23 Consiglieri, die Kommunisten 17, die Sozialistische Partei der proletarischen Einigkeit 15, die Unione Repubblicana Democratica 3 und die Concentrazione Democratica 2. Gianquinto stand einer Linksregierung vor, doch ab Mitte 1947 kündigten die Christdemokraten an, eine moderate Oppositionsrolle einnehmen zu wollen.
Mit der Wahl vom 18. April 1948, bei der die Christdemokraten zulegten, verschärfte sich das politische Klima. Gianquinto blieb Bürgermeister, doch mit dem Attentat auf Togliatti kam es auch in Venedig zu Straßenblockaden. Kurzzeitig wurde der Sender der RAI besetzt, in Marghera kam es zu Versuchen, Betriebe zu besetzen. Gianquinto konnte die Arbeiter beruhigen, Ponti hingegen verlangte ein scharfes Vorgehen gegen illegale Aktionen.
Die Aufspaltung der Welt in die politischen Blöcke, die von den USA bzw. der UdSSR geführt wurden, wirkte weiter zuspitzend auf die politischen Parteien Venedigs ein. Bei den Wahlen von 1951 konnten die Christdemokraten 31 Sitze erringen, die Kommunisten nur noch 12, der Partito Socialista Italiano 4, der P.S.L.I., später Partito Socialista Democratico Italiano 5, der Partito Socialista Unitario, der sich bald den Sozialdemokraten anschloss 2, der Partito Liberale Monarchico 4 und das Movimento Sociale Italiano 2. Den Sieg verdankte die Democrazia cristiana der massiven Unterstützung durch die Kirche, sowie durch Unternehmer, die das Volpi-Projekt der Festlandsindustrialisierung bei gleichzeitiger touristischer Nutzung der Altstadt wieder aufnehmen wollten. Zwar wurde Ponti gewählt, doch musste er aus Gesundheitsgründen aufgeben, so dass Angelo Spanio Bürgermeister wurde.
Die Koalition aus Christdemokraten und Sozialdemokraten bestand nur 15 Monate lang. Giovanni Pastega, Sozialist und Vizebürgermeister, trat zurück. Die christdemokratische Regierung hielt sich bis zum Februar 1955, als der Bürgermeister, unter Druck geraten durch einen Skandal seines Bruders im Zusammenhang mit dem Istituto Nazionale per la Gestione delle Imposte di Consumo, zurücktreten musste. Die Wahl seines Nachfolgers Roberto Tognazzi fand in aller Stille statt.
1951 hatte die Altstadt Venedigs 174.808 Einwohner, was 55,4 % der Gesamteinwohnerzahl der Stadt entsprach. Heute sind es kaum mehr 60.000. 47.586 Familien lebten in 33.502 Wohneinheiten. 1950, auf dem Höhepunkt der Einwohnerzahl, waren es sogar 184.447 Einwohner gewesen, hinzu kamen 44.037 Einwohner, die auf den Inseln der Lagune lebten. Nur 96.966 oder 30,7 % der Venezianer lebten auf dem Festland. Diese Menschenballung konnte nicht verwundern, denn Alliierte und Deutsche hatten den Zustrom an Flüchtlingen in die unzerstörte Stadt geduldet.
Doch langsam kam es zu einem Anstieg des Tourismus und dadurch zu einer Wiederbelebung der ökonomischen Aktivität. 1938 waren 441.817 Besucher in die Stadt gekommen. 1950 waren es bereits wieder 456.871, 1952 waren es 651.036 bei 1.670.085 Übernachtungen, davon 526.803 bzw. 1.209.733 in Venedig. Nach Mestre kamen immerhin 57.515 Besucher bei 125.320 Übernachtungen, zum Lido kamen zwar nur 66.718, doch brachten es diese Besucher auf 335.032 Übernachtungen. Bereits 1950 kamen 278.875 aus dem Ausland und damit mehr Besucher als aus Italien (226.180).
1952 übertraf die Tonnage des Hafens mit 5.091.814 t wieder den Wert von 1939. Dazu trug allerdings vornehmlich die Ölindustrie mit 2.226.246 t bei, eine Menge, die sich beinahe verdreifacht hatte. Hingegen blieb der Warenverkehr weiterhin zurück, ebenso wie die Zahl der Passagiere. Marghera erlebte einen ökonomischen Aufschwung vor allem durch die Ansiedlung von Edison. Kritisch war 1950 die Situation des Schiffbauers Breda. Am 14. März 1950 kam es zu Auseinandersetzungen zwischen der Polizei und streikenden Arbeitern, bei denen zwei Männer schwer verletzt wurden. Mit Hilfe der Kommune konnte das Unternehmen gerettet werden, wenn auch viele ihre Arbeitsplätze verloren.
Als erstes jedoch erwachte bereits 1945 das kulturelle Leben. So fand die erste Kunstausstellung mit dem Titel Primitivi veneziani in den Gallerie dell'Accademia statt. 1946 fand eine Filmausstellung von acht Ländern im Cinema San Marco, im Teatro Malibran, und in den Gärten der Biennale statt. 1947 fand die Filmausstellung im Hof des Dogenpalasts statt. In 24 Tagen wurden 179 Filme vorgeführt. 1946 wurde auch das Festival di musica contemporanea, 1947 das Festival del teatro wieder eröffnet. Die Biennale von 1947 beschickten 15 Länder, 1.108 Künstler präsentierten 3.065 Werke, man zählte 216.471 Besucher. 1947 fanden etwa 200 Ausstellungen statt. 1951 kamen allein 100.000 Besucher in die Ca' Rezzonico und in die Giardini, um Giambattista Tiepolos Werke zu bewundern.
1951 entstand die Fondazione Giorgio Cini auf der Insel San Giorgio Maggiore, das Centro internazionale delle arti e del costume des Franco Marinotti eröffnete den Palazzo Grassi. Volkstümlichere Veranstaltungen zogen ebenfalls große Besucherzahlen an, wie das Redentore-Fest, zu dem 1952 400.000 Besucher kamen, zur Regata storica kamen im September 1951 ca. 200.000.
Zahlreiche „Fehlgriffe“, wie sie Giuseppe Mazzariol nannte, kennzeichneten die Stadtgeschichte. Der erste ereignete sich von 1946 bis 1948 mit dem Bau des Danielino durch die Compagnia Italiana Grandi Alberghi an der Riva degli Schiavoni. Der Christdemokrat Florestano Di Fausto sprach von einer „Schande“ (sconcio). Der zweite dieser „Fehlgriffe“ war der Bau des Hotels Bauer (1946-1949) durch die Società per Azioni Immobiliari e Gestioni Alberghi Turismo. Ähnliches gilt für die besagte Sparkasse, die Cassa di Risparmio.
Die sozialen Lasten, die die Stadt zu tragen hatte, waren enorm und wirkten neben dem triumphalen Kulturauftritten und der ständigen Anwesenheit medialer Größen äußerst widersprüchlich. Spanio beklagte 1952 die katastrophale hygienische, menschliche und soziale Situation in weiten Teilen der Stadt. In diesem Zusammenhang sprach er von einer „kranken Königin“ und einer „toten Stadt“. Seine Rede hatte ihre Grundlage in einer Untersuchung des zuständigen Beamten Raffaello Vivante, der 1949 festgestellt hatte, dass 1.769 Wohnungen unbewohnbar waren. Sie seien feucht, ohne jede sanitäre Einrichtung, kaum beleuchtet und selbst vor den Maßstäben der Zeit überfüllt. In den Erdgeschossen wohnten 9.048 Menschen, von denen 5.849 in 870 überfüllten Wohnungen lebten, von denen 391 ohne Wasser waren, 496 ohne Toilette. Seit 1935 habe sich demnach die Situation verschlechtert, als es in Venedig 1.245 unbewohnbare Wohnungen gegeben hatte. Nach dieser Untersuchung von 1935 waren 6.080 Wohnungen, also fast ein Drittel der Unterkünfte in der Altstadt, überfüllt. In ihnen lebten insgesamt 50.300 Menschen. 9.300 Häuser waren als unbewohnbar erklärt worden, 14.460 Menschen lebten in 2.320 Wohnungen ohne Wasser. Die Ente Comunale di Assistenza, eine Art Sozialbehörde, versorgte 13.000 Familien und gab 721.405 Portionen Suppe und Brot in 20 Mensen aus; zudem unterstützte sie Flüchtlinge aus Dalmatien und aus den ehemals italienischen Gebieten Afrikas.
Am 31. März 1956 wurde das lange erwartete Gesetz zum Schutz des lagunaren und monumentalen Charakters Venedigs durch städtische Sanierungsmaßnahmen und durch Tourismus veröffentlicht. Im Kern unterschied es sich kaum vom Gesetz vom 21. August 1937, das in aktualisierter Fassung bereits am 17. April 1948 aufgeschoben und zum 21. August 1957 verfallen sollte. Ponti erkannte an, dass es sich um eine Aktualisierung des „alten Gesetzes“ handelte. Private Initiative wurde damit behindert, die Spekulation gefördert. Gianquinto drohte dem Finanzminister damit, das Volk während der Wahlen auf die Piazza San Marco zu rufen. Für die Sanierung der insularen Welt griff man auf die alten Pläne zurück, die Eugenio Miozzi 1939 erarbeitet hatte. Die Regierung Gianquinto vereinbarte mit dem Istituto Nazionale Assicurazioni Anfang 1951, ein neues Quartier auf 55.000 m² zu bauen. Es sollte vor dem Nordosten Margheras Richtung Lagune entstehen. Giuseppe Samonà und Luigi Piccinato sollten der Arbeitsgruppe vorstehen. Doch das „Villaggio S. Marco“ enttäuschte die Erwartungen. 1956 bot der christdemokratische Bürgermeister Giovanni Favaretto Fisca an, eine Initiative für ein neues Sondergesetz zu starten, doch dauerte dies bis 1973.
Inzwischen kam es 1954 innerhalb der Democrazia cristiana zu einem Sieg der Linken. Ihr Provinzsekretär wurde Vincenzo Gagliardi, wenig später wurde sie von Wladimiro Dorigo geführt. Die Sozialpolitik, die seit Jahrzehnten eine zentrale Rolle in der öffentlichen Rhetorik spielte, rückte erneut in den Mittelpunkt. Im Mai 1956 erhielten die Christdemokraten nur noch 24 statt 31 Sitze, die Kommunisten legten hingegen um einen Sitz auf 13 zu. Der P.S.D.I. erhielt nur vier, der M.S.I. drei, der P.L.I. zwei und der Partito Nazionale Monarchico nur noch einen Sitz. Am 9. Juli kam mit der formula Venezia eine Regierung aus Christdemokraten und Sozialisten zustande, die von P.S.I.-U.P. auf der Basis eines abgesprochenen Programmes unterstützt wurde. Tognazzi wurde damit bestätigt. Zum ersten Mal arbeiteten Christdemokraten und Sozialisten in einer Regierung zusammen. Ein großer Teil des Klerus' befürwortete gleichfalls den Schritt, doch der Patriarch Angelo Giuseppe Roncalli verurteilte ihn scharf. Die fünf Bischöfe der Provinz verurteilten die Öffnung nach links noch schärfer und rieten von der Lektüre des Popolo del Veneto, der Zeitung, die Dorigo herausbrachte, ab. Dorigo trat zurück, das Erscheinen der Zeitung wurde bald eingestellt, während innerhalb der Partei ein Kompromiss gesucht wurde. Dennoch hielt die Regierung zwei Jahre lang, wozu auch Roncallis Einfluss auf die Öffnung nach links beitrug. Innerhalb der DC blieben die meisten auf Gagliardis Linie. Er gewann auf einem Kongress 16 Consiglieri, die Mitte 4, Dorigo nicht einen einzigen.
Nun bildete sich ein Block aus P.C.I., P.S.I. und P.S.D.I., der Armando Gavagnin (P.S.D.I.) zum Bürgermeister wählte. Die Christdemokraten versuchten eine Koalition mit PSI, PLI und PSDI zustande zu bringen, dann eine Regierung des Pragmatismus und der Verwaltung. Weder die eine noch die andere Gruppe war in der Lage eine Regierung zu stellen, so dass eine kommissarische Regierung eingesetzt wurde, die bis zum 5. November 1960 Bestand hatte, obwohl sie dem Gesetz nach spätestens am 26. Juli 1959 hätte enden müssen. Inzwischen wurde Roncalli im Oktober 1958 Papst. In Venedig folgte ihm Giovanni Urbani als Patriarch.
1957 kam es zu einem landesweiten Ideenwettbewerb, zu dem dreizehn Projekte vorgeschlagen, fünf prämiert wurden. Am Ende blieben vier Entscheidungen, die mit 35 zu 1 Stimme (vom MSI) angenommen wurden: Es sollte ein Centro direzionale von 20 Hektar an der Brücke zwischen Piazzale Roma und Canale della Giudecca entstehen, wo produzierende Tätigkeit möglich sein sollte; hinzu kam die Schaffung einer Straße in der Lagune mit Brücken über die Kanäle zwischen Punta Sabbioni und der Isola della Certosa, um Venedig näher an Cavallino heranzubringen, das das Zentrum des Massentourismus werden sollte; dann ein Quartier für 35.000 Einwohner auf dem Festland auf 94 Hektar Land bei San Giuliano am Rand der Lagune, um Mestre und Venedig näher zusammenzubringen. Daraus sollte eine kulturelle, psychologische, stadtbürgerliche Annäherung stattfinden, um auf dieser Basis die Abwanderung aus Venedig und die Blockade des Ölgürtels von Mestre aufzuheben. Außerdem sollte eine zweite Industriezone in Porto Marghera entstehen und zwei Zonen für kleinere Industriebetriebe.
Ideen kursierten, mit denen man sich an anderen Städten zu orientieren versuchte, ohne das Individuelle an Venedig zu zerstören. So wollte man die Wegesführung verbessern, und so entstand 1957 eine Liste mit zahlreichen Orten, an denen abgerissen werden sollte, es sollten Unterführungen verschwinden, Brücken gebaut werden. So sollten „mutige“, „kontrollierte“ Abrisse durchgeführt werden, bis hin zu einem Weg entlang des Canal Grande, der massive Eingriffe auch in die Paläste erfordert hätte. Zwischen Campo S. Bartolomeo und Campo SS. Apostoli entstand eine Straße von 250 m Länge mit drei Brücken, mitsamt der Öffnung dreier Sottoporteghi; die Calle del Lovo sollte verbreitert werden. Italia Nostra ließ durchblicken, dass es die Altstadt am liebsten der Sovrintendenza ai monumenti überlassen würde; es ging mit einem „No“ gegen das Centro direzionale, gegen die translagunare Straße, die es als „Vandalismus“ bezeichnete, und gegen neue Häuser im historischen Zentrum vor., aber auch gegen die Verbreiterung der Mercerie. Es dürfte dieser Initiative zu verdanken sein, dass von den vier Großvorhaben keines umgesetzt wurde. Auch spielte die wiedergegründete Associazione civica per Mestre e la terraferma dabei eine Rolle. Doch der Plan wurde von der kommissarischen Stadtregierung zunächst im März 1959 angenommen – in Angriff genommen wurde er nie. Im März 1960 verwarf die Stadtregierung alle Pläne und überantwortete weitere Vorhaben dem Consiglio superiore dei Lavori pubblici. Am 15. März strich dieser die lagunare Straße, ließ das Centro direzionale neu untersuchen. Doch der Stadtrat reagierte aufs schärfste: Mit 37 zu 12 Stimmen stellte er die Gültigkeit des Plans erneut fest. Doch die Kommunisten distanzierten sich von der lagunaren Straße, der sie nur zugestimmt hatten, um das Gesamtgesetz nicht zu gefährden. Zwar zogen sich noch die Debatten hin, doch 1963 war der Plan im Grunde tot.
Seit dem Anfang der 1950er Jahre hatte die altstädtische industrielle Tätigkeit deutliche Anzeichen der Schwäche offenbart. Die Zahl der zivilen Arbeiter im Arsenal hatte sich binnen zehn Jahren von 5000 auf 2700 reduziert. 1954 steigerte sich diese Krise, als ein Teil des Flottenstützpunktes aufgegeben wurde. 1956 brach die Krise endgültig aus, als der Kriegsminister die Verlegung des Flottenstützpunkts nach Ancona und die Demobilisierung des Arsenals beschloss. Der Präfekt Luigi Pianese argumentierte gegenüber Rom, dass damit der einzige industrielle Schwerpunkt der Stadt, dazu 3000 Arbeitsplätze (überwiegend im Quartier Castello) entfielen. Am 1. März kam es gar zu einem fünfzehnminütigen, symbolischen Generalstreik, am nächsten Tag zu einem Gottesdienst in San Marco für den Erhalt der 2.244 Arbeitsplätze. Zum Protest wurde die große Glocke des Turms von San Marco, die Marangona geläutet. Doch von der Regierung kam, obwohl Gatto und Gianquinto intervenierten, keine offizielle Reaktion. 300 Arbeiter sollten mit Beschluss vom Oktober 1957 von der Finmeccanica übernommen werden (seit 2016 in Leonardo umbenannt), andere Arbeiter sollten nach und nach die zivilen Aufgaben der Marine übernehmen - doch nach und nach ging die Aktivität im Arsenal zurück. Ähnlich verlief es im Fall der Stucky-Mühle mit ihren 300 Beschäftigen auf der Giudecca, die 1953 in eine Krise geriet. Nachdem die Werksschließung verkündet worden war, besetzten 52 Angestellte und 197 Arbeiter die Mühle, der Stadtrat erklärte einstimmig seine Solidarität. Doch nach 46 Tagen endete die Besetzung, die Mühle wurde geschlossen, die Direktversorgung des pastificio brach weg. 75 weitere Beschäftigte, deren Zahl inzwischen auf 33 eingebrochen war, verloren ihren Arbeitsplatz nach der endgüiitgen Schließung des Molino Stucky im Jahr 1957.
Der einzige der vier Vorschläge oder Pläne zum Erhalt des industriellen Venedig wurde am Festland verwirklicht: die zweite Industriezone. Die Festlandsindustrie verlangte eine ähnliche Durchführung wie zu Volpis Zeiten. Die öffentliche Hand sollte Privatfirmen auf einem vorbereiteten, urbanisierten Gelände, ausgestattet mit entsprechenden Diensten finanzieren. Dei Associazione industriali unterbreitete entsprechende Vorschläge. Die Stadtregierung hingegen wünschte eine öffentliche Kontrolle über das Projekt, um es im Sinne des kommunalen Gemeinwohls durchführen zu können. So entstand ein neues Consorzio per l'ampliamento e lo sviluppo di Porto Marghera. Gagliardi und andere Deputierte der Christdemokraten brachten einen Gesetzestext ein, den Dorigo bekämpfte. Er fürchtete, das Gesetz diene vor allem den beiden Monopolisten Montecatini und Edison. Bereits im Mai 1961 musste man feststellen, das von den 1.050 vorgesehenen Hektar Fläche bereits 896 in privater Hand waren, vor allem in den Händen der beiden Monopolisten. Die Niederlage der Stadtgemeinde war vollständig.
Nun reifte der Plan für eine dritte Industriezone. Bei Fusina sollten etwa 1000 Hektar Barene zu Industrieland werden. Hier versuchte die Stadt endlich ihre Pläne und ihre Steuerungsweise durchzusetzen. Doch die verheerende Überschwemmung vom 4. November 1966 zeigte, dass ein weiteres Zuschütten der Lagune katastrophale Folgen haben würde. Für andere war es eine günstige Gelegenheit, den Plan ad acta zu legen. Dieser Plan schloss einen Kanal von der Bocca di Malamocco, der breiten Laguneneinfahrt von der Adria zu den Ölhäfen ein. Dieser Canale dei petroli ersetzte den 1930 angedachten Plan, von der Mündung am Lido durch das Becken von San Marco die Tanker zu führen. Anlass war das Unglück der Luisa, ein Tanker von 8.000 Tonnen Ladung. Dabei kamen zwei Männer ums Leben, vier wurden verletzt, das Schiff brannte stundenlang nur wenig von den Wohnhäusern entfernt. Der Associazione industriali kam dieses Unglück insofern gelegen, als damit der Plan für den neuen Kanal leichter durchzusetzen war, der es darüber hinaus gestatten würde, erheblich größere Tanker durch die Lagune zu schicken.
Ein weiteres Argument war der steil anwachsende Tourismus. 1961 kamen 1.073.105 Besucher in die Stadt, womit sich ihre Zahl binnen zehn Jahren verdoppelt hatte. Sie brachten es auf 2.844.345 Übernachtungen; allein für das historische Zentrum lagen diese Zahlen bei 698.567 bzw. 1.575.724. Auf dem Lido registrierte man 71.671 Ankünfte, auf der Terraferma 236.208. Auf den Litorale del Cavallino kamen 66.659. Ausländer (785.341) kamen inzwischen drei mal soviele wie Italiener. Die Regierung hatte es abgelehnt, die Stadt als Grundbesitzerin zuzulassen, so dass ihr hier gewaltige Einnahmen entgingen. Während Lido an Bedeutung verlor, wuchs die Zahl der Besucher auf Cavallino schnell an. Doch man erkannte, dass die Zahl der Ausflügler, die nur wenige Stunden in Venedig blieben, stark zunahm. Doch immerhin profitierten die inzwischen 1700 Läden von den Besuchermassen. Andererseits trieb der Andrang die Preise in die Höhe, so dass schon 1952 erste Besorgnisse auftraten. Zum Ruhm und zur Anziehungskraft Venedigs trug auch der Besuch zahlreicher Prominenter aus Wirtschaft, Medien und Politik bei, deren Aufenthalte immer stärker medial verbreitet wurden.
Doch im Laufe der Fünfzigerjahre nahm die Abwanderung zu. Die Einwohnerzahl sank von 1951 bis 1957 auf 158.466. 9,26 % der Wohnungen waren nach wie vor unbewohnbar, 23,45 % galten als überfüllt. 34,45 % der Gebäude waren in einem guten Zustand, 46,9 in einem mäßigen, 15,7 in einem schlechten und 2,95 % in einem gefährlichen. Zwei Drittel waren also renovierungsbedürftig. Nur 26,2 % hatten ein Bad, 65,69 ein WC auf dem Flur, 13,46 % in der Küche und 3,68 % besaßen überhaupt keines. 57,84 % beheizten nur die Küche, 4,15 % hatten gar keine Heizung. 15,8 % waren feucht, 34,3 % wiesen Feuchtespuren auf. Doch noch sah die Stadtregierung sogar Vorteile in der starken internen Mobilität, wie auch noch Vittorio Cini beschönigte, der glaubte, die Bewohner wechselten nur die Stadtteile. Eine Zielvorgabe von 130 bis 135.000 Einwohnern schien manchen vernünftig. Doch die Abgewanderten veränderten ihr Leben sehr viel stärker als in anderen Städten mit Binnenwanderung. Später wurde der Totalverlust sozialer Beziehungen, die Zerstörung des filigranen gesellschaftlichen Netzwerks zu einer demographischen Tragödie, ja zu einem ‚Genozid‘.72 Erst 1962 wurden Stimmen laut, die erkannten, dass die Bevölkerungszahl bereits unterhalb eines akzeptablen Niveaus absank.
Sacca Fisola, eine über 18 ha große Insel am westlichen Ende der Giudecca, sollte zum Testfall für die Expansionsbestrebungen in die Lagune werden. Ende 1957 bis Juli 1959 errichtete das Istituto Autonomo Case Popolari 74 Wohnungen und 4 Geschäfte, 1960 bestanden bereits 200 Wohnungen, weitere 200 waren im Bau. Doch das Projekt drohte schon jetzt zu einem weiteren Irrweg zu werden. Abfälle und Gestank machten den Bewohnern, die vielfach ihre Miete nicht bezahlen konnten oder wollten, das Leben schwer, es bestand kaum eine Infrastruktur. Dennoch ließen sich die Stadtplaner nicht aufhalten. 1958 wurde ein Wettbewerb ausgeschrieben, an dem bedeutende italienische Architekten teilnahmen. Auf 187 ha sollte ein Stadtteil für 50.000 Einwohner entstehen, das siebente Sestiere in der Lagune.
Kolossal sollte es sein, wie schon der 1954 nach zwei Jahrzehnten Bauzeit eröffnete Bahnhof mit seiner 110 m langen Fassade. Immerhin lehnte die Stadt das Projekt Masieri Memorial von Frank Lloyd Wright ab. Mit dem Istituto Nazionale per l'Assicurazione contro gli Infortuni sul Lavoro, das Giuseppe Samonà und Egle Renata Trincanato 1952 bis 1956 in Bahnhofsnähe realisierten entstand ein Bauwerk, das vorhandene Bautraditionen integrierte, weitere Gebäude entstanden am Rio Nuovo. Auch die Casa alle Zattere von Ignazio Gardella adaptierte Elemente der venezianischen Bautradition, doch stieß auch dieses Bauwerk vielfach auf Ablehnung. Die Schönste Straße der Welt wurde, durch Versuche modern zu bauen, an einigen Punkten entstellt, so dass sie bald als unveränderbar galt.
1958 eröffnete auf dem Markusplatz das Olivetti-Gebäude von Carlo Scarpa, Pavillons entstanden in den Gärten der Biennale, wo noch vergleichsweise ungehindert experimentiert werden konnte. So entstand der holländische Pavillon von Gerrit Thomas Rietveld, der finnische von Alvar Aalto, der skandinavische von Sverre Fehn oder der venezolanische von Carlo Scarpa.
Nach langen Diskussionen entstand auf weiteren 18 ha Fläche in der Lagune ein Parkplatz für tausend Autos auf einer künstlichen Insel. Damit wurde das Schwergewicht der Stadt weiter nach Westen verschoben. Auf Tronchetto entstanden zwei Hotels, Geschäfte, Großhandel, Mietwagenstation, Schwimmbad, Tennisplätze, Fitnesscenter, Vertretungen der Industrie von Mestre. Sie sollte Ausgangspunkt für eine Straße unter der Lagune werden, die Tronchetto mit dem Arsenal, Murano, Lido und dem Nordufer der Lagune verbinden sollte.
Doch damit waren die Baumaßnahmen keineswegs beendet. Spätestens seit 1950 dachte man laut über einen Flugplatz am Lagunenrand nach. 1954 entschied sich eine Kommission für die Barene bei Tessere. Im April 1958 begannen die Bauarbeiten auf einer Fläche, die sich im Laufe der Arbeiten vervierfachte. Am 1. August 1960 fand der erste Flug statt (heute „Marco Polo“).
Venedig war in dei 50er Jahren eine Kulturmetropole. Dazu trug zunächst die Biennale bei, die die wichtigsten Künstler aller Sektoren anzog, aber auch Palazzo Grassi. Kunstausstellungen zogen Hunderttausende an, wie etwa die Giorgione-Ausstellung von 1955, die 140.000 Menschen besuchten. Der Palazzo Grassi suchte das Gespräch zwischen modernen Richtungen der Künste und der Stadt zu intensivieren, wie mit der Ausstellung Venezia viva von 1954. In eine ähnliche Richtung dachten die Ausrichter der europäischen Fotografie-Biennale im Jahr 1957, die vom La Gondola organisiert wurde. In der Cini-Stiftung, die seit 1952 ihre Monumente zugänglich machte, und die 1956 ihre Restaurationsarbeiten abgeschlossen hatte, fanden zahlreiche Kongresse statt. Zyklen zur venezianischen civiltà, interdisziplinäre Veranstaltungen, zum Zuchthaus, zu Goldoni-Studien, Venedig als Begegnungsort von Orient und Okzident, sowie zu Religionen prägten die internationale und wissenschaftlich übergreifende Ausrichtung des Instituts. Doch es gab auch Anzeichen dessen, was man in Italien immobilismo nennt, den Willen, praktisch jede Veränderung aufzuhalten. Dies zeigte sich etwa im Fall des Goldoni-Theaters. Das Theater, in privatem Besitz, war 1947 geschlossen worden, da es aus Gründen der Sicherheit nicht mehr öffentlich nutzbar war. Schon 1937 gab es Pläne, das Gebäude abzureißen, wobei die Fassade erhalten bleiben sollte. Die Eigentümer lehnten es jedoch ab, das Gebäude an die Kommune zu verkaufen. Es dauerte bis 1957, bis die Kommune sie enteignen konnte. Doch nun fehlte es am notwendigen Geld. Cini-Stiftung und Lions Club sprangen 1959 in die Bresche, 1960 und 1961 wurden die entscheidenden Genehmigungen erteilt. Der Plan sah den Abriss des Gebäudes bis auf die Außenmauern vor, dann sollte ein getreuer Nachbau erfolgen, jedoch mit modernen Ausstattungen. Auch sollte die Aufteilung der Galerie in Logen aufgehoben werden, die als dem gesellschaftlichen Klima nicht mehr angemessen galt. Doch das Projekt wurde von Nachbarn und Gegnern des Neubaus blockiert, so dass Vittorio Morpurgo 1962 den Auftrag für ein neues Projekt erhielt. 1969 nahm er seine Arbeit auf, das Theater konnte 1979 wieder eröffnen.
Auch in der zweiten Hälfte der 50er Jahre war die soziale Situation weiterhin angespannt. 2.920 Familien lebten 1955 in 23 bunker und 2.318 Läden oder Kellergewölben, 738 in 421 Baracken, die überwiegend aus dem 1. Weltkrieg stammten. 441 Familien lebten in öffentlichen Gebäuden. 11.000 Familien waren für Armenspeisen vorgesehen. Die Kriminalität nahm zu, so dass 1955 eine Touristenpolizei gegründet wurde, die jedoch wenig bewirken konnte. Die Bettelei gleichfalls nahm zu, was bereits 1948 vermerkt worden war, ebenso wie die Prostitution und der Taschendiebstahl. „Kein Tag ohne Diebe“ kommentierte 1961 der Gazzettino, obwohl die Zahl der gemeldeten Diebstähle, speziell in Venedig häufig mit Leitern und über die Hausdächer ausgeführt, von 3.219 im Jahr 1951 auf 1.028 gefallen war.
Die Wahlen vom November 1960 veränderten die politischen Machtverhältnisse kaum. 23 Consiglieri entfielen auf die D.C. , die Dorigo nicht einmal wieder aufgestellt hatte, 14 an den P.C.I., 13 an den P.S.I., 4 entfielen auf den P.S.D.I., 3 auf den M.S.I., 2 auf den P.L.I. und einer auf die Lista Civica di Terraferma. Während es in Venedig zu keiner akzeptablen Blockbildung kam, tendierte das Land zu einer Mitte-Links-Regierung. 28 Stimmen entfielen bei der Wahl auf Giovanni Favaretto Fisca, 27 auf Armando Gavagnin, 5 Stimmen waren ungültig bzw. die Stimmzettel leer. Wie 1956 warteten die Sozialisten, während sich Christdemokraten und Kommunisten, die gleichauf waren, bekämpften, auf ein Angebot der DC im Interesse Venedigs. Bei der Stichwahl erhielt Favaretto Fisca auch Stimmen der Liberalen, so dass er mit 30 zu 27 aus der Wahl als Sieger hervorging. Es kam zu einer kurzlebigen Regierung, aus der sich die Bürgerassoziation bald zurückzog. Nach langwierigen Verhandlungen stand jedoch eine Regierung aus D.C., P.S.D.I. und P.S.I. – Favaretto Fisca erhielt 37 Stimmen, Gianquinto, sein Gegenkandidat, nur 14.
1961 zählte Venedig 347.887 Einwohner, von denen nur noch 39,4 % im historischen Zentrum lebten, also 137.150 Einwohner. Weitere 49.702 oder 14,3 % lebten in der Lagune, die stärkste Gruppe bildeten erstmals die Bewohner auf dem Festland. Dort zählte man 161.035 Einwohner oder 46,3 % der Bevölkerung Venedigs. Die Altstadt hatte 33.753 Einwohner eingebüßt, was einem Verlust von 22,9 % entsprach. Die dahinter steckende Wirklichkeit sah jedoch etwas anders aus. So waren 69.917 Bewohner abgewandert, davon 43.296 innerhalb der Stadt, 26.621 hatten Venedig verlassen. 36.164 waren hingegen zugewandert, davon 12.870 aus anderen Stadtteilen, 23.294 von außerhalb Venedigs. Der Nettoverlust war trotz der Zuwanderungen gewaltig. Doch im Sestiere San Marco lag der Verlust bei 39,3 %, was auf Gebäudeumnutzungen zurückging, wie Zweitwohnungen. Außerdem waren vor allem junge und mittelalte Bürger abgewandert. Der Anteil der unter Vierzehnjährigen fiel dramatisch von 20 auf 15,6 %, der der über 55-jährigen hingegen stieg von 19,6 auf 24,1 %. Darüber hinaus blieben die Armen, während die Mittelschicht abwanderte. Demzufolge wandte sich die Spekulation weitgehend von der Altstadt ab und Mestre zu, wo die Bauten ausgesprochen regellos erfolgten. Viele Wohnungen in der Lagune verfielen weiterhin. Giovanni Stecconi, Generalsekretär der Kommune, kritisierte 1960, Mestre und Marghera seien von einer Flut von Stein und Zement chaotisch überzogen worden, ohne dass Regeln die Logik und die urbanistische Harmonie geschützt hätten.
1966 traf ein ungewöhnliches hohes Hochwasser 16.000 venezianische Wohnhäuser und führte vor, dass es für die Stadt keine einfache Lösung gab, schon gar nicht ein Fortbestehen der nach wie vor von den meisten Protagonisten fortgesetzten Muster Volpis. Dennoch behielt bis weit in die 1970er Jahre die Industriepolitik Vorrang, so dass aus der Lagune eine Kloake wurde, die durch die enorm verbreiterten Durchfahrten zur Adria und die Zerstörung des ökologischen Gleichgewichts immer häufiger verheerenden Überschwemmungen, dem Acqua Alta ausgesetzt war. Zudem kam es zu Giftskandalen und langjährigen Prozessen gegen die beteiligten Unternehmen. Gleichzeitig schrumpfte die Bevölkerung in der Altstadt binnen weniger Jahrzehnte bis auf weniger als 60.000. 1977 verließ der Gazzettino unter Leitung von Gianni Crovato die Altstadt und zog nach Mestre.
Unter Bürgermeister Massimo Cacciari (1993-2000 und 2005-2010) subventionierte die Regierung die Restaurierung der Wohnhäuser, entwickelte Projekte zum Schutz vor Hochwasser, ließ sämtliche Kanäle reinigen und bemühte sich um den Umzug europäischer Institutionen nach Venedig. Auch hat der Ausbau der Universität zu einer gewissen Verjüngung der Bevölkerung beigetragen. Neben dem Tourismus und der Kultur sollte Venedig auch im Wissenschaftsbereich ein gesellschaftliches und wirtschaftliches Standbein erhalten.
Am 200. Jahrestag des Endes der Republik besetzten acht Männer den Glockenturm von San Marco und hissten die Kriegsflagge Venedigs, die den Heiligen Markus mit Schwert zeigt. Die acht als Löwen oder Serenissimi bezeichneten Besetzer wurden zu Haftstrafen bis zu sechs Jahren verurteilt, jedoch nach einem Jahr freigelassen.100
2008 bis 2009 brach die Industrieproduktion Venedigs um 19,5 % ein, in der benachbarten Provinz Padua sogar um 27,9 %.101 Seither hat sie sich nur partiell erholt. Im April 2010 folgte Giorgio Orsoni im Amt des Bürgermeisters. Ihm gelang es, sich gegen den Kandidaten des Ministerpräsidenten Berlusconi, gegen Renato Brunetta durchzusetzen. Damit wurde Venedig die einzige von der Linken regierte Stadt im Veneto. Orsoni konnte 75.403 Stimmen oder 51,14 % auf sich vereinen, Brunetta nur 62.833 oder 42,6 %. Die übrigen Kandidaten waren Marco Gavagnin (Movimento di Beppe Grillo, 3,12 %), Michele Boato (Lista civica Ecologisti e Radicali, 1,13 %), Alfredo Scibilia (Lista civica Una Grande Città, 0,86 %), Enrico Bressan (Lista civica Fare (0,37 %), Enzo Tataranni (Partito Comunista dei Lavoratori, 0,34 %), Alberto Gardin (Indipendenza Veneta, 0,26 %), Francesco Mario D'Elia (Movimento Autonomia Venezia, 0,14 %).
Am 31. Dezember 2011 zählte die Stadt 270.589 Einwohner, davon lebten 181.883 (67,2 %) in den Stadtteilen auf dem Festland, 58.901 (21,8 %) im historischen Zentrum und 29.674 (10,97 %) innerhalb der Lagune.102 Die Lagune verliert jährlich etwa 1 % ihrer Bevölkerung.
Bürgermeister Giorgio Orsoni, der Nachfolger Cacciaris, wurde am 4. Juni 2014 verhaftet und bis zum 12. Juni unter Hausarrest gestellt. Ähnlich erging es 35 weiteren Politikern und Unternehmern, die in den Bestechungsskandal im Zusammenhang mit dem MO.S.E-Projekt unter Verdacht geraten waren (s. Lagune). Am 13. Juni trat der Bürgermeister zurück, zehn Tage später folgten ihm 24 Stadträte. Die Staatsanwaltschaft warf ihnen Bestechlichkeit, Geldwäsche und Amtsmissbrauch vor. Der Vizebürgermeister Sandro Simionato führte zunächst an Orsonis Stelle sein Amt. Unter den Verdächtigten war auch Giancarlo Galan, der frühere Minister, von 1995 bis 2010 Präsident der Region Venezien und Vertrauter des ehemaligen Regierungschefs Silvio Berlusconi. Belastet wurde Galan vom Chef des für MO.S.E. zuständigen Baukonsortiums Venezia Nuova, Giovanni Mazzacurati, der behauptete, dem Politiker zwischen 2005 und 2011 eine Million Euro pro Jahr Schmiergelder gezahlt zu haben. Nachdem ihn der Patriarch dazu aufgefordert hatte, trat Mazzacurati vom Amt des Prokuratoren von San Marco zurück. Im Gegensatz zu Mazzacurati wurde Giorgio Orsoni 2017 freigesprochen. Transparency International sieht Italien auf Platz 69 des Rankings für Korruption, gemeinsam mit Kuwait und Rumänien. Öffentliche Investitionen werden demnach erschwert, weil die Gesamtkosten erheblich höher liegen, als an anderen Orten. Die kommissarische Regierung übernahm ab dem 3. Juli Vittorio Zappalorto, der Präfekt von Görz. Zwischen 2014 und 2016, so wurde beschlossen, sollten kommunale Immobilien im Wert von über 130 Millionen Euro verkauft werden.103
Erst Anfang Juni 2015 sollte ein neuer Bürgermeister gewählt werden. Felice Casson von den Mitte-Links-Parteien erhielt zwar 38 % der Stimmen, doch sein Gegner von den Mitte-Rechts-Parteien Luigi Brugnaro erlangte 28,6 %. Casson war Hauptankläger in den Prozessen gegen die Direktoren von EniChem und Montedison, bei denen es um eine Umweltkatastrophe und den Tod von 157 Arbeitern aufgrund der PVC-Produktion in Marghera ging. Zudem war er der Entdecker von Gladio, einer geheimen paramilitärischen Einheit der NATO, die im Fall einer Invasion italiens durch Truppen des Warschauer Paktes Guerillaoperationen und Sabotageakte durchführen sollte. Bei der Stichwahl siegte Brugnaro mit 53,21 %. Er ist seit dem 15. Juni 2015 Bürgermeister. Auf einer Konferenz in Rimini drohte er mit Blick auf den Terroranschlag von Barcelona und auf die Verhaftung von drei Männern, die die Rialtobrücke sprengen wollten, jeder, der auf dem Markusplatz „Allahu Akbar“ rufe, werde sofort erschossen, auf Venezianisch wiederholte er „Ghe Sparemo“. Im Juni 2017 wandte er sich gegen das vom Consiglio regionale befürwortete Referendum, das die Teilung von Venedig und Mestre vorsah.
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