Die Lagune von Venedig ist ein durch Landzungen und vier langgestreckte Inseln weitgehend von der Adria abgetrennter Meerbusen. Zwischen diesen ausgedehnten Sandbänken befinden sich drei Durchfahrten, durch die die Gezeiten der Adria stark auf die Lagune und ihre Inseln einwirken. Sie entstand durch Ablagerungen des Brenta und anderer Flüsse, vor allem von Tagliamento und Piave, die die Ebene des längsten Flusses Oberitaliens, des Po entwässern. Die Lagune umfasst eine Fläche von ca. 550 km². Sie erstreckt sich über eine Länge von etwa 55 km und eine Breite von etwa 13 km. Etwa 3 % ihrer Fläche bedecken Inseln, der Rest besteht aus Watt- und Marschland, den Barene, die über 90 km² umfassten (heute wenig mehr als die Hälfte), dann aus weiteren knapp 17 % oder 92 km² Fischfanggründen, den Valli da pesca. Ein großer Teil der Fläche ist permanent von Wasser bedeckt, wobei der durchschnittliche Tidenhub bei ± 80 cm liegt. Der nördliche Teil, etwa ab Torcello, enthält vorwiegend Süßwasser und wird vom Gezeitenwechsel kaum erreicht. Er heißt daher laguna morta (tote Lagune). Die Salzwasserlagune, deren Wasserstand mit Ebbe und Flut sinkt und steigt und die von Meerwasser durchspült wird, heißt hingegen laguna viva (lebende Lagune). Der Worldwide Fund for Nature (WWF) erklärte das Gebiet zu einem der wichtigsten Schutzgebiete für Zugvögel in Europa. Zugleich gehört die Lagune mit der Adria nördlich der Pomündung zum kältesten Teil des Mittelmeers. Infolgedessen überleben dort Arten, wie die Alge Fucus virsoides, die es ansonsten im Atlantik gibt. Die Art ist eine endemische Art der Braunalgenfamilie der Fucaceae.
Die mittelmeerischen Gezeiten, die vor allem vom Lauf des Mondes und den Windverhältnissen bestimmt werden, gelangen durch die Straße von Otranto in die Adria. Dabei bewegen sie sich gegen den Uhrzeigersinn innerhalb der Adria. Diese Bewegung wird vielfach durch den Scirocco aus dem Süden und die Bora aus dem Osten verstärkt. Während die Tiefe des Wassers vor Bari noch etwa 1000 m beträgt, sinkt sie bis Ancona auf etwa 265 m, um schließlich die flache Lagune zu durchspülen. Dies geschieht zwei mal pro Tag, wobei jeweils 350 Millionen m³ Wasser bewegt werden. Der Zustrom durch die drei Einfahrten beläuft sich auf 20.000 m³ pro Sekunde. Um eine Vorstellung von den Größenordnungen zu bekommen, ein Denkmodell. Erstellt man nämlich ein dreidimensionales Modell der Lagune, die grob gesagt 50 km lang und 10 km breit ist, aber im Schnitt nur einen Meter tief, dann entspricht dies bei einem Maßstab von 1:10.000 etwa einem Papierblatt von 5 mal 1 Meter, das aber nur 0,1 mm stark ist. Diese simple Analogie führt vor Augen, wie eng die Beziehung zwischen Wasservolumen und Sediment in der Lagune ist, zwischen Gezeiten und den zwei Mal am Tag erfolgenden Durchspülungsbewegungen der Gezeiten.
Geschichte
Zwei große Bewegungen bestimmten die Entstehung der Lagune. Dies war zum einen der unregelmäßige Anstieg des Meeresspiegels, der die Küstensäume unter Salzwasser setzte, zum anderen der Andrang von Süßwasser aus Oberitalien, insbesondere aus den Alpen und den Abruzzen. Während der letzten Maximalvereisung vor ca. 25.000 bis 17.000 Jahren lag der Meeresspiegel an der oberen Adria rund 120 m unter dem heutigen Niveau. Danach stieg er bis vor etwa 7000 Jahren relativ zügig an, wobei er immer noch 10 m unter dem heutigen lag. Danach verlangsamte sich der Anstieg und starke Schwankungen lassen sich nachweisen. Untersuchungen an Mikroorganismen konnten die Ausbreitung von Salzmarschen im Gebiet der vorrömischen Städte Concordia Sagittaria und Cittanova vor rund 6700 Jahren nachweisen, während vor etwa 4500 Jahren wieder Süßwasser vorherrschte.1a
Die Lagune entstand vor rund 6000 Jahren, nachdem der steigende Meeresspiegel die Adria weiter nordwärts ausgedehnt hatte und während küstenparallele Strömungen die Ablagerungen der Flüsse auf fünf bis sieben Meter hohen Strandwällen aufhäuften. Auf einem solchen Strandwall verläuft die heutige Via Romea. Die Ablagerungen des Brenta und anderer kleiner Flüsse schufen, indem sie ihre Sedimente ostwärts vorschoben, die Lagunenränder von der Festlandsseite her. Bei diesem Schieben nach Osten rechnet man für das Po-Delta bis in die Zeit um 1500 mit etwa 450 Meter pro Jahrhundert. Dieser Rand wanderte immer weiter in die Adria, wobei die Nehrung an acht Stellen durch Porti genannte Durchfahrten unterbrochen war. An diesen Stellen traten zahlreiche Bäche ins Meer, wie Bacchiglione, Brenta, Dese, Zero und Sile sowie Piave im Norden. So war der Canal Grande die Verlängerung des nördlichen Armes des Brenta. Die fortschreitende Entwaldung und intensivierte Landnutzung ließen die Sedimentmenge der Flüsse stark ansteigen; Maßnahmen zum Schutz vor Überschwemmungen und Trockenlegungen beschleunigten die Strömung. Der Dünen- und Strandwallgürtel wurde an vielen Stellen durchbrochen und das Po-Delta wuchs nicht mehr flächenhaft, sondern ganz überwiegend an den Mündungen der einzelnen Flussarme in das Meer. Die Wachstumsrate stieg auf etwa 7.000 Meter pro Jahrhundert. Die Regierung Venedigs ließ 1599 bis 1604 einen Durchbruch bei Taglia di Po, im Südosten des Ortes Adria durchführen, wodurch der heutige Hauptentwässerungsarm des Po entstand. Bis dahin lag die Hauptmündung weiter nördlich beim Po di Levante und bei der Mündung der Etsch, sodass die nordwärts strebende Deltaschüttung die Lagune bedrohte.
Die Erforschung der frühesten Geschichte der Lagune wird seit 1961 vor allem durch Ausgrabungen vorangetrieben; in der Lagune befinden sich mehr als 300 archäologische Stätten, so dass die Forderung nach einem archäologischen Park erhoben wurde. Dabei hat sich die Entstehung der Lagune als ein sehr viel komplexerer Vorgang erwiesen, als lange angenommen. So waren im 6. Jahrhundert die Ostränder der heutigen Lagune noch von echten Flussmündungen zerteilt, der Meeresspiegel lag mehrere Meter tiefer. Dabei führte der ständige Austausch zwischen Süßwasser aus den Flüssen und Salzwasser aus der Adria zwar je nach Jahreszeit zu einem schwankenden Salzgehalt in der Lagune, der aber dennoch stets zu hoch war, um das Wasser zum Trinken und zur Bewässerung von Anbauflächen verwenden zu können.
Erste Besiedlungsspuren
Jagd und Fischfang lassen sich für das frühe Mesolithikum nachweisen, also für die Zeit zwischen 8000 und 5500 v. Chr.1c Schon griechische und etruskische Spuren deuteten in den letzten Jahrzehnten auf frühere Besiedlung hin, als lange angenommen. Dabei fanden sich die ältesten Spuren zwischen Sile und Marzenego am Rande der entstehenden Lagune. Überreste aus dem späteren Mesolithikum fanden sich zwischen Piave und Marzenego. Allerdings befand sich während der frühesten Besiedlung der Küstenverlauf etwa 40 km weiter im Süden. Die Annäherung an den heutigen Küstenverlauf ist auf den starken Anstieg des Meeresspiegels infolge des Abschmelzens der Gletscher zurückzuführen. Dieser Anstieg dauerte bis um 4000 v. Chr. an. In der entstehenden Lagune ließen sich spätestens im 3. Jahrtausend v. Chr. Menschen nieder. Spuren fanden sich unter dem heutigen Fondaco dei Turchi und dem Palazzo Tiepolo-Papadopoli sowie dem Albergo Ascensione im Umkreis des Markuksplatzes, aber auch auf den Inseln San Michele di Zampanigo, auf Torcello und auf Lazzaretto Nuovo. Auf Torcello und Mazzorbo fand man mykenische Keramik aus dem 15. bis 12. Jahrhundert v. Chr. In der Eisenzeit kontrollierten offenbar Padua und Altinum die Lagune, wobei sich Patavium auf den mittleren und südlichen Teil der Lagune, Altinum auf den nördlichen konzentrierte.1d Doch eine durchgängige Besiedlung bestimmter Punkte in der Lagune war angesichts der starken klimatischen Schwankungen auch nach der letzten Kaltzeit, die ein entsprechendes Anwachsen und Abschmelzen der Eismassen verursachten, was wiederum den Meeresspiegel erheblich schwanken ließ, kaum möglich. Inseln, die in kühlen Zeiten geeignete Wohnorte für Fischer waren, versanken, sobald der Meeresspiegel in wärmeren Epochen wieder anstieg. Hinzu kam die Dynamik des Untergrunds der Lagune, der keineswegs ohne Bewegungen blieb, schließlich die Frage, welche Mengen an Sedimenten durch welche Flüsse an welchen Stellen in der Lagune eingetragen wurden. Jede Vergrößerung der Inseln, oder gar der Bau neuer, sorgt bis heute für ein weiteres Ansteigen des Wasserspiegels in der Lagune. Insbesondere für die letzten drei Jahrtausende ließen sich Phasen von durchschnittlich zwei bis drei Jahrhunderten nachweisen, in denen die Höhe des Meeresspiegels für menschliche Besiedlung ungeeignet war, aber auch ähnlich lange Phasen, in denen die Lagune dauerhaft bewohnbar war, weil sich ausreichend große Flächen oberhalb des Wasserspiegels hielten (Ernesto da Canal, 33 f.).
Als gesichert gilt die durchgängige Besiedlung spätestens ab dem 1. Jahrhundert, wobei zu dieser Zeit der Meeresspiegel noch etwa 3 m tiefer lag als heute. Chioggia war eine römische Militärsiedlung am Südrand der Lagune mit Namen Clodia. Bei der Restaurierung des Fontego dei Turchi, eines Palasts am Canal Grande, kam eine Münze Kaiser Trajans zu Tage. Bei San Pietro di Castello und San Giorgio Maggiore wurden ebenfalls römische Relikte entdeckt. Gartenwirtschaft dürfte bereits eine gewisse Rolle gespielt haben. Bei Fusina fanden sich Überreste eines römischen Hafens, im Canale Bossolaro fand man antike Amphoren, bei der Ca' Ballarin fanden sich Mauerreste, im Gebiet der untergegangenen Insel San Marco in Boccalama in der mittleren Lagune fand man die einzigen Überreste von Galeeren, dazu Skelettreste von Opfern der Pest von 1348. Schon im 1. Jahrhundert konnte man auf Wasserwegen, also durch die Lagune, von Ravenna nach Altinum gelangen. Zudem wurden Kanäle (fossae) gezogen. Die fossa Clodia, die bis Chioggia reichte, und die Booten die Vorbeifahrt an Pellestrina, Poveglia und dem alten Malamocco gestattete, ließ den Verkehr von Ravenna entlang dieser Wasserwege über S. Pietro di Castello, Murano, S. Giacomo in Paludo und Torcello bis nach Altino zu. Eine Abzweigung ging nach Süden über Lio Piccolo und Lio Maggiore nach Jesolo und von dort weiter nach Aquileia. Dabei standen die beiden langen Wasserstraßen mit dem offenen Meer in Verbindung. Entlang dieser beiden Wege fanden sich besonders viele archäologische Stücke, insbesondere um Torcello und Lio Piccolo. Hafenstrukturen mit zwei Magazinen (?), die 47 mal 42 und 50 mal 46 m maßen, fand man unweit Treporti (Canal Scanello). Möglicherweise war dies der Hafen von Altino. Auch Dammbauten fanden sich, dazu vermutlich Zollstationen und Wachposten. Letztere Funktion hatten wohl zwei Türme nahe Sacca delle Case (nördlich von Murano), deren Fundamente 3 mal 2,5 und 1,8 mal 2,4 m maßen. Sie stammten aus dem 3. und 4. Jahrhundert. Danach gehen die Funde zurück, doch wurde die Lagune wohl zu keiner Zeit aufgegeben. Insgesamt konnte der 2018 verstorbene Ernesto Canal nachweisen, dass vor den Römern die älteren Siedlungen verschwanden, dann durch einen weiteren Anstieg die der römischen Zeit.
Es ließ sich anhand der Grabungsergebnisse in der Lagune plausibel machen, dass Venedig um 400 noch immer 1,9 m unter dem Meeresspiegel des Jahres 1897 lag2, also kurz bevor die Industrialisierung der Lagune begann. Bei Entstehung der Lagune lag der Meeresspiegel noch tiefer, nämlich um rund 5 m. Dieses zunächst relativ langsame Einsinken der Stadt in den Untergrund unter gleichzeitigem Ansteigen des Meeresspiegels begann sich ab dem 5. Jahrhundert zu beschleunigen, nämlich auf rund 1,3 mm pro Jahr bis 1897, also 13 cm pro Jahrhundert. Neben den Verwerfungen der Spätantike mag auch dieser Vorgang zum Bevölkerungsrückgang in der Lagune beigetragen haben. Nur nebenbei: Seit 1897 stieg der Meeresspiegel binnen 100 Jahren um 25 cm!
Dieser umfassende Vorgang variierte regional sehr stark. So war das im 10. Jahrhundert verlassene und heute am Festland liegende Altinum im Frühmittelalter von seichten Lagunengewässern umgeben, die die Römerstraßen auf Dämmen überwanden. Herakleia war als Insel überliefert und liegt heute 9 km landeinwärts auf dem Festland. Dass diese Absinkbewegungen gelegentlich durch Gegenbewegungen wieder aufgehoben wurden, zeigte sich auch im Süden der Lagune. In der Spätantike erstanden dort wieder größere Inseln, da es in dieser Zeit zu einer Landhebung kam, die bis um 900 andauerte. Dies ließ sich etwa bei der kleinen Insel Torson di Sotto nachweisen. Hingegen begannen gegen Ende dieser Epoche die Inseln im Norden zu versinken. Das gilt etwa für die Archipele von Ammiana und Costanziaco, aber auch für das alte Malamocco, das 1110 aufgegeben wurde.2b Während also die Siedlungen in den Untergrund einsanken und der Meeresspiegel anstieg, sorgten die Flüsse mit ihren Sedimenten für eine gegenläufige Hebung, die dementsprechend starken Schwankungen unterworfen war. Sie verliefen zudem viel weniger linear als die Bewegungen, die ein stetiges Versinken hervorriefen. Soweit wir wissen, bildete das Umland von Torcello, Jesolo und Caorle im Frühmittelalter ein Lagunenbecken. Unter diesen Bedingungen versuchten schon die frühesten dauerhaften Bewohner ihre Häuser auf erhöhten Inseln zu errichten, Holzbefestigungen sicherten den instabilen Untergrund, Bodenniveau und Türschwellen wurden erhöht
Flüchtlinge und Großstädte
Als 408 bzw. 410 die Ostgoten nach Oberitalien zogen, flohen viele Bewohner in die Lagune. Dies wiederholte sich 452, als die Hunnen Attilas Richtung Rom zogen, und abermals 568/69 als die Langobarden mit der Eroberung Italiens begannen. Wohl in undeutlicher Erinnerung an diese Flüchtlingsströme wird im Gründungsmythos Venedigs angenommen, dass die Stadt im Jahr 421 entstand.3a Noch heute feiert man am 25. März den Jahrestag der Gründung. Dabei fügten Legenden zahlreiche Details hinzu. Den Namen der Insel Monte dell’Oro (Goldberg) führte man darauf zurück, dass hier ein Goldschatz des Hunnenführers Attila vergraben worden sei. Die ungünstige Quellenlage erlaubt kaum weiter gehende Aussagen. Für diese frühe Zeit, in der Fischfang und Jagd, aber auch die Gewinnung von Baumaterial durch Holzeinschlag sowie durch Schneiden von geeignetem Schilf als Bau- und Heizmaterial sicher zu ersten größeren Eingriffen in die Lagune führten, kann auch mit der Einfuhr von bisher unbekannten Pflanzen- und Tierarten gerechnet werden. Stärkere Eingriffe erfolgten zudem durch die Salzgewinnung.
In gewissem Sinne trug die politische Verselbstständigung Venedigs zu dieser Entwicklung bei. Um 700 wird erstmals ein Dux (Führer oder Herzog) erwähnt, das Amt des Dogen entstand, doch wissen wir kaum etwas über die ersten Dogen. Der Amtssitz war, folgt man der venezianischen Tradition, Heraclea. Er wurde später nach Malamocco verlegt, und 811 wurde Rialto zum dauerhaften Amtssitz. Mit der Eroberung Ravennas durch die Langobarden endete etwa 750 die byzantinische Herrschaft in Oberitalien. Die Langobarden wurden ihrerseits ab 774 durch die Franken unter Karl I. abgelöst. Anscheinend verhinderte die Unzugänglichkeit der Lagune den Versuch König Pippins, des 777 geborenen Sohnes Karls, zwischen etwa 803 und 810 die Inseln zu erobern - doch auch hier ist die Quellenlage äußerst ungünstig. Bereits vor 785 residierten venezianische Händler in Ravenna und in der Pentapolis.
Mehrere Faktoren führten zu erheblichen Umverteilungen nicht nur der Machtzentren, sondern auch der Bevölkerung innerhalb der Lagune. Wahrscheinlich zog sich die Bevölkerung mehr und mehr auf die besser geschützten Inseln in der Lagune zurück, um Piraten zu entgehen, die im 9. Jahrhundert in die obere Adria vordrangen. Zu diesen Eindringlingen zählten die Ungarn, verschiedene slawische Gruppen und die Sarazenen. Zum Rückzug könnten aber auch Epidemien, wie etwa die Malaria beigetragen haben, die Torcello schwer zu schaffen machte.
Rialto lag zu dieser Zeit noch so nah an der Küste, dass man von dort einen berittenen Mann erkennen konnte.5 Noch im 6. Jahrhundert lag Rialto sogar auf dem Ostrand des Festlands - daher dürfte der Name Rivo alto (hohes Ufer) stammen. Neben Torcello waren es Städte in der nördlichen Lagune, die zunächst erheblich bessere Ausgangschancen zu haben schienen. So entwickelten sich die auf diesen Inseln entstandenen Städte Ammiana und Costanziaco seit der Spätantike. Seine Überreste fanden sich auf den Inseln La Salina, Motta dei Cunicci und Santa Cristina. Zwischen dem 10. und dem 12. Jahrhundert absorbierte Venedig jedoch zunehmend die Orte der Lagune. Torcello wurde ab dem 12. Jahrhundert nach und nach aufgegeben, ähnlich Ammiana und Costanziaco. Dazu dürfte auch der steigende Meeresspiegel beigetragen haben.
Inwertsetzung und Klosterbau
Die Lagune, die sich auch ohne Beteiligung des Menschen ständig veränderte, wurde in ihrer Ökologie nun zunehmend von dessen Eingriffen bestimmt. Diese gingen anfangs von lokalen Versuchen aus, gezielt Probleme zu lösen, wie etwa die Entfernung organischer Abfälle. Der Eintrag dieser überwiegend agrarischen Abfälle, dazu die Veränderung des Lagunenrandes durch extensive Nutzung, verwandelten die Lagune zunächst unmerklich. Diese Veränderungen kamen einerseits vom Rande der Lagune: Die vermögenden Landbesitzer züchteten auf ihren Gütern rund um die Lagune Schweine, Rinder und Pferde, ließen Getreide anpflanzen, dazu Wein, aber sie besaßen auch Jagd- und Fischereirechte. Diese Güter dienten überwiegend der Selbstversorgung der in den städtischen Siedlungen lebenden, vermögenden Familien. Andererseits veränderte sich die Lagune von den Schwerpunkten der Fischerei her: Überaus stark wirkte sich bereits im frühen Mittelalter der Fischfang aus, ein Einfluss, der sich im Spätmittelalter und in der Renaissance verstärkte. So entstanden im Norden und im Südwesten sogenannte valli oder valli da pesca, unter denen man abgegrenzte Fanggründe verstehen muss, wie etwa das Valle Millecampi im Südwesten der Lagune. Neben dem Fischfang spielte auch die Jagd auf Vögel eine gewisse Rolle. Zudem wurden die Schilfgürtel zunehmend genutzt, um billiges Brennmaterial zu erhalten. Bis in die Frühe Neuzeit durften die Bäcker, genauer gesagt die Lohnbäcker, das Schilf kostenlos schneiden, um es in ihren Backöfen zu verfeuern. Dem Fiskus der Stadt brachten all diese Einnahmen aus privater Bewirtschaftung nur mittelbar Gewinn, den einfachen Leuten jedoch billiges Brot. Innerhalb der Lagune brachte nur das Salz von Chioggia höhere Einnahmen als Ausgaben, klagte im 14. Jahrhundert der Senat. Der Süden der Lagune wurde daher partiell zugunsten von Salinen umgestaltet.
Der Magistrato alle Acque überwachte nun nicht mehr nur die Wasserwege, sondern er war zugleich mit umfangreichen Mitteln und Mannschaften ausgestattet, um die lagunaren Kanäle in Stand zu halten. Die bereits 1224 gegründete erste Institution zur Überwachung der Kanäle sperrte 1303 das Bacino di S. Marco für Reparaturarbeiten, sowie für das Laden und Abladen von Ballast, damit es für den Verkehr frei blieb. Industrien und Gewerbe, die große Mengen Abfall produzierten, wurden später ebenfalls aus diesem Bereich entfernt und verlegt, um eine Verlandung oder Vergiftung der Gewässer zu verhindern. Das galt etwa für Gerbereien oder die Glasindustrie, die nach Murano umziehen musste.
Dabei wirkte das Vorgehen nur im Nachhinein konsequent. Die Zeitgenossen tendierten zu sehr widersprüchlichen Lösungen, wie die Umleitungen des Brenta zeigen. 1327 wurde eine erste Umleitung der Mündung bei Fusina begonnen. 1336 versuchte man die Vermischung von Süß- und Salzwasser zu verhindern, 1360 wurde die Mündung bei Fusina wiederhergestellt. 1368 wurde sie erneut ins Bacino di Malamocco verlegt, 1437 die Mündung bei Fusina wieder geöffnet, was schon im folgenden Jahr wieder rückgängig gemacht wurde. 1507 verlegte man die Mündung ins Bacino di Chioggia, 1550 mündete der Fluss erstmals außerhalb der Lagune nahe Chioggia. Schließlich wurde der Fluss 1840 wieder in die Lagune bei Chioggia geleitet, 1896 entstand dann die heutige Mündung bei Brondolo. Es ist also eine lange Kette von Versuchen und Irrtümern, von Veränderungen der gesellschaftlichen Kräfte- und Interessenverhältnisse. Es wäre überaus interessant zu wissen, wie der Magistrato alle Acque sich jeweils zusammensetzte, wie seine Mitglieder und die in alles hineinwirkenden Mitglieder der Regierung, der Dogen, Senatoren, Ratsmitglieder und Savi sich auseinandersetzten und welche Interessen sie dabei vertraten.
Doch nicht nur langfristige und oftmals sehr kurzsichtige wirtschaftliche Interessen wirkten sich auf die Lagune aus, wenn sie auch immer mit anderen Interessen verschränkt waren, sondern auch die rudimentäre Verwaltung und vor allem die militärische Sicherung. Rund um die Lagune saßen schon im Hochmittelalter Amtsträger in Grado, Chioggia, Loreo, Caorle, Murano, Torcello, auf dem Lido und in Cavarzere. Zu diesen kamen Festungskommandanten im Turm von Bebbe, der die Brentamündung sicherte, von Torre Nuovo und von Marcamò. Eine wichtige Rolle beim Warentransport spielten die kleinen Flüsse, die in die Adria oder in die Lagune mündeten. So entfiel das leidige Umladen zwischen Hochseeschiffen und Barken. Von großer Bedeutung für den Handel nach Padua - und über den Bacchiglione nach Vicenza - war der Brenta. Der oftmals umkämpfte Torre delle Bebbe schützte und kontrollierte diese wichtige Zufahrt. Einige Ausbauten, wie die Kanalverbindung nach Noventa und der Bau eines Kanals im Jahre 1209, erhöhten noch die weit reichende Bedeutung dieses Gewässers. Ähnliches gilt für das Flüsschen Sile, das bis Treviso schiffbar war, und an dem die Getreidemühlen der Republik standen. Zudem wurden die am Ostrand der Lagune befindlichen Sandbänke, die Lidi, besiedelt und mit Häfen, Befestigungen und Wellenbrechern ausgestattet.
Die Sandbänke der Lagune waren dabei weiterhin in ständiger Bewegung. Alle großen Schiffe, die ihre Fracht durch die Adria transportierten, steuerten zuerst das istrische Parenzo an, bevor es in die Lagune ging. Von dort brauchte man ungefähr noch vierundzwanzig Stunden bis Heraclea und später nach Malamocco. Zwischen dem 1. September und 31. März wurden Lotsen an Bord genommen, deren hochspezialisierter Stand ausschließlich aus Venezianern rekrutiert wurde. Diese stellten eine Art „Lotsenaristokratie“ (Frederic C. Lane) dar und wurden als Große Lotsen bezeichnet, von denen es 1458 nur dreizehn gab. Sie führten die oftmals schwer manövrierbaren Schiffe durch die Lagune, die mit ihren Untiefen - damals schon aus Gründen des Schutzes gegen feindliche Flotten unmarkiert - schwer zu befahren war. Mit den Lotsen an Bord wurde zunächst S. Nicolò di Lido (heute Porto di Lido, das bis ins 16. Jahrhundert Haupthafen war) angesteuert, wo sich neben einem Leuchtturm eine Kontrollstation befand. Hatte ein ausfahrendes Schiff diese passiert, so durfte niemand mehr einsteigen. Umgekehrt mussten bei der Einfahrt alle an Bord bleiben, bis man an S. Nicolò vorbeigefahren war. Allerdings wurde diese Stelle im Laufe des 13. Jahrhunderts bei Ebbe für schwer beladene, große Schiffe unpassierbar. 1305 mussten die Führer von zwei großen Dreideckern feststellen, dass ihre Schiffe für die Durchfahrt zu groß waren, und sie erhielten Erlaubnis, sie zu verkaufen. Für große Salzschiffe wurde die Durchfahrt genauso zu eng, wie für Getreideschiffs, so dass ihre Fracht in Istrien umgeladen und auf kleineren Schiffen nach Venedig gebracht werden musste. In S. Nicolò übernahmen die für Salz, Getreide oder andere Massengüter zuständigen Amtsträger die genaue Untersuchung der Ladung und verzeichneten Mengen und Qualitäten. Danach setzten die Schiffe die Einfahrt fort. Bevor sie allerdings einlaufen durften - das galt zumindest für die Staatsgaleeren, die in regelmäßigen Konvois fuhren - wurden die Türen und Ladeluken der Galeeren versiegelt, bis die Höhe der Abgaben ermittelt war.
Während sich die Wirtschaftskraft um Rialto konzentrierte, konnten im Norden der Lagune immer weniger Menschen von ihrer Arbeit leben. Die Bevölkerung wanderte mit dem Niedergang der Städte mehr und mehr nach Venedig. Um die Inseln dennoch zu sichern, versuchte man durch die Ansiedlung von Klöstern, ähnlich wie beim Stadtausbau in Venedig selbst, dieser Entwicklung entgegenzusteuern. So wurden überwiegend ab dem 12. Jahrhundert Klöster im Umkreis Venedigs gegründet, wie auf La Certosa, San Giacomo in Paludo oder Sant'Angelo della Polvere, aber auch auf San Giorgio in Alga oder San Francesco del Deserto. Andere Inseln beherbergten Hospitale oder Pilgerhäuser, wie Santa Maria della Grazia. Doch im Spätmittelalter mussten einige dieser Einrichtungen aufgrund des steigenden Meerwasserspiegels wieder aufgegeben werden. Die meisten Klosterbewohner waren Frauen, deren Zahl sich nur schwer ermitteln lässt. Nach den Nota di tutte le Anime esistenti nella Città di Venezia nell’Anno 1586 gab es im besagten Jahr in Venedig 2.408 Nonnen. 1606 waren es 2.082, 1642 zählte man 2.905. Danach sank die Zahl der Nonnen kontinuierlich. Eine eigene Institution, die Provveditori sopra i Monasteri, beaufsichtigte ab 1521 die Nonnenklöster, in denen 1486 allein 54 % der adligen Frauen - überwiegend gezwungenermaßen - lebten.6
Umleitung der Flüsse
Schon früh überließ man die Lagune nicht mehr sich selbst und der individuellen Nutzung ihrer Ressourcen. Auch versuchte Venedig schon im 12. Jahrhundert durchzusetzen, dass die Zuflüsse zur Lagune nicht mehr ohne seine Zustimmung verändert werden durften. Als Padua den Lauf des Brenta veränderte, kam es 1142 zum offenen Krieg. Gegenüber den Kreuzfahrern, die sich 1201 in Venedig sammelten, beanspruchte Venedig bereits das gesamte Flusssystem bis vor Mailand. Dabei ging es immer wieder um die Monopolisierung des Handels, um Stapelzwang, Sicherung der Wege und Rechte der venezianischen Händler, um die Abwehr von Konkurrenten. Auch wenn dies gern im 21. Jahrhundert so interpretiert wird, war Venedig nicht eine Verfechterin von ökologischen Interessen im Rahmen einer Gesellschaft, in der alle betroffenen Interessengruppen partizipierten, sondern eine Adelsrepublik, die im Interesse von wenigen Dutzend, weit verzweigten Familien Fernhandelsinteressen durchsetzte. Dass diese häufig Kompromisse machen mussten, um nicht ähnliche, oft katastrophale Aufstände erleben zu müssen, wie sie sich häufig auf dem Festland ereigneten, ist dabei offensichtlich. Die dicht gedrängte Bevölkerung der Metropole war keineswegs so ruhig und mit dem Regiment des Adels einverstanden, wie es die staatlich gesteuerte Geschichtsschreibung suggeriert. Nur so ist die durchaus vorhandene Vorsorgepolitik verständlich.
Gegenüber den Kolonien musste die Regierung weniger Rücksicht nehmen, erst recht gegenüber den oft feindlichen Nachbarn, die sich gegen Venedigs Monopole wehrten. 1303 errichtete Venedig am Unterlauf des Brenta einen Damm, der dazu beitrug, den Fluss als einzigen Handelszugang in die obere Adria zu sichern. Damit war dies ein Versuch, den Handel mit Oberitalien zu monopolisieren - eine Tendenz, gegen die sich Städte wie Padua und Bologna in mehreren Kriegen zur Wehr setzten. Noch weiter ging Venedig wenige Jahre später. 1339 wurde erstmals der Brenta Richtung Chioggia umgeleitet. Der Fluss entwässerte nun nicht mehr in die Lagune.
Nicht nur der Brenta, sondern auch Piave und Sile wurden umgeleitet, denn deren Zuflüsse in die Lagune sollten seit dem 15. Jahrhundert in großangelegten Maßnahmen reduziert werden. Venedig versuchte auf diese Art Schlamm, Sand und einen zu hohen Süßwasseranteil zu bekämpfen, eine Trias, die ansonsten zu einer allmählichen Verlandung Venedigs geführt hätte. Der Zusammenhang der räumlichen Gestalt, des Mythos und der Herrschaftsbegründung war so eng, dass die Stadt keine Anbindung an das Festland duldete. Sie war niemandem untertan, eben weil diese Verbindung nicht bestand. In diesem Sinne war die Lagunenpolitik mit ihren gewaltigen Flussumleitungsprojekten Ausdruck der Herrschaftsideologie des dominierenden Adels.
Die Nachbarn auf dem Festland waren in erster Linie potentielle Feinde, deren Eindringen in die Lagune man unter allen Umständen verhindern musste. Die verwirrenden Kanalnetze waren dabei ein guter Schutz. Wie nahe diese externe Bedrohung rücken konnte, zeigte sich jedoch im Winter 1431 auf 1432, als die Lagune zufror - doch nutzte kein Gegner die günstige Gelegenheit, die Stadt ohne Mauer im Handstreich zu nehmen. Ein weiteres Mal fror die Lagune im Winter von 1708 auf 1709 zu, auch diesmal ohne politische Folgen.
Das Projekt der Umleitung der drei Hauptzuflüsse zur Lagune hatte auch ungewollte Nebenwirkungen, denn die Reduzierung von Sedimenten öffnet der erodierenden Wirkung der von der Adria einströmenden Wassermassen immer neue Angriffsflächen, statt ein zähes Gleichgewicht aufrecht zu erhalten - von den Klagen der Bewohner des Festlands gegen die egoistische Politik der Serenissima soll hier nicht die Rede sein. Schon im 17. Jahrhundert war den Zeitgenossen durchaus bewusst, dass die Lagune längst zu einem künstlichen Lebensraum geworden war, der sich von seinen natürlichen Wurzeln schon weit entfernt hatte.
Im Mittelalter waren Senat und Rat der Zehn für die Lagune zuständig. 1501 wurden drei Savi alle Acque bestimmt, deren Amt zur Dauereinrichtung wurde. Dieses Gremium wurde bald dauerhaft zu einer Institution geformt, die für alle Fragen der Lagune zuständig war. Sie wurde ab 1505 vom Collegio und den drei Esecutori flankiert (zumindest gab es 1521 drei von ihnen). Ab 1542 wurde ein öffentlicher Mathematiker bestellt, der, von Experten unterstützt, als Berater fungierte. Macht und Einfluss dieser Gremien sind nicht zu unterschätzen. Dem Collegio gehörte der Doge an sowie 50 meist hochrangige Vertreter der Verwaltung. Sie besaßen die Zuständigkeiten für das gesamte Spektrum von der technisch-naturwissenschaftlichen bis zur fiskalischen Seite, wiesen an und kontrollierten die Durchführung. Dabei hatten sie weitreichende rechtliche Mittel.
Girolamo Priuli vermerkte in seinem Tagebuch, die Hauptaufgabe der Savi bestehe darin, dass sie die Versandung der Lagune verhindern, damit Venedig auf keinen Fall zu Festland werde. Die drei Einrichtungen wurden bald als Magistrato alle Acque bezeichnet. Dieser garantierte Venedigs Wohlfahrt, seine militärische Sicherheit und seine staatliche Souveränität. Eine Steuer in Höhe von 5 % auf alle Erbschaften ermöglichte die dauerhafte Finanzierung der Institution. Bald wurden die Adligen, die diese Ämter innehatten, von Notaren, Kämmerern und technisch versierten Mitarbeitern unterstützt und beraten. Diese wurden als Periti und Proti bezeichnet. Sie wurden auf Lebenszeit in dieses Amt berufen und entstammten den bürgerlichen Kreisen, den Cittadini originari. Doch ihr Wissen wurde nicht in geschlossenen Kreisen entwickelt. Sie standen in ständigem Austausch mit acht erfahrenen Fischern, die die Fischerzünfte ernannten. Diese Zünfte waren die von San Nicolò, Sant'Agnese, dann die von Murano, Burano und Chioggia.
All diese Gremien hatten die Lagune, deren genaue Grenzen 1610 durch 100 Grenzsteine markiert wurden, vor jeder Störung zu schützen. Dazu gehörte etwa die Vermüllung, das unberechtigte Beweiden der Sumpfflächen oder nicht genehmigte Trockenlegungen. Innerhalb dieser Conterminazione lagunare wurde geradezu eine Tabuzone eingerichtet, innerhalb derer sich alle Verstöße unmittelbar gegen die Republik richteten. Um den Übeltätern auf die Schliche zu kommen, wurde ein System der Kontrolle und Beobachtung, das seit dem Mittelalter bestand, ausgedehnt, und Kästen, in die man Zettel mit Denunziationen werfen konnte, speziell für die Lagune aufgestellt. In schweren Fällen kam es zu Körperstrafen, war das Staatswohl gefährdet, konnte der Rat der Zehn in geheimen Sitzungen Maßnahmen bis hin zur Hinrichtung oder Ermordung ergreifen. Aussagewillige Komplizen konnten hier auf Straffreiheit hoffen, die Denunzianten auf Schutz ihrer Anonymität. Allerdings traten die Angehörigen des Rates der Zehn in diesen Angelegenheiten äußerst selten zusammen. Zwischen 1555 und 1747 geschah dies nur in acht Fällen.
Mitunter geriet das Wasseramt mit anderen Behörden in Konflikt, wie etwa den für die Landwirtschaft zuständigen Provveditori sopra beni inculti, die sich in der Hauptsache mit der Konzessionierung von Bewässerungsrechten befassten. 1540 verhinderte das Wasseramt sogar die Einrichtung einer landwirtschaftlichen Kultivierungsbehörde. So entwickelte sich eine klare Hierarchie zwischen den Magistraten und den Systemen, die in ihren Händen lagen. Venedigs Lagune rangierte hier klar vor allen anderen Bedürfnissen. Zum Erhalt der Lagune wurde die gesamte natürliche Umgebung, vor allem die Fluss- und Deichsysteme, eingespannt, aber auch die Bedürfnisse der um die Lagune lebenden Bevölkerung hintangestellt.
Diese Rigidität hing mit einer zentralen Verbindung im Denken der Zeit zusammen, nämlich einerseits mit dem Zusammenhang von Schmutz, Gestank, schlechter Luft (mal aria) und Krankheit auf der einen Seite und Schmutz und moralischer Minderwertigkeit auf der anderen Seite. Daher lobte man nach außen in besonderem Maße die Sauberkeit der Stadt und die Reinheit der Luft. Um diese Ziele zu erreichen fuhren Teams von mettadori oder scovadori durch die Sestieri, ließen ihre Hörner erklingen und räumten den schmutzigen Schlamm ab. Harte Strafen waren für diejenigen vorgesehen, die Müll in die Kanäle oder in die Gassen warfen. Jedoch war das Verbrechen an der Gesundheit und Moral der Stadt offenbar größer, wenn man die Kanäle verschmutzte. Eine Strafe von 5 Dukaten oder Auspeitschen sollte diejenigen treffen, die ertappt wurden. 1536 wählte das Collegio delle Aque einen Capitano für jede Gemeinde, der Missetäter aufspüren und bestrafen sollte. All dies führte jedoch nur zu begrenzten Erfolgen, denn der Widerstand war groß. Einerseits war es bei einigen Geschäften unvermeidlich, dass es zu Geruch und Abfällen kam, wie etwa an den Ständen der Fleischverkäufer auf dem Markusplatz. Sie wurden an den Rand des Platzes verbannt - eine weitere Entfernung war nicht durchsetzbar. Andererseits richteten sich viele Maßnahmen gegen die Zugewanderten, die vielfach aus der Stadt vertrieben wurden, aber auch gegen die etablierte Stadtarmut. Schließlich setzten auch die von der Regierung Beauftragten den Vorgaben Widerstand entgegen. Doch nicht nur die Verschmutzung durch Menschen veranlasste weitreichende Aktivitäten. 1536 sah sich die Stadtregierung veranlasst, den gesamten Canal Grande vom Schlick zu befreien, eine jahrelange Großbaustelle, die noch 1542 in Gang war. 1565 brachte man 3000 Männer in die Stadt, um die Kanäle von Schlammbänken zu befreien. Doch Kanäle, Straßen und Wege blieben schmutzig. 1575 hielt man ein Drittel der Wege für nicht passierbar, überall musste man die Kleider heben, um sie vor Schmutz zu schützen.
Ausbau zur Festung
Die Kriege mit den Osmanen, die 1571 in der Seeschlacht von Lepanto ihren vorläufigen Höhepunkt fanden, veranlassten den Senat, auch die südlichen Einfahrten in die Lagune militärisch stärker zu sichern. Dazu sollten fünf achteckige Festungsbauten (ottagoni) entstehen. Die Insel Alberoni und der Ottagono Abbandonato bildeten zusammen mit der Festung auf Campana und auf Poveglia eine Verteidigungslinie gegen Eindringlinge in die Einfahrt von Malamocco. Mit Mauern umgürtete Inselchen wie Ottagono Ca'Roman sicherten die südlichste Einfahrt zwischen Chioggia und Pellestrina. In den nachfolgenden Jahrzehnten wurden die Befestigungen nicht weiter ausgebaut, doch während die Osmanen Kreta eroberten und beinahe ein Vierteljahrhundert lang dessen Hauptstadt Candia belagerten (1646 bis 1669), wurden die Inseln in der Lagune erneut stärker befestigt.
Eine abermalige Ausbauphase erlebten die Inseln der Lagune gegen Ende der Republik. Dabei entstanden nicht nur die Murazzi zur Sicherung der Adriaseite der Lagune in der Zeit zwischen 1744 und 1782, sondern es wurden auch - in entsprechend kleineren Abmessungen - die Inselchen gegenüber dem italienischen Festland entsprechend den veränderten Festungsbautechniken ausgebaut. Diese Festungen waren Buel del Lovo, Fisolo, Campana, Ex Poveglia und Trezze in der südlichen Lagune; Tessera, Carbonera und Campalto in der mittleren und nördlichen Lagune. Sie lagen meist an den Schnittpunkten der lagunaren Kanäle, deren Durchfahrt sie mit ihren Kanonen bestreichen konnten, falls feindliche Schiffe von dorther in die Lagune eindringen sollten.
1598 und 1599 debattierte man darüber, ob ein Seitenarm des Po - mit dem gleichen Argument des Schutzes der Lagune, obwohl er gar nicht in die Lagune floss - umgeleitet werden sollte. Bei diesen Debatten waren sowohl der spätere Doge Nicolò Contarini, als auch die berühmtesten Wasserbauingenieure ihrer Zeit, darunter Marino Silvestri, Alvise Cornaro und Cristoforo Sabbadino anwesend. Der Po delle Fornaci bedrohte aber keineswegs die Lagune, wie Contarini in seinen Istorie veneziane feststellte, sondern private Interessen von venezianischen Landbesitzern, die im Gebiet des Nebenarms vor Überschwemmungen geschützt sein wollten. Viel wichtiger war aber, dass mit Hilfe der Umleitung ein für Venedig gefährliches Projekt in den Schlamm- und Sandfluten versenkt werden konnte. Dieses Projekt hatte Alfonso II. d'Este 1579 begonnen. Er hatte unter Förderung von Papst Clemens VIII. versucht, die Insel Mesola in der Sacca di Goro zu einer Residenz und vor allem zu einer Hafenstadt auszubauen. Venedig sah darin eine gefährliche Konkurrenz und versenkte mittels des 1604 umgeleiteten Po-Nebenarms die Sacca di Goro in Schlamm. Damit war das Hafenprojekt beendet. Allerdings dauerte es noch bis 1613, bis die Sacca verlandet war. Das heißt nicht, dass Venedigs Sorgen um den Erhalt des Gleichgewichts in der Lagune unbegründet waren, aber sie wurden nach innen und außen auch als Druckmittel eingesetzt, um selbst solche Projekte durchzusetzen, die keinerlei Wert in dieser Hinsicht hatten, sondern bloßen Wirtschaftsinteressen dienten.
Alvise Cornaro schwebte eine sehr viel grundsätzlichere und radikalere Lösung vor. Er schlug 1560 den Bau eines Mauerrings vor. Dabei dachte er nicht nur an eine Ausdehnung der Stadt Richtung Festland, sondern an das Ende der Stadt im Wasser. Damit wandte er sich gegen die verbreitete Ansicht, Venedig müsse eine Stadt ohne Stadtmauer bleiben, deren Schutzwall die Lagune sei. Im Gegenteil machte er weiter gehende Vorschläge, um die Stadt vom Wasser ab- und endgültig dem Land zuzuwenden, aus ihr eine Festlandsstadt zu machen.
Gegen Ende der Republik führten all die Maßnahmen, dazu Bonifikationen auf dem Festland, zu einer Existenzbedrohung der Lagune. Sie drohte zunehmend von den Rändern her zu verschwinden. Daher ließ die Regierung 91 Marmorgrenzsteine setzen, über die hinaus ab 1794 keine Landgewinnungen oder ähnliche Nutzungen mehr gestattet waren. Gleichzeitig entstanden am Ostrand der Lagune die gewaltigen Murazzi, die militärisch und ökologisch die Lagune schützen sollten. Die Lagune galt zu dieser Zeit als weitgehend stabilisiert, den heutigen Venezianern gilt dieser Zustand vielfach als Ideal.
Industrialisierung
Mit dem Ende der Republik im Jahr 1797 endete auch die staatliche Aufsicht über die Lagune und die Kanäle weitgehend. Die Valli, die Fischfanggründe, wurden privatisiert, die Trockenlegung der Sümpfe (Barene) veränderte die Ökologie abermals, ließ die Lagune zunehmend schrumpfen. Es entstand eine Brücke - neben dem heutigen Ponte della Libertà, der „Brücke der Freiheit“ -, die Venedig aus militärischen Gründen ans Festland band, Forte Marghera wurde massiv ausgebaut. Der Magistrato alle Aque, der seinen Ehrgeiz darein gesetzt hatte, ein Gleichgewicht in der Lagune herzustellen, wurde durch die ab 1866 herrschende italienische Regierung zunehmend mit Beamten aufgefüllt, die nicht aus Venedig stammten. Waffen- und Antriebstechniken veränderten zudem das Verhalten der Menschen in der Lagune, und dessen Auswirkungen. So gestatteten Gewehre eine erheblich effizientere Bejagung der Vogelbestände, Motorboote verlärmten die Lagune, ließen Öl und Diesel in das Wasser ab und veränderten durch erhöhten Sauerstoffeintrag die lagunare Lebenswelt. Hinzu kam der überaus starke Wellenschlag, der sowohl die fragilen Häuser in Venedig und in allen Orten der Lagune bis heute bedroht, als auch die zerbrechlichen Strukturen der Lagune selbst.
Doch dies war nichts im Vergleich zur Nutzung ab Anfang des 20. Jahrhunderts. Der stärkste Eingriff erfolgte mit der Umwandlung Margheras und seiner Nachbarstädte in eine Industriezone. Dies geschah unter der Ägide des Gruppo veneziano, deren führende Köpfe Giuseppe Volpi (1877–1947) und Vittorio Cini (1885–1977) waren. Und bald in enger Zusammenarbeit mit dem faschistischen Regime, das die Kriegsproduktion förderte und die Interessenvertretungen der Arbeitschaft ausschaltete. Die neuen Arbeiterstädte sonderte ihre Abwässer in die Lagune ab, verwandelten den Westrand in ein Gebiet extrem dichter Besiedlung und industrieller Nutzung. Hinzu kamen Straßenbauten, die großflächig den Westrand der Lagune abschnitten, der infolgedessen austrocknete. Damit Schiffe diese Industrieregion durch die Lagune erreichen konnten, mussten nicht nur die Einfahrten verbreitert und vertieft werden, sondern tiefere und breitere Kanäle entstanden, vor allem der Canale dei Petroli.
Am heftigsten stritt man in den 1990er Jahren um das Dioxin, das sowohl die Gesundheit der Bewohner bedrohte als auch den Fischfang, den Fang von Krebsen und Muscheln. Zudem wurden die Durchlässe zur Adria nun massiv erweitert - auf 900 m in der größten Durchfahrt -, die Fahrrinnen auf bis zu 18 m vertieft und entsprechend verbreitert. Inseln wie Torson di Sotto und Rivola Vecchia, die nun gewissermaßen im Salzwasserstrahl dieses Zustroms lagen, wurden binnen fünf Jahren fast vollständig zerstört. Nun versuchte man sie mit Palisaden zu schützen.
Die inzwischen in der Lagune verkehrenden, erheblich größeren Schiffe - auch Passagierschiffe - trugen weitere Gifte ein, und sie brachten neue Tier- und Pflanzenarten in die Lagune. Zugunsten dieser Anlagen und des Flughafens Marco Polo wurden weitere 1.500 ha Barena trockengelegt, Land also, das nun nicht mehr periodisch überschwemmt werden konnte. Künstliche Inseln wie Tronchetto - allein sie 690 m lang und bis zu 220 m breit -, oder die ebenfalls etwa 18 ha große Sacca Fisola, sowie die westlich daran anschließende Sacca San Biagio - die aus einer Müllhalde hervorging und auf der bis 1985 eine Müllverbrennungsanlage betrieben wurde -, schließlich Sacca Sessola südlich der Altstadt, oder aber die Inseln südlich von Marghera, sie alle verkleinerten den für Wasser verfügbaren Raum weiter, so dass sich die Überschwemmungen verstärkten.
Immerhin wurde der massenhafte Eintrag von Abwässern und vor allem Düngemitteln in die Lagune gestoppt, womit das periodisch auftretende, gewaltige Algenwachstum gegen Ende des 20. Jahrhunderts eingedämmt werden konnte - vielen Besuchern wird der enorme Gestank im Gedächtnis geblieben sein. Auf die massiven Veränderungen in der nördlichen Adria, die immer auch mittelbar die Lagune treffen, wie etwa der Einsatz von Schleppnetzen auf Arten, die sich nur langsam erholen, muss hier verzichtet werden.11 Wie sehr die Stadt von der Lagune abhängt, zeigte sich aber nicht nur hierin. Das Hochwasser von 1966 gefährdete zwar die Stadt nicht als Ganzes, beförderte aber die Abwanderung, die zu dieser Zeit bereits eingesetzt hatte, zusätzlich. Ökologische Gruppen warfen den Industriebefürwortern fehlende Rücksicht auf das Ökosystem Lagune vor und eine Mitschuld an den häufiger und stärker werdenden Hochwassern. Ihre Häufigkeit ist in den letzten Jahrzehnten in der Tat stark angestiegen, vor allem im Winter, und selbst im Mai treten inzwischen immer häufiger Hochwasser auf.
Eine der treibenden Kräfte des Ausbaus der Hafenkapazitäten ist die Hafenbehörde bzw. der Magistrato alle Acque mit ihrem Leiter und ehemaligen Bürgermeister Paolo Costa. Er legte der Regierung in Rom am 23. September 2010 einen Plan vor, der den Bau eines Hafens 14 km vor der Lagune, in einem etwa 20 m tiefen Gebiet mitten in der Adria vorsieht. Dort sollen Tanker bis zu 150.000 t anlegen und ihre Last in Pipelines pumpen, die bis zu 7 Millionen Tonnen Rohöl nach Marghera und Mantua führen sollen. Dies wäre der erste Offshore-Hafen im Mittelmeer. In diesem Hafen sollen Schiffe sicher ankern können, wenn die Schleusen des Hochwasserschutzprojekts MO.S.E. geschlossen sind. Die seit 1994 bestehende Forderung, dass keine Tanker mehr durch die Lagune fahren dürfen, würde damit erfüllt. Mit der Fertigstellung würde man etwa 2017 rechnen.
2012 stellten Yehuda Bock von der University of California in San Diego und sein Team fest, dass die Regionen des venezianischen Großraums mit unterschiedlichen Geschwindigkeit absinken. Demnach sinkt der Untergrund im nördlichen Teil der Lagune nur 2 mm pro Jahr, hingegen doppelt so schnell im südlichen Bereich. Dabei kippt die Region ein wenig nach Osten, was die Abwärtsbewegung für das Historische Zentrum etwas abschwächt, denn es liegt im Westen. Die Adriaplatte, auf der die gesamte Lagunenlandschaft ruht, taucht unter dem Apennin unter die Eurasische Platte.11b
Gefährdung
Ohne menschliche Eingriffe verwandelt sich die Lagune in ein tiefes Wasserbecken, in dem Sandbänke und Salzmarschen verschwunden sind. Dies hängt damit zusammen, dass ursprünglich kleine, langsame Flüsse in die Lagune mündeten, die die Republik Venedig direkt in die Adria umleiten ließ, um eine Verlandung der Lagune zu verhindern. Damit erhielt sich die Stadt ihren Schutzwall aus Wasser. Doch gelangte dadurch nur noch wenig Sand, Schlick und Geröll in die Lagune, Material, das durch die Auslässe zur Adria langsam entwich. Diese Entwicklung wurde im 19. und 20. Jahrhundert dadurch verschärft, dass die Ausgänge für die erheblich angewachsenen Schiffe, vor allem der Industrieregionen um Mestre und Marghera, stark verbreitert und vertieft wurden. Fehlender Nachschub und verstärkte Erosion veränderten die Lagune stetig. Auch die Häuser in der Kernstadt sind betroffen. Wie eine horizontale Säge arbeitet die beschleunigte Strömung an den Fundamenten, selbst der Nebenkanäle. Die Wassermenge, und damit die Erosionskraft des Wassers in der Lagune, hat sich binnen hundert Jahren verdoppelt.
Verteidigungs- und Wirtschaftsmotive haben eine Situation geschaffen, die durch das Verschwinden von Salzmarschen, Sandbänken und Untiefen die Artenvielfalt bedroht. Dabei schreitet die Verlandung der laguna morta im äußersten Norden schneller voran. In der mittleren Lagune kommen künstliche Inseln, wie Tronchetto hinzu, die immer weiter in die Lagune hineinwachsen. Hingegen wird das Wasserbecken im Süden, die laguna viva, immer tiefer. Während im Norden die Marschen wachsen, verschärft das regelmäßige Ausbaggern der Zufahrten nach Mestre und Marghera die Situation im Süden. Dazu kommt, dass Grundwasser abgepumpt wird, was den Lagunenboden weiter absenkt. Schließlich treten seit einigen Jahren Nahrungskonkurrenten auf, die inzwischen erhebliche ökologische und ökonomische Bedeutung erlangt haben, wie die Philippinische Venusmuschel (Tapes philippinarum). Auch reißen die Fischer mit ihren Fangkörben den Lagunenboden auf und verstärken damit den Materialverlust in der Lagune. Dennoch nehmen sie die Zerstörung des Bodenbewuchses in Kauf.
Der Wert der Flora für den Erhalt der Lagune, und damit auch des menschlichen Lebensraums, wird oftmals nur unzureichend erkannt. In den Salzmarschen und auf den Sandbänken brechen Pflanzen die Kraft der Wellen und ihre Wurzeln halten den Boden fest. Algen- und Bakterienmatten sind in der Lage, den Verlust von Sand und Schlick zu verlangsamen.
In der Zone, die dem Meer am stärksten ausgesetzt ist, leben sowohl für die Lagune, als auch für die Adria typische Tiere, wie Flohkrebse (Amphipoda), Käfer und Zweiflügler. Da überaus häufig organisches Material angeschwemmt wird - etwa von Algen oder toten Tieren, die häufig Schichten von mehr als 10 cm Stärke bilden - entstanden und entstehen in dem stark von Wellengang und Sandbewegungen gekennzeichneten Gebieten zahlreiche, sehr variable Biotope. Gut angepasst an diese extremen Biotope sind einige Arten der Sandlaufkäfer (Cicindelinae), der Schwarzkäfer - etwa der Hellfarbene Schwarzkäfer (Phaleria cadaverina), der sich auf faulende Pflanzenstoffe spezialisiert hat - , oder der Laufkäfer (Carabidae). Viele der Arten waren noch vor wenigen Jahren stark verbreitet, manche geradezu massenhaft, doch werden sie immer seltener gesichtet. Cylindera trisignata trisignata, den die Angelsachsen pathetisch tiger beetle, also Tigerkäfer nennen, ist sehr stark gefährdet, ähnlich wie andere Insekten auch. Dies hängt zum einen mit den Veränderungen der Habitate zusammen, die die Industrialisierung und die ganz überwiegend technizistische Behandlung der Lagune verursachen, aber auch damit, dass interessierte Touristen zunehmend abgelegene Gebiete per Motorboot aufsuchen.
Hochwasserschutzbauwerk Mose
Doch weiterhin setzt der Staat auf massive Eingriffe und industrielle Ingenieursmaßnahmen, um die Wirkungen der übrigen Industrien nicht auf die Verursacher zurückführen und unter deren Beteiligung abschalten zu müssen. Inzwischen sind 78 gewaltige Fluttore zum Schutz vor Überschwemmungen im Bau, doch dies wird langfristig nicht genügen, obwohl allein hierfür schon 7 Milliarden Euro vorgesehen sind. Das Hochwasser in der Stadt (Acqua Alta) soll durch sie unterhalb bestimmter Höchststände gehalten werden. Derzeit befindet sich dieses Projekt, das am 14. Mai 2003 begonnene Mo.S.E, eine Art dreiteiliges Wasserstauwerk an den Ausfahrten der Lagune, noch im Bau, ist aber schon weit vorangekommen. Von den Fluttoren sind 18 an der Durchfahrt von Chioggia im Süden vorgesehen, 19 bei Malamocco. Die sehr breite Durchfahrt bei Lido erhält zusätzlich eine künstliche Insel, von der 20 Tore nach Treporti reichen und 21 nach Lido-San Nicolò. Jedes Tor ist 20 m breit, wobei die Höhe stark variiert. Bei Lido-Treporti sind sie 18,5 m hoch, bei Malamocco 29,6 m. Auch ihre Stärke variiert zwischen 3,6 m bei Lido-Treporti und 5 m bei Chioggia. Die Steuerzentrale entsteht im Arsenal.
Sollte der Meeresspiegel weiter steigen, würde die Zeit, in der die Sperrwerke gehoben werden, immer weiter ausgedehnt werden müssen. Damit würde die Verbindung zwischen Lagune und Adria zeitlich immer kürzer, nachdem die zwischen den Flüssen des Festlands und der Lagune gleichfalls immer prekärer geworden ist. Den strittigen Charakter drückt schon der Name aus, denn MOdulo Sperimentale Elettromeccanico bedeutet nichts anderes als experimentelles, elektromechanisches Modul. Sein Anklang an den biblischen Moses spielt auf die Rettung der Israeliten vor den nachsetzenden Truppen des Pharaos durch die Teilung des Roten Meeres an. Die Befürworter sehen sich eher in der Kontinuität der Murazzi, die Agostino Martinelli 1672 vorschlug, doch unterschlagen sie dabei, dass die heutigen ökologischen Probleme von Menschenhand stammen.
Stabilisierende Eingriffe
Die heutige Lagune ist ein Biotop aus Menschenhand, das unter Beibehaltung der derzeitigen Bedingungen in wenigen Jahrzehnten verschwunden sein wird. Daher wird darüber nachgedacht, einige Flüsse zumindest zeitweise wieder in die Lagune zu lenken, wobei künstliche Kanäle die Verteilung der Sedimente unterstützen könnten.
Immerhin hat Venedig dafür Sorge getragen, dass seine Kanäle ausgebaggert wurden, doch gelangt nach wie vor eine große Menge an Fäkalien, Abfällen und vor allem gifthaltige Industrierückstände und Müll in die Lagune. Harte Auseinandersetzungen drehten sich bis in die 90er Jahre um die Verseuchung mit Dioxin. Dazu kommen die zahlreichen Motorboote, die eine der Hauptursachen für die Belastung der Lagune mit ölhaltigen Resten darstellen. Zu diesen Booten kommen zahlreiche Fähren und Kreuzfahrtschiffe. Von 1999 bis 2010 hat sich die Zahl der Besucher, die auf diese Art in die Stadt kommen, versechzehnfacht. Die 619 Passagierschiffe brachten allein 1,6 Millionen Besucher in die Stadt, dazu kamen 581 Fähren.12a Seit dem 1. November 2014 dürfen Kreuzfahrtschiffe ab 96.000 Bruttoregistertonnen nicht mehr die Lagune passieren, ab 40.000 Tonnen wird die Zahl der Durchfahrten um 20 % vermindert. Neben den unmittelbaren Schäden an der Lagune wehren sich nun endlich die Bewohner, und auch viele Besucher gegen die gewaltigen Abgasmengen der „schwimmenden Altölverbrennungsanlagen“.
Inseln, Barene, Valli, Canali
Inseln
Ostwärts des historsichen Zentrums schließen der Lido di Venezia und Pellestrina die Lagune gegen die Adria ab. Weit in die Lagune hinein reichen die Littorali, Landzungen wie die Littorale del Cavallino. Venedig selbst ist eine Gruppe von mehr als 100 Inseln, die zusammen eine Gesamtfläche von 5,165 km² aufweisen. Jede einzelne von ihnen hier aufzuführen, würde den Rahmen sprengen. Die weit über 60 Inseln in der Lagune außerhalb des historischen Zentrums umfassen eine Fläche von kaum mehr als 9 km²:
Hinzu kommen die kleinen Inseln San Giorgio in Alga mit 15.113 m² (0,015113 km² oder 1,5113 ha), Monte dell’Oro ca. 13.000 m² oder 1,3 ha, San Giacomo in Paludo mit 12.496 m², San Secondo mit 12.064 m², San Giuliano mit 11.029, Buel del Lovo mit 6.452, Tessera 6.296, Carbonera 5.867, Campana (Podo) 5.858, Madonna del Monte 5.722, Ex Poveglia 5.710, Sant'Angelo della Polvere 5.243, Trezze (oder Tresse) 5.226, Fisolo 4.760, Motta dei Cunicci 4.547, Motta San Lorenzo 4.324, Cason Millecampi 4.135, Crevan 3.651, Ottagono San Pietro 3.326, Ottagono Abbandonato 3.026, Ottagono Poveglia ca. 3.000, Faro Ceppe 2.783, Ottagono Alberoni 2.520, Ottagono Ca'Roman 2.023, Cason Montiron 1.881, Casone Barenon 1.639, Casone del Cornio Vecchio 1.335, Cason di Valle in Pozzo (auch Motta (di) Val in Pozzo) 773, Motta di Valgrande 704, Motta del Cornio Nuovo 604, Cason Prime Poste 574, Motta di Beverara 545, Motta Peta di Bo 479, Motta di Bombae 431, schließlich die winzigen Eilande Cason le Tagiae 300, Cason dei Sette Morti 212 und Motta Sant' Antonio mit nur noch 75 m².
Die hier aufgeführten Casoni (große Häuser) sind eigentlich Unterkünfte für Fischer, die Motte sind kleine Erhebungen über dem Wasser, die auch bei Flut nicht überschwemmt werden. Die Ottagoni sind achteckige Festungsinseln zum Schutz der Laguneneneinfahrten. Schließlich ist ein Faro ein Leuchtturm, eine Sacca ist eine künstliche Insel, von denen es drei gibt, hinzu kommt der ehemalige Faro Spignon gegenüber der Einfahrt von Malamocco. Zu ergänzen sind zwei Inseln im Westen der mittleren Lagune, nordwestlich von Motta oder Casone del Cornio Vecchio, nämlich Torson di Sopra und das etwas südöstlich gelegene Torson di Sotto und schließlich eine kleine Inselgruppe in der mittleren Lagune, die Motte di Volpego.
Barene sind eine für die Lagune typische Form der Salzmarschen. Es handelt sich um morastige Gebiete, die regelmäßig vom Hochwasser überschwemmt werden, und die die Grenze zwischen Meer und Festland bilden. Das zugrundeliegende venezianische Wort ist baro, das Sträucher oder Gebüsch bezeichnet. Sie sind meist von natürlichen Kanälen durchzogen, die man in Venedig Ghebi (Einzahl: Ghebo) nennt. Formal grenzt man sie ab, indem ihre durchschnittliche Höhe über dem Meeresspiegel zwischen 10 und 32 cm liegt, die meisten liegen über 24 cm.
Die Barene bedecken in der Lagune ein Gebiet von mehr als 90 km², was aber nur noch einem Drittel der Fläche entspricht, die sie vor gut einem Jahrhundert bedeckten. Dabei befinden sich die meisten im Nordosten und im Südwesten der Lagune. Barene entstanden zum einen an den Rändern der Lagune. Einige befinden sich an den früheren Einmündungen der seit Jahrhunderten umgeleiteten Flüsse. Schließlich gibt es kleinere Barene an einigen Kanälen und schließlich alte Barene, die inzwischen tiefer unter Wasser liegen oder trockengelegt wurden.
Die Barene mindern zum einen bei Hochwasser den Wellenschlag, zum anderen bieten sie zu dieser Zeit Raum für das in die Lagune eindringende Wasser. Damit entlasten sie die besiedelten Gebiete, insbesondere die Altstadt und die mehr als 60 Inseln der Lagune. Als in den 1990er Jahren begonnen wurde, die Kanäle der Stadt von Giften, Schlamm und Algen zu befreien, wurde ein Teil des Schlamms gereinigt und in die Barene gepumpt, um diese gefährdeten Biotope zu sichern. Inzwischen verschont man die Barene jedoch von solchen Versuchen und entwickelt strömungsgerechte Sicherungen für die besonders gefährdeten Ränder der Barene.
Nur salzliebende Pflanzen können hier überleben. Hinzu kommen zahlreiche Vogelarten, die auf diese eigenwillige Art der Salzmarschen angewiesen sind.
Das Gegenstück zu den häufig überschwemmten Barene sind die Velme, Untiefen, die keine Vegetation tragen, weil sie nur bei sehr tiefem Wasserstand auftauchen.
Ein Valle da pesca ist ein abgegrenztes Wassergebiet innerhalb der Lagune. Diese Gebiete sind von der offenen Lagune durch Pfähle oder Dämme separiert und ermöglichen so eine besondere Form der intensiven Fischkultur. Insgesamt umfassen die Valli ein Gebiet von 92 km² Fläche, wobei manche Valli nur wenige hundert Quadratmeter umfassen, die größten hingegen mehr als 1600 ha. Sie befinden sich ganz überwiegend an den Rändern der Lagune, vor allem am Nord- und am Südwestrand.
Die Bezeichnung geht auf das lateinische Wort vallum zurück, meint aber weder das moderne Wort für ‚Lagune‘, noch das für ‚Tal‘, sondern eher ‚Schutz‘, ‚Mauer‘ oder ‚Wall‘. Zu den bewirtschafteten Valli zählen im Norden der Lagune das Val Dogà, das mit 1685 ha größte Valle, dann Grassabò, Dragojesolo, Cavallino, Lio Maggiore, Liona und Perini. In der südlichen Lagune sind dies die Valli Serraglia, Averto (das zum Teil vom World Wildlife Fund geschützt wird), dann Contarina, Zappa, Figheri, Pierimpié, Morosina und Millecampi.
Die Reproduktionszone der meisten Fische der Lagune liegt in der Adria, erst die Jungtiere wandern in die Lagune. Dazu trägt der Nährstoffreichtum bei, aber auch die geringe Zahl an Räubern im Vergleich zum offenen Meer. Die Beobachtung dieser alljährlichen Zu- und Abwanderung veranlasste vermutlich die Menschen schon früh, die Abwanderung eines gewissen Teils der Tiere aufzuhalten und sie abzufischen. Wahrscheinlich bestanden die Valli schon vor der Entstehung Venedigs.
Die für den Fischfang und die -zucht überaus ergiebigen Valli waren schon früh in der Hand weniger adliger Familien oder von Klöstern. Dies zeigen die Quellen spätestens ab dem 11. Jahrhundert. Meist wurden die Verträge zur Verpachtung jährlich verlängert. Dennoch waren die meisten Valli über Jahrzehnte in der Hand derselben Familien. Die Verträge der Republik Venedig sahen für die Pächter zahlreiche Verpflichtungen vor, die dem Erhalt der Fanggebiete dienten. So mussten Wälle oder Gräben gezogen oder repariert werden, für deren Erhalt die Vallesani, die Pächter also, eine Kompensation erhielten.
Für die Republik bedeutete die Möglichkeit, über Jagd und Fischfang einen Teil des Nahrungsmittelbedarfs zu decken, eine höhere Sicherheit gegen rapide steigende Preise oder gar Hunger. Daneben sorgte der Erhalt der Valli für den Schutz der natürlichen Umgebung, die zahlreichen Vögeln Lebensmöglichkeiten bot. Diese wurden vom städtischen Adel bejagt.
Seit dem Mittelalter bestanden die Grenzen der Valli aus mobilen Schilfgeflechten, den grisole. Die Republik Venedig untersagte bis zu ihrer Auflösung im Jahr 1797 die Einrichtung fester, dauerhafter Geflechte, damit die Wellen des Wassers (marea) sich frei ausbreiten konnten. Seitdem dies geändert wurde, müssen Jungfische aus der Adria herbeigeholt werden.
Die Gesetzgebung befasste sich ab 1314 mit den Valli da pesca. 1719 ließ der zuständige Magistrato alle Acque 100 Markierungen setzen, um die Grenzen zu fixieren. Dabei muss berücksichtigt werden, dass die reichen Familien, denen die Valli gehörten, sich hauptsächlich für die Jagd und weniger für den Fischfang interessierten. Anfangs gab es zwei Typen von Valli, nämlich die Valli a seragia, deren Wasserpegel auf dem der übrigen Lagune lag, und die Valli ad argine. Ihr Wasserstand wurde mit Hilfe von Dämmen, Schleusensystemen, Schiebern (porte a saracinesca) künstlich erhöht.
Die Anfälligkeit der Valli war der Serenissima sehr bewusst, und so übertrug sie ihr Management ausschließlich denjenigen, die dort den Fischfang betrieben. Sie waren ab 1624 der Öffentlichkeit nicht mehr zum Gebrauch zugänglich.
Der Prozess der Privatisierung und Abschließung der Valli begann zwischen dem frühen 19. und dem 20. Jahrhundert, wie sie etwa im Valle Pierimpié praktiziert wurde. Ab den 50er Jahren wurde diese Entwicklung forciert. Nun mussten für das Abfischen der Jungtiere eigens Männer beschäftigt werden, die pescenovellanti genannt wurden. Diese Tätigkeit wurde bereits im 19. Jahrhundert zu einer der wichtigsten Beschäftigungen der Männer aus Burano, Caorle, Cortellazzo, Pellestrina und Chioggia. Sie waren damit ab der zweiten Märzhälfte bis Mitte Juni beschäftigt. Die Fischer im Valle di Comacchio waren wiederum auf die Anlage fester Begrenzungen der Valli spezialisiert und auf die Aalzucht.
Die Chiaviche, schleusenartige Bauwerke, die vor allem aus dem 19. Jahrhundert stammen, ermöglichten die Regulierung der Wasserströme per Hand. Insbesondere ließen sie die Regulierung des Salzgehaltes zu, um den Fischen, die dort gezogen werden sollten, einen optimalen Lebensraum zu bieten. Sie befinden sich überwiegend innerhalb der Valli, um dort die Strömungen zu regulieren, aber auch an ihren Rändern, um den Wasseraustausch mit der Lagune zu steuern. Letztere befinden sich in der Nachbarschaft der Casoni di pesca. An natürlichen Strukturen finden sich die Kanäle, die in Windungen die Valli durchziehen, hinzu kommen künstliche, meist gerade verlaufende Kanäle. Die sogenannten lavorieri sind eine Art Fischfallen, an denen die Fische in einem zweiteiligen, vertikalen Flechtwerk, das in einem spitzen Winkel zuläuft (cogolere), gefangen werden.
Tiere, die noch nicht die Größe erreicht haben, um auf dem Markt verkauft werden zu dürfen, werden in eigenen, umflochtenen Gebieten über den Winter gebracht. Diese sind von größter Bedeutung, da die meisten Fische erst nach zwei oder drei Jahren marktreif sind, Aale sogar erst nach acht Jahren. Um sie gegen die empfindlich kalten Winterwinde zu schützen, wurden bis vor wenigen Jahren Französische Tamarisken (Tamarix gallica) benutzt, die Purpurreihern ein Habitat bieten. Inzwischen werden überwiegend künstliche Netze zum Einsatz gebracht. Zudem müssen diese Gebiete recht tief sein, um die Fische vor dem Durchfrieren des Wassers zu schützen. Darüber hinaus wird langsam Süßwasser auf das vorhandene Wasser gelenkt, um es an der Oberfläche gefrieren zu lassen.
Die einzigen Häuser sind die als Cason di pesca bekannten Bauwerke. Von dort aus wurde das Management der Valli gesteuert. Neben diesen meist großen Häusern aus dem 19. Jahrhundert, die mittlerweile stark verfallen sind, befinden sich Lager für Geräte und Werkzeuge, Kühlanlagen und die als Cavane bezeichneten, geschützten Bootsanlegestellen. Nur für die Jagd sind weitere Baulichkeiten vorgesehen, die botti da caccia.
Die Arbeiten in den Valli beginnen im Frühjahr. Die Jungfische werden ins Hauptbecken gelassen bzw. im Meer gefangen. Letzteres nennt sich pesca del pesse novelo. Nur noch ein sehr kleiner Anteil erreicht die Valli mit den natürlichen Strömungen. Der pesse novelo, die Jungfische, gelangen zunächst ins seragio del pesse novelo, ein geschütztes Gebiet, in dem sie sich zwei bis drei Monate an die neuen Bedingungen gewöhnen können. Der dortige Salzgehalt muss sehr genau gesteuert werden, ebenso die Durchmischung mit Sauerstoff. Wenn die Fische groß genug sind, werden sie über Schleusen (chiaviche) in das eigentliche Valle geführt.
In einem festgelegten Turnus werden die Fische nach und nach durch verschiedene Teile des Valle geführt. Gegen Ende des Herbstes bringt man sie dazu, Richtung Meer zu schwimmen, indem kaltes Wasser zugeführt wird. Sie bevorzugen das wärmere Meereswasser; dort findet auch die Vermehrung statt. Ein Teil der Fische wird abgefischt und auf die Märkte verschickt bzw. zum Überwintern nach der beschriebenen Methode gebracht.
Die Abwanderung der Fische in die Adria, die smontada, findet jeden Winter statt, nur die Aale, wenn sie erst einmal in der Lagune sind, bleiben.
An Fischen sind vor allem Europäischer Aal (Anguilla anguilla, ven.: anguille), Meeräschen (Mugil cephalus, ven.: cefali), Europäischer Wolfsbarsch (Dicentrarchus labrax, branzini) und Goldbrasse (Sparus aurata, orate) vertreten. Sie alle können starke Schwankungen des Salzgehalts vertragen.
Die Valli bieten darüber hinaus einer Vielzahl von Entenvögeln, aber auch anderen Vogelarten, die von Norden kommend hier überwintern, ebenso wie ortsfesten Vögeln, Säugetieren und Reptilien angemessene Lebensräume.
An ortsfesten Vögeln findet man neben der Stockente (Anas platyrhynchos, germano reale) Arten wie die Rohrweihe (Circus aeruginosus), Teichralle (Gallinula chloropus, gallinella d’acqua), Blässhuhn (Fulica atra, folaga), Seeregenpfeifer (Charadrius alexandrinus, fratino), Flussseeschwalbe (Sterna hirundo, sterna), Zwergseeschwalbe (Sterna albifrons), Beutelmeise (Remiz pendulinus, pendolino), Purpurreiher (Ardea purpurea, airone rosso), Nachtreiher (Nycticorax nycticorax, nitticora), Rotschenkel (Tringa totanus, pettegola) und Haubentaucher (Podiceps cristatus, svasso maggiore). Dabei leben die Reiher vor allem in den Valli Dogà und Figheri. 1996 konnte der Austernfischer wieder angetroffen werden, nachdem er über achtzig Jahre lang nicht mehr gesichtet worden war.
Als Zugvogel tritt der Haubentaucher und der Schwarzhalstaucher auf (Podiceps cristatus bzw. Podiceps nigricollis), die in der Lagune als svasso maggiore bzw. piccolo bezeichnet werden, aber auch der Silberreiher (Egretta alba, airone bianco), ebenso wie verschiedene Entenvögel.
An Säugetieren finden sich die Zwergmaus (Micromys minutus, topolino delle risaie), die Wasserspitzmaus (Neomys fodiens, toporagno d'acqua), ebenso wie der Europäische Iltis (Mustela putorius, puzzola), der Steinmarder (Martes foina, faina), die Große Wühlmaus (Arvicola acquatica europea, arvicola d’acqua), das Mauswiesel (Mustela nivalis, donnola), oder der Braunbrustigel (Erinaceus europaeus, riccio).
Darüber hinaus findet sich die als biacco bezeichnete Gelbgrüne Zornnatter (Hierophis viridiflavus), die bisce d’acqua genannte Ringel- (Natrix natrix) und die Würfelnatter (Natrix tessellata). Auch findet sich die Wechselkröte.
Hinzu kommen zahlreiche Insekten- und Spinnenarten. Kennzeichnend für die sandigeren Zonen ist Scarabaeus semipunctatus, auch als Pillendreher bezeichnet. An Schnecken ist die Mittelmeersandschnecke oder Dünenschnecke (Theba pisana) zu nennen.
Die Flora unterscheidet sich nur geringfügig von der für die Barene typischen, die örtlichen Salzmarschen. So finden sich hier zahlreiche Arten aus den Pflanzengattungen von Queller, Strandflieder und Salzschwaden.
Die Vegetation unterhalb des Wasserspiegels wird von zwei Gemeinschaften der Samenpflanzen gebildet, die für die Entenvögel von großer Bedeutung sind, nämlich dem zu den Seegräsern zählenden Zwerg-Seegras (Zostera noltii) und der zu den Salden zählenden Meeres-Salde (Ruppia maritima), die sich vor allem in Gebieten geringerer Salzkonzentration auf stabilem Untergrund findet.
In den Süßwasserbereichen findet sich Schilfrohr (Phragmites australis), das auch geringe Salzkonzentrationen verträgt. Dort, wo sich ausschließlich Süßwasser findet, lebt der Rohrkolben, insbesondere die Art Breitblättriger Rohrkolben (Typha latifolia). An weiteren Arten sind Binsenquecke (Agropyron Junceum), Ammophila litoralis, Venezianisches Hundsgift (Trachomitum venetum), das in Venedig endemisch ist, Ravennagras (Eriantus Ravennae), die in der Lagune seltene Orchideenart Sumpf-Stendelwurz (Epipactis palustris) zu nennen.
Die Bedeutung der Valli für die Lagune liegt unter anderem darin, dass sie die ökologische Nische, die einst in den Sümpfen (paludi) und in den acquitrini vorherrschten, bis zu einem gewissen Grad ersetzten, da die Sümpfe weitgehend zerstört wurden. Allerdings profitiert die Lagune insgesamt nur wenig davon, da die Valli stark abgeschottet sind. Daher wird seit einigen Jahren über die partielle Öffnung der Valli diskutiert.
Während der Ebbe ist es innerhalb der Lagune nicht möglich, außerhalb der Kanäle zu fahren. Bei Flut hingegen könnte man mit flachen Booten fast überall fahren, jedenfalls jenseits der Inseln. Um auch bei Ebbe fahren zu können, hat man Strecken, die zu dieser Zeit mehrere Stunden trocken liegen, durchstochen, Kanäle angelegt, und ihre Ufer mit parallel laufenden Pfählen angedeutet, damit bei Flut die eingeschlagenen Pfähle oder Pali, die eigentliche Schifffahrtslinie anzeigen. Die lagunaren Kanäle sind also im Wasser selbst angebrachte Kanäle, wenn man sie nur verkehrstechnisch betrachten will, bloße Fahrrinnen. Doch sie sind mehr. Zum einen spielen sie bei der Verteilung von Süß- und Salzwasser eine erhebliche Rolle. Zum anderen bieten sie während der Ebbe Rückzugsräume für Wasserbewohner. Die wiederum sind vielfach Lebensgrundlage der Vögel der Lagune.
Die wichtigsten Kanäle bei Venedig selbst sind folgende Kanäle: der Canale di Burchi, delle Tresse, di Mestre, di Fussina, Contorta, Poveglia, Campana, Fisolo, Melisan, Spignon, Caneo, di Val grande, di Val in pozzo und der Canale di San Pieiro. Bei Chioggia sind dies die Canali di Caroman, Percgnola, Pocopesce, di Valle, Bombar. Bei Portogruaro: San Martino, Scolador, Loncon, Melon, Lugugnana. Bei Murano: Bioni, Zellina, Anfora, Indermur, S. Gorgi, Marano. Bei Grado: Premero, Caregge delle Zemole, Averto.Der erste, der sich weniger mit hydrologischen oder städtebaulichen Gesichtspunkten der Lagune befasste, als mit dessen Geschichte, und der dies in Form einer Monographie tat, war Bernardo Trevisan mit seinem 1715 erschienenen Traktat Della laguna di Venezia.19 Allerdings versuchte er mit diesem Werk nicht so sehr der Geschichte auf die Spur zu kommen, als vielmehr den göttlichen Willen dahinter zu erkennen. Alle Bemühungen, der göttlichen Schöpfung durch Umleitungen und Kanäle, durch Festungswerke und Vertiefungen, durch Dämme und Deiche in die Parade zu fahren, seien zum Scheitern verurteilt. Nur die Wiederherstellung des ursprünglichen, von Gott gewollten Zustands sei die Lösung. Damit lehnte er die Vorstellung der Wasserbaumeister ab, mit technischen Mitteln der Natur helfen zu wollen. Er stieß auf heftigen Widerstand, genauso wie 1792 der Jesuit Cristoforo Tentori, der gegen die umfangreichen Vorschriftenkataloge der Magistraturen polemisierte20. Der Spanier verlangte, dass auf zwei riesigen Inseln im Norden und Süden der Lagune jeweils eine große Zahl von Strafgefangenen in permanentem Einsatz gegen Verlandungserscheinungen gehalten werden sollte.21
Als Autorität galt hingegen das gewaltige und akribische Werk von Bernardino Zendrini, einem Schüler des Hydrologen Domenico Guglielmini. Seine Memorie storiche dello stato antico e moderno della laguna di Venezia entstanden in den 1720er Jahren. Es bestand aus vier Manuskripten und stellte die Eingriffe des Magistrato alle aque zwischen etwa 1300 und 1700 dar. Er erstellte seit 1721 als Staatsbediensteter überwiegend Gutachten. Schon seit dem 16. Jahrhundert war klar, dass die Störungen im lagunaren Gleichgewicht von Eingriffen vergangener Zeiten herrührten, die ihre Nebenwirkungen oftmals sehr viel später entfalteten. Dabei konzentrierte sich Zendrini auf die Umleitungen der Flüsse, was die zeitlichen Grenzen seines Werkes erklärt. Das wohl nicht für die Öffentlichkeit bestimmte Werk wurde erst 1811, also etwa 14 Jahre nach dem Ende der Republik, publiziert.22 Bernardino Zendrini war bereits 1747 verstorben, sein Neffe Angelo sorgte für die Veröffentlichung. Das Erscheinungsjahr war kein Zufall, hoffte Angelo Zendrini doch, die französische Verwaltung davon überzeugen zu können, die überkommene Lagunenpolitik fortzusetzen und keinen grundlegenden Wandel zu vollziehen. Bis zur 1815 einsetzenden Herrschaft der Österreicher änderte sich hierin nur wenig.
Dennoch bekam Venedig zu spüren, dass die Politik zugunsten der Lagune und zu Lasten des angrenzenden Festlands mit der ungewohnten Zugehörigkeit zu einem Festlandsstaat endete, und so versuchten Viele, die Haltung der neuen Herren, der Österreicher, zur Beibehaltung der Flussumleitungen zu beeinflussen, wie etwa der Wasserbauingenieur Pietro Lucchesi (1745-1828) im Jahr 1816, der seine den Franzosen gehaltenen Vorträge neu auflegte.31 Er erneuerte seinen Standpunkt 1817 in einem zweiten Teil mit Dokumenten, die seinen Standpunkt untermauerten32, 1818 in fiktionalen Zwiegesprächen eines namenlosen Philosophen mit Cristoforo Sabbadino.33 Die Österreicher hingegegn planten, die Lagune in ein Festungssystem zum Schutz des Hinterlands einzubeziehen, sie wollten Brenta und Sile wieder in die Lagune leiten. Zudem wurden über zwanzig Kanäle in der Kernstadt zugeschüttet. Wien versuchte in den Augen der Venezianer aus Venedig eine Provinzstadt zu machen, eine gewöhnliche Stadt des Festlands, ihr ihren Sonderstatus zu nehmen. Die Umbaupläne wucherten dermaßen, dass sich Wien veranlasst sah, den Präsidenten des Istituto Lombardo delle Scienze Camillo Vacani di Forteolivo mit einer Untersuchung der bisherigen Lagunenpolitik zu beauftragen. Das Werk erschien allerdings erst 1867.35 Trotz der schweren Überflutungen von 1816, 1823, 1825 und 1827 kam es zu keiner Einigung, im Gegenteil kämpften beide Seiten erbittert um Gehör. Der Florentiner Hydrologe Vittorio Fossombroni erhielt schließlich 1829 den Auftrag, eine Entscheidung von größter Tragweite vorzubereiten. Er ließ sich sechs Jahre Zeit und arbeitete dabei mit dem Ingenieur Pietro Paleocapa zusammen, bevor er 1835 sein Werk vorstellte, das erst 1847 veröffentlicht wurde.36 Im Gegensatz zu seinem Mailänder Kollegen war der Florentiner dabei bedeutend weniger bereit, auf einen Ausgleich der Interessengegensätze hinzuwirken. Ihm schwebte die Einleitung des Brenta auf der Höhe von Chioggia in die Lagune vor. Zugunsten der landsässigen Agrarier wurde also eine Verlandung der südlichen Lagune in Kauf genommen. Doch bis 1839 erfolgten keine nennenswerten Überflutungen mehr, und so bestand kein unmittelbarer Handlungsbedarf. Doch nach der kostspieligen Überschwemmung dieses Jahres ordnete der Vizekönig persönlich die sofortige Verlegung des Brenta an, so dass dieser ab April 1840 wieder in die Lagune strömte. Dieser Eingriff wurde erst 1896 von der italienischen Regierung rückgängig gemacht. Der dem Florentiner Fossombroni zuarbeitende Venezianer Pietro Paleocapa widersprach zwar der Einleitung des Sile in die Lagune, unterstützte ansonsten aber die österreichische Lagunenpolitik.
Kaum ein Jahr nach Abzug der Österreicher im Jahr 1866 polemisierte Paleocapa in seiner historischen Untersuchung gegen die in seinen Augen einen Bruch mit der Tradition darstellende Lagunenpolitik der Nichtitaliener und feierte die Wiederkehr der überkommen Abwehr der Flüsse aus der Lagune. Seine eigene Rolle dabei verschwieg er, wo sie nicht im Einklang mit der Vorstellung stand, Nichtvenezianer verstünden nichts von der Lagunenpolitik.37 Der Ingenieur Erminio Cucchini vertrat eine andere Grundthese der seinerzeitigen Wasserbaukunst, dass nämlich eine große Lagune große Durchlässe in die Adria bedinge - und umgekehrt. Damit redete er Einfahrtsverbreiterungen das Wort, die einer neuen Interessengruppe sehr entgegenkamen, nämlich den Verfechtern eines Industriehafens in Mestre. Dazu sollten ausgedehnte Salzwiesen trockengelegt werden, die Bottenighi. Dies hatte einen ökonomischen Hintergrund: Venedig war auf seine Rolle als Standort für den durch den Bau des Suezkanals verstärkten Handel mit Asien denkbar schlecht und spät vorbereitet. Zwar war die Stadt gleichsam zu einer Halbinsel geworden, als 1846 die Brücke zum Festland und damit eine Eisenbahnverbindung entstanden war, doch die Insularisten wehrten sich weiterhin.
Doch der Warenstrom wuchs an, der Bedarf an Eisenbahntransporten nahm zu. 1883 wurde der Lido mit den Orten Lido, Malamocco und Alberoni eingemeindet. Doch die ehrgeizigen Pläne einiger Industrieller Venedigs gingen viel weiter. Der 1880 errichtete Bahnhof Stazione marittima stand bald auf viel zu beengtem Raum, um als ausreichender Massenumschlagplatz zwischen See- und Landverkehr dienen zu können, wie es ihnen vorschwebte. Dieser Gruppo veneziano, zu dem die Industriellen Vittorio Cini und Giuseppe Volpi zählten, brachte das Kunststück fertig, den konservativen Insularisten den Hafenausbau als Rettung der Lagune zu verkaufen. Volpi und Cini, die Besitzer einer Hotelkette waren, trennten dabei geschickt das touristische Juwel Venedig von der hässlichen industriellen Tätigkeit, die sie auf das Festland verbannen wollten. Volpi sagte man in der Zwischenkriegszeit eine dogenähnliche Stellung nach. In der Gazzetta di Venezia schlug der Hafenkapitän Luciano Petit den Bau eines Hafenbeckens bei San Giuliano auf dem Festland vor. Im Dezember 1903 brachte er die Bottenighi ins Gespräch, die dazu zerstört werden mussten. Diese Pläne wurden 1907 und 1908 genehmigt. 1907 wurde sogar das längst erloschene Wasseramt wieder reaktiviert. Die Arbeiten am Hafenausbau von Marghera begannen Ende 1909. Cucchini legte bereits 1911 einen ersten Erweiterungsplan vor; von einer Entlastungsfunktion für den kleinen Bahnhof war nicht mehr die Rede. Im Gegenteil: Aus dem zu restaurierenden Zentrum sollte das gleichsam unberührbare centro storico werden, ein Ort der Kultur, des Tourismus, des luxuriösen Lebens. Industrie und Handel waren für Marghera vorgesehen, Wohn- und Geschäftsviertel für Mestre. Diese lange Zeit dominierende Stadtvorstellung, in der jedes Quartier eine andere Aufgabe erhielt, verursachte gewaltige Verkehrsströme, für die Venedig abermals umgebaut werden musste. Marghera wurde demzufolge bereits 1917 in das Stadtgebiet eingegliedert. 1923 kam Pellestrina, 1924 kamen Murano und Burano, 1926 Mestre mit Chirignago, Favaro und Zelarino hinzu.
Selbst die Faschisten okkupierten die Umweltgeschichte in ihrem Interesse. Schirmherr der 1927 erschienenen Monografia della Laguna war der Admiral Paolo Thaon di Revel, der Mussolinis Ideologie von der Beherrschung der Adria propagandistisch vertrat und ihm als Finanzminister das nötige Geld beschaffte. Er wies der historischen Forschung bei der Adriabeherrschung eine zentrale Rolle zu und ließ sich dabei von Giovanni Pietro Magrini beraten. Die beiden feierten die Weisheit der Republik und ihrer Machtpolitik. Auf die Initiative des Admirals ging die Gründung des Istituto di studi adriatici (1932 bzw. 1934) zurück, zu dem als eines der prominentesten Gründungsmitglieder Roberto Cessi gehörte, der sich bedenklich der Ideologie von der natürlichen Vorherrschaft Venedigs bzw. Italiens und von der ruhmreichen Herrschaft des Duca (Mussolini nannte sich Duce, was diesen Wendungen hohe Brisanz verlieh) über das venezianische Volk annäherte. Cessi trat 1937 zurück, Volpi hingegen gehörte weiterhin dem Vorstand des Instituts an, das bis 1945 bestand. 41
Der Prozess der kulturellen Produktion von Raum ist bisher für Venedig nicht untersucht, erst recht nicht für die Zeit nach dem zweiten Weltkrieg. Stattdessen hängten sich an das Bild der Lagune und ihrer Veränderung erneut andere gesellschaftliche Interessen. Die Versuche der Weltgemeinschaft, mit erheblichen Mitteln das über Jahrhunderte geformte, künstliche lagunare System zu retten, brachte enorme Gelder in die Stadt, Mittel, an denen eine Vielzahl von Menschen und Institutionen zu partizipieren gedachte. Auslöser war die katastrophale Flut vom 3. auf den 4. November 1966, die an die Zerbrechlichkeit der Stadt erinnerte. Vier Jahre später war die Ausstellung von 1970 zur Geschichte der venezianischen Lagune im Palazzo Grassi (Mostra storica della laguna veneta42) ein großer ökonomischer Erfolg, der im historischen Blick auf die ökologische Situation der Stadt seine Ursache hatte. Diese Vorstellung wurde bereitwillig aufgenommen und die Widersprüchlichkeiten und Gruppenegoismen der venezianischen Gesellschaft ausgeblendet. Für manchen Historiker wurde Venedig sogar zum Vorbild für die Lösung der in der Tat gewaltigen ökologischen Probleme, wie der Historiker Piero Bevilacqua meinte, der Verfasser von Venezia e le acque: una metafora planetaria (Rom 1995). Elisabeth Crouzet-Pavan glaubte 1987, kaum ein Jahr nach Tschernobyl, Venedig sei geradezu ein Pionier im Ringen des Menschen um ein Gleichgewicht mit der Natur gewesen. Der stellvertretende Bürgermeister Michele Vianello verstieg sich sogar zu der Aussage, Venedig sei der Geburtsort des frühneuzeitlichen Nachhaltigkeitsdenkens. Polemisch formulierte Christian Mathieu, der ökologische Indianer sei gleichsam vom ökologischen Venezianer abgelöst worden.
Die Frage, warum Venedigs Regierung in der frühen Neuzeit die Grenzen der Lagune festlegte und zu erhalten versuchte, ist bisher kaum beantwortet. Die naive Vorstellung, man habe mit der Natur in Harmonie leben wollen, verleugnet einerseits, dass die Lagune ein Produkt der Wechselwirkung von natürlichen Prozessen und zahllosen menschlichen Eingriffen war, und dass den um ihren Lebensunterhalt ringenden Menschen und den führenden, vor allem an Macht-, Prestige-, Vermögens- und Gedenkensfragen interessierten politischen Führern dieser Zeit andere Prioritäten vorschwebten. Dabei konnten sie Protagonisten einseitiger Interessen sein oder mehr oder minder auf Interessenausgleich ausgerichtet denken - zwischen welchen Interessen auch immer. Jedenfalls legte der Senat 1610 die Grenzen der Lagune fest, ihnen hatten sich die Maßnahmen (entsprechend dem Kenntnisstand über ihre Folgen) zu beugen. Die Lagune musste so bleiben, wie sie war, wenn es Venedig nutzte. Die Lagune wurde schnell zum Bestandteil des Mythos Venedig: Angeblich gegründet von römischen Flüchtlingen im Jahr 421 war sie von Anfang an unabhängig, durch die Reliquien des Hl. Markus, die 828 nach Venedig kamen, in fast unmittelbarem Kontakt zur Gründungsfamilie des Christentums, vor allem zu Jesus und zu seiner Mutter Maria, deren Kult in dieser Zeit enorm anwuchs, und 1177 darüber hinaus Friedensvermittlerin zwischen dem Papst und dem Kaiser, zwischen Alexander III. und Friedrich Barbarossa. Zu diesen Mythen, die aus der venezianischen Adelsherrschaft eine freie, religiös tief fundierte und damit überzeitliche machte, kam die Fähigkeit zum Ausgleich der Gegensätze zwischen den bedeutendsten Mächten des Mittelalters. Legitimationsquelle war zudem die naturbedingte Herrschaft der Wasserstadt über die Adria.
In der Festa della Sensa fand dies jedes Jahr in einem gewaltigen Staatsritual seinen Ausdruck. Der Doge vermählte sich - in einer Zeit, in der es keine Scheidung gab - mit dem Meer. Schon im 16. Jahrhundert war diese gewaltige Prozession über die Lagune Richtung Adria das zentrale Staatsritual, an dem die gesamte Gesellschaft in ihren nach außen gut erkennbaren Bedeutungen und Funktionen teilnahm. Dies hatte nicht nur große Wirkung nach außen, auf die Besucher und Potentaten, die eingeladen waren, dem Schauspiel beizuwohnen, sondern vor allem nach innen. Das Einverständnis der Beherrschten mit der Macht des Adels wurde jedes Jahr symbolisch erneuert und sein Ewigkeitsstatus zur Schau gestellt. Das Einverständnis war so groß, dass Venedig in erheblichem Maße auf Machtausübung und Gewalt nach innen verzichten konnte. Die Lagune wurde zum Teil dieses gottgegebenen und -gewollten Regiments, das seine Besonderheit, seine Abschottung und seine Ewigkeit symbolisierte. Die Kontrolle über die Lagune war nicht weniger wichtig als die Kontrolle über die Flotte, die Sicherheit der Versorgung mit Lebensmitteln oder die Herrschaft der immer gleichen Familien. Selbst wir, deren politische und mentale Landkarte sich doch erheblich von der der Venezianer des 16. und 17. Jahrhunderts unterscheidet, können uns der magischen Wirkung dieser Verbindung von Stadt und Wasser nur schwer entziehen.
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