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Hans-Jürgen Hübner:

Taltheilei Tradition

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Geschichte und Gegenwart Kanadas

Version 0.91 (28. Januar 2011)

Die Taltheilei Culture, auch Taltheilei (Shale) Tradition genannt, ist der in den Wissenschaften gebräuchliche Begriff für die archäologischen Hinterlassenschaften einer in der westlichen Subarktis Kanadas lokalisierten Kultur, die etwa zwischen 750 v. Chr. und 1700 n. Chr. bestand. Sie ist nach den Taltheilei Narrows am Großen Sklavensee benannt.

Eingeführt wurde der Begriff 1951 durch Richard S. MacNeish.1 Näher bestimmt hat ihn William C. Noble ab 1971.2 Nobles nannte den Complex Taltheilei Shale tradition, also Taltheilei-Schiefer-Tradition.

Ethnisch gelten die Taltheilei-Leute als Proto-Athapasken. Das Tal des Mackenzie gilt dabei als Grenze zum sich westwärts erstreckenden Taye Lake complex, wenn auch die Bedeutung und Natur der Grenze noch wenig verstanden ist. Während aber Taye Lake mindestens bis 4000 v. Chr. zurückreicht, ist Taltheilei das Produkt später zuwandernder Gruppen.

Gegen 750 v. Chr. wanderten im Zuge einer Warmphase Menschen aus den borealen Wäldern nord- und ostwärts in Gebiete, die bis dahin von arktischen Jägern bewohnt waren.3 Sie bewohnten ab 700 v. Chr. den zentralen Mackenzie District und einem Teil des District of Keewatin. Ihr Ursprungsgebiet waren vermutlich der Norden British Columbias und der angrenzende Yukon. Sie zogen demnach den Peace River und den Liard River entlang zum Mackenzie. Das Gebiet der Kultur umfasste einen gewaltigen Raum, der 1.500 km ostwärts des Mackenzie River fast bis zur Hudson Bay reichte, sich nordwärts bis zum Arktischen Ozean und südwärts bis in den Norden der Provinzen Alberta, Saskatchewan und Manitoba erstreckte.

Einige der Fundstätten, wie die Little Duck Lake site wurden später Handelsposten der Hudson's Bay Company - in diesem Fall Caribou Post. Diese Stellen wurden immer wieder aufgesucht, da sie besonders geeignet waren, um Karibus zu jagen. Andere Taltheilei-Gruppen lebten am Shethanei Lake, am Caribou Lake (im Flusssystem des Manigatogan River oder am Egenolf Lake, die sich im Norden Manitobas befinden.4

Das Überleben der Taltheilei-Leute hing vom Jagderfolg auf das Barren-ground caribou (Rangifer tarandus groenlandicus) ab. Daher sind ihre Waffen spezialisiert und für das geübte Auge leicht erkennbar. Neben diesen Waffen - vor allem steinerne Projektilspitzen sind archäologisch bei weitem am häufigsten fassbar - entwickelten sie Ahlen und Pfrieme, Beile, Messer, Kratzer, Steinbohrer und Abzieh- oder Wetzsteine. Der überwiegende Teil der Werkzeuge, Waffen und sonstigen Überreste ist allerdings verloren gegangen, da sie aus organischen Materialien bestanden, wie etwa Horn, Sehnen, Knochen, Geweih oder Fell bzw. Pelz. Der überwiegende Teil des kanadischen Schildes bietet eher ein saures Bodenmilieu, so dass diese organischen Artefakte zersetzt wurden. Immerhin rücken inzwischen die Werkzeuge zur Werkzeugherstellung, die lange Zeit hinter der Waffentechnologie zurückstanden, stärker in den Vordergrund, da sie Produktionstechniken sehr viel deutlicher erkennen lassen.

Die Abhängigkeit der Kultur vom Karibu war sehr ausgeprägt. Von den gewaltigen Herden hing das Überleben der Menschen ab, wenn auch Fisch in dieser Hinsicht eine bedeutende Rolle spielte. Das galt vor allem im Herbst und im frühen Winter, für die Bevorratung, aber auch mit Blick auf das Hundefutter. Gerade im Bereich der großen nördlichen Seen, also von Great Bear, Great Slave Lake und Lake Athabasca durchwanderten große Herden von Rangifer tarandus groenlandicus die Tundra. In den sich westlich und südlich anschließenden Waldgebieten hingegen dominierte eine andere Karibuart, nämlich das Woodland Caribou oder Rangifer tarandus caribou. In Alaska und in Teilen des Yukon, also noch weiter im Nordwesten dominierte eine dritte Unterart, nämlich Rangifer tarandus granti. Die Tiere waren dabei am leichtesten an Engpässen und beim Überqueren von Seen und Flüssen zu bejagen. Generell finden sich folglich die Lager der Taltheilei-Leute an solchen Stellen, aber auch an Fischfangplätzen. Dabei waren die Winterplätze eher von einer gewissen Sesshaftigkeit geprägt, die Sommerplätze von extrem hoher Mobilität und dementsprechend kurzlebigen Unterkünften.

Wie so häufig, unterscheidet man, um der inneren Dynamik der Kultur gerecht zu werden, drei Phasen, nämlich eine frühe5, eine mittlere6 und eine späte7 Taltheilei Tradition. Die frühe Phase reichte von etwa 750 v. Chr. bis 200 n. Chr. Ihr schloss sich die mittlere bis etwa 700 an, die spätere Phase reichte bis etwa 1700. Während das herausstechende Charakteristikum der frühen Phase sogenannte stemmed projectile points waren, ging deren Zahl in der mittleren Phase zurück, während lanzettartige Spitzen auftauchten. Die späte Phase hingegen ist durch side-notched und corner-notched Projektilspitzen gekennzeichnet, also solchen, die Spuren einer aufwändigeren Verbindung zu Pfeilen aufweisen. Diese Pfeile haben sich gegenüber dem Speer erst um 1100 etabliert, während sie von den Ojibwa im Osten bereits 500 Jahre früher adaptiert wurden.8

In dieser Hinsicht hat die Verbindung von Notgrabungsvorschriften, wie sie bei Bauvorhaben greifen, sowie der flächenfressende Ölboom in Alberta dazu geführt, dass zahlreiche Ausgrabungen im Gebiet der Athabasa-Ölsande durchgeführt wurden. So konnte an der Creeburn Lake site der Nachweis erbracht werden, dass Taltheilei-Leute bereits vor rund 1240 Jahren dort erschienen waren.9

Wenig wissen wir über Begräbnissitten, da die Taltheilei ihre Toten oberirdisch beisetzten. Daher sind Einblicke in die komplexe Welt des Schamanismus, gar in die Traum- und Visionssuche nicht möglich. Auch ist nicht klar, ob die Feindschaft gegenüber den Inuit im Norden bereits zu dieser Zeit bestand, die so kennzeichnend für die Phase des ersten Kontakts mit Europäern war. Sicherlich bestand sie bereits in der Späten Taltheilei-Tradition.

Als gesichert gilt, dass sie keine Tonverarbeitung kannte, und auch kein Kupfer. Im Gegensatz zu den Cree, die sich als Pelztierjäger den Handelskompanien anboten, veränderten die späten Taltheilei-Leute und ihre Nachkommen, die Dene, ihre Lebensweise kaum. Die beiden Gruppen bekriegten sich häufig, wobei die Cree ihre Feinde als Sklaven gefangennahmen, während die Dene ihre Feinde töteten. Im Gegensatz dazu waren die Beziehungen zwischen Dene und Inuit eher freundlich und von gegenseitigen Kulturadaptionen gekennzeichnet. So berichteten noch 1955 die Inuit vom Ennadai Lake, sie hätten Tänze der Dene vom Nueltin Lake übernommen, als sie sich an einem Posten der Hudson’s Bay Company trafen.

Der Taltheilei-Tradition gehören die meisten der 60 bis 70 Felszeichnungen an, die nördlich des 55. Breitengrades gefunden wurden. Der überwiegende Teil befindet sich im Einzugsgebiet des Churchill River, der im Norden den Haupttransportweg darstellte.10

Literatur

externe Links

Anmerkungen

  1. 1 ↑ An archaeological reconnaissance in the Northwest Territories, National Museum of Canada, Bulletin 123 (1951) 24-41.
  2. 2 ↑ Archaeological surveys and sequences in central District Mackenzie, N.W.T., in: Arctic Anthropology VIII,1 (1971) 102-135.
  3. 3 ↑ Taltheilei Tradition
  4. 4 ↑ Taltheilei Shale Tradition
  5. 5 ↑ Early Taltheilei period
  6. 6 ↑ Middle Taltheilei period
  7. 7 ↑ Late Taltheilei period
  8. 8 ↑ William C. Sturtevant: Handbook of North American Indians, Band 6, Subarctic, 1981, S. 103f.
  9. 9 ↑ Graham Chandler: Archeology In The Oilsands, in: Legion Magazine, 1. Januar 2006.
  10. 10 ↑ Tim E. H. Jones: The Aboriginal Rock Paintings of the Churchill River, Regina 1981.

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