Home Impressum Sitemap

Hans-Jürgen Hübner:

Archäologie in Kanada

Version 0.941 (29. Juli 2017)
C W Peale - The Exhumation of the Mastadon
Exhuming the First American Mastodon, Gemälde von Charles Willson Peale (1741–1827), 1806, Öl auf Leinwand, 127 × 158,8 cm, The Peale Museum, Baltimore. Das Mastodon wurde an Peale's Barber Farm Mastodon Exhumation Site im August 1801 ausgegraben. Sein Alter wird auf 15.000 Jahre geschätzt. Es war das erste in Nordamerika montierte und ausgestellte Skelett eines fossilen Säugetiers. Cotton Mather hatte allerdings bereits 1712 die erste wissenschaftliche Beschreibung eines Mastodonten geliefert. 1806 erklärte Georges Cuvier die Art für ausgestorben und nannte sie „Mastodon“. Für Thomas Jefferson, der glaubte, die Tiere würden noch in abgelegenen Gebieten Amerikas leben, war der Fund des „Mammuts“ der Beweis, dass die amerikanische Fauna - und die amerikanischen Menschen - der europäischen Fauna keineswegs unterlegen war, wie der französische Naturforscher George Louis Leclerc de Buffon behauptet hatte. Doch sollte es ein großer Fleischfresser sein, der die Landschaften der amerikanischen Vorgeschichte „beherrschte“, wie es noch heute imaginiert wird. Um zu vermeiden, dass das „American Incognitum“ zu sehr nach einem pflanzenfressenden Elefanten aussah, erhielt es dementsprechend Stoßzähne, die nach unten wiesen, statt nach oben. Es konnte mit ihrer Hilfe seine Beute niederwerfen, festhalten und zerfleischen. Die Idee, die Zähne umzudrehen kam von Peales Sohn Rembrandt Peale, der sie 1802 zu Papier brachte und 1803 seinen Vater davon überzeugte. Noch in Cornelius Mathews' The Behemoth von 1839 zerstörte das Ungeheuer, der Riesenfleischfresser, die Städte der Moundbuilder (Digitalisat). Das Mastodon wurde zum Symbol der Macht und der Herrschaft, gleich neben dem Weißkopfseeadler. Bald galt der gewaltsame Überlebenskampf als „natürlich“, schon in vormenschlicher Zeit. Die „Beherrschung“ der Wildnis konnte zur Zivilisationsaufgabe werden, die Eroberung des Westens ließ sich dank der Peale'schen Umwandlung als ewiges Naturgesetz rechtfertigen. - Mit dem Bankrott des Museums, das Peale geleitet hatte, wurde auch das Mastodon verkauft und landete ausgerechnet in Europa. Erst in den 1950er Jahren wurde es im Hessischen Landesmuseum in Darmstadt wiederentdeckt. Der Mythos von Kreaturen, die in früheren Zeiten „herrschten“, ist bis heute ungebrochen. Heute ist es der Tyrannosaurus rex.

Relativ spät erst wuchs die Archäologie Kanadas, das Ausfuhren seiner Kulturartefakte erst ab 1977 zu kontrollieren begann, zu einer Wissenschaftsdisziplin heran, die über sich selbst zu reflektieren begann. Knappe geschichtliche Überblicke, wie die von Noble (19731), MacDonald (19772 und 19823) bzw. Forbis und Noble (19854) neigten zudem dazu, bloße Auflistungen durchgeführter Grabungen aufzuführen. In dieser Hinsicht war Wright (1985,5 S. 422 und 429) noch am deutlichsten. Für ihn war ein breiter, ökologisch ausgerichteter Ansatz das Signum der kanadischen innerhalb der amerikanischen Archäologie. Dabei platzierte er die voreuropäische Geschichte in eine Nische zwischen imaginierter, unberührter Natur und dort lebenden Völkern. Nach seiner Ansicht war dies eine Ursache, warum so viele kanadische Archäologen einen starken Hang zur Anthropologie amerikanischer Prägung hatten. Dies zeigte sich seiner Meinung nach darin, dass die Ureinwohner eher als Teil der Natur und damit als Teil der Naturgeschichte behandelt wurden. Damit waren sie der historischen Forschung geradezu entzogen, der Gebrauch des „Ethnographischen Präsens“ analog zum historischen war dementsprechend weit verbreitet.

Sowohl Archäologie als auch Anthropology weisen folgerichtig auch organisatorisch eine sehr enge Verbindung mit der Naturgeschichte auf. Edward Sapir stand der archäologischen Sektion des Geological Survey of Canada vor, das die bedeutendste Kommunikationsplattform darstellte. Daher finden sich in den frühen Ausgaben archäologische vermengt mit geologischen, klimatologischen oder zoologischen Arbeiten. Gleichfalls in dieser Weise von einer unausgesprochenen Voraussetzung ausgehend handelten die Herausgeber von Syesis, einem für British Columbia wichtigen Blatt, das bis in die 1980er Jahre von Bedeutung war. Archäologie in Kanada war ökologisch fundierte Kulturgeschichte unter der Ägide von Anthropology und Naturgeschichte10, und damit von einer ausgeprägten Vorstellung von Statik, wenn nicht gar Geschichtslosigkeit der indigenen Kulturen dominiert. Es herrschte die Vier-Felder-Anthropology vor, in der Ethnologie, Prähistorie, Linguistik und physische Anthropologie als eine einheitliche Wissenschaft vom Menschen gesehen wurden - eine Vorstellung, die sich stark auf die Forschungslandschaft, aber auch auf die museale Repräsentation ausgewirkt hat. Bis heute stellen naturkundliche Museen vielfach Artefakte der indigenen Kulturen aus, so dass den Besuchern eine untrennbare Einheit von Natur und diesen Kulturen suggeriert wird, über der sich die eigentliche, westliche Kultur erhebt.

Darüber hinaus war der Einfluss der USA im gesamten Wissenschaftsbetrieb sehr stark. Das gilt auch für die Archäologie. Daher galt die Archäologie des Halbkontinents als amerikanische Disziplin oder einfach als anglo-amerikanische Archäologie. Bestenfalls galten diejenigen Kulturareale, an denen die USA keinen Anteil hatten, als genuin kanadisch, wie die arktischen Gebiete oder Teile des Nordpazifiks. Es ist wohl keine Übertreibung, wenn man behauptet, dass besonders das von Alfred Kroeber 1939 entwickelte Modell der Kulturareale zur Aufhebung der (staatlichen) Grenzen geführt hat.

Ebenso bedeutsam, wie diese geradezu ahistorischen Voraussetzungen der Vermengung der kanadischen mit der Archäologie der USA ist die Lehrsituation. Die expandierenden Universitäten der 60er und 70er Jahre richteten neue Lehrstühle ein, und allein zwischen 1966 und 1969 stieg die Zahl der Anthropologen an Instituten mit höheren Abschlüssen von 68 auf 116. Die ersten Doktortitel in Archäologie wurden in Kanada erst 1967 und 1968 verliehen. Bis Mitte der 70er Jahre konnten diese Lücken im Lehrpersonal nur durch ausländische Dozenten gefüllt werden, fast ausschließlich US-Amerikaner. Europäische Abschlüsse waren in diesem Nucleus der kanadischen Archäologie nicht vorhanden. William Taylor, ehemals Direktor des National Museum of Man, der dies erkannte, forderte mehr nicht-amerikanische Kollegen. Doch selbst der Anteil kanadischer Studenten, die ihren Abschluss in Europa absolvierten, blieb relativ gering. 1977, am Ende der ersten Expansionsphase, hatten 57 % der Archäologen einen Abschluss, der in den USA erworben worden war. Von den übrigen wiederum erlangte die Hälfte ihren PhD an der University of Calgary. In Europa waren nur zwei graduiert worden. Der europäische Einfluss war marginal und bestenfalls durch persönliches Interesse der Wissenschaftler entwickelt, fast alle kanadischen Archäologen waren Schüler amerikanischer Lehrer.

Franz Boas war dabei eine entscheidende Figur. Vor allem seinem Einfluss und dem seiner Schüler ist es zu verdanken, dass die Archäologie geradezu als eine Unterabteilung der Anthropologie galt. Ein erstes Institut dieser Art in Kanada entstand in den Dreißiger Jahren in Toronto; auch hier dominierten amerikanische Lehrer.

Die herausragenden Ausbildungsstätten in Kanada wurden die Simon Fraser University und die University of Calgary. Die archäologische Abteilung in Calgary entstand 1964, die an der Simon Fraser University 1971. Angesichts der Tatsache, dass es in Kanada 1960 nur etwa zehn Archäologen gab, war dies zwar eine gute Voraussetzung für die weitere Entwicklung der Archäologie, doch angesichts der Komplexität und Größe des Raumes von beinahe 10 Millionen Quadratkilometern bestimmten Zufälle der Forschungsgeschichte, wo es zu Erkenntnis- und Methodikfortschritten kam.

In gewisser Weise setzte sich die amerikanische Dominanz in der Archäologie fort, als englischsprachige Archäologen als erste in Québec tätig wurden. Dabei ragte die McGill University als anglophone Institution heraus. Die frankophone Archäologie, die sich mit dem ländlichen Leben der Indigenen beschäftigte, wurde durchaus als Möglichkeit in Betracht gezogen, eben dieses Leben gegen die englischsprachige „Invasion“ zu verteidigen. Auf diesem Umweg kam es geradezu zu einer Geburt der frankophonen Archäologie Québecs, die dennoch nicht das Bündnis mit den Indigenen suchte, da dieses Feld wiederum politisch ungeeignet schien. Schließlich waren Ethnizismus und Franko-Nationalismus kaum vereinbar, da ersterer naturgemäß die Unterschiede akzentuierte, während sich letzterer hauptsächlich gegen alles Anglophone abzusetzen suchte. Ersterer war sogar in der Lage, etwa in Zusammenhang mit Landstreitigkeiten, Partei zu ergreifen - gegen den Québecer Zentralismus. Ein anderer Zweig der Québecer Archäologie befasste sich, bestärkt durch ähnliche, nationalistische Motive, mit der Stadtarchäologie. Umgekehrt war die Archäologie der Pelzhandelsepoche gleichfalls von, wenn man so will, nationalistischen, anglophonen Wissenschaftstraditionen dominiert. Solange Multikulturalismus nicht als eine Art Staatsgrundsatz adaptiert wurde, ließ sich die Archäologie, sieht man von der Stadtarchäologie ab, nur schwerlich für nationalistische Zwecke einsetzen.

Bis Anfang der 90er Jahre war sich die Archäologie British Columbias nur bedingt ihrer wissenschaftstheoretischen und politischen Voraussetzungen voll bewusst. Eine Ausnahme ist Nash, der 1983 an David Clarke (Models in Archaeology, 1972) anknüpfte. Ansonsten dominierten tiefgehende ökologische und Subsistenzansätze, die überaus detailliert einzelne Schlüsselgrabungsstätten untersuchten. Dabei vermittelte Boas theoretische Modelle, die aus europäischen Wurzeln stammten - in Kanada eine Ausnahme. Besonders deutsche Einflüsse, die, aus romantischen Wurzeln gespeist, von einer Grundeinheit, dem Volk ausgingen, entfalteten hier erhebliche Wirkung. Dabei spielten ethnologische Analogien eine herausragende Rolle, die bei der Rekonstruktion des Alltagslebens hilfreich waren. Da in British Columbia sogenannte Shell Middens eine dichte Fundhäufung durch gute Konservierung ansonsten leicht vergänglicher Artefakte lieferten, waren in der Tat ausgesprochen vollständige Bilder der Alltagsvergangenheit möglich. Dies wiederum war der konsequent als Ethno-Archäologie erscheinenden Wissenschaftsverzweigung mit ihrer Aneinanderreihung von Momentaufnahmen sehr förderlich. Prozesse und Untersuchungen lang anhaltender Prozesse erschienen dabei eher selten. In British Columbia bestand zudem immer die Gefahr, an einer zeitlosen Historie auf ökologischer Grundlage einerseits, oder andererseits an einer zu sehr an aktuelle ethnologische Vergleiche gebundenen Archäologie haften zu bleiben. Mitchell schlug 1988 beispielhaft vor, eine Expansion von Wakashan zu Lasten von Salish-Gruppen anzunehmen, was den auf Vancouver Island lebenden Gruppen erstmals eine voreuropäische, historische Dynamik übertrug.

Wissenschaftsgeschichtlich ist die kulturelle Teilung des Landes in eine frankophone und eine anglophone Sphäre von erheblicher Bedeutung. Hinter diesen angeblichen Gründernationen verschwanden alle anderen ethnischen Gruppen, insbesondere diejenigen, die vor den Europäern in Kanada angekommen waren. Dabei sind selbst zweisprachige Fachzeitschriften, wie das Canadian Journal of Archaeology bzw. das Journal Canadien d'Archéologie in ihren Publikationen ausgeprägt anglophon. Von den 183 Artikeln der Jahre 1977 bis 1991 stammten allein 175 von englischsprachigen Wissenschaftlern. Von 138 besprochenen Buchpublikationen waren sogar nur sechs Französisch. Erst 1993 erschien ein erster zweisprachiger Beitrag. Eine Ursache mag darin liegen, dass frankophone Archäologen ihre Arbeiten eher andernorts publizieren, wie etwa in den Recherches Amérindiennes au Québec. Ob darin eine wissenschaftspolitische Grundhaltung zu erkennen ist, Archäologie in Québec zu fördern - um den Preis einer verkleinerten Leserschaft und weitgehender Wirkungslosigkeit außerhalb der frankophonen Welt -, sei dahingestellt.

Kritik an der Archäologie entzündete sich nicht nur binnen- und nachbarwissenschaftlich sondern auch extern. So standen viele Angehörige der First Nations der Wissenschaft skeptisch gegenüber (Denton und Duguay 1993). Dies ist von größter Bedeutung, da die Ureinwohner Eigentümer der archäologischen Artefakte auf ihrem Gebiet sind. Damit ist jeder Archäologe gehalten, in Konsultationen zu klären, wie die Kampagnen durchgeführt und wie die Resultate dargestellt werden sollen. Die Art der Ausstellung bis hin zur Erlaubnis oder dem Verbot von Fotografien tangiert dabei vor allem den Museumsbereich. Die Verfügung über die Vorfahren erstreckt sich, für Archäologen besonders bedeutsam, auf sterbliche Überreste. Während der Northwest Archaeological Conference von 1992 in Vancouver sprachen erstmals Ältere (Elders), in diesem Falle der Nuu-chah-nulth, auf einer solchen Veranstaltung. Darüber hinaus sind die First Nations immer häufiger in Grabungskampagnen involviert, was einen erhöhten Schulungsbedarf nach sich zog. Inzwischen verwalten zahlreiche First Nations ihre archäologischen (und einige auch historischen) Artefakte und Quellen selbst, eigene Museen entstehen, meist neben den Fundstätten. Dabei ist die Anbindung der Archäologie an die Anthropology offenbar ein Hindernis, das viele Indigene von einer Beteiligung abhält.

Lange waren Konzepte indigener Ethnologie und Geschichtsschreibung weitgehend ignoriert worden. Gerade die Geschichtsschreibung reicht erheblich weiter zurück, wie das Werk Relación de la conquista del Perú des Inka Titu Cusi Yupanqui von 1570 beweist. Der Osage Francis La Flesche (1857-1932), John Napoleon Brinton Hewitt (1859-1937) als Tuscarora, der Seneca Arthur C. Parker (1881-1955), aber auch Ella Cara Deloria (Nakota), Edward Dozier (1916-1971) (Santa Clara Pueblo) oder Alfonso Ortiz (1939-1997)11 (San Juan Pueblo) haben hier Pflöcke eingeschlagen.

Trotz eigener Forschungen begriffen die Indianer die Wissenschaften zunehmend als kolonisatorische Techniken der Assimilation. Skepsis machte sich unter ihnen breit. Dennoch entstanden Werke aus der Perspektive der jeweiligen ethnischen Gruppe, wie Vine Deloria junior: Custer Died for Your Sins (1969). Zunehmend verlangten die Beforschten eine bessere Kontrolle der Forschungsergebnisse und fragten nach dem Nutzen für sie. Zugleich wurde erkannt, dass ohne die Deutung der Indigenen selbst große Teile der Kultur unverständlich und Artefakte unauffindbar blieben.

Dazu kamen seit den 1980er-Jahren Rückforderungen von sakralen und anderen Gegenständen und vor allem der menschlichen Überreste. Diese mündeten in den Native American Graves Protection and Repatriation Act (NAGPRA), der einen Rechtsanspruch auf Rückgabe schuf. So wurde etwa die als Buhl Woman bekannte Tote nach abgeschlossener Untersuchung feierlich beigesetzt.

Indianische Forschungsprogramme lehnen inzwischen häufig das euroamerikanische Wissenschaftsmodell ab. Diese Tradition der Wissenschaft und die darin verwurzelte Beschäftigung mit den indigenen Kulturen wird selbst als Teil der prozesshaften interethnischen Beziehungen betrachtet. Damit wird sie selbst zum Gegenstand der Forschung und darüber hinaus Mittelpunkt eines Diskurses über kulturell unterschiedliche Formen und Funktionen des Wissens.

Eine besondere Rolle wird der Archäologie häufig bei den Landforderungen der indigenen Gruppen zugewiesen. Diese zielen darauf ab, die Ansprüche so weit in die Vergangenheit zurückzuverfolgen, wie möglich. Die Zielvorstellung ist dabei zu belegen, dass die jeweilige Gruppe, wie es oft heißt, seit nicht mehr erinnerbaren Zeiten (from times immemorial) in ihrem Gebiet lebt. Juristisch gesehen muss die vollständige und untrennbare Bindung der ethnischen Gruppe an ihre Gebiete belegt werden. Bei diesem Nachweis spielen Archäologen ebenso eine wichtige Rolle, wie Ethnohistoriker, Historiker, Anthropologen und die Elders der First Nations. Da die Archäologie vielfach von Privatunternehmen vor Ort konkretisiert wird, denn sie führen Grabungen und Notgrabungen häufig durch, sind sie auch die Repräsentanten vor Ort. Da sie sowohl von den Indigenen, als auch von staatlichen Stellen, meist denen der Provinz, von Universitäten und Museen, engagiert werden, entstehen hier nicht nur zahlreiche Beschäftigungsmöglichkeiten sondern auch Interessenkonflikte. Ihren Ausgangspunkt nahm diese Verknüpfung von Archäologie und Ethnohistorie mit den Landforderungen der Indigenen in den 1920er Jahren, als eine kleine Gruppe im Nordwesten Arizonas, die Hualapai, ihren Kampf um ihre Landansprüche aufnahm. Sie entzündete damit eine dreißigjährige Debatte, an deren Ende nicht nur 1941 ein Richterspruch zu ihren Gunsten stand, sondern die die Wissenschaftslandschaft nachhaltig veränderte. Die indianischen Gruppen begannen, da sie ihre Landansprüche ansonsten nicht gegen eine koloniale Gesellschaft durchsetzen konnten, sich auf deren Argumentation einzulassen, und ihre eigene Geschichte nach den Standards einer ihrer Kultur verächtlich gesonnenen Gesellschaft zu erforschen und aufzuzeichnen. Sie waren damit so erfolgreich, dass sich noch heute die Obersten Gerichtshöfe der Welt, wie etwa in Australien 1992, auf diesen Fall beziehen.

Mit diesen Entwicklungen steht die Archäologie dort, wo eine im weitesten Sinne historische Wissenschaft von Relevanz zwangsläufig hinstrebt, nämlich an den Konfliktlinien der Gesellschaft. Alle Debatten, die die kanadische Gesellschaft kennzeichnen, spiegeln sich auch in der Archäologie, die ihren Beitrag zu diesen Diskursen leisten muss, und sich diese Involvierung gleichzeitig deutlicher vergegenwärtigt. Dass dabei Wissenschaftstraditionen untereinander und mit denen der Indigenen, und inzwischen auch anderer Ethnien, häufig kollidieren und zu neuen Synthesen führen, gehört zu den Besonderheiten derjenigen Kolonialmächte, in deren Staatsgebiet sich eigenständige Kulturen befinden. Zugleich erwächst der Archäologie eine eigene Wissenschaftsgeschichte, die sie als Ausfluss der Kolonialphase Kanadas und ihrer Verarbeitung offenbart. Archäologen stehen in Debatten keineswegs mehr auf selbstverständlichen und alle verbindenden ideologischen Grundmauern. Andererseits war die archäologische Gemeinde in Kanada immer so klein und zerstreut, dass ihr die heftigen Auseinandersetzungen, wie etwa in und zwischen der britischen, französischen und amerikanischen Archäologie weitgehend erspart blieben - andersherum formuliert handelten sich die kanadischen Archäologen den Vorwurf des atheoretischen Empirismus ein, wie ihn etwa Lewis Binford 1989 formulierte (Debating Archaeology20), dem Mitbegründer der Processual Archaeology, deren Initialzündung sein Beitrag Archaeology as Anthropology von 1962 gewesen war. Gegen diese neue oder prozessuale Archäologie wandte sich 1995 Ian Hodder mit seinem Beitrag Interpreting Archaeology. Finding Meaning in the Past, in dem er sich die seiner Auffassung nach zu funktionalistisch, zu schematisch und zu ahistorisch denkende Richtung wandte. Er forderte, was auch indigenen Denkrichtungen mehr entsprach, die stärkere Integration der Geisteswelt der zu deutenden Kulturen und damit den Symbolcharakter der Artefakte.21

Literatur

Externe Links

Anmerkungen

  1. 1 ↑ W. C. Noble: Canada, in: J. Fitting (Hg.): The Development of North American Archaeology. Essays on the History of Regional Traditions, Pennsylvania State University Press, 1973, S. 49-83.
  2. 2 ↑ G. F. MacDonald: Prehistoric archaeology in Canada, in: A. G. McKay (Hg.): New Perspectives in Canadian Archaeology: proceedings of a symposium sponsored by the Royal Society of Canada , 1973, S. 73-79.
  3. 3 ↑ G. F. MacDonald: An overview of Canadian prehistory for the last decade, in: Canadian Journal of Archaeology 6 (1982) 47-54.
  4. 4 ↑ R. G. Forbis, W. Noble: Archaeology, in: J. Marsh (Hg.): The Canadian Encyclopedia, Edmonton 1985.
  5. 5 ↑ J. W. Wright: The Development of Prehistory in Canada, 1935-1985, in: American Antiquity 50 (1985) 421-433.
  6. 10 ↑ Ich folge hier Quentin Mackie: Prehistory in a Multicultural State. A commenary on the development of Canadian archaeology, in: Peter J. Ucko (Hg.): Theory in Archaeology: A world perspective, London: Routledge 1995, S. 178-196 (partiell online).
  7. 11 ↑ Vgl. Alfonso Ortiz, Biografie auf der Website der Minnesota State University.
  8. 20 ↑ Lewis Binford: Debating Archaeology, 1989, Nachdruck 2009. (Google Books)
  9. 21 ↑ Ian Hodder: Interpreting Archaeology. Finding Meaning in the Past, London, New York: Routledge 1995.

Für die Abbildungen gilt:

Kopieren, Verbreiten oder Modifizieren ist unter den Bedingungen der GNU Free Documentation License, Version 1.2 oder einer späteren Version, veröffentlicht von der Free Software Foundation, erlaubt. Eine Kopie des Lizenztextes ist unter dem Titel GNU Free Documentation License enthalten.

Der Text findet sich hier.